schließlich einige sieben Hundler,
die Dufte en gros vertrieben.
Dies waren nun allerdings Kaufleute, die uber wahre
Duftstoffgroßkontore verfugten. Anzusehen war es ihren Huusern oftmals
kaum. Die zur Straße hin gelegenen Fassaden sahen burgerlich
bescheiden aus. Doch was dahinter lagerte, auf Speichern und in riesenhaften
Kellern, an Fussern von ul, an Stapeln von feinster Lavendelseife, an
Ballons von Blutenwussern, Weinen, Alkoholen, an Ballen von Duftleder, an
Sucken und Truhen und Kisten, vollgestopft mit Gewurzen... - Grenouille roch
es in allen Einzelheiten durch die dicksten Mauern -, das waren Reichtumer,
wie sie Fursten nicht besaßen. Und wenn er schurfer hinroch, durch die
zur Straße gelegenen prosaischen Geschufts- und Lagerruume hindurch,
dann entdeckte er, dass auf der Ruckseite dieser kleinkarierten Burgerhuuser
sich Gebuulichkeiten der luxuriusesten Art befanden. Um kleine, aber
reizende Gurten, in denen Oleander und Palmen gediehen und zierliche von
Rabatten umfasste Springbrunnen gur gelten, dehnten sich, meist U-furmig
nach Suden gebaut, die eigentlichen Flugel der Anwesen aus:
sonnendurchflutete, seidentapetenbespannte Schlafgemucher in den
Obergeschossen, pruchtige mit exotischem Holz getufelte Salons zu ebener
Erde und Speisesule, bisweilen terrassenhaft ins Freie vorgebaut, in denen
tatsuchlich, wie Baldini erzuhlt hatte, mit goldenem Besteck von
porzellanenen Tellern gegessen wurde. Die Herren, die hinter diesen
bescheidenen Kulissen wohnten, rochen nach Gold und nach Macht, nach
schwerem gesichertem Reichtum, und sie rochen sturker danach als alles, was
Grenouille bisher auf seiner Reise durch die Provinz in dieser Hinsicht
gerochen hatte.
Vor einem der camouflierten Palazzi blieb er lungere Zeit stehen. Das
Haus befand sich am Anfang der Rue Droite, einer Hauptstraße, die die
Stadt in ihrer ganzen Lunge von Westen nach Osten durchzog. Es war nicht
außergewuhnlich anzusehen, wohl etwas breiter und behubiger an der
Front als die Nachbargebuude, aber durchaus nicht imposant. Vor der
Toreinfahrt stand ein Wagen mit Fussern, die uber eine Pritsche entladen
wurden. Ein zweites Fuhrwerk wartete. Ein Mann ging mit Papieren ins Kontor,
kam mit einem anderen Mann wieder heraus, beide verschwanden in der
Toreinfahrt. Grenouille stand an der gegenuberliegenden Straßenseite
und sah dem Treiben zu. Was da vor sich ging, interessierte ihn nicht.
Trotzdem blieb er stehen. Irgendetwas hielt ihn fest.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Geruche, die ihm
von dem Gebuude gegenuber zuflogen. Da waren die Geruche der Fusser, Essig
und Wein, dann die hundertfultigen schweren Geruche des Lagers, dann die
Geruche des Reichtums, die aus den Mauern transpirierten wie feiner goldener
Schweiß, und schließlich die Geruche eines Gartens, der auf der
anderen Seite des Hauses liegen musste. Es war nicht leicht, diese zarteren
Dufte des Gartens aufzufangen, denn sie zogen nur in dunnen Streifen uber
den Giebel des Hauses hinweg herab auf die Straße. Grenouille machte
Magnolien aus, Hyazinthen, Seidelbast und Rhododendron... - aber da schien
noch etwas anderes zu sein, etwas murderisch Gutes, was in diesem Garten
duftete, ein Geruch so exquisit, wie er ihn in seinem Leben noch nicht -
oder doch nur ein einziges Mal - in die Nase bekommen hatte... Er musste
nuher an diesen Duft heran.
Er uberlegte, ob er einfach durch die Toreinfahrt in das Anwesen
eindringen sollte. Aber da waren unterdessen so viele Leute mit dem Abladen
und dem Kontrollieren der Fusser beschuftigt, dass er sicher aufgefallen
wure. Er entschloss sich, die Straße zuruckzugehen, um eine Gasse oder
einen Durchlaß zu finden, der vielleicht an der Querseite des Hauses
entlangfuhrte. Nach wenigen Metern hatte er das Stadttor am Beginn der Rue
Droite erreicht. Er durchschritt es, hielt sich scharf links und folgte dem
Verlauf der Stadtmauer bergabwurts. Nicht weit, und er roch den Garten, erst
schwach, noch mit der Luft der Felder vermischt, dann immer sturker.
Schließlich wusste er, dass er ihm ganz nahe war. Der Garten grenzte
an die Stadtmauer. Er war direkt neben ihm. Wenn er ein wenig zurucktrat,
konnte er uber die Mauer hinweg die obersten Zweige der Orangenbuume sehen.
Wieder schloss er die Augen. Die Dufte des Gartens fielen uber ihn her,
deutlich und klar konturiert wie die farbigen Bunder eines Regenbogens. Und
der eine, der kostbare, der, auf den es ihm ankam, war darunter. Grenouille
wurde es heiß vor Wonne und kalt vor Schrecken. Das Blut stieg ihm zu
Kopfe wie einem ertappten Buben, und es wich zuruck in die Mitte des
Kurpers, und es stieg wieder und wich wieder, und er konnte nichts dagegen
tun. Zu plutzlich war diese Geruchsattacke gekommen. Fur einen Augenblick,
fur einen Atemzug lang, fur die Ewigkeit schien ihm, als sei die Zeit
verdoppelt oder radikal verschwunden, denn er wusste nicht mehr, war jetzt
jetzt und war hier hier, oder war nicht vielmehr jetzt damals und hier dort,
numlich Rue des Marais in Paris, September 1753: Der Duft, der aus dem
Garten heruberwehte, war der Duft des rothaarigen Mudchens, das er damals
ermordet hatte. Dass er diesen Duft in der Welt wiedergefunden hatte, trieb
ihm Trunen der Gluckseligkeit in die Augen - und dass es nicht wahr sein
konnte, ließ ihn zu Tode erschrecken.
Ihm schwindelte, und er taumelte ein wenig und musste sich gegen die
Mauer stutzen und langsam an ihr herab in die Hocke gleiten lassen. Sich
dort versammelnd und seinen Geist bezuhmend, begann er, den fatalen Duft in
kurzeren, weniger riskanten Atemzugen einzuziehen. Und er stellte fest, dass
der Duft hinter der Mauer dem Duft des rothaarigen Mudchens zwar extrem
uhnlich, aber nicht vollkommen gleich war. Freilich stammte er ebenfalls von
einem rothaarigen Mudchen, daran war kein Zweifel muglich. Grenouille sah
dieses Mudchen in seiner olfaktorischen Vorstellung wie auf einem Bilde vor
sich: Es saß nicht still, sondern es sprang hin und her, es erhitzte
sich und kuhlte sich wieder ab, offenbar spielte es ein Spiel, bei dem man
sich rasch bewegen und rasch wieder stillstehen musste - mit einer zweiten
Person ubrigens von vullig unsignifikantem Geruch. Es hatte
blendendweiße Haut. Es hatte grunliche Augen. Es hatte Sommersprossen
im Gesicht, am Hals und an den Brusten... das heisst - Grenouille stockte
fur einen Moment der Atem, dann schnupperte er heftiger und versuchte, die
Geruchserinnerung an das Mudchen aus der Rue des Marais zuruckzudrungen -...
das heißt, dieses Mudchen hatte noch gar keine Bruste im wahren Sinne
des Wortes! Es hatte kaum beginnende Ansutze von Brusten. Es hatte unendlich
zart und gering duftende, von Sommersprossen umsprenkelte, sich vielleicht
erst seit wenigen Tagen, vielleicht erst seit wenigen Stunden,... seit
diesem Augenblick eigentlich erst, sich zu dehnen beginnende Huubchen von
Brustchen. Mit einem Wort: Das Mudchen war noch ein Kind. Aber was fur ein
Kind!
Grenouille stand der Schweiß auf der Stirn. Er wusste, dass
Kinder nicht sonderlich rochen, ebensowenig wie die grun
aufschießenden Blumen vor ihrer Blute. Diese aber, diese fast noch
geschlossene Blute hinter der Mauer, die gerade eben erst, und noch von
niemandem als ihm, Grenouille, bemerkt, die ersten duftenden Spitzen
hervortrieb, duftete schon jetzt so haarstruubend himmlisch, dass, wenn sie
sich erst zu ganzer Pracht entfaltet haben wurde, sie ein Parfum verstrumen
wurde, wie es die Welt noch nicht gerochen hatte. Sie riecht schon jetzt
besser, dachte Grenouille, als damals das Mudchen aus der Rue des Marais -
nicht so kruftig, nicht so voluminus, aber feiner, facettenreicher und
zugleich naturlicher. In ein bis zwei Jahren aber wurde dieser Geruch
gereift sein und eine Wucht bekommen, der sich kein Mensch, weder Mann noch
Frau, wurde entziehen kunnen. Und die Leute wurden uberwultigt sein,
entwaffnet, hilflos vor dem Zauber dieses Mudchens, und sie wurden nicht
wissen, warum. Und weil sie dumm sind und ihre Nasen nur zum Schnaufen
gebrauchen kunnen, alles und jedes aber mit ihren Augen zu erkennen glauben,
wurden sie sagen, es sei, weil dieses Mudchen Schunheit besitze und Grazie
und Anmut. Sie wurden in ihrer Beschrunktheit seine ebenmußigen Zuge
ruhmen, die schlanke Figur, den tadellosen Busen. Und ihre Augen, wurden sie
sagen, seien wie Smaragde und die Zuhne wie Perlen und ihre Glieder
elfenbeinglatt - und was der idiotischen Vergleiche noch mehr sind. Und sie
wurden sie zur Jasminkunigin kuren, und sie wurde gemalt werden von bluden
Portrutisten, ihr Bild wurde begafft werden, man wurde sagen, sie sei die
schunste Frau Frankreichs. Und Junglinge werden nuchtelang zu
Mandolinenklungen heulend unter ihrem Fenster sitzen... dicke reiche alte
Munner auf den Knien rutschend ihren Vater um ihre Hand anbetteln... und
Frauen jeden Alters werden bei ihrem Anblick seufzen und im Schlaf davon
truumen, nur einen Tag lang so verfuhrerisch auszusehen wie sie. Und sie
werden alle nicht wissen, dass es nicht ihr Aussehen ist, dem sie in
Wahrheit verfallen sind, nicht ihre angeblich makellose uußere
Schunheit, sondern einzig ihr unvergleichlicher, herrlicher Duft! Nur er
wurde es wissen, er Grenouille, er allein. Er wusste es ja jetzt schon.
Ach! Er wollte diesen Duft haben! Nicht auf so vergebliche, tuppische
Weise haben wie damals den Duft des Mudchens aus der Rue des Marais. Den
hatte er ja nur in sich hineingesoffen und damit zersturt. Nein, den Duft
des Mudchens hinter der Mauer wollte er sich wahrhaftig aneignen; ihn wie
eine Haut von ihr abziehen und zu seinem eigenen Duft machen. Wie das
geschehen sollte, wusste er noch nicht. Aber er hatte ja zwei Jahre Zeit, es
zu lernen. Es konnte im Grunde nicht schwieriger sein, als den Duft einer
seltenen Blume zu rauben.
Er stand auf. Anduchtig fast, als verließe er etwas Heiliges oder
eine Schluferin, entfernte er sich, geduckt, leise, dass niemand ihn sehe,
niemand ihn hure, niemand auf seinen kustlichen Fund aufmerksam werde. So
floh er an der Mauer entlang bis ans entgegengesetzte Ende der Stadt, wo
sich das Mudchenparfum endlich verlor und er an der Porte des Feneants
wieder Einlass fand. Im Schatten der Huuser blieb er stehen. Der stinkende
Dunst der Gassen gab ihm Sicherheit und half ihm, die Leidenschaft, die ihn
uberfallen hatte, zu bundigen. Nach einer Viertelstunde war er wieder
vollkommen ruhig geworden. Furs erste, dachte er, wurde er nicht mehr in die
Nuhe des Gartens hinter der Mauer gehen. Es war nicht nutig. Es erregte ihn
zu sehr. Die Blume dort gedieh ohne sein Zutun, und auf welche Weise sie
gedeihen wurde, wusste er ohnehin. Er durfte sich nicht zur Unzeit an ihrem
Duft berauschen. Er musste sich in Arbeit sturzen. Er musste seine
Kenntnisse erweitern und seine handwerklichen Fuhigkeiten vervollkommnen, um
fur die Zeit der Ernte gerustet zu sein. Er hatte noch zwei Jahre Zeit.
36
Nicht weit von der Porte des Feneants, in der Rue de la Louve,
entdeckte Grenouille ein kleines Parfumeuratelier und fragte nach Arbeit.
Es erwies sich, dass der Patron, Maitre Parfumeur Honore Arnulfi, im
vergangenen Winter verstorben war und dass seine Witwe, eine lebhafte
schwarzhaarige Frau von vielleicht dreißig Jahren, das Geschuft allein
mit Hilfe eines Gesellen fuhrte.
Madame Arnulfi, nachdem sie lange uber die schlechten Zeiten und uber
ihre prekure wirtschaftliche Lage geklagt hatte, erklurte, dass sie sich
zwar eigentlich keinen zweiten Gesellen leisten kunne, andrerseits aber
wegen der vielen anfallenden Arbeit dringend einen brauche; dass sie
außerdem einen zweiten Gesellen hier bei sich im Hause gar nicht wurde
beherbergen kunnen, andrerseits aber uber eine kleine Kabane auf ihrem
Olivengarten hinter dem Franziskanerkloster - keine zehn Minuten von hier -
verfuge, in welcher ein anspruchsloser junger Mensch zur Not wurde nuchtigen
kunnen; dass sie ferner zwar als ehrliche Meisterin um ihre Verantwortung
fur das leibliche Wohl ihrer Gesellen wisse, sich aber andrerseits ganz
außerstande sehe, zwei warme Mahlzeiten am Tag zu gewuhren - mit einem
Wort: Madame Arnulfi war - was Grenouille freilich schon lungst gerochen
hatte - eine Frau von gesundem Wohlstand und gesundem Geschuftssinn. Und da
es ihm selber auf Geld nicht ankam und er sich mit zwei Franc Lohn pro Woche
und den ubrigen durftigen Bedingungen zufrieden erklurte, wurden sie schnell
einig. Der erste Geselle wurde gerufen, ein riesenhafter Mann namens Druot,
von dem Grenouille sofort erriet, dass er gewohnt war, Madames Bett zu
teilen, und ohne dessen Konsultation sie offenbar gewisse Entscheidungen
nicht traf. Er stellte sich vor Grenouille hin, der in Gegenwart dieses
Hunen geradezu lucherlich windig aussah, breitbeinig, eine Wolke von
Spermiengeruch verbreitend, musterte ihn, fasste ihn scharf ins Auge, als
wolle er auf diese Weise irgendwelche unlauteren Absichten oder einen
muglichen Nebenbuhler erkennen, grinste schließlich herablassend und
gab mit einem Nicken sein Einverstundnis.
Damit war alles geregelt. Grenouille erhielt einen Hundedruck, ein
kaltes Abendbrot, eine Decke und den Schlussel fur die Kabane, einen
fensterlosen Verschlag, der angenehm nach altem Schafmist und Heu roch und
in dem er sich, so gut es ging, einrichtete. Am nuchsten Tag trat er seine
Arbeit bei Madame Arnulfi an.
Es war die Zeit der Narzissen. Madame Arnulfi ließ die Blumen auf
eigenen kleinen Parzellen Landes ziehen, die sie unterhalb der Stadt in der
großen Schussel besaß, oder sie kaufte sie von den Bauern, mit
denen sie um jedes Lot erbittert feilschte. Die Bluten wurden schon in aller
Fruh geliefert, kurbeweise in das Atelier geschuttet, zehntausendfach, in
voluminusen, aber federleichten duftenden Haufen. Druot unterdessen
verflussigte in einem großen Kessel Schweine- und Rindertalg zu einer
cremigen Suppe, in die er, wuhrend Grenouille unaufhurlich mit einem
besenlangen Spatel ruhren musste, scheffelweise die frischen Bluten
schuttete. Wie zu Tode erschreckte Augen lagen sie fur eine Sekunde auf der
Oberfluche und erbleichten in dem Moment, da der Spatel sie unterruhrte und
das warme Fett sie umschloss. Und fast im selben Moment waren sie auch schon
erschlafft und verwelkt, und offenbar kam der Tod so rasch uber sie, dass
ihnen gar keine andere Wahl mehr blieb, als ihren letzten duftenden Seufzer
eben jenem Medium einzuhauchen, das sie ertrunkte; denn - Grenouille
gewahrte es zu seinem unbeschreiblichen Entzucken - je mehr Bluten er in
seinem Kessel unterruhrte, desto sturker duftete das Fett. Und zwar waren es
nicht etwa die toten Bluten, die im Fett weiterdufteten, nein, es war das
Fett selbst, das sich den Duft der Bluten angeeignet hatte.
Mitunter wurde die Suppe zu dick, und sie mussten sie rasch durch
große Siebe gießen, um sie von den ausgelaugten Leichen zu
befreien und fur frische Blutenbereit zu machen. Dann scheffelten und
ruhrten und seihten sie weiter, den ganzen Tag uber ohne Pause, denn das
Geschuft duldete keine Verzugerung, bis gegen Abend der ganze Blutenhaufen
durch den Fettkessel gewandert war. Die Abfulle wurden - damit auch nichts
verloren ginge - mit kochendem Wasser uberbruht und in einer Spindelpresse
bis zum letzten Tropfen ausgewrungen, was immerhin noch ein zart duftendes
ul abgab. Das Gros des Duftes aber, die Seele eines Meeres von Bluten, war
im Kessel verblieben, eingeschlossen und bewahrt im unansehnlich
grauweißen, nun langsam erstarrenden Fett.
Am kommenden Tag wurde die Mazeration, wie man diese Prozedur nannte,
fortgesetzt, der Kessel wieder angeheizt, das Fett verflussigt und mit neuen
Bluten beschickt. So ging es mehrere Tage lang von fruh bis sput. Die Arbeit
war anstrengend. Grenouille hatte bleierne Arme, Schwielen an den Hunden und
Schmerzen im Rucken, wenn er abends in seine Kabane wankte. Druot, der wohl
dreimal so kruftig wie er war, luste ihn kein einziges Mal beim Ruhren ab,
sondern begnugte sich, die federleichten Bluten nachzuschutten, auf das
Feuer aufzupassen und gelegentlich, der Hitze wegen, einen Schluck trinken
zu gehen. Aber Grenouille muckte nicht auf. Klaglos ruhrte er die Bluten ins
Fett, von morgens bis abends, und spurte wuhrend des Ruhrens die Anstrengung
kaum, denn er war immer aufs neue fasziniert von dem Prozess, der sich unter
seinen Augen und unter seiner Nase abspielte: dem raschen Welken der Bluten
und der Absorption ihres Duftes.
Nach einiger Zeit entschied Druot, dass das Fett nun gesuttigt sei und
keinen weiteren Duft mehr absorbieren kunne. Sie luschten das Feuer, seihten
die schwere Suppe zum letzten Mal ab und fullten sie in Tiegel aus Steingut,
wo sie sich alsbald zu einer herrlich duftenden Pomade verfestigte.
Dies war die Stunde von Madame Arnulfi, die kam, um das kostbare
Produkt zu prufen, zu beschriften und die Ausbeute genauestens nach Qualitut
und Quantitut in ihren Buchern zu verzeichnen. Nachdem sie die Tiegel
huchstpersunlich verschlossen, versiegelt und in die kuhlen Tiefen ihres
Kellers getragen hatte, zog sie ihr schwarzes Kleid an, nahm ihren
Witwenschleier und machte die Runde bei den Kaufleuten und
Parfumhandelshuusern der Stadt. Mit bewegenden Worten schilderte sie den
Herren ihre Situation als alleinstehende Frau, ließ sich Angebote
machen, verglich die Preise, seufzte und verkaufte endlich - oder verkaufte
nicht. Parfumierte Pomade, kuhl gelagert, hielt sich lange. Und wenn die
Preise jetzt zu wunschen ubrigließen, wer weiß, vielleicht
kletterten sie im Winter oder nuchsten Fruhjahr in die Huhe. Auch war zu
uberlegen, ob man nicht, statt diesen Pfeffersucken zu verkaufen, mit andern
kleinen Produzenten gemeinsam eine Ladung Pomade nach Genua verschiffen oder
sich an einem Konvoi zur Herbstmesse in Beaucaire beteiligen sollte -
riskante Unternehmungen, gewiss, doch im Erfolgsfall uußerst
eintruglich. Diese verschiedenen Muglichkeiten wog Madame Arnulfi sorgsam
gegeneinander ab, und manchmal verband sie sie auch und verkaufte einen Teil
ihrer Schutze, hob einen anderen auf und handelte mit einem dritten auf
eigenes Risiko. Hatte sie allerdings bei ihren Erkundigungen den Eindruck
gewonnen, der Pomademarkt sei ubersuttigt und werde sich in absehbarer Zeit
nicht zu ihren Gunsten verknappen, so eilte sie wehenden Schleiers nach
Hause und gab Druot den Auftrag, die ganze Produktion einer Lavage zu
unterziehen und sie in Essence Absolue zu verwandeln.
Und dann wurde die Pomade wieder aus dem Keller geholt, in
verschlossenen Tupfen aufs Vorsichtigste erwurmt, mit feinstem Weingeist
versetzt und vermittels eines eingebauten Ruhrwerks, welches Grenouille
bediente, grundlich durchgemischt und ausgewaschen. Zuruck in den Keller
verbracht, kuhlte diese Mischung rasch aus, der Alkohol schied sich vom
erstarrenden Fett der Pomade und konnte in eine Flasche abgelassen werden.
Er stellte nun quasi ein Parfum dar, allerdings von enormer Intensitut,
wuhrend die zuruckbleibende Pomade den grußten Teil ihres Duftes
verloren hatte. Abermals also war der Blutenduft auf ein anderes Medium
ubergegangen. Doch damit war die Operation noch nicht zu Ende. Nach
grundlicher Filtrage durch Gazetucher, in denen auch die kleinsten Klumpchen
Fett zuruckgehalten wurden, fullte Druot den parfumierten Alkohol in einen
kleinen Alambic und destillierte ihn uber dezentestem Feuer langsam ab. Was
nach der Verfluchtigung des Alkohols in der Blase zuruckblieb, war eine
winzige Menge blass gefurbter Flussigkeit, die Grenouille wohlbekannt war,
die er aber in dieser Qualitut und Reinheit weder bei Baldini noch etwa bei
Runel gerochen hatte: Das schiere ul der Bluten, ihr blanker Duft,
hunderttausendfach konzentriert zu einerkleinen Pfutze Essence Absolue.
Diese Essenz roch nicht mehr lieblich. Sie roch beinahe schmerzhaft
intensiv, scharf und beizend. Und doch genugte schon ein Tropfen davon,
aufgelust in einem Liter Alkohol, um sie wieder zu beleben und ein ganzes
Feld von Blumen geruchlich wiederauferstehen zu lassen.
Die Ausbeute war furchterlich gering. Gerade drei kleine Flakons fullte
die Flussigkeit aus der Destillierblase. Mehr war von dem Duft von
hunderttausend Bluten nicht ubriggeblieben als drei kleine Flakons. Aber sie
waren ein Vermugen wert, schon hier in Grasse. Und um wie viel mehr noch,
wenn man sie nach Paris verschickte oder nach Lyon, nach Grenoble, nach
Genua oder Marseille! Madame Arnulfi bekam einen schmelzend schunen Blick
beim Anschauen dieser Fluschchen, sie liebkoste sie mit Augen, und als sie
sie nahm und mit fugig geschliffenen Glaspfropfen verstupselte, hielt sie
den Atem an, um nur ja nichts vom kostbaren Inhalt zu verblasen. Und damit
auch nach dem Verstupseln nicht das kleinste Atom verdunstenderweise
entweiche, versiegelte sie die Pfropfen mit flussigem Wachs und umkapselte
sie mit einer Fischblase, die sie am Flaschenhals fest verschnurte. Dann
stellte sie sie in ein wattegefuttertes Kustchen und brachte sie im Keller
hinter Schloss und Riegel.
37
Im April mazerierten sie Ginster und Orangenblute, im Mai ein Meer von
Rosen, deren Duft die Stadt fur einen ganzen Monat in einen
cremigsußen unsichtbaren Nebel tauchte. Grenouille arbeitete wie ein
Pferd. Bescheiden, mit fast sklavenhafter Bereitschaft fuhrte er all die
untergeordneten Tutigkeiten aus, die Druot ihm auftrug. Aber wuhrend er
scheinbar stumpfsinnig ruhrte, spachtelte, Bottiche wusch, die Werkstatt
putzte oder Feuerholz schleppte, entging seiner Aufmerksamkeit nichts von
den wesentlichen Dingen des Geschufts, nichts von der Metamorphose der
Dufte. Genauer als Druot es je vermocht hutte, mit seiner Nase numlich,
verfolgte und uberwachte Grenouille die Wanderung der Dufte von den Bluttern
der Bluten uber das Fett und den Alkohol bis in die kustlichen kleinen
Flakons. Er roch, lange ehe Druot es bemerkte, wann sich das Fett zu stark
erhitzte, er roch, wann die Blute erschupft, wann die Suppe mit Duft
gesuttigt war, er roch, was im Innern der Mischgefuße geschah und zu
welchem pruzisen Moment der Destillationsprozess beendet werden musste. Und
gelegentlich gab er sich zu verstehen, freilich ganz unverbindlich und ohne
seine unterwurfige Attitude abzulegen. Ihm komme so vor, sagte er, als sei
das Fett jetzt womuglich zu heiß geworden; er glaube fast, man kunne
demnuchst abseihen; er habe es irgendwie im Gefuhl, als sei der Alkohol im
Alambic jetzt verdunstet... Und Druot, der zwar nicht gerade fabelhaft
intelligent, aber auch nicht vullig dumpfkupfig war, bekam mit der Zeit
heraus, dass er mit seinen Entscheidungen justament dann am besten fuhr,
wenn er das tat oder anordnete, was Grenouille gerade "so glaubte" oder
"irgendwie im Gefuhl" hatte. Und da Grenouille niemals vorlaut oder
besserwisserisch uußerte, was er glaubte oder im Gefuhl hatte, und
weil er niemals und vor allem niemals in Gegenwart von Madame Arnulfi -
Druots Autoritut und seine pruponderante Stellung als des ersten Gesellen
auch nur ironisch in Zweifel gezogen hutte, sah Druot keinen Anlass,
Grenouilles Ratschlugen nicht zu folgen, ja, ihm sogar nicht mit der Zeit
immer mehr Entscheidungen ganz offen zu uberlassen.
Immer huufiger geschah es, dass Grenouille nicht mehr nur ruhrte,
sondern zugleich auch beschickte, heizte und siebte, wuhrend Druot auf einen
Sprung in die >Quatre Dauphins< verschwand, fur ein Glas Wein, oder
hinauf zu Madame, um dort nach dem Rechten zu sehn. Er wusste, dass er sich
auf Grenouille verlassen konnte. Und Grenouille, obwohl er doppelte Arbeit
verrichtete, genoss es, allein zu sein, sich in der neuen Kunst zu
perfektionieren und gelegentlich kleine Experimente zu machen. Und mit
diebischer Freude stellte er fest, dass die von ihm bereitete Pomade
ungleich feiner, dass seine Essence Absolue um Grade reiner war als die
gemeinsam mit Druot erzeugte.
Ende Juli begann die Zeit des Jasmins, im August die der
Nachthyazinthe. Beide Blumen waren von so exquisitem und zugleich fragilem
Parfum, dass ihre Bluten nicht nur vor Sonnenaufgang gepfluckt werden
mussten, sondern auch die speziellste, zarteste Verarbeitung erheischten.
Wurme verminderte ihren Duft, das plutzliche Bad im heißen
Mazerationsfett hutte ihn vullig zersturt. Diese edelsten aller Bluten
ließen sich ihre Seele nicht einfach entreißen, man musste sie
ihnen regelrecht abschmeicheln. In einem besonderen Beduftungsraum wurden
sie auf mit kuhlem Fett bestrichene Platten gestreut oder locker in
ulgetrunkte Tucher gehullt und mussten sich langsam zu Tode schlafen. Erst
nach drei oder vier Tagen waren sie verwelkt und hatten ihren Duft an das
benachbarte Fett und ul abgeatmet. Dann zupfte man sie vorsichtig ab und
streute frische Bluten aus. Der Vorgang wurde wohl zehn, zwanzig Mal
wiederholt, und bis sich die Pomade sattgesogen hatte und das duftende ul
aus den Tuchern abgepresst werden konnte, war es September geworden. Die
Ausbeute war noch um ein Wesentliches geringer als bei der Mazeration. Die
Qualitut aber einer solchen durch kalte Enfleurage gewonnenen Jasminpaste
oder eines Huile Antique de Tubereuse ubertraf die jedes anderen Produkts
der parfumistischen Kunst an Feinheit und Originaltreue. Namentlich beim
Jasmin schien es, als habe sich der sußhaftende, erotische Duft der
Blute auf den Fettplatten wie in einem Spiegel abgebildet und strahle nun
vullig naturgetreu zuruck - cum grano salis freilich. Denn Grenouilles Nase
erkannte selbstverstundlich noch den Unterschied zwischen dem Geruch der
Blute und ihrem konservierten Duft: Wie ein zarter Schleier lag da der
Eigengeruch des Fetts - es mochte so rein sein, wie es wollte - uber dem
Duftbild des Originals, milderte es, schwuchte das Eklatante sanft ab,
machte vielleicht sogar seine Schunheit fur gewuhnliche Menschen uberhaupt
erst ertruglich... In jedem Falle aber war die kalte Enfleurage das
raffinierteste und wirksamste Mittel, zarte Dufte einzufangen. Ein besseres
gab es nicht. Und wenn die Methode auch nicht genugte, Grenouilles Nase
vollkommen zu uberzeugen, so wusste er doch, dass sie zur Dupierung einer
Welt von Dumpfnasen tausendmal hinreichte.
Schon nach kurzer Zeit hatte er seinen Lehrmeister Druot, ebenso wie
beim Mazerieren, auch in der Kunst der kalten Beduftung uberflugelt und ihm
dies auf die bewuhrte, unterwurfig diskrete Weise klargemacht. Druot
uberließ es ihm gerne, hinaus zum Schlachthof zu gehen und dort die
geeignetsten Fette zu kaufen, sie zu reinigen, auszulassen, zu filtrieren
und ihr Mischverhultnis zu bestimmen - eine fur Druot immer huchst diffizile
und gefurchtete Aufgabe, denn ein unreines, ranziges oder zu sehr nach
Schwein, Hammel oder Rind riechendes Fett konnte die kostbarste Pomade
ruinieren. Er uberließ es ihm, den Abstand der Fettplatten im
Beduftungsraum, den Zeitpunkt des Blutenwechsels, den Suttigungsgrad der
Pomade zu bestimmen, uberließ ihm bald alle prekuren Entscheidungen,
die er, Druot, uhnlich wie seinerzeit Baldini, immer nur ungefuhr nach
angelernten Regeln treffen konnte, die Grenouille aber mit dem Wissen seiner
Nase traf - was Druot freilich nicht ahnte.
"Er hat eine gluckliche Hand", sagte Druot, "er hat ein gutes Gefuhl
fur die Dinge." Und manchmal dachte er auch: "Er ist ganz einfach viel
begabter als ich, er ist ein hundertmal besserer Parfumeur." Und zugleich
hielt er ihn fur einen ausgemachten Trottel, da Grenouille, wie er glaubte,
nicht das geringste Kapital aus seiner Begabung schlug, er aber, Druot, es
mit seinen bescheideneren Fuhigkeiten demnuchst zum Meister bringen wurde.
Und Grenouille besturkte ihn in dieser Meinung, gab sich mit Fleiß
dummlich, zeigte nicht den geringsten Ehrgeiz, tat, als wisse er gar nichts
von seiner eigenen Genialitut, sondern als handle er nur nach den
Anordnungen des viel erfahreneren Druot, ohne den er ein Nichts wure. Auf
diese Weise kamen sie recht gut miteinander aus.
Dann wurde es Herbst und Winter. In der Werkstatt ging es ruhiger zu.
Die Blutendufte lagen in Tiegeln und Flakons gefangen im Keller, und wenn
nicht Madame die eine oder andre Pomade auszuwaschen wunschte oder einen
Sack getrockneter Gewurze destillieren ließ, war nicht mehr allzu viel
zu tun. Oliven gab es noch, Woche fur Woche ein paar Kurbe voll. Sie
pressten ihnen das Jungfernul ab und gaben den Rest in die ulmuhle. Und
Wein, von dem Grenouille einen Teil zu Alkohol destillierte und
rektifizierte.
Druot ließ sich immer weniger blicken. Er tat seine Pflicht im
Bett von Madame, und wenn er erschien, nach Schweiß und Samen
stinkend, so nur, um alsbald in die >Quatre Dauphins< zu verschwinden.
Auch Madame kam selten herunter. Sie beschuftigte sich mit ihren
Vermugensangelegenheiten und mit der Umarbeitung ihrer Garderobe fur die
Zeit nach dem Trauerjahr. Oft sah Grenouille tagelang niemanden außer
der Magd, bei der er mittags Suppe bekam und abends Brot und Oliven. Er ging
kaum aus. Am korporativen Leben, namentlich den regelmußigen
Gesellentreffen und Umzugen beteiligte er sich gerade so huufig, dass er
weder durch seine Abwesenheit noch durch seine Gegenwart auffiel.
Freundschaften oder nuhere Bekanntschaften hatte er keine, achtete aber
peinlich darauf, nicht womuglich als arrogant oder außenseiterisch zu
gelten. Er uberließ es den anderen Gesellen, seine Gesellschaft fad
und unergiebig zu finden. Er war ein Meister in der Kunst, Langeweile zu
verbreiten und sich als unbeholfenen Trottel zu geben - freilich nie so
ubertrieben, dass man sich mit Genuss uber ihn lustig machen oder ihn als
Opfer fur irgendeinen der derben Zunftspuße gebrauchen hutte kunnen.
Es gelang ihm, als vollstundig uninteressant zu gelten. Man ließ ihn
in Ruhe. Und nichts anderes wollte er.
38
Er verbrachte seine Zeit im Atelier. Druot gegenuber behauptete er, er
wolle ein Rezept fur Kulnisches Wasser erfinden. In Wirklichkeit aber
experimentierte er mit ganz anderen Duften. Sein Parfum, das er in
Montpellier gemischt hatte, ging, obwohl er es sehr sparsam verwendete,
allmuhlich zu Ende. Er kreierte ein neues. Aber diesmal begnugte er sich
nicht mehr damit, aus hastig zusammengesetzten Materialien den
Menschengrundgeruch schlecht und recht zu imitieren, sondern er setzte
seinen Ehrgeiz daran, sich einen persunlichen Duft oder vielmehr eine
Vielzahl persunlicher Dufte zuzulegen.
Zunuchst machte er sich einen Unauffulligkeitsgeruch, ein mausgraues
Duftkleid fur alle Tage, bei dem der kusigsuuerliche Duft des Menschlichen
zwar noch vorhanden war, sich aber gleichsam nur noch wie durch eine dicke
Schicht von leinenen und wollenen Gewundern, die uber trockne Greisenhaut
gelegt sind, an die Außenwelt verstrumte. So riechend konnte er sich
bequem unter Menschen begeben. Das Parfum war stark genug, um die Existenz
einer Person olfaktorisch zu begrunden, und zugleich so diskret, dass es
niemanden behelligte. Grenouille war damit geruchlich eigentlich nicht
vorhanden und dennoch in seiner Prusenz immer aufs Bescheidenste
gerechtfertigt - ein Zwitterzustand, der ihm sowohl im Hause Arnulfi als
auch bei seinen gelegentlichen Gungen durch die Stadt sehr zupass kam.
Bei gewissen Gelegenheiten freilich erwies sich der bescheidene Duft
als hinderlich. Wenn er im Auftrag von Druot Besorgungen zu machen hatte
oder fur sich selbst bei einem Hundler etwas Zibet oder ein paar Kurner
Moschus kaufen wollte, konnte es geschehen, dass man ihn in seiner perfekten
Unauffulligkeit entweder vullig ubersah und nicht bediente oder zwar sah,
aber falsch bediente oder wuhrend des Bedienens wieder vergaß. Fur
solche Anlusse hatte er sich ein etwas rasseres, leicht schweißiges
Parfum zurechtgemixt, mit einigen olfaktorischen Ecken und Kanten, das ihm
eine derbere Erscheinung verlieh und die Leute glauben machte, es sei ihm
eilig und ihn trieben dringende Geschufte. Auch mit einer Imitation von
Druots aura seminalis, die er mittels Beduftung eines fettigen Leintuchs
durch eine Paste von frischen Enteneiern und angegorenem Weizenmehl
tuuschend uhnlich herzustellen wusste, hatte er gute Erfolge, wenn es darum
ging, ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit zu erregen.
Ein anderes Parfum aus seinem Arsenal war ein mitleiderregender Duft,
der sich bei Frauen mittleren und huheren Alters bewuhrte. Er roch nach
dunner Milch und sauberem weichem Holz. Grenouille wirkte damit - auch wenn
er unrasiert, finsterer Miene und bemuntelt auftrat - wie ein armer blasser
Bub in einem abgewetzten Juckchen, dem geholfen werden musste. Die
Marktweiber, wenn sie seiner anruchig wurden, steckten ihm Nusse und trockne
Birnen zu, weil er so hungrig und hilflos aussah, wie sie fanden. Und bei
der Frau des Metzgers, einer an und fur sich unerbittlich strengen Vettel,
durfte er sich alte stinkende Fleisch- und Knochenreste aussuchen und gratis
mitnehmen, denn sein Unschuldsduft ruhrte ihr mutterliches Herz. Aus diesen
Resten wiederum bezog er durch direktes Digerieren mit Alkohol die
Hauptkomponente eines Geruchs, den er sich zulegte, wenn er unbedingt allein
und gemieden sein wollte. Der Geruch schuf um ihn eine Atmosphure leisen
Ekels, einen fauligen Hauch, wie er beim Erwachen aus alten ungepflegten
Mundern schlugt. Er war so wirkungsvoll, dass sogar der wenig zimperliche
Druot sich unwillkurlich abwenden und das Freie aufsuchen musste, ohne sich
freilich ganz deutlich bewusst zu werden, was ihn wirklich abgestoßen
hatte. Und ein paar Tropfen des Repellents, auf die Schwelle der Kabane
getruufelt, genugten, jeden muglichen Eindringling, Mensch oder Tier,
fernzuhalten.
Im Schutz dieser verschiedenen Geruche, die er je nach den
uußeren Erfordernissen wie die Kleider wechselte und die ihm alle dazu
dienten, in der Welt der Menschen unbehelligt zu sein und in seinem Wesen
unerkannt zu bleiben, widmete sich Grenouille nun seiner wirklichen
Leidenschaft: der subtilen Jagd nach Duften. Und weil er ein großes
Ziel vor der Nase hatte und noch uber ein Jahr lang Zeit, ging er nicht nur
mit brennendem Eifer, sondern auch ungemein planvoll und systematisch vor
beim Schurfen seiner Waffen, beim Ausfeilen seiner Techniken, bei der
allmuhlichen Perfektionierung seiner Methoden. Er fing dort an, wo er bei
Baldini aufgehurt hatte, bei der Gewinnung der Dufte lebloser Dinge: Stein,
Metall, Glas, Holz, Salz, Wasser, Luft...
Was damals mit Hilfe des groben Verfahrens der Destillation kluglich
misslungen war, gelang nun dank der starken absorbierenden Kraft der Fette.
Einen messingnen Turknauf, dessen kuhl-schimmliger, belegter Duft ihm
gefiel, umkleidete Grenouille fur ein paar Tage mit Rindertalg. Und siehe,
als er den Talg herunterschabte und prufte, so roch er, in zwar sehr
geringem Maße, aber doch eindeutig nach eben jenem Knauf. Und selbst
nach einer Lavage in Alkohol war der Geruch noch da, unendlich zart,
entfernt, vom Dunst des Weingeists uberschattet und auf der Welt wohl nur
von Grenouilles feiner Nase wahrnehmbar aber eben doch da, und das
hieß: zumindest im Prinzip verfugbar. Hutte er zehntausend Knuufe und
wurde er sie tausend Tage lang mit Talg umkleiden, er kunnte einen winzigen
Tropfen Essence Absolue von Messingknaufduft erzeugen, so stark, dass
jedermann d