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     Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

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     Personen:
     Margarete von Parma, Tochter Karls des Fünften,
     Regentin der Niederlande
     Graf Egmont, Prinz von Gaure
     Wilhelm von Oranien
     Herzog von Alba
     Ferdinand, sein natürlicher Sohn
     Machiavell, im Dienste der Regentin
     Richard, Egmonts Geheimschreiber
     Silva und Gomez, unter Alba dienend
     Klärchen, Egmonts Geliebte
     Ihre Mutter
     Brackenburg, ein Bürgerssohn
     Soest, Krämer, Bürger von Brüssel
     Jetter, Schneider, Bürger von Brüssel
     Zimmermann und Seifensieder, Bürger von Brüssel
     Buyck, Soldat unter Egmont
     Ruysum, Invalide und taub
     Vansen, ein Schreiber
     Volk, Gefolge, Wachen usw.


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     Erster Aufzug
     Armbrustschießen
     Soldaten und Bürger mit Armbrüsten
     Jetter,  Bürger  von Brüssel, Schneider,  tritt  vor und  spannt  die
Armbrust. Soest, Bürger von Brüssel, Krämer.
     Soest. Nun schießt nur  hin, daß  es alle  wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht!  Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht  geschossen. Und so
wär' ich für dies Jahr Meister.
     Jetter. Meister  und König  dazu.  Wer  mißgönnt's  Euch? Ihr  sollt
dafür auch  die Zeche  doppelt  bezahlen;  Ihr sollt  Eure Geschicklichkeit
bezahlen, wie's 'recht ist.
     (Buyck, ein Holländer, Soldat unter Egmont.)
     Buyck.  Jetter,  den Schuß  handl'  ich  Euch ab, teile  den  Gewinst,
traktiere  die  Herren:   ich  bin  so  schon  lange  hier  und  für  viele
Höflichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hättet.
-
     Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei.  Doch,
Buyck, nur immerhin.
     Buyck (schießt). Nun, Pritschmeister, Reverenz!  -  Eins! Zwei!  Drei!
Vier!
     Soest. Vier Ringe? Es sei!
     Alle. Vivat, Herr König, hoch! und abermal hoch!
     Buyck. Danke, ihr Herren. Wäre Meister zu viel! Danke für die Ehre.
     Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.
     (Ruysum, ein Friesländer, Invalide und taub.)
     Ruysum. Daß ich euch sage!
     Soest. Wie ist's, Alter?
     Ruysum. Daß ich euch sage!  - Er  schießt wie sein  Herr, er schießt
wie Egmont.
     Buyck.  Gegen  ihn  bin  ich nur ein armer Schlucker.  Mit der  Büchse
trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glück oder gute
Laune hat; nein! wie er  anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe
ich von ihm. Das wäre auch ein Kerl, der bei ihm diente  und nichts von ihm
lernte.  - Nicht zu vergessen, meine  Herren! Ein König nährt seine Leute;
und so, auf des Königs Rechnung, Wein her!
     Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daß jeder -
     Buyck. Ich bin fremd  und  König, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.
     Jetter.  Du bist ja ärger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen müssen.
     Ruysum. Was?
     Soest  (laut).  Er will  uns gastieren;  er will nicht haben,  daß wir
zusammenlegen und der König nur das Doppelte zahlt.
     Ruysum. Laßt ihn! doch ohne  Präjudiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.
     (Sie bringen Wein.)
     Alle. Ihro Majestät Wohl! Hoch!
     Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestät.
     Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.
     Soest.  Wohl! Denn unserer spanischen Majestät Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederländer von Herzen.
     Ruysum. Wer?
     Soest (laut). Philipps des Zweiten, Königs in Spanien.
     Ruysum. Unser allergnädigster König und Herr!  Gott  geb'  ihm langes
Leben.
     Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fünften, nicht lieber?
     Ruysum. Gott tröst' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand über den
ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch  begegnete, so
grüßt'  er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart,
wußt' er mit so guter Manier - ja, versteht  mich -  Er ging aus, ritt aus,
wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir  doch alle geweint, wie er
seinem Sohn  das  Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich -  der ist
schon anders, der ist majestätischer.
     Jetter. Er  ließ sich  nicht  sehen, da er hier war,  als in Prunk und
königlichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.
     Soest. Es ist kein Herr für uns  Niederländer. Unsre Fürsten müssen
froh  und frei  sein  wie  wir, leben  und  leben  lassen. Wir wollen  nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.
     Jetter. Der König, denk  ich, wäre  wohl ein gnädiger Herr, wenn  er
nur bessere Ratgeber hätte.
     Soest. Nein,  nein!  Er  hat kein Gemüt gegen uns  Niederländer, sein
Herz ist  dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie können  wir  ihn
wiederlieben? Warum ist alle Welt dem  Grafen Egmont so hold? Warum  trügen
wir ihn alle auf den  Händen?  Weil man ihm ansieht, daß er uns  wohlwill;
weil ihm die Fröhlichkeit, das freie Leben, die  gute Meinung aus den Augen
sieht; weil er nichts  besitzt,  das er dem Dürftigen nicht mitteilte, auch
dem, der's nicht bedarf. Laßt  den  Grafen  Egmont leben!  Buyck,  an  Euch
ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
     Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!
     Ruysum. Ãœberwinder bei St. Quintin.
     Buyck. Dem Helden von Gravelingen!
     Alle. Hoch!
     Ruysum. St. Quintin  war meine  letzte Schlacht.  ich konnte  kaum mehr
fort, kaum die schwere Büchse mehr schleppen.  Hab  ich doch  den Franzosen
noch eins auf den Pelz  gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
Streifschuß ans rechte Bein.
     Buyck. Gravelingen!  Freunde!  da  ging's frisch!  Den  Sieg  haben wir
allein. Brannten und  sengten die welschen Hunde nicht durch ganz  Flandern?
Aber ich mein,  wir trafen sie! Ihre alten, handfesten  Kerle  hielten lange
wider,  und  wir drängten  und schossen  und  hieben, daß sie  die Mäuler
verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe
niedergeschossen,  und wir stritten lange hinüber herüber, Mann für Mann,
Pferd gegen Pferd, Haufe  mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See
hin.  Auf einmal  kam's, wie  vom  Himmel  herunter,  von der  Mündung  des
Flusses,  bav, bau!  immer mit  Kanonen  in  die  Franzosen drein.  Es waren
Engländer, die  unter dem Admiral  Malin von  ungefähr von Dünkirchen her
vorbeifuhren.  Zwar  viel  halfen sie  uns  nicht; sie  konnten nur mit  den
kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter
uns - Es tat  doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's!
Rick!  rack!  herüber,  hinüber!  Alles  totgeschlagen, alles  ins  Wasser
gesprengt. Und die  Kerle ersoffen, wie sie das Wasser  schmeckten;  und was
wir Holländer  waren, gerad hintendrein. Uns,  die wir beidlebig sind, ward
erst  wohl  im Wasser  wie den  Fröschen;  und immer  die  Feinde im  Fluß
zusammengehauen, weggeschossen  wie  die  Enten.  Was  nun  noch durchbrach,
schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und  Mistgabeln tot.
Mußte  doch die  welsche Majestät gleich  das Pfötchen reichen und Friede
machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem großen Egmont schuldig.
     Alle. Hoch!  dem  großen Egmont  hoch! und  abermal hoch! und  abermal
hoch!
     Jetter. Hätte  man uns den statt  der Margrete  von Parma zum Regenten
gesetzt!
     Soest.  Nicht so!  Wahr  bleibt  wahr! Ich  lasse mir  Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnäd'ge Frau!
     Alle. Sie lebe!
     Soest.  Wahrlich,  treffliche  Weiber sind  in dem  Hause. Die Regentin
lebe!
     Jetter. Klug ist  sie, und mäßig in allem, was  sie tut; hielte sie's
nur nicht so steif und fest mit den  Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld,
daß wir  die vierzehn neuen Bischofsmützen im  Lande  haben. Wozu  die nur
sollen? Nicht wahr,  daß man Fremde in die guten Stellen  einschieben kann,
wo sonst  Äbte aus den Kapiteln gewählt wurden? Und wir sollen glauben, es
sei um der Religion willen.  Ja, es hat  sich. An drei Bischöfen hatten wir
genug: da ging's  ehrlich und ordentlich  zu. Nun muß  doch auch jeder tun,
als  ob er  nötig wäre;  und  da  setzt's  allen  Augenblick Verdruß  und
Händel.  Und je mehr ihr das Ding  rüttelt  und schüttelt,  desto trüber
wird's.
     (Sie trinken.)
     Soest. Das  war  nun des Königs  Wille;  sie  kann nichts  davon- noch
dazutun.
     Jetter. Da  sollen  wir  nun die neuen  Psalmen nicht singen. Sie  sind
wahrlich gar schön in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die
sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum?
Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiß.  Ich hab  ihrer
doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.
     Buyck. Ich  wollte sie fragen!  In unsrer  Provinz  singen wir, was wir
wollen. Das macht, daß Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so
etwas  nicht. - In Gent, Ypern, durch  ganz Flandern singt sie, wer Belieben
hat.  (Laut.)  Es  ist  ja wohl nichts  unschuldiger als ein geistlich Lied?
Nicht wahr, Vater?
     Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.
     Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art;  und gefährlich  ist's  doch  immer, da läßt man's lieber sein.  Die
Inquisitionsdiener  schleichen herum und passen  auf;  mancher ehrliche Mann
ist schon unglücklich geworden.  Der  Gewissenszwang fehlte  noch!  Da  ich
nicht tun  darf,  was  ich möchte, können sie mich doch denken und  singen
lassen, was ich will.
     Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier,  unser  Gewissen  tyrannisieren zu lassen.  Und der Adel  muß auch
beizeiten suchen, ihr die Flügel zu beschneiden.
     Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfällt,  in mein
Haus  zu stürmen, und ich  sitz  an  meiner  Arbeit  und summe  just  einen
französischen Psalm und  denke  nichts dabei, weder Gutes noch  Böses; ich
summe ihn  aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und
werde  eingesteckt.  Oder ich gehe über  Land und bleibe  bei  einem Haufen
Volks stehen,  das einem  neuen Prediger  zuhört, einem von denen,  die aus
Deutschland gekommen sind: auf  der Stelle heiß ich ein Rebell und komme in
Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hören?
     Soest. Wackre Leute. Neulich hört' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Geköch, als wenn unsre auf
der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit  lateinischen Brocken  erwürgen.
Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hätten bei der Nase
herumgeführt,  uns in  der Dummheit erhalten, und wie wir mehr  Erleuchtung
haben könnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
     Jetter. Da  mag doch auch was  dran  sein. Ich sagt's  immer selbst und
grübelte so über die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
     Buyck. Es läuft ihnen auch alles Volk nach.
     Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hören kann und was Neues.
     Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.
     Buyck.  Frisch, ihr Herren! Über dem Schwätzen vergeßt ihr  den Wein
und Oranien.
     Jetter. Den nicht zu vergessen. Das  ist ein rechter Wall: wenn man nur
an  ihn denkt, meint man gleich,  man könne sich  hinter ihn verstecken und
der Teufel brächte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
     Alle. Hoch! hoch!
     Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.
     Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
     Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
     Jetter. Krieg! Krieg! Wißt ihr auch, was ihr ruft? Daß es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natürlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute
ist, kann ich  nicht sagen.  Das ganze  Jahr  das  Getrommel  zu hören; und
nichts zu hören, als wie da  ein Haufen gezogen kommt und dort ein  andrer,
wie sie über  einen Hügel kamen und  bei einer Mühle  hielten, wieviel da
geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drängen, und  einer gewinnt,
der  andere verliert, ohne daß man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder
verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bürger ermordet  werden, und
wie's den armen Weibern, den unschuldigen  Kindern ergeht. Das ist eine  Not
und Angst, man denkt jeden  Augenblick: »Da kommen sie!  Es geht  uns  auch
so.«
     Soest. Drum muß auch ein Bürger immer in Waffen geübt sein.
     Jetter. Ja, es übt sich, wer Frau  und  Kinder hat. Und doch  hör ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.
     Buyck. Das sollt' ich übelnehmen.
     Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir  die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.
     Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?
     Jetter. Vexier' Er sich.
     Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.
     Jetter. Halt dein Maul.
     Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der  Küche, dem Keller, der Stube
- dem Bette.
     (Sie lachen.)
     Jetter. Du bist ein Tropf.
     Buyck. Friede, ihr Herren! Muß der Soldat  Friede rufen?  - Nun da ihr
von uns nichts  hören  wollt, nun  bringt  auch eure Gesundheit  aus,  eine
bürgerliche Gesundheit.
     Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!
     Soest. Ordnung und Freiheit!
     Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.
     (Sie  stoßen an und  wiederholen fröhlich  die  Worte,  doch so, daß
jeder ein  anders ausruft und es eine  Art  Kanon wird. Der Alte  horcht und
fällt endlich auch mit ein.)
     Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!
     Palast der Regentin
     Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
     Regentin.  Ihr stellt  das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten.  Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.
     (Alle gehen ab.)
     Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten läßt mir keine Ruhe!
Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen;  immer sind diese Bilder,
diese  Sorgen  vor  mir. Nun  wird der  König sagen, dies sei'n  die Folgen
meiner  Güte, meiner  Nachsicht;  und doch  sagt  mir mein  Gewissen  jeden
Augenblick, das Rätlichste, das Beste getan  zu haben.  Sollte  ich früher
mit dem  Sturme  des Grimmes diese  Flammen  anfachen und umhertreiben?  Ich
hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschütten. Ja, was ich mir
selbst sage, was ich wohl weiß, entschuldigt mich vor  mir selbst; aber wie
wird es mein Bruder aufnehmen? Denn,  ist  es zu  leugnen? Der  Ãœbermut der
fremden  Lehrer  hat  sich  täglich  erhöht;  sie  haben  unser  Heiligtum
gelästert, die stumpfen Sinne des Pöbels zerrüttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrührer gemischt,
und schreckliche Taten sind geschehen,  die  zu denken schauderhaft ist, und
die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und  einzeln, damit
mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der König nicht  denke,  man
wolle  noch  mehr  verheimlichen. Ich sehe kein Mittel,  weder strenges noch
gelindes, dem Übel zu  steuern. O was sind  wir  Großen  auf der Woge  der
Menschheit? Wir  glauben sie  zu  beherrschen,  und sie treibt uns  auf  und
nieder, hin und her.
     (Machiavell tritt auf.)
     Regentin. Sind die Briefe an den König aufgesetzt?
     Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben können.
     Regentin. Habt Ihr den Bericht ausführlich genug gemacht?
     Machiavell. Ausführlich und umständlich, wie es der König liebt. Ich
erzähle, wie zuerst um St. Omer die bilderstürmerische Wut sich zeigt. Wie
eine  rasende  Menge,  mit  Stäben,  Beilen,  Hämmern,  Leitern,  Stricken
versehen,  von  wenig  Bewaffneten begleitet,  erst  Kapellen,  Kirchen  und
Klöster  anfallen,  die  Andächtigen verjagen,  die verschlossenen Pforten
aufbrechen,  alles  umkehren, die  Altäre  niederreißen, die  Statuen  der
Heiligen zerschlagen, alle Gemälde verderben, alles, was sie nur Geweihtes,
Geheiligtes antreffen,  zerschmettern,  zerreißen, zertreten.  Wie sich der
Haufe unterwegs  vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore eröffnen.
Wie  sie  den Dom mit unglaublicher Schnelle verwüsten, die Bibliothek  des
Bischofs  verbrennen.  Wie  eine  große Menge  Volks, von  gleichem  Unsinn
ergriffen, sich über  Menin, Comines,  Werwicq,  Lille verbreitet,  nirgend
Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure Verschwörung sich erklärt und ausgeführt ist.
     Regentin.  Ach, wie  ergreift mich  aufs neue  der Schmerz  bei  deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das Übel werde nur größer
und größer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
     Machiavell.  Verzeihen  Eure  Hoheit, meine Gedanken  sehen Grillen  so
ähnlich; und  wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart,  habt
Ihr doch selten  meinem  Rat  folgen mögen. Ihr sagtet oft im Scherze: »Du
siehst  zu  weit,  Machiavell!  Du  solltest  Geschichtschreiber  sein:  wer
handelt, muß fürs  Nächste sorgen.« Und doch,  habe ich diese Geschichte
nicht vorauserzählt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?
     Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es ändern zu können.
     Machiavell. Ein  Wort für tausend:  Ihr  unterdrückt die  neue  Lehre
nicht. Laßt  sie gelten,  sondert sie von  den Rechtgläubigen, gebt  ihnen
Kirchen, faßt  sie in  die  bürgerliche Ordnung, schränkt sie ein; und so
habt Ihr  die  Aufrührer  auf einmal zur Ruhe  gebracht. Jede andern Mittel
sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
     Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden könne?  Weißt du nicht, wie er
mir  in  jedem  Briefe  die  Erhaltung des  wahren Glaubens  aufs  eifrigste
empfiehlt?  daß  er Ruhe  und  Einigkeit  auf  Kosten  der  Religion  nicht
hergestellt wissen will? Hält er nicht selbst in den  Provinzen Spione, die
wir  nicht   kennen,  um  zu  erfahren,  wer  sich  zu  der  neuen   Meinung
hinüberneigt?  Hat  er nicht  zu  unsrer Verwunderung uns  diesen und jenen
genannt,  der  sich in unsrer Nähe  heimlich  der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und  Schärfe? Und ich soll  gelind sein? ich soll
Vorschläge tun, daß er nachsehe,  daß er  dulde?  Würde  ich nicht alles
Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
     Machiavell. Ich weiß wohl; der König  befiehlt, er läßt  Euch seine
Absichten  wissen.  Ihr sollt  Ruhe  und  Friede wiederherstellen, durch ein
Mittel, das die Gemüter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an
allen Enden anblasen  wird.  Bedenkt, was  Ihr tut. Die größten  Kaufleute
sind angesteckt, der Adel, das Volk, die  Soldaten. Was hilft es, auf seinen
Gedanken beharren,  wenn sich um uns alles  ändert? Möchte  doch ein guter
Geist Philippen eingeben, daß  es  einem  Könige anständiger ist, Bürger
zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
     Regentin. Solch ein  Wort nie  wieder.  Ich  weiß  wohl, daß  Politik
selten Treu  und  Glauben  halten kann,  daß  sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschließt. In weltlichen Geschäften ist
das leider  nur zu wahr; sollen wir aber  auch  mit Gott  spielen  wie unter
einander? Sollen wir gleichgültig gegen unsre  bewährte  Lehre  sein, für
die  so  viele  ihr  Leben aufgeopfert haben?  Die  sollten wir hingeben  an
hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?
     Machiavell. Denkt nur deswegen nicht übler von mir.
     Regentin.  Ich  kenne dich  und  deine Treue und weiß,  daß einer ein
ehrlicher und verständiger  Mann  sein kann,  wenn er gleich  den nächsten
besten  Weg zum Heil  seiner  Seele  verfehlt  hat.  Es  sind  noch  andere,
Machiavell, Männer, die ich schätzen und tadeln muß.
     Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
     Regentin.  Ich  kann es gestehen,  daß mir  Egmont heute  einen  recht
innerlichen tiefen Verdruß erregte.
     Machiavell. Durch welches Betragen?
     Regentin.  Durch   sein  gewöhnliches,  durch  Gleichgültigkeit   und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen
und ihm begleitet, aus  der Kirche ging. Ich  hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte  mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. »Seht, was
in Eurer  Provinz entsteht! Das  duldet Ihr,  Graf, von  dem der König sich
alles versprach?«
     Machiavell. Und was antwortete er?
     Regentin.  Als  wenn  es  nichts,  als  wenn es eine  Nebensache wäre,
versetzte  er:  »Wären nur erst  die  Niederländer über ihre  Verfassung
beruhigt! Das übrige würde sich leicht geben.«
     Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben,  wenn der Niederländer  sieht, daß es
mehr  um seine Besitztümer  als um sein Wohl, um  seiner Seele Heil  zu tun
ist? Haben die  neuen  Bischöfe mehr  Seelen  gerettet, als fette Pfründen
geschmaust,   und   sind   es  nicht   meist   Fremde?   Noch   werden  alle
Statthalterschaften  mit Niederländern  besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, daß sie die größte, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen  Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber  nach  seiner Art
von den Seinigen regieret werden  als von Fremden,  die  erst im Lande  sich
wieder Besitztümer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden
Maßstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
     Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
     Machiavell. Mit dem Herzen  gewiß  nicht; und  wollte, ich könnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
     Regentin. Wenn du so willst, so tät'  es not,  ich  träte ihnen meine
Regentschaft  ab;  denn Egmont  und  Oranien  machten  sich große Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich
verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
     Machiavell. Ein gefährliches Paar.
     Regentin.  Soll  ich aufrichtig reden: ich  fürchte  Oranien, und  ich
fürchte für Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen  in
die Ferne, er ist  heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit größter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
     Machiavell. Recht im  Gegenteil geht  Egmont einen  freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehörte.
     Regentin. Er trägt das Haupt so hoch, als  wenn die Hand der Majestät
nicht über ihm schwebte.
     Machiavell.  Die Augen  des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hängen an ihm.
     Regentin.  Nie  hat  er  einen  Schein   vermieden;  als  wenn  niemand
Rechenschaft von  ihm  zu fordern hätte.  Noch trägt er den Namen  Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen  zu hören; als wollte er nicht vergessen,
daß seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt  er sich  nicht
Prinz  von Gaure, wie es  ihm zukommt? Warum tut  er das?  Will er erloschne
Rechte wieder geltend machen?
     Machiavell. Ich halte ihn für einen treuen Diener des Königs.
     Regentin. Wenn er wollte, wie verdient könnte er sich um die Regierung
machen;  anstatt daß  er  uns  schon, ohne  sich  zu  nutzen,  unsäglichen
Verdruß gemacht hat.  Seine Gesellschaften, Gastmahle und  Gelage haben den
Adel  mehr  verbunden  und verknüpft  als  die  gefährlichsten  heimlichen
Zusammenkünfte. Mit seinen Gesundheiten  haben die Gäste  einen  dauernden
Rausch, einen  nie sich verziehenden Schwindel geschöpft. Wie oft setzt  er
durch seine Scherzreden die  Gemüter des Volks in Bewegung, und wie stutzte
der  Pöbel über die  neuen  Livreen, über  die törichten  Abzeichen  der
Bedienten!
     Machiavell. Ich bin überzeugt, es war ohne Absicht.
     Regentin.  Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nützt  sich
nicht.  Er nimmt das Ernstliche  scherzhaft; und wir, um  nicht müßig  und
nachlässig zu scheinen, müssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So  hetzt
eins das andre; und was man abzuwenden  sucht, das macht sich erst recht. Er
ist  gefährlicher als ein entschiednes Haupt  einer Verschwörung;  und ich
müßte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann
nicht  leugnen, es vergeht wenig Zeit, daß er mich  nicht empfindlich, sehr
empfindlich macht.
     Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
     Regentin. Sein Gewissen  hat  einen  gefälligen Spiegel. Sein Betragen
ist  oft beleidigend. Er  sieht  oft  aus,  als  wenn  er  in der  völligen
Überzeugung lebe, er sei Herr und  wolle es uns nur aus Gefälligkeit nicht
fühlen  lassen,  wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen;  es werde
sich schon geben.
     Machiavell.  Ich  bitte  Euch, legt seine  Offenheit, sein glückliches
Blut,  das  alles  Wichtige  leicht behandelt, nicht zu gefährlich aus. Ihr
schadet nur ihm und Euch.
     Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche  nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederländischer Adel und sein Golden Vlies
vor der Brust stärken sein Vertrauen, seine  Kühnheit. Beides kann ihn vor
einem schnellen, willkürlichen  Unmut des Königs  schützen. Untersuch  es
genau; an dem ganzen Unglück, das  Flandern trifft, ist er doch  nur allein
schuld. Er hat zuerst den fremden  Lehrern nachgesehn, hat's  so genau nicht
genommen und vielleicht  sich heimlich gefreut, daß wir  etwas  zu schaffen
hatten.  Laß  mich  nur;  was  ich auf  dem  Herzen habe,  soll  bei dieser
Gelegenheit  davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschießen;  ich
weiß, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
     Machiavell.  Habt Ihr  den Rat zusammenberufen  lassen?  Kommt  Oranien
auch?
     Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt.  Ich will ihnen die
Last der  Verantwortung nahe  genug zuwälzen; sie sollen  sich  mit mir dem
Übel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen  erklären. Eile,
daß  die  Briefe fertig werden, und  bringe mir sie  zur Unterschrift. Dann
sende schnell den  bewährten Vaska nach Madrid; er ist unermüdet und treu;
daß mein Bruder  zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daß der  Ruf  ihn
nicht übereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
     Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
     Bürgerhaus
     Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
     Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
     Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klärchen.
     Klare.  Was  habt  Ihr  wieder? Warum versagt Ihr  mir  diesen  kleinen
Liebesdienst?
     Brackenburg.  Ihr bannt mich  mit  dem Zwirn  so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
     Klare. Grillen! kommt und haltet!
     Mutter  (im  Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hübsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
     Brackenburg. Sonst.
     Klare. Wir wollen singen.
     Brackenburg. Was Ihr wollt.
     Klare. Nur hübsch munter und frisch weg! Es  ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstück. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
     Die Trommel gerühret!
     Das Pfeifchen gespielt!
     Mein Liebster gewaffnet
     Dem Haufen befiehlt,
     Die Lanze hoch führet,
     Die Leute regieret.
     Wie klopft mir das Herze!
     Wie wallt mir das Blut!
     O hätt' ich ein Wämslein
     Und Hosen und Hut!
     Ich folgt' ihm zum Tor 'naus
     Mit mutigem Schritt,
     Ging' durch die Provinzen,
     Ging' überall mit.
     Die Feinde schon weichen,
     Wir schießen darein.
     Welch Glück sondergleichen,
     Ein Mannsbild zu sein!

     (Brackenburg  hat unter  dem  Singen Klärchen  oft  angesehen; zuletzt
bleibt  ihm die  Stimme  stocken, die  Tränen kommen ihm  in die  Augen, er
läßt  den Strang fallen und geht  ans Fenster.  Klärchen  singt das  Lied
allein aus, die Mutter  winkt ihr halb unwillig, sie steht auf,  geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlüssig wieder um und setzt sich.)
     Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich höre marschieren.
     Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
     Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten?  (Sie steht auf und geht
an das Fenster  zu Brackenburg.) Das ist nicht die tägliche Wache, das sind
weit  mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hört einmal, was es
gibt. Es  muß etwas Besonderes sein. Geht,  guter Brackenburg, tut  mir den
Gefallen.
     Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend
die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
     Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
     Klare.  Ich  bin  neugierig;  und  auch, verdenkt  mir's  nicht,  seine
Gegenwart  tut  mir  weh. Ich  weiß  immer  nicht, wie ich  mich gegen  ihn
betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's  am  Herzen, daß
er es so lebendig fühlt. - Kann ich's doch nicht ändern!
     Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
     Klare. Ich kann's auch  nicht lassen, ich muß ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drückt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so
liebevoll anfaßt. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich ihn betriege, daß  ich
in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nähre. Ich bin übel dran. Weiß
Gott, ich  betrieg ihn nicht.  Ich will nicht, daß er  hoffen soll, und ich
kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
     Mutter. Das ist nicht gut.
     Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hätte ihn heiraten können und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
     Mutter. Glücklich wärst du immer mit ihm gewesen.
     Klare. Wäre versorgt und hätte ein ruhiges Leben.
     Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
     Klare. Ich bin in einer  wunderlichen Lage.  Wenn ich so nachdenke, wie
es  gegangen ist,  weiß ich's wohl und weiß  es  nicht. Und dann darf  ich
Egmont nur  wieder ansehen,  wird mir alles sehr begreiflich,  ja wäre  mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an,
und ich in seinem Arm sollte nicht  das glücklichste Geschöpf von der Welt
sein?
     Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
     Klare. Ach,  ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
     Mutter.  Man  hat  nichts als Herzensangst mit seinen Kindern.  Wie das
ausgehen wird! Immer Sorge  und  Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich
unglücklich gemacht! mich unglücklich gemacht.
     Klare (gelassen). Ihr ließet es doch im Anfange.
     Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
     Klare. Wenn Egmont vorbeiritt  und ich ans Fenster  lief,  schaltet Ihr
mich da? Tratet  Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lächelte,
nickte,  mich grüßte: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in
Eurer Tochter geehrt?
     Mutter. Mache mir noch Vorwürfe.
     Klare  (gerührt). Wenn  er  nun öfter die  Straße kam, und wir  wohl
fühlten,  daß er um  meinetwillen  den  Weg machte,  bemerktet Ihr's nicht
selbst  mit heimlicher  Freude?  Rieft Ihr  mich  ab,  wenn  ich  hinter den
Scheiben stand und ihn erwartete?
     Mutter. Dachte ich, daß es so weit kommen sollte?
     Klare (mit stockender Stimme und zurückgehaltenen Tränen). Und wie er
uns abends,  in den Mantel eingehüllt, bei  der Lampe überraschte, wer war
geschäftig, ihn zu empfangen, da  ich auf meinem  Stuhl  wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
     Mutter. Und konnte ich  fürchten, daß diese  unglückliche  Liebe das
kluge  Klärchen so  bald hinreißen würde?  Ich muß es  nun tragen,  daß
meine Tochter -
     Klare (mit ausbrechenden Tränen). Mutter! Ihr wollt's  nun!  Ihr  habt
Eure Freude, mich zu ängstigen.
     Mutter (weinend).  Weine noch gar! Mache  mich noch elender durch deine
Betrübnis.  Ist  mir's  nicht Kummer genug, daß meine  einzige Tochter ein
verworfenes Geschöpf ist?
     Klare  (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte  verworfen? -
Welche  Fürstin neidete  nicht das arme  Klärchen um den  Platz an  seinem
Herzen! O Mutter -  meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe  Mutter,
seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese
Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
     Mutter.  Man  muß  ihm hold  sein!  das  ist  wahr.  Er  ist immer  so
freundlich, frei und offen.
     Klare. Es ist keine falsche Ader an  ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der große Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie
er mir  seinen Stand,  seine  Tapferkeit gerne verbärge!  wie  er  um  mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
     Mutter. Kommt er wohl heute?
     Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster  gehen  sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich  horche, wenn's an der Tür rauscht? - Ob ich  schon weiß,
daß er vor Nacht  nicht  kommt,  vermut ich ihn doch  jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe.  Wär' ich nur ein Bube und könnte immer mit
ihm gehen, zu Hofe und überall hin! Könnt' ihm die Fahne nachtragen in der
Schlacht! -
     Mutter.  Du  warst  immer so  ein Springinsfeld;  als ein  kleines Kind
schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du  dich nicht ein wenig  besser
an?
     Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe!  - Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen  Lobliedchen  auf ihn. Wenigstens
war  sein  Name in  den  Liedern! das übrige konnte ich nicht verstehn. Das
Herz schlug mir bis an den Hals  - Ich hätte sie  gern zurückgerufen, wenn
ich mich nicht geschämt hätte.
     Mutter. Nimm dich in acht! Dein  heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrätst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter,  wie  du
den Holzschnitt  und die  Beschreibung fandst und mit  einem  Schrei riefst:
»Graf Egmont!« - Ich ward feuerrot.
     Klare.  Hätt'  ich  nicht  schreien  sollen? Es  war die Schlacht  bei
Gravelingen, und ich  finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche  unten
in der Beschreibung C.  Steht  da: »Graf  Egmont, dem  das Pferd unter  dem
Leibe totgeschossen wird.« Mich überlief's - und hernach mußt' ich lachen
über  den holzgeschnitzten  Egmont,  der so  groß  war  als  der  Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich
mich manchmal erinnere, wie  ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was
ich mir  als Mädchen für ein  Bild vom Grafen Egmont machte, wenn  sie von
ihm erzählten, und von allen Grafen und Fürsten - und wie mir's jetzt ist!
     (Brackenburg kommt.)
     Klare. Wie steht's?
     Brackenburg. Man weiß nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er  möchte sich  hieher
verbreiten. Das Schloß ist stark besetzt, die Bürger sind zahlreich an den
Toren, das Volk summt in  den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten
Vater. (Als wollt' er gehen.)
     Klare.  Sieht  man Euch  morgen? Ich will mich ein  wenig anziehen. Der
Vetter  kommt,  und  ich  sehe  gar  zu  liederlich  aus.  Helft  mir  einen
Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder
so eine Historie.
     Mutter. Lebt wohl.
     Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
     Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter  und Tochter
ab.)
     Brackenburg  (allein).  Ich   hatte   mir  vorgenommen,  gerade  wieder
fortzugehn; und da sie es dafür aufnimmt und mich gehen läßt, möcht' ich
rasend werden. - Unglücklicher! und dich rührt deines Vaterlandes Geschick
nicht? der wachsende  Tumult nicht? - und  gleich  ist  dir  Landsmann  oder
Spanier, und wer regiert und wer  recht hat? - War ich doch ein andrer Junge
als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: »Brutus' Rede für
die Freiheit, zur Übung der Redekunst«, da war doch immer Fritz der Erste,
und der Rektor  sagte: »Wenn's nur ordentlicher wäre,  nur nicht  alles so
übereinander gestolpert.«  - Damals  kocht' es und  trieb! - Jetzt schlepp
ich mich an den Augen des Mädchens  so hin. Kann ich sie doch nicht lassen!
Kann  sie mich doch nicht  lieben!  - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht
ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht
länger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr  sagte?
daß sie nachts einen Mann heimlich zu sich einläßt,  da sie mich züchtig
immer vor  Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es  ist eine
Lüge, eine schändliche verleumderische Lüge! Klärchen ist so unschuldig,
als  ich  unglücklich bin.  - Sie hat mich verworfen,  hat mich  von  ihrem
Herzen gestoßen - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht.
-  - Schon  wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger  bewegt, und  ich
sterbe unter  dem Getümmel  nur ab! Ich duld es  nicht! - Wenn die Trompete
klingt, ein Schuß fällt, mir fährt's durch  Mark und Bein! Ach,  es reizt
mich nicht! es fordert mich nicht, auch  mit einzugreifen, mit zu retten, zu
wagen. - Elender,  schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal.
Neulich stürzt' ich mich ins  Wasser, ich sank - aber die geängstete Natur
war stärker; ich fühlte, daß ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Wille. - -  Könnt' ich der Zeiten vergessen, da sie  mich  liebte, mich  zu
lieben  schien!  -  Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glück?
Warum haben  mir  diese Hoffnungen allen Genuß des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir  ein  Paradies von  weitem zeigten? -  Und  jener erste Kuß!  Jener
einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie
war immer  gut  und  freundlich  gegen mich gewesen -  da schien sie sich zu
erweichen - sie sah mich an -  alle Sinnen gingen  mir  um, und  ich fühlte
ihre Lippen auf den meinigen.  - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst
du? (Er zieht ein Fläschchen aus der Tasche.) Ich will dich  nicht  umsonst
aus  meines  Bruders Doktorkästchen  gestohlen  haben,  heilsames  Gift! Du
sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese Todesschweiße  auf  einmal
verschlingen und lösen.
     Zweiter Aufzug
     Platz in Brüssel
     Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
     Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor  acht Tagen  auf  der
Zunft sagt' ich, es würde schwere Händel geben.
     Jetter. Ist's denn wahr, daß  sie die Kirchen  in Flandern geplündert
haben?
     Zimmermeister.  Ganz und  gar zugrunde gerichtet haben  sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wände haben sie stehen lassen. Lauter
Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hätten eher, in
der Ordnung und  standhaft, unsere Gerechtsame  der  Regentin  vortragen und
drauf halten sollen.  Reden wir jetzt, versammeln  wir uns jetzt,  so heißt
es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
     Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
hängt doch der Hals gar nah damit zusammen.
     Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lärmen
anfängt, unter dem  Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum
Vorwande,  worauf  wir uns  auch  berufen müssen, und bringen das  Land  in
Unglück.
     (Soest tritt dazu.)
     Soest.  Guten Tag,  ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr,  daß  die
Bilderstürmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
     Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrühren.
     Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich
aus. Die Regentin,  so eine  wackre kluge Frau sie  bleibt, diesmal  ist sie
außer Fassung. Es muß sehr arg sein, daß sie sich so geradezu hinter ihre
Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus
der Stadt flüchten.
     Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre  Gegenwart  beschützt  uns,
und wir wollen ihr mehr  verschaffen als ihre  Stutzbärte. Und wenn sie uns
unsere  Rechte  und  Freiheiten aufrechterhält,  so wollen wir sie  auf den
Händen tragen.
     (Seifensieder tritt dazu.)
     Seifensieder. Garstige Händel! Üble Händel! Es wird unruhig und geht
schief aus! - Hütet euch, daß ihr stille  bleibt, daß man euch nicht auch
für Aufwiegler hält.
     Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
     Seifensieder.  Ich  weiß,  da  sind  viele,  die es  heimlich mit  den
Calvinisten  halten,  die auf die Bischöfe  lästern, die den König  nicht
scheuen. Aber ein treuer Untertan, ein aufrichtiger Katholike! -
     (Es gesellt sich  nach  und nach allerlei Volk zu  ihnen  und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
     Vansen. Gott grüß' euch Herren! Was Neues?
     Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
     Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
     Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein  Patron nach  dem andern  fortjagte, Schelmstreiche  halber,
pfuscht   er  jetzt  Notaren  und   Advokaten   ins  Handwerk  und  ist  ein
Branntweinzapf.
     (Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
     Vansen. Ihr seid auch  versammelt, steckt  die Köpfe zusammen. Es  ist
immer redenswert.
     Soest. Ich denk auch.
     Vansen. Wenn jetzt  einer oder der  andere Herz hätte, und einer  oder
der  andere  den Kopf dazu: wir  könnten die spanischen Ketten  auf  einmal
sprengen.
     Soest.  Herre!  So  müßt  Ihr  nicht  reden.  Wir  haben  dem  König
geschworen.
     Vansen. Und der König uns. Merkt das.
     Jetter. Das läßt sich hören! Sagt Eure Meinung.
     Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.
     Vansen. Ich hatte  einen alten Patron, der besaß Pergamente und Briefe
von  uralten Stiftungen,  Kontrakten und Gerechtigkeiten;  er  hielt auf die
rarsten  Bücher.   In   einem  stand  unsere  ganze  Verfassung:   wie  uns
Niederländer zuerst einzelne Fürsten  regierten, alles nach  hergebrachten
Rechten,  Privilegien und  Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren  alle Ehrfurcht
für ihren Fürsten  gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich  gleich vorsahen,  wenn er über die Schnur hauen  wollte.  Die Staaten
waren gleich hinterdrein: denn jede Provinz,  so  klein sie  war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstände.
     Zimmermeister.  Haltet Euer  Maul!  das  weiß  man  lange!  Ein  jeder
rechtschaffene  Bürger  ist,  so   viel  er  braucht,  von  der  Verfassung
unterrichtet.
     Jetter. Laßt ihn reden; man erfährt immer etwas mehr.
     Soests. Er hat ganz recht.
     Mehrere. Erzählt! erzählt! So was hört man nicht alle Tage.
     Vansen. So seid ihr Bürgersleute! Ihr  lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr  euer Gewerb' von euern  Eltern  überkommen habt, so laßt ihr auch
das Regiment über euch  schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt
nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem  Recht eines Regenten;
und  über das Versäumnis haben  euch  die Spanier das Netz über die Ohren
gezogen.
     Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tägliche Brot hat.
     Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
     Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der König in Spanien, der die Provinzen
durch  gut Glück zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten
anders als die kleinen Fürsten, die sie ehemals einzeln  besaßen. Begreift
ihr das?
     Jetter. Erklärt's uns.
     Vansen. Es  ist so  klar  als die Sonne. Müßt  ihr  nicht  nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher käme das?
     Ein Bürger. Wahrlich!
     Vansen. Hat der Brüsseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher käme denn das?
     Anderer Bürger. Bei Gott!
     Vansen. Aber,  wenn  ihr's so  fortlaufen laßt, wird man's  euch  bald
anders weisen. Pfui! Was Karl der  Kühne, Friedrich der  Krieger,  Karl der
Fünfte nicht konnten, das tut nun Philipp durch ein Weib.
     Soests. Ja, ja! Die alten Fürsten haben's auch schon probiert.
     Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren paßten  auf. Wie  sie einem Herrn
gram wurden, fingen  sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei
sich und  gaben  ihn  nur auf  die  besten Bedingungen heraus. Unsere Väter
waren Leute! Die wußten, was ihnen  nütz  war! Die wußten etwas zu fassen
und festzusetzen! Rechte Männer! Dafür  sind  aber auch unsere Privilegien
so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
     Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
     Das Volk. Von unsern Freiheiten,  von unsern Privilegien! Erzählt noch
was von unsern Privilegien.
     Vansen. Wir  Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
     Soests. Sagt an.
     Jetter. Laßt hören.
     Ein Bürger. Ich bitt Euch.
     Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
     Soests. Gut! Steht das so?
     Jetter. Getreu? Ist das wahr?
     Vansen.  Wie  ich euch  sage.  Er  ist  uns verpflichtet, wie  wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder  eignen  Willen an uns  beweisen,  merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
     Jetter. Schön! Schön! nicht beweisen.
     Soests. Nicht merken lassen.
     Ein anderer.  Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der  Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
     Vansen. Mit ausdrücklichen Worten.
     Jetter. Schafft uns das Buch.
     Ein Bürger. Ja, wir müssen's haben.
     Andere. Das Buch! das Buch!
     Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
     Ein anderer. Ihr sollt das Wort führen, Herr Doktor.
     Seifensieder. O die Tröpfe!
     Andere. Noch etwas aus dem Buche!
     Seifensieder. Ich schlage ihm die Zähne in den Hals, wenn er  noch ein
Wort sagt.
     Das Volk. Wir  wollen sehen, wer  ihm  etwas  tut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
     Vansen.  Mancherlei,  und  sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den  geistlichen Stand  nicht  verbessern oder  mehren,  ohne
Verwilligung des Adels und der Stände! Merkt das! Auch den Staat des Landes
nicht verändern.
     Soest. Ist das so?
     Vansen.  Ich  will's  euch  geschrieben zeigen, von zwei-,  dreihundert
Jahren her.
     Bürger.  Und  wir  leiden  die  neuen  Bischöfe?  Der Adel  muß  uns
schützen, wir fangen Händel an!
     Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
     Vansen. Das ist eure Schuld.
     Das Volk.  Wir  haben noch  Egmont! noch Oranien! Die sorgen für unser
Bestes!
     Vansen. Eure Brüder in Flandern haben das gute Werk angefangen.
     Seifensieder. Du Hund!
     (Er schlägt ihn.)
     Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
     Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
     Ein anderer. Den Gelahrten?
     (Sie fallen den Seifensieder an.)
     Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!
     (Andere mischen sich in den Streit.)
     Zimmermeister. Bürger, was soll das?
     (Buben pfeifen, werfen mit Steinen,  hetzen Hunde an, Bürger stehn und
gaffen,  Volk läuft zu,  andere  gehn  gelassen auf und ab, andere  treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
     Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
     (Egmont tritt auf mit Begleitung.)
     Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
     Zimmermeister.  Gnädiger Herr,  Ihr kommt wie ein  Engel des  Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
     Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bürger gegen Bürger! Hält sogar
die Nähe unsrer königlichen Regentin diesen  Unsinn  nicht  zurück?  Geht
auseinander, geht  an euer Gewerbe.  Es ist ein  übles Zeichen, wenn ihr an
Werktagen feiert. Was war's?
     (Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
     Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
     Egmont. Die sie noch mutwillig zertrümmern werden - Und wer seid  Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
     Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
     Egmont. Eures Zeichens?
     Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
     Egmont. Und Ihr?
     Soest. Krämer.
     Egmont. Ihr?
     Jetter. Schneider.
     Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen für meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
     Jetter. Gnade, daß Ihr Euch dessen erinnert.
     Egmont.  Ich  vergesse  niemanden  leicht,  den  ich einmal gesehen und
gesprochen  habe. - Was  an euch ist, Ruhe zu erhalten,  Leute, das tut; ihr
seid übel genug angeschrieben.  Reizt den König nicht mehr, er hat zuletzt
doch die  Gewalt in Händen. Ein ordentlicher Bürger, der  sich ehrlich und
fleißig nährt, hat überall so viel Freiheit, als er braucht.
     Zimmermeister.  Ach  wohl! das ist eben  unsre  Not! Die Tagdiebe,  die
Söffer,  die  Faulenzer,  mit  Euer   Gnaden  Verlaub,  die  stänkern  aus
Langerweile  und  scharren  aus  Hunger  nach  Privilegien  und  lügen  den
Neugierigen und Leichtgläubigen was  vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu
kriegen,  fangen sie  Händel  an, die  viel tausend  Menschen  unglücklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Häuser und Kasten zu gut
verwahrt; da möchten sie gern uns mit Feuerbränden davontreiben.
     Egmont. Allen Beistand  sollt ihr finden; es sind Maßregeln  genommen,
dem Übel kräftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht,  durch  Aufruhr  befestige man Privilegien.  Bleibt zu  Hause; leidet
nicht, daß sie  sich auf  den  Straßen rotten. Vernünftige  Leute können
viel tun.
     (Indessen hat sich der größte Haufe verlaufen.)
     Zimmermeister. Danken  Euer Exzellenz,  danken für  die gute  Meinung!
Alles,  was  an  uns  liegt.  (Egmont ab.)  Ein  gnädiger  Herr! der  echte
Niederländer! Gar so nichts Spanisches.
     Jetter. Hätten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
     Soest. Das läßt  der König wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit
den Seinigen.
     Jetter.  Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
     Zimmermeister. Ein schöner Herr!
     Jetter. Sein Hals wär' ein rechtes Fressen für einen Scharfrichter.
     Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!
     Jetter. Dumm genug, daß einem so etwas einfällt. - Es ist mir nun so.
Wenn  ich einen  schönen langen Hals  sehe,  muß  ich gleich wider  Willen
denken: der ist  gut  köpfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie
nicht aus dem Sinne.  Wenn die Bursche  schwimmen, und ich seh einen nackten
Buckel, gleich  fallen  sie mir zu  Dutzenden  ein, die  ich habe  mit Ruten
streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst,  mein  ich,  den  säh' ich
schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern;
man wird eben keine Stunde  froh. Jede Lustbarkeit, jeden Spaß hab ich bald
vergessen;  die  fürchterlichen  Gestalten  sind  mir  wie  vor die  Stirne
gebrannt.
     Egmonts Wohnung
     Sekretär an einem Tisch mit Papieren, er steht unruhig auf.
     Sekretär. Er kommt immer nicht! und  ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand,.  die Papiere vor mir; und eben heute möcht' ich gern so
zeitig  fort.  Es brennt  mir unter den Sohlen. Ich  kann vor  Ungeduld kaum
bleiben. »Sei auf die Stunde da«,  befahl er mir noch, ehe er wegging; nun
kommt er  nicht. Es  ist so viel zu  tun,  ich  werde vor  Mitternacht nicht
fertig. Freilich  sieht er einem  auch einmal durch die Finger.  Doch hielt'
ich's  besser,  wenn  er  strenge  wäre  und  ließe einen auch  wieder zur
bestimmten  Zeit. Man könnte sich einrichten. Von der  Regentin ist er  nun
schon zwei Stunden weg; wer weiß, wen er unterwegs angefaßt hat.
     (Egmont tritt auf.)
     Egmont. Wie sieht's aus?
     Sekretär. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
     Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrießlich
Gesicht.
     Sekretär. Euerm Befehl zu gehorchen, wart ich  schon lange. Hier  sind
die Papiere!
     Egmont. Donna Elvira wird böse auf  mich werden, wenn sie  hört, daß
ich dich abgehalten habe.
     Sekretär. Ihr scherzt.
     Egmont.  Nein,  nein.  Schäme  dich  nicht.  Du   zeigst  einen  guten
Geschmack. Sie  ist hübsch; und es  ist  mir ganz  recht,  daß du  auf dem
Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
     Sekretär. Mancherlei und wenig Erfreuliches.
     Egmont.  Da ist gut, daß wir die  Freude zu Hause haben  und sie nicht
von auswärts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
     Sekretär. Genug, und drei Boten warten.
     Egmont. Sag an! das Nötigste!
     Sekretär. Es ist alles nötig.
     Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
     Sekretär. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. -
     Egmont.  Er  schreibt  wohl  noch  von  einzelnen  Ungezogenheiten  und
Tollkühnheiten?
     Sekretär. Ja! Es kommt noch manches vor.
     Egmont. Verschone mich damit.
     Sekretär. Noch  sechs  sind  eingezogen  worden,  die bei  Wervicq das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll
hängen lassen?
     Egmont. Ich bin des Hängens  müde. Man  soll  sie durchpeitschen, und
sie mögen gehen.
     Sekretär. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
     Egmont. Die mag er verwarnen und laufenlassen.
     Sekretär. Brink  von  Bredas  Kompanie  will  heiraten.  Der Hauptmann
hofft,  Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt  er,  daß, wenn wir  ausziehen, es keinem Soldatenmarsch,  sondern
einem Zigeunergeschleppe ähnlich sehen wird.
     Egmont. Dem mag's noch hingehen!  Es ist  ein schöner junger Kerl;  er
bat mich  noch gar  dringend,  eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem  mehr
gestattet sein,  so leid mir's tut, den armen Teufeln,  die ohnedies geplagt
genug sind, ihren besten Spaß zu versagen.
     Sekretär. Zwei von  Euern Leuten, Seter und Hart, haben  einem Mädel,
einer  Wirtstochter,  übel mitgespielt. Sie kriegten  sie allein,  und  die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
     Egmont. Wenn  es  ein  ehrlich  Mädchen  ist,  und  sie  haben  Gewalt
gebraucht,  so  soll  er sie drei Tage  hintereinander mit  Ruten  streichen
lassen, und wenn  sie etwas besitzen, soll er so  viel davon einziehen, daß
dem Mädchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
     Sekretär. Einer  von den  fremden  Lehrern ist heimlich durch  Comines
gegangen  und  entdeckt  worden.  Er  schwört,  er  sei  im  Begriff,  nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
     Egmont. Sie sollen ihn in der  Stille  an  die Grenze  bringen  und ihm
versichern, daß er das zweitemal nicht so wegkommt.
     Sekretär. Ein  Brief von Euerm  Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er könne  auf die Woche die verlangte Summe  schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die größte Konfusion gebracht.
     Egmont. Das Geld muß herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
     Sekretär. Er  sagt, er werde  sein möglichstes tun  und wolle endlich
den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
     Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
     Sekretär. Das letztemal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
     Egmont. So gebe man  ihm noch vierzehn Tage; und dann mag  er gegen ihn
verfahren.
     Sekretär. Ihr tut wohl. Es ist nicht Unvermögen; es ist böser Wille.
Er macht  gewiß  Ernst, wenn  er sieht, Ihr spaßt nicht. - Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen
Ihr  Gnadengehalte gebt, die Gebühr einen halben Monat  zurückhalten;  man
könne indessen Rat schaffen; sie möchten sich einrichten.
     Egmont. Was  ist da einzurichten? Die Leute brauchen  das Geld nötiger
als ich. Das soll er bleibenlassen.
     Sekretär. Woher befehlt Ihr denn, daß er das Geld nehmen soll?
     Egmont.  Darauf  mag  er  denken; es  ist  ihm im vorigen Briefe  schon
gesagt.
     Sekretär. Deswegen tut er die Vorschläge.
     Egmont.  Die  taugen nicht,  er  soll auf was  anders  sinnen. Er  soll
Vorschläge  tun,  die  annehmlich  sind, und  vor  allem soll er  das  Geld
schaffen.
     Sekretär.  Ich  habe den Brief  des Grafen  Oliva wieder hiehergelegt.
Verzeiht, daß ich Euch daran  erinnere.  Der alte  Herr verdient vor  allen
andern eine ausführliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. Gewiß,
er liebt Euch wie ein Vater.
     Egmont. Ich  komme nicht dazu. Und unter vielem  Verhaßten ist mir das
Schreiben das Verhaßteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib  in
meinem  Namen.  Ich erwarte  Oranien. Ich  komme  nicht dazu; und  wünschte
selbst,  daß  ihm   auf  seine  Bedenklichkeiten  was   recht  Beruhigendes
geschrieben würde.
     Sekretär.  Sagt mir nur ungefähr Eure Meinung;  ich  will die Antwort
schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daß sie
vor Gericht für Eure Hand gelten kann.
     Egmont.  Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner  Jugend auch  wohl so bedächtig? Erstiegst du nie
einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrät, hinten? -
Der treue, sorgliche! Er will  mein Leben und mein Glück und  fühlt nicht,
daß der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm,
er  möge unbesorgt sein;  ich handle, wie  ich soll,  ich  werde mich schon
wahren:  sein Ansehn bei Hofe  soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines
vollkommnen Dankes gewiß sein.
     Sekretär. Nichts weiter? O er erwartet mehr.
     Egmont. Was soll  ich mehr  sagen?  Willst  du mehr  Worte  machen,  so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie
ich nicht leben mag. Daß  ich fröhlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch
lebe,  das ist mein Glück; und  ich vertausch es nicht gegen die Sicherheit
eines Totengewölbes. Ich habe  nun zu der spanischen  Lebensart nicht einen
Blutstropfen  in  meinen  Adern;  nicht Lust,  meine Schritte nach der neuen
bedächtigen Hofkadenz  zu mustern.  Leb ich  nur, um aufs Leben  zu denken?
Soll  ich  den gegenwärtigen  Augenblick  nicht  genießen, damit  ich  des
folgenden gewiß sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
     Sekretär. Ich bitt Euch, Herr; seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja  sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefällig
Wort, das den edeln Freund  beruhige. Seht, wie sorgfältig er ist, wie leis
er Euch berührt.
     Egmont. Und doch berührt  er  immer diese  Saite. Er  weiß von alters
her,  wie  verhaßt mir  diese Ermahnungen sind; sie  machen  nur irre,  sie
helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wäre und auf dem gefährlichen
Gipfel  eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich,  mich beim Namen zu
rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu töten? Laßt jeden seines Pfades
gehn; er mag sich wahren.
     Sekretär. Es  ziemt Euch, nicht  zu  sorgen, aber  wer Euch  kennt und
liebt -
     Egmont  (in den  Brief sehend). Da bringt er wieder  die alten Märchen
auf, was  wir an einem Abend in leichtem  Ãœbermut der  Geselligkeit und des
Weins  getrieben und gesprochen; und was man  daraus für Folgen und Beweise
durchs ganze Königreich  gezogen und geschleppt habe. - Nun gut! wir  haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf  unsrer  Diener  Ärmel sticken lassen, und
haben  diese tolle Zierde nachher in ein Bündel Pfeile verwandelt; ein noch
gefährlicher Symbol für alle, die deuten wollen,  wo nichts zu deuten ist.
Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich
und geboren; sind schuld, daß  eine ganze edle Schar mit Bettelsäcken  und
mit einem selbstgewählten Unnamen dem  Könige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedächtnis  rief;  sind schuld  -  was ist's nun  weiter? Ist ein
Fastnachtsspiel gleich  Hochverrat? Sind  uns die  kurzen, bunten Lumpen  zu
mißgönnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers
Lebens arme Blöße hängen mag? Wenn ihr das  Leben gar zu ernsthaft nehmt,
was  ist denn dran? Wenn  uns der Morgen  nicht  zu neuen  Freuden weckt, am
Abend  uns  keine Lust  zu hoffen  übrigbleibt:  ist's  wohl  des  An-  und
Ausziehens  wert? Scheint mir  die Sonne  heut,  um  das zu  überlegen, was
gestern war? und um zu  raten,  zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist,  das  Schicksal  eines  kommenden  Tages? Schenke  mir  diese
Betrachtungen;  wir wollen  sie  Schülern  und Höflingen überlassen.  Die
mögen sinnen  und  aussinnen, wandeln und schleichen,  gelangen, wohin  sie
können, erschleichen, was sie können. -  Kannst du von allem  diesem etwas
brauchen, daß deine  Epistel kein Buch wird, so ist mir's  recht. Dem guten
Alten scheint  alles  viel zu wichtig. So drückt ein Freund, der lang unsre
Hand gehalten, sie stärker noch einmal, wenn er sie lassen will.
     Sekretär. Verzeiht  mir, es wird dem Fußgänger schwindlig, der einen
Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
     Egmont.  Kind!  Kind!  nicht  weiter!  Wie  von  unsichtbaren  Geistern
gepeitscht, gehen  die Sonnenpferde  der Zeit mit unsers Schicksals leichtem
Wagen  durch;  und  uns  bleibt  nichts,  als,  mutig  gefaßt,  die  Zügel
festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze  da, die
Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum,
woher er kam.
     Sekretär. Herr! Herr!
     Egmont.  Ich  stehe  hoch  und  kann und  muß noch höher steigen; ich
fühle mir Hoffnung, Mut  und  Kraft.  Noch hab ich  meines Wachstums Gipfel
nicht  erreicht;  und steh  ich  droben  einst,  so  will  ich  fest,  nicht
ängstlich stehn. Soll ich fallen, so  mag ein Donnerschlag,  ein Sturmwind,
ja ein selbst  verfehlter  Schritt mich abwärts in  die  Tiefe stürzen; da
lieg ich  mit viel Tausenden.  Ich habe nie  verschmäht, mit  meinen  guten
Kriegsgesellen um  kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich
knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
     Sekretär.  O Herr! Ihr wißt  nicht, was für  Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
     Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nötigsten  ist, daß die Boten fortkommen, eh die Tore  geschlossen werden.
Das  andere  hat  Zeit. Den Brief an  den Grafen laß  bis morgen; versäume
nicht, Elviren zu besuchen, und grüße sie von mir. -  Horche, wie sich die
Regentin  befindet;  sie soll nicht  wohl sein,  ob  sie's gleich  verbirgt.
(Sekretär ab.)
     (Oranien kommt.)
     Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
     Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
     Egmont.   Ich   fand   in    ihrer   Art,   uns   aufzunehmen,   nichts
Außerordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
     Oranien. Merktet Ihr nicht, daß sie zurückhaltender war?  Erst wollte
sie  unser  Betragen bei  dem  neuen  Aufruhr des Pöbels gelassen billigen;
nachher  merkte sie  an, was sich doch  auch für  ein falsches Licht darauf
werfen lasse;  wich dann  mit dem  Gespräche zu ihrem  alten  gewöhnlichen
Diskurs:  daß  man  ihre liebevolle  gute  Art,  ihre  Freundschaft zu  uns
Niederländern, nie  genug erkannt, zu  leicht behandelt  habe, daß  nichts
einen erwünschten Ausgang nehmen wolle, daß sie am Ende wohl müde werden,
der  König sich  zu  andern Maßregeln entschließen  müsse. Habt Ihr  das
gehört?
     Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist  ein
Weib, guter  Oranien, und die möchten immer gern, daß sich alles unter ihr
sanftes Joch  gelassen schmiegte, daß jeder Herkules die Löwenhaut ablegte
und  ihren Kunkelhof vermehrte;  daß, weil sie friedlich gesinnt  sind, die
Gärung,  die  ein  Volk  ergreift, der  Sturm,  den  mächtige  Nebenbuhler
gegeneinander erregen,  sich  durch  ein freundlich Wort beilegen ließe und
die  widrigsten  Elemente  sich  zu  ihren  Füßen   in  sanfter  Eintracht
vereinigten. Das ist  ihr Fall;  und da sie es  dahin nicht bringen kann, so
hat  sie  keinen  Weg,  als  launisch zu werden,  sich über  Undankbarkeit,
Unweisheit zu  beklagen,  mit  schrecklichen Aussichten  in  die Zukunft  zu
drohen, und zu drohen - daß sie fortgehn will.
     Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daß sie ihre Drohung erfüllt?
     Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie  schon reisefertig gesehn!  Wo
will  sie  denn  hin? Hier Statthalterin, Königin; glaubst du, daß sie  es
unterhalten wird, am Hofe ihres  Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder
nach  Italien   zu  gehen   und   sich   in   alten   Familienverhältnissen
herumzuschleppen?
     Oranien. Man hält sie dieser Entschließung nicht fähig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr  sie habt zurücktreten sehn; dennoch liegt's wohl in
ihr; neue Umstände treiben sie zu  dem  lang verzögerten Entschluß.  Wenn
sie ginge? und der König schickte einen andern?
     Egmont. Nun, der würde kommen, und würde eben auch zu tun finden. Mit
großen  Planen,  Projekten und  Gedanken  würde  er kommen,  wie  er alles
zurechtrücken,  unterwerfen und  zusammenhalten wolle;  und würde heut mit
dieser  Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun  haben, übermorgen jene
Hindernis  finden,  einen  Monat mit  Entwürfen, einen andern  mit Verdruß
über fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen über eine einzige
Provinz zubringen. Auch ihm wird die  Zeit vergehn, der  Kopf schwindeln und
die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daß er, statt weite Meere nach einer
vorgezognen Linie zu  durchsegeln, Gott danken mag,  wenn er sein Schiff  in
diesem Sturme vom Felsen hält.
     Oranien. Wenn man nun aber dem König zu einem Versuch riete?
     Egmont. Der wäre?
     Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
     Egmont. Wie?
     Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhältnisse am
Herzen,  ich stehe immer wie über einem Schachspiele und halte  keinen  Zug
des Gegners für unbedeutend; und  wie  müßige Menschen mit  der größten
Sorgfalt  sich um die Geheimnisse  der Natur bekümmern, so halt ich es für
Pflicht,  für Beruf eines  Fürsten, die Gesinnungen, die Ratschläge aller
Parteien  zu kennen. Ich  habe Ursach', einen  Ausbruch zu befürchten.  Der
König  hat  lange nach  gewissen Grundsätzen gehandelt;  er sieht, daß er
damit nicht auskommt; was  ist wahrscheinlicher, als daß er  es  auf  einem
andern Wege versucht?
     Egmont.  Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muß  man  es  endlich  wohl
genug haben.
     Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
     Egmont. Nun?
     Oranien. Das Volk zu schonen und die Fürsten zu verderben.
     Egmont.  Wie  viele  haben das  schon lange gefürchtet!  Es  ist keine
Sorge.
     Oranien. Sonst war's  Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
Gewißheit geworden.
     Egmont. Und hat der König treuere Diener als uns?
     Oranien. Wir dienen ihm auf  unsere Art; und unter einander können wir
gestehen,  daß wir  des Königs  Rechte  und  die  unsrigen wohl abzuwägen
wissen.
     Egmont. Wer tut's  nicht?  Wir sind ihm  untertan und gewärtig in dem,
was ihm zukommt.
     Oranien.  Wenn  er sich nun  aber  mehr  zuschriebe  und  Treulosigkeit
nennte, was wir heißen: auf unsre Rechte halten?
     Egmont.  Wir werden  uns verteidigen  können. Er  rufe die  Ritter des
Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
     Oranien. Und was wäre ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
     Egmont.  Eine  Ungerechtigkeit, der sich Philipp  nie  schuldig  machen
wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen Räten nicht zutraue.
     Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und töricht wären?
     Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an
uns  zu  legen? - Uns  gefangenzunehmen, wär' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen.  Nein,  sie  wagen nicht,  das  Panier  der  Tyrannei  so  hoch
aufzustecken.  Der  Windhauch,  der  diese  Nachricht übers  Land brächte,
würde  ein  ungeheures Feuer  zusammentreiben.  Und  wohinaus  wollten sie?
Richten  und  verdammen  kann nicht  der  König  allein;  und  wollten  sie
meuchelmörderisch  an  unser  Leben?   -  Sie  können  nicht  wollen.  Ein
schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen.  Haß und
ewige Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.
     Oranien.  Die  Flamme wütete  dann über  unserm  Grabe, und das  Blut
unsrer Feinde flösse zum leeren Sühnopfer. Laß uns denken, Egmont.
     Egmont. Wie sollten sie aber?
     Oranien. Alba ist unterwegs.
     Egmont. Ich glaub's nicht.
     Oranien. Ich weiß es.
     Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
     Oranien. Um  desto mehr bin ich überzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
     Egmont.  Aufs neue  die Provinzen zu belästigen? Das Volk wird höchst
schwierig werden.
     Oranien. Man wird sich der Häupter versichern.
     Egmont. Nein! Nein!
     Oranien.  Laß  uns gehen, jeder  in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstärken; mit offner Gewalt fängt er nicht an.
     Egmont. Müssen wir ihn nicht begrüßen, wenn er kommt?
     Oranien. Wir zögern.
     Egmont. Und  wenn  er  uns  im Namen  des  Königs bei  seiner  Ankunft
fordert?
     Oranien. Suchen wir Ausflüchte.
     Egmont. Und wenn er dringt?
     Oranien. Entschuldigen wir uns.
     Egmont. Und wenn er drauf besteht?
     Oranien. Kommen wir um so weniger.
     Egmont. Und der Krieg ist erklärt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
laß dich nicht durch Klugheit verführen; ich weiß, daß Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
     Oranien. Ich hab ihn bedacht.
     Egmont.  Bedenke,  wenn du dich  irrst,  woran du schuld  bist; an  dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet hat. Dein Weigern ist das
Signal,  das  die  Provinzen  mit  einmal  zu  den  Waffen  ruft,  das  jede
Grausamkeit rechtfertigt,  wozu Spanien  von  jeher  nur  gern  den  Vorwand
gehascht hat.  Was wir  lange mühselig  gestillt haben, wirst du  mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk  an  die  Städte,  die
Edeln, das Volk, an  die Handlung, den Feldbau,  die Gewerbe! und  denke die
Verwüstung,  den Mord! -  Ruhig sieht  der  Soldat  wohl  im  Felde  seinen
Kameraden  neben  sich  hinfallen; aber  den  Fluß herunter werden dir  die
Leichen  der Bürger, der Kinder, der  Jungfrauen entgegenschwimmen, daß du
mit Entsetzen  dastehst und nicht mehr weißt, wessen Sache du  verteidigst,
da die zugrunde gehen, für deren Freiheit du die Waffen  ergriffst. Und wie
wird  dir's sein, wenn  du  dir still sagen  mußt:  »Für meine Sicherheit
ergriff ich sie.«
     Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es  sich,  uns
für  Tausende hinzugeben,  so  ziemt es sich auch,  uns  für  Tausende  zu
schonen.
     Egmont. Wer sich schont, muß sich selbst verdächtig werden.
     Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rückwärts gehen.
     Egmont. Das Übel, das du fürchtest, wird gewiß durch deine Tat.
     Oranien.   Es   ist   klug   und  kühn,  dem   unvermeidlichen   Übel
entgegenzugehn.
     Egmont.  Bei  so  großer  Gefahr  kommt  die  leichteste  Hoffnung  in
Anschlag.
     Oranien.  Wir haben nicht für den leisesten Fußtritt Platz mehr;  der
Abgrund liegt hart vor uns.
     Egmont. Ist des Königs Gunst ein so schmaler Grund?
     Oranien. So schmal nicht, aber schlüpfrig.
     Egmont. Bei Gott! man  tut ihm  Unrecht. Ich mag nicht leiden, daß man
unwürdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fähig.
     Oranien. Die Könige tun nichts Niedriges.
     Egmont. Man sollte ihn kennenlernen.
     Oranien.  Eben diese Kenntnis  rät uns, eine gefährliche  Probe nicht
abzuwarten.
     Egmont. Keine Probe ist gefährlich, zu der man Mut hat.
     Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
     Egmont. Ich muß mit meinen Augen sehen.
     Oranien. O sähst du diesmal nur mit den  meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du  Albas Ankunft ab, und
Gott sei bei  dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern.  Vielleicht daß der
Drache  nichts  zu  fangen  glaubt,  wenn  er uns  nicht  beide  auf  einmal
verschlingt.   Vielleicht   zögert  er,   um   seinen   Anschlag   sicherer
auszuführen;  und  vielleicht  siehest  du indes die Sache  in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell!  Rette! rette dich! - Leb  wohl! - Laß
deiner Aufmerksamkeit nichts  entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie
er die Stadt besetzt, was für Macht die Regentin behält, wie deine Freunde
gefaßt sind. Gib mir Nachricht - - - Egmont -
     Egmont. Was willst du?
     Oranien (ihn bei der Hand fassend). Laß dich überreden! Geh mit!
     Egmont. Wie? Tränen, Oranien?
     Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch männlich.
     Egmont. Du wähnst mich verloren?
     Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
     Egmont (allein). Daß andrer Menschen Gedanken solchen Einfluß auf uns
haben!  Mir  wär'  es  nie  eingekommen;   und  dieser  Mann  trägt  seine
Sorglichkeit  in mich  herüber.  - Weg!  - Das ist ein fremder  Tropfen  in
meinem  Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die
sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
     Dritter Aufzug
     Palast der Regentin
     Margarete von Parma.
     Margarete. Ich hätte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mühe  und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer,  man tue das Möglichste;  und der
von weitem zusieht und  befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mögliche. - O
die  Könige!  - Ich hätte nicht  geglaubt, daß  es  mich  so  verdrießen
könnte. Es ist so schön zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weiß nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
     (Machiavell erscheint im Grunde.)
     Regentin. Tretet  näher,  Machiavell. Ich denke hier  über den  Brief
meines Bruders.
     Machiavell. Ich darf wissen, was er enthält?
     Regentin. So viel zärtliche Aufmerksamkeit für mich als Sorgfalt für
seine Staaten. Er  rühmt die Standhaftigkeit,  den Fleiß  und  die  Treue,
womit ich  bisher für die Rechte seiner Majestät in diesen Landen  gewacht
habe. Er bedauert  mich, daß mir  das unbändige Volk  so viel zu  schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen  überzeugt, mit
der Klugheit meines Betragens  so außerordentlich zufrieden, daß ich  fast
sagen muß,  der  Brief ist für einen  König  zu  schön geschrieben, für
einen Bruder gewiß.
     Machiavell.  Es  ist  nicht  das erstemal, daß  er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
     Regentin. Aber das erstemal, daß es rednerische Figur ist.
     Machiavell. Ich versteh Euch nicht.
     Regentin.  Ihr  werdet.  - Denn er meint,  nach diesem  Eingange:  ohne
Mannschaft, ohne  eine  kleine Armee werde  ich immer hier eine üble  Figur
spielen! Wir hätten,  sagt er, unrecht getan,  auf die Klagen der Einwohner
unsre  Soldaten  aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er,  die
dem Bürger auf dem Nacken lastet,  verbiete  ihm durch ihre Schwere, große
Sprünge zu machen.
     Machiavell. Es würde die Gemüter äußerst aufbringen.
     Regentin.  Der  König  meint aber,  hörst  du?  - Er meint, daß  ein
tüchtiger  General, so  einer, der gar keine  Räson  annimmt, gar bald mit
Volk  und Adel,  Bürgern  und  Bauern fertig werden  könne;  - und schickt
deswegen mit einem starken Heere - den Herzog von Alba.
     Machiavell. Alba?
     Regentin. Du wunderst dich?
     Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
     Regentin. Der König fragt nicht; er schickt.
     Machiavell. So  werdet Ihr einen  erfahrnen  Krieger  in Euren Diensten
haben.
     Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.
     Machiavell. Ich möcht' Euch nicht vorgreifen.
     Regentin. Und ich möchte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder  sagte, wie er's denkt, als daß
er förmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretär aufsetzt.
     Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -
     Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie möchten's gern
gesäubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet
ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in  der Hand kommt.  O mir ist's, als
wenn ich den König und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sähe.
     Machiavell. So lebhaft?
     Regentin.  Es  fehlt  kein  Zug.  Es  sind gute  Menschen  drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so  erfahren und  mäßig ist, nicht zu hoch will, und
doch nichts fallen läßt,  der gerade  Alonzo, der  fleißige Freneda,  der
feste Las  Vargas, und  noch  einige,  die  mitgehen,  wenn  die gute Partei
mächtig wird. Da sitzt aber der hohläugige Toledaner mit der ehrnen Stirne
und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen  den  Zähnen  von  Weibergüte,
unzeitigem Nachgeben  und  daß Frauen  wohl  von  zugerittenen Pferden sich
tragen lassen, selbst  aber schlechte Stallmeister sind, und solche Späße,
die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhören müssen.
     Machiavell. Ihr habt zu dem Gemälde einen guten Farbentopf gewählt.
     Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In  meiner  ganzen Schattierung, aus
der  ich  allenfalls malen könnte, ist  kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz
wie  Albas Gesichtsfarbe und  als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist  bei
ihm gleich  ein  Gotteslästerer,  ein  Majestätsschänder: denn aus diesem
Kapitel  kann  man  sie  alle  sogleich rädern,  pfählen,  vierteilen  und
verbrennen. - Das Gute, was  ich hier getan habe, sieht  gewiß in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hängt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist;  und es wird  dem
Könige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkühnheit,  daß  er
sich vorstellt,  sie  fräßen sich  hier einander auf, wenn eine  flüchtig
vorübergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist.
Da faßt er einen recht herzlichen Haß auf  die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich,  ja wie Tiere  und  Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um und wähnt, so bändige man Menschen.
     Machiavell. Ihr scheint mir zu  heftig, Ihr  nehmt  die  Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
     Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich  bin in
Staatsgeschäften  alt  genug  geworden,   um   zu  wissen,  wie  man  einen
verdrängt,  ohne  ihm  seine Bestallung  zu nehmen.  -  Erst wird  er  eine
Instruktion bringen, die  wird unbestimmt  und schief sein; er  wird um sich
greifen, denn er hat  die Gewalt; und  wenn  ich mich beklage, wird  er eine
geheime  Instruktion  vorschützen;  wenn ich sie sehen  will, wird er  mich
herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz
was  anders enthält; und wenn ich mich  da nicht  beruhige, gar nicht  mehr
tun, als wenn ich redete. - Indes wird er,  was ich fürchte, getan, und was
ich wünsche, weit abwärts gelenkt haben.
     Machiavell. Ich wollt', ich könnt' Euch widersprechen.
     Regentin.  Was  ich mit  unsäglicher Geduld beruhigte,  wird er  durch
Härte und  Grausamkeiten wieder aufhetzen;  ich werde vor meinen Augen mein
Werk verloren sehen und überdies noch seine Schuld zu tragen haben.
     Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
     Regentin. So viel Gewalt hab  ich  über mich, um stille zu  sein. Laß
ihn kommen;  ich  werde  ihm mit der  besten Art Platz machen, eh'  er  mich
verdrängt.
     Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
     Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist,  wer's
hergebracht hat, daß jeden  Tag das Schicksal von Tausenden  in seiner Hand
liegt, steigt  vom Throne wie ins Grab. Aber besser  so, als einem Gespenste
gleich  unter  den  Lebenden  bleiben  und  mit  hohlem  Ansehn einen  Platz
behaupten wollen, den ihm  ein  anderer  abgeerbt hat  und  nun  besitzt und
genießt.

     Klärchens Wohnung
     Klärchen. Mutter.
     Mutter.  So  eine  Liebe  wie Brackenburgs  hab  ich  nie  gesehen; ich
glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
     Klärchen (geht in der Stube auf und ab, ein  Lied zwischen den  Lippen
summend).
     Glücklich allein
     Ist die Seele, die liebt.

     Mutter.  Er vermutet deinen Umgang mit  Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich tätest, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
     Klärchen (singt).
     Freudvoll
     Und leidvoll,
     Gedankenvoll sein,
     Langen
     Und bangen
     In schwebender Pein,
     Himmelhoch jauchzend,
     Zum Tode betrübt -
     Glücklich allein
     Ist die Seele, die liebt.

     Mutter. Laß das Heiopopeia.
     Klärchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein kräftig Lied. Hab ich doch
schon manchmal ein großes Kind damit schlafen gewiegt.
     Mutter. Du hast  doch  nichts im  Kopfe als deine Liebe. Vergäßest du
nur nicht alles über das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag ich dir. Er kann dich noch einmal glücklich machen.
     Klärchen. Er?
     Mutter. O ja! es kommt eine  Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus  und
überhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schöne  Liebe,  alles hat
sein  Ende;  und es  kommt eine Zeit, wo man  Gott dankt, wenn man  irgendwo
unterkriechen kann.
     Klärchen (schaudert, schweigt und fährt auf). Mutter, laßt  die Zeit
kommen  wie den Tod. Dran  vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt!
Wenn  wir müssen  -  dann  - wollen wir  uns  gebärden, wie wir können  -
Egmont,  ich  dich  entbehren! - (In Tränen.) Nein, es ist nicht  möglich,
nicht möglich.
     Egmont  (in  einem  Reitermantel,  den  Hut  ins   Gesicht  gedrückt).
Klärchen!
     Klärchen (tut einen Schrei, fährt zurück). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und  ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Süßer!
Kommst du? bist du da!
     Egmont. Guten Abend, Mutter.
     Mutter. Gott grüß' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
daß Ihr so  lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch  geredet
und gesungen.
     Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
     Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hätten.
     Klärchen.  Freilich!  Seid  nur ruhig, Mutter;  ich habe  schon  alles
darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
     Mutter. Schmal genug.
     Klärchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab  ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen großen  Appetit haben, wenn ich
bei ihm bin.
     Egmont. Meinst du?
     Klärchen (stampft mit dem Fuße und kehrt sich unwillig um).
     Egmont. Wie ist dir?
     Klärchen.  Wie seid Ihr heute so kalt!  Ihr habt  mir noch keinen Kuß
angeboten.  Warum  habt  Ihr  die  Arme  in  den  Mantel  gewickelt wie  ein
Wochenkind? Ziemt  keinem Soldaten noch  Liebhaber, die Arme eingewickelt zu
haben.
     Egmont. Zuzeiten,  Liebchen,  zuzeiten.  Wenn der  Soldat auf der Lauer
steht  und  dem  Feinde etwas ablisten möchte, da  nimmt er  sich zusammen,
faßt  sich selbst in seine Arme und  kaut  seinen  Anschlag reif.  Und  ein
Liebhaber -
     Mutter. Wollt  Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen?  Ich
muß in die Küche; Klärchen denkt  an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr müßt
fürliebnehmen.
     Egmont. Euer guter Wille ist die beste Würze. (Mutter ab.)
     Klärchen. Und was wäre denn meine Liebe?
     Egmont. So viel du willst.
     Klärchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
     Egmont. Zuvörderst also. (Er wirft den  Mantel  ab  und steht in einem
prächtigen Kleide da.)
     Klärchen. O je!
     Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
     Klärchen.  Laßt!  Ihr  verderbt  Euch.   (Sie  tritt  zurück.)   Wie
prächtig! Da darf ich Euch nicht anrühren.
     Egmont. Bist  du  zufrieden?  Ich  versprach  dir, einmal  spanisch  zu
kommen.
     Klärchen.  Ich bat  Euch zeither  nicht  mehr  drum;  ich dachte,  Ihr
wolltet nicht - Ach und das Goldne Vlies!
     Egmont. Da siehst du's nun.
     Klärchen. Das hat dir der Kaiser umgehängt?
     Egmont. Ja,  Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trägt, die
edelsten  Freiheiten.  Ich  erkenne auf  Erden  keinen  Richter über  meine
Handlungen als den Großmeister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der
Ritter.
     Klärchen. O du dürftest die  ganze Welt  über dich richten lassen. -
Der Sammet ist gar zu herrlich,  und die Passementarbeit! und das Gestickte!
- Man weiß nicht, wo man anfangen soll.
     Egmont. Sieh dich nur satt.
     Klärchen. Und  das Goldne Vlies! Ihr erzähltet mir die Geschichte und
sagtet, es sei ein Zeichen alles Großen und Kostbaren, was man mit Müh und
Fleiß verdient und erwirbt. Es ist sehr  kostbar  - ich kann's deiner Liebe
vergleichen. - Ich trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
     Egmont. Was willst du sagen?
     Klärchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
     Egmont. Wieso?
     Klärchen. Ich  habe  sie nicht mit  Müh  und  Fleiß erworben,  nicht
verdient.
     Egmont. In  der  Liebe ist es anders. Du verdienst  sie, weil  du  dich
nicht  darum bewirbst - und die Leute  erhalten sie auch  meist  allein, die
nicht darnach jagen.
     Klärchen.  Hast du das  von  dir  abgenommen?  Hast  du  diese  stolze
Anmerkung über dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
     Egmont. Hätt' ich nur etwas für sie getan! könnt' ich etwas für sie
tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
     Klärchen. Du warst gewiß heute bei der Regentin?
     Egmont. Ich war bei ihr.
     Klärchen. Bist du gut mit ihr?
     Egmont.  Es  sieht einmal so  aus.  Wir sind  einander  freundlich  und
dienstlich.
     Klärchen. Und im Herzen?
     Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat  seine eignen  Absichten. Das  tut
nichts zur Sache. Sie ist eine  treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sähe
tief genug, wenn sie  auch  nicht argwöhnisch wäre. Ich  mache ihr viel zu
schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse  sucht,  und ich
keine habe.
     Klärchen. So gar keine?
     Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in
den  Fässern  an   mit  der  Zeit.  Oranien  ist  doch  noch  eine  bessere
Unterhaltung für sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit
gesetzt, daß er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht  sie immer nach
seiner  Stirne, was  er  wohl denken, auf seine Schritte, wohin  er sie wohl
richten möchte.
     Klärchen. Verstellt sie sich?
     Egmont. Regentin, und du fragst?
     Klärchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
     Egmont.  Nicht mehr und nicht  weniger als  jeder, der  seine Absichten
erreichen will.
     Klärchen. Ich könnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen männlichen Geist,  sie  ist ein  ander  Weib als wir Nähterinnen und
Köchinnen. Sie ist groß, herzhaft, entschlossen.
     Egmont. Ja,  wenn's nicht  gar zu bunt geht.  Diesmal ist sie doch  ein
wenig aus der Fassung.
     Klärchen. Wieso?
     Egmont. Sie  hat  auch  ein Bärtchen  auf  der Oberlippe, und manchmal
einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
     Klärchen.  Eine  majestätische Frau!  Ich scheute mich,  vor  sie  zu
treten.
     Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wäre  auch nicht Furcht,
nur jungfräuliche Scham.
     Klärchen (schlägt  die Augen nieder,  nimmt seine Hand und lehnt sich
an ihn).
     Egmont.  Ich  verstehe  dich!  liebes  Mädchen!  du  darfst  die Augen
aufschlagen. (Er küßt ihre Augen.)
     Klärchen. Laß mich schweigen! Laß mich dich halten. Laß mich dir in
die  Augen  sehen;  alles  drin  finden,  Trost und Hoffnung und  Freude und
Kummer.  (Sie  umarmt  ihn und sieht ihn an.)  Sag  mir! Sage!  ich begreife
nicht!  bist  du Egmont?  der  Graf Egmont? der große  Egmont,  der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hängen?
     Egmont. Nein, Klärchen, das bin ich nicht.
     Klärchen. Wie?
     Egmont. Siehst du,  Klärchen! - Laß mich sitzen! (Er  setzt sich, sie
kniet vor ihn auf einen Schemel,  legt ihr Arme auf  seinen Schoß und sieht
ihn an.) Jener Egmont  ist ein verdrießlicher, steifer, kalter Egmont,  der
an sich  halten,  bald  dieses bald  jenes  Gesicht  machen  muß;  geplagt,
verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute für froh und fröhlich halten;
geliebt von einem Volke, das nicht  weiß, was es  will;  geehrt und in  die
Höhe  getragen von einer Menge,  mit der nichts anzufangen ist; umgeben von
Freunden, denen er sich nicht überlassen darf; beobachtet von Menschen, die
ihm  auf alle Weise  beikommen möchten; arbeitend  und  sich bemühend, oft
ohne Zweck  meist ohne Lohn -  O laß mich schweigen, wie es dem ergeht, wie
es dem zumute ist. Aber dieser, Klärchen, der ist ruhig, offen, glücklich,
geliebt und gekannt von dem  besten Herzen,  das auch er ganz  kennt und mit
voller  Liebe  und Zutrauen  an das seine drückt.  (Er umarmt sie.) Das ist
dein Egmont!
     Klärchen. So laß mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
     Vierter Aufzug
     Straße
     Jetter. Zimmermeister.
     Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
     Zimmermeister. Geh deines Pfads und sei ruhig.
     Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
     Zimmermeister. Nichts, als daß uns von Neuem zu reden verboten ist.
     Jetter. Wie?
     Zimmermeister.  Tretet hier ans  Haus an. Hütet  Euch!  Der Herzog von
Alba hat gleich  bei  seiner Ankunft einen  Befehl ausgehen lassen,  dadurch
zwei oder drei, die auf der Straße  zusammen sprechen, des Hochverrats ohne
Untersuchung schuldig erklärt sind.
     Jetter. O weh!
     Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
     Jetter. O unsre Freiheit!
     Zimmermeister. Und  bei  Todesstrafe  soll niemand die  Handlungen  der
Regierung mißbilligen.
     Jetter. O unsre Köpfe!
     Zimmermeister.  Und  mit  großem Versprechen  werden  Väter, Mütter,
Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
     Jetter. Gehn wir nach Hause.
     Zimmermeister.  Und den Folgsamen  ist versprochen, daß  sie weder  an
Leibe, noch Ehre, noch Vermögen einige Kränkung erdulden sollen.
     Jetter. Wie gnädig!  War mir's doch gleich weh, wie  der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wäre der Himmel mit einem schwarzen
Flor überzogen und hinge so tief herunter, daß man sich bücken müsse, um
nicht dran zu stoßen.
     Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
     Jetter. Pfui! Es schnürt einem das Herz ein, wenn  man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren  sieht. Kerzengerad mit unverwandtem Blick, ein
Tritt, soviel  ihrer  sind. Und wenn sie auf  der Schildwache stehen und  du
gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte,
und  sieht so  steif  und  mürrisch  aus,  daß du  auf allen  Ecken  einen
Zuchtmeister  zu sehen glaubst.  Sie tun mir gar nicht wohl. Unsre Miliz war
doch noch  ein  lustig  Volk;  sie  nahmen  sich  was  heraus,  standen  mit
ausgegrätschten  Beinen da, hatten  den Hut überm Ohr, lebten  und ließen
leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
     Zimmermeister. Wenn so einer ruft. »Halt!« und anschlägt, meinst du,
man hielte?
     Jetter. Ich wäre gleich des Todes.
     Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
     Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
     (Soest tritt dazu.)
     Soest. Freunde! Genossen!
     Zimmermeister. Still! Laßt uns gehen.
     Soest. Wißt ihr?
     Jetter. Nur zu viel!
     Soest. Die Regentin ist weg.
     Jetter. Nun gnad' uns Gott!
     Zimmermeister. Die hielt uns noch.
     Soest. Auf  einmal und in der Stille.  Sie  konnte sich mit dem  Herzog
nicht  vertragen;  sie  ließ  dem Adel melden,  sie  komme wieder.  Niemand
glaubt's.
     Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, daß  er uns diese neue Geißel
über den  Hals  gelassen  hat.  Sie  hätten  es  abwenden  können.  Unsre
Privilegien sind hin.
     Jetter. Um Gottes willen  nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
     Soest. Oranien ist auch weg.
     Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
     Soest. Graf Egmont ist noch da.
     Jetter. Gott sei Dank! Stärken ihn alle Heiligen, daß er sein  Bestes
tut; der ist allein was vermögend.
     (Vansen tritt auf.)
     Vansen. Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
     Jetter. Tut uns den Gefallen und geht fürbaß.
     Vansen. Ihr seid nicht höflich.
     Zimmermeister.  Es ist gar keine  Zeit zu Komplimenten.  Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
     Vansen.  Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schläge
was gegeben hätte, wäre sein Tage nichts aus mir geworden.
     Jetter. Es kann ernstlicher werden.
     Vansen. Ihr spürt  von dem Gewitter, das aufsteigt, eine  erbärmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
     Zimmermeister. Deine Glieder  werden  sich  bald woanders  eine  Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
     Vansen.  Armselige Mäuse,  die  gleich verzweifeln,  wenn der Hausherr
eine neue Katze anschafft! Nur ein bißchen  anders; aber wir  treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
     Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
     Vansen.  Gevatter  Tropf! Laß  du den Herzog  nur gewähren.  Der alte
Kater sieht aus,  als wenn er  Teufel  statt  Mäuse  gefressen  hätte  und
könnte sie nun nicht  verdauen. Laßt  ihn  nur  erst; er  muß auch essen,
trinken, schlafen  wie andere Menschen.  Es ist  mir nicht  bange,  wenn wir
unsere  Zeit  recht nehmen. Im  Anfange  geht's rasch; nachher wird  er auch
finden, daß in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben  ist und
des Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne Mäuschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
     Zimmermeister. Was  so  einem  Menschen  alles  durchgeht!  Wenn ich in
meinem Leben  so etwas  gesagt  hätte,  hielt'  ich mich  keine Minute für
sicher.
     Vansen.  Seid  nur  ruhig!  Gott im Himmel  erfährt  nichts  von  euch
Würmern, geschweige der Regent.
     Jetter. Lästermaul!
     Vansen.  Ich weiß  andere, denen  es  besser wäre,  sie hätten statt
ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
     Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
     Vansen. Hm! den Grafen mein ich.
     Jetter. Egmont! Was soll der fürchten?
     Vansen. Ich  bin ein armer Teufel und könnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch könnt' er mir sein Einkommen
eines ganzen  Jahres geben,  wenn er  meinen  Kopf  auf  eine  Viertelstunde
hätte.
     Jetter. Du  denkst  dich was Rechts. Egmonts  Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
     Vansen. Redt  Ihr! Aber  nicht feiner.  Die  Herren betriegen  sich  am
ersten. Er sollte nicht trauen.
     Jetter. Was er schwätzt! So ein Herr!
     Vansen. Eben weil er kein Schneider ist.
     Jetter. Ungewaschen Maul!
     Vansen. Dem  wollt'  ich Eure  Courage  nur  eine Stunde in die Glieder
wünschen, daß sie ihm da Unruh machte und ihn so lange neckte  und juckte,
bis er aus der Stadt müßte.
     Jetter. Ihr redet recht unverständig; er  ist so  sicher wie der Stern
am Himmel.
     Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
     Zimmermeister. Wer will ihm denn was tun?
     Vansen. Wer will? Willst  du's  etwa  hindern? Willst du einen  Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
     Jetter. Ah!
     Vansen. Wollt ihr eure Rippen für ihn wagen?
     Soest. Eh!
     Vansen  (sie nachäffend). Ih! Oh! Uh!  Verwundert  euch  durchs  ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
     Jetter.  Ich  erschrecke  über  Eure Unverschämtheit.  So ein  edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befürchten haben?
     Vansen.   Der   Schelm    sitzt   überall   im    Vorteil.   Auf   dem
Armensünderstühlchen  hat er den  Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten  mit Lust zum Verbrecher. Ich habe  so ein Protokoll
abzuschreiben  gehabt, wo  der  Kommissarius  schwer Lob  und  Geld vom Hofe
erhielt, weil  er  einen ehrlichen Teufel,  an den man wollte, zum  Schelmen
verhört hatte.
     Zimmermeister.  Das  ist  wieder frisch  gelogen. Was wollen  sie  denn
heraus verhören, wenn einer unschuldig ist?
     Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhören ist, da verhört man
hinein.  Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt  man erst
recht sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine  Unschuld,  wie sie's
heißen,  und  sagt  alles geradezu, was  ein  Verständiger verbärge. Dann
macht der Inquisitor  aus den Antworten wieder Fragen und paßt ja  auf,  wo
irgendein  Widersprüchelchen erscheinen will; da knüpft  er seinen  Strick
an, und läßt sich der dumme Teufel betreten, daß  er  hier etwas zu viel,
dort etwas  zu wenig gesagt  oder wohl gar aus  Gott  weiß  was  für einer
Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch  wohl irgend an  einem Ende sich
hat  schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich  versichre
euch, mit mehr Sorgfalt  suchen die  Bettelweiber nicht die  Lumpen  aus dem
Kehricht,  als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verrückten,  verdrückten, geschlossenen, bekannten,  geleugneten  Anzeigen
und    Umständen    sich    endlich    einen    strohlumpenen    Vogelscheu
zusammenkünstelt,  um wenigstens seinen  Inquisiten  in  effigie hängen zu
können. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hängen
sehen.
     Jetter. Der hat eine geläufige Zunge.
     Zimmermeister.  Mit Fliegen  mag das angehen. Die Wespen  lachen  Eures
Gespinstes.
     Vansen.  Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange  Herzog hat euch  so
ein rein Ansehn  von einer Kreuzspinne, nicht einer dickbäuchigen, die sind
weniger schlimm, aber so einer langfüßigen, schmalleibigen, die vom Fraße
nicht feist wird und recht dünne Fäden zieht, aber desto zähere.
     Jetter. Egmont ist Ritter des  Goldnen  Vlieses; wer darf Hand  an  ihn
legen?  Nur von seinesgleichen kann  er gerichtet  werden, nur vom  gesamten
Orden.  Dein loses Maul, dein  böses Gewissen  verführen  dich  zu solchem
Geschwätz.
     Vansen. Will ich  ihm  darum  übel? Mir kann's recht sein. Es ist  ein
trefflicher  Herr.  Ein  paar  meiner  guten  Freunde, die anderwärts schon
wären gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schläge verabschiedet.
Nun  geht! Geht!  Ich rat  es euch  selbst. Dort  seh ich wieder eine  Runde
antreten; die sehen  nicht aus, als  wenn sie so bald Brüderschaft mit  uns
trinken würden. Wir  wollen's abwarten und nur sachte zusehen. Ich  hab ein
paar Nichten  und einen Gevatter Schenkwirt;  wenn  sie  von  denen gekostet
haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wölfe.
     Der Culenburgische Palast
     Wohnung des Herzogs von Alba
     Silva und Gomez begegnen einander.
     Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
     Gomez. Pünktlich. Alle tägliche Runden sind  beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen Plätzen einzutreffen, die ich ihnen  bezeichnet habe;
sie gehen indes,  wie gewöhnlich, durch die Stadt, um Ordnung  zu erhalten.
Keiner weiß von dem andern;  jeder glaubt, der Befehl gehe  ihn allein  an,
und  in  einem Augenblick kann alsdann  der Kordon gezogen und alle Zugänge
zum Palast können besetzt sein. Weißt du die Ursache dieses Befehls?
     Silva.  Ich bin  gewohnt,  blindlings zu  gehorchen.  Und  wem gehorcht
sich's  leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, daß er recht
befohlen hat?
     Gomez.  Gut!  Gut!  Auch  scheint  es  mir  kein  Wunder,  daß  du  so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein mußt.  Mir
kommt  es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin.
An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das Schwätzen und
Räsonieren angewöhnt. Ihr  schweigt alle und laßt  es euch nie wohl sein.
Der Herzog gleicht mir  einem ehrnen  Turm  ohne Pforte, wozu die  Besatzung
Flügel  hätte.  Neulich  hört'  ich  ihn   bei  Tafel  von  einem  frohen
freundlichen Menschen sagen: er  sei wie eine  schlechte  Schenke  mit einem
ausgesteckten  Branntweinzeichen,   um  Müßiggänger,  Bettler  und  Diebe
hereinzulocken.
     Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergeführt?
     Gomez. Dagegen ist nichts  zu sagen.  Gewiß! Wer Zeuge seiner Klugheit
war,  wie er die Armee aus  Italien hierher brachte, der hat etwas  gesehen.
Wie er  sich durch Freund  und Feind, durch die  Franzosen, Königlichen und
Ketzer, durch  die Schweizer  und Verbundnen gleichsam  durchschmiegte,  die
strengste  Mannszucht hielt  und  einen Zug, den man so gefährlich achtete,
leicht  und  ohne Anstoß zu leiten wußte!  -  Wir haben  was gesehen,  was
lernen können.
     Silva.  Auch  hier!  Ist  nicht  alles still  und  ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wäre?
     Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
     Silva. In den  Provinzen ist es  viel  ruhiger geworden;  und wenn sich
noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die
Wege bald versperren, denk ich.
     Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Königs gewinnen.
     Silva. Und  uns  bleibt  nichts  angelegener, als uns  die  seinige  zu
erhalten. Wenn der König hieherkommt,  bleibt gewiß der Herzog  und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
     Gomez. Glaubst du, daß der König kommt?
     Silva.  Es  werden   so  viele  Anstalten  gemacht,   daß  es  höchst
wahrscheinlich ist.
     Gomez. Mich überreden sie nicht.
     Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Königs Absicht ja
nicht  sein sollte zu kommen,  so ist sie's doch wenigstens gewiß, daß man
es glauben soll.
     (Ferdinand, Albas natürlicher Sohn.)
     Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
     Silva. Wir warten auf ihn.
     Ferdinand. Die Fürsten werden bald hier sein.
     Gomez. Kommen sie heute?
     Ferdinand. Oranien und Egmont.
     Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
     Silva. So behalt es für dich.
     (Herzog  von Alba. -  Wie er herein- und hervortritt, treten die andern
zurück.)
     Alba. Gomez.
     Gomez (tritt vor). Herr!
     Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
     Gomez. Aufs genaueste. Die täglichen Runden -
     Alba.  Genug.  Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie  zusammenziehen, die Zugänge  nach  dem  Palast besetzen
sollst. Das übrige weißt du.
     Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
     Alba. Silva!
     Silva. Hier bin ich.
     Alba.   Alles,  was  ich  von  jeher  an  dir  geschätzt   habe,  Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausführen, das zeige heut.
     Silva.  Ich  danke Euch, daß Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen,  daß
ich der alte bin.
     Alba.  Sobald die Fürsten bei mir eingetreten sind, dann eile  gleich,
Egmonts  Geheimschreiber  gefangenzunehmen. Du hast  alle Anstalten gemacht,
die übrigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
     Silva.  Vertraue  auf   uns.  Ihr   Schicksal  wird   sie,   wie   eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pünktlich und schrecklich treffen.
     Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
     Silva. Alle; den  Egmont vor andern. Er  ist der einzige, der, seit  du
hier bist, sein Betragen nicht geändert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd
aufs andere,  ladet Gäste,  ist immer  lustig und  unterhaltend bei  Tafel,
würfelt,  schießt und  schleicht  nachts  zum  Liebchen.  Die andern haben
dagegen eine merkliche  Pause in ihrer  Lebensart  gemacht; sie  bleiben bei
sich; vor ihrer Türe sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wäre.
     Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
     Silva.  Ich stelle sie.  Auf  deinen  Befehl überhäufen  wir sie  mit
dienstfertigen  Ehren.   Ihnen  graut's;  politisch  geben  sie   uns  einen
ängstlichen Dank, fühlen, das Rätlichste sei, zu entfliehen, keiner  wagt
einen Schritt, sie zaudern, können sich nicht vereinigen; und einzeln etwas
Kühnes zu tun,  hält sie der Gemeingeist ab.  Sie möchten gern sich jedem
Verdacht  entziehen  und machen sich  immer verdächtiger. Schon seh ich mit
Freuden deinen ganzen Anschlag ausgeführt.
     Alba. Ich freue mich nur über das Geschehene; und auch über das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch  übrig, was  uns  zu denken und zu sorgen
gibt. Das  Glück ist  eigensinnig, oft das  Gemeine,  das Nichtswürdige zu
adeln  und  wohlüberlegte  Taten mit  einem  gemeinen  Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die Fürsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die Straßen zu
besetzen,   und   eile  selbst,   Egmonts   Schreiber   und   die   übrigen
gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und
meld es meinem Sohne, daß er mir in den Rat die Nachricht bringe.
     Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dürfen.
     (Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
     Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber  meine Hoffnung  schwankt.
Ich  fürchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir,
die  still  und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der  Fürsten und
vieler  Tausende wägen.  Langsam  wankt  das  Zünglein  auf  und  ab; tief
scheinen  die  Richter zu sinnen; zuletzt sinkt  diese  Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
     (Alba mit Ferdinand hervortretend.)
     Alba. Wie fandst du die Stadt?
     Ferdinand.  Es  hat  sich  alles  gegeben.   Ich  ritt,   als  wie  zum
Zeitvertreib,  straßauf,  straßab.  Eure wohlverteilten  Wachen halten die
Furcht so angespannt, daß sie  sich nicht zu lispeln untersteht.  Die Stadt
sieht  einem  Felde  ähnlich, wenn  das  Gewitter  von weitem leuchtet; man
erblickt  keinen  Vogel, kein Tier, als  das  eilend nach  einem  Schutzorte
schlüpft.
     Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
     Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grüßten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben  mußte. »Laßt uns eilen,
Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!«  rief er mir entgegen. Er
werde mich  noch heute  wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen,
mit Euch zu ratschlagen.
     Alba. Er wird dich wiedersehn.
     Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier  kenne, gefällt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
     Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig  behutsam;  immer  erkenn
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie  unbedingt in  die Arme
lieferte. Zu mancher gefährlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig
ein.
     Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
     Alba. Ich  vergebe deinem jungen  Blute dies leichtsinnige  Wohlwollen,
diese  unachtsame  Fröhlichkeit. Nur  vergiß  nicht, zu welchem  Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben möchte.
     Ferdinand.  Erinnert  mich, und  schont mich nicht,  wo Ihr  es  nötig
haltet.
     Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
     Ferdinand. Mein Vater!
     Alba. Die Fürsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
Mißtrauen, daß ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden
nicht wieder von hinnen gehn.
     Ferdinand. Was sinnst du?
     Alba. Es ist beschlossen, sie  festzuhalten. - Du erstaunst! Was du  zu
tun hast, höre;  die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt
bleibt keine  Zeit,  sie  auszulegen.  Mit  dir  allein  wünscht'  ich  das
Größte,  das   Geheimste  zu   besprechen;  ein  starkes  Band  hält  uns
zusammengefesselt; du bist mir  wert und  lieb; auf dich  möcht' ich  alles
häufen.  Nicht  die  Gewohnheit  zu   gehorchen  allein   möcht'  ich  dir
einprägen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszuführen, wünscht'
ich  in dir  fortzupflanzen;  dir  ein  großes  Erbteil,  dem  Könige  den
brauchbarsten Diener zu  hinterlassen; dich mit dem  Besten,  was  ich habe,
auszustatten, daß du dich nicht  schämen dürfest, unter  deine Brüder zu
treten.
     Ferdinand. Was werd ich dir nicht für diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
     Alba. Nun höre, was zu tun ist. Sobald die  Fürsten eingetreten sind,
wird  jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird
eilen,  Egmonts  Schreiber  mit  den  Verdächtigsten  gefangenzunehmen.  Du
hältst  die  Wache am Tore und in  den  Höfen in Ordnung. Vor allen Dingen
besetze diese  Zimmer hier neben mit den sichersten  Leuten;  dann warte auf
der  Galerie, bis  Silva  wiederkommt, und bringe  mir irgendein unbedeutend
Blatt herein, zum Zeichen, daß sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im
Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte  Egmont hier, als ob  ich
ihm noch was zu  sagen hätte. Am  Ende der Galerie  fordre  Oraniens Degen,
rufe die Wache an, verwahre schnell den gefährlichsten  Mann; und ich fasse
Egmont hier.
     Ferdinand. Ich gehorche, mein  Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
     Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste große Tag, den du erlebst.
     (Silva tritt herein.)
     Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
     Alba. Sagt' es der Bote?
     Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
     Alba. Aus  dir spricht  mein  böser  Genius.  (Nachdem  er  den  Brief
gelesen, winkt er beiden,  und sie ziehen  sich  in die  Galerie zurück. Er
bleibt  allein  auf dem  Vorderteile.)  Er kommt nicht! Bis  auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklären. Er wagt es, nicht zu kommen! So
war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug  zu sein! -
Es rückt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein  großes Werk
ist getan oder  versäumt, unwiederbringlich versäumt;  denn  es ist  weder
nachzuholen,  noch  zu  verheimlichen.  Längst  hatt'  ich  alles  reiflich
abgewogen, und mir auch  diesen Fall  gedacht, mir festgesetzt, was  auch in
diesem Falle zu tun  sei; und jetzt, da  es  zu  tun ist, wehr ich mir kaum,
daß nicht  das Für und Wider  mir  aufs  neue durch die Seele  schwankt. -
Ist's rätlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf
und laß  Egmont mit den Seinigen,  mit  so  vielen  entschlüpfen, die nun,
vielleicht  nur  heute noch,  in  meinen  Händen  sind? So  zwingt dich das
Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet!
Wie groß, wie schön der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im
Augenblick des Entscheidens  bist du zwischen zwei  Ãœbel  gestellt; wie  in
einen Lostopf greifst  du in die  dunkle Zukunft; was du  fassest,  ist noch
zugerollt,  dir  unbewußt, sei's Treffer oder  Fehler! (Er wird aufmerksam,
wie  einer, der etwas hört, und tritt  ans  Fenster.)  Er ist es! Egmont! -
Trug dich dein Pferd  so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht
und  vor  dem  Geiste  mit  dem  blanken  Schwert,  der an  der Pforte  dich
empfängt? - Steig ab! - So  bist du mit dem einen Fuß im Grab!  und so mit
beiden!  - ja streichl'  es nur  und klopfe für  seinen  mutigen Dienst zum
letztenmale den Nacken ihm - Und mir bleibt keine Wahl. In  der Verblendung,
wie hier Egmont naht,  kann  er  dir  nicht zum  zweitenmal sich  liefern! -
Hört!
     (Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
     Alba. Ihr tut, was  ich  befahl; ich  ändre  meinen Willen  nicht. Ich
halte,  wie es gehn  will,  Egmont auf,  bis du mir  von Silva die Nachricht
gebracht  hast. Dann bleib  in  der  Nähe. Auch dir raubt  das Geschick das
große Verdienst, des  Königs größten Feind mit  eigener Hand gefangen zu
haben.  (Zu  Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.)  Geh ihm  entgegen. (Alba  bleibt
einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
     (Egmont tritt auf.)
     Egmont.  Ich komme, die  Befehle des Königs zu  vernehmen, zu  hören,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
     Alba. Er wünscht vor allen Dingen Euern Rat zu hören.
     Egmont. Ãœber welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
     Alba. Mir tut  es  leid,  daß er uns  eben in dieser  wichtigen Stunde
fehlt. Euern Rat, Eure Meinung wünscht der König, wie diese Staaten wieder
zu befriedigen. Ja, er hofft, Ihr  werdet kräftig  mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen völlig und dauerhaft zu gründen.
     Egmont.  Ihr  könnt besser  wissen  als  ich,  daß schon alles  genug
beruhigt  ist, ja, noch  mehr beruhigt war,  eh  die  Erscheinung der  neuen
Soldaten wieder mit Furcht und Sorge die Gemüter bewegte.
     Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das Rätlichste sei gewesen, wenn
der König mich gar nicht in den Fall gesetzt hätte, Euch zu fragen.
     Egmont. Verzeiht! Ob der König  das  Heer hätte schicken  sollen,  ob
nicht vielmehr  die  Macht seiner majestätischen Gegenwart allein  stärker
gewirkt hätte, ist meine Sache nicht  zu beurteilen.  Das Heer ist  da,  er
nicht. Wir aber müßten sehr undankbar, sehr  vergessen sein, wenn  wir uns
nicht  erinnerten,  was wir der Regentin  schuldig  sind.  Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als  tapferes Betragen die Aufrührer mit Gewalt
und Ansehn, mit Überredung und List zur Ruhe und  führte zum Erstaunen der
Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner Pflicht zurück.
     Alba. Ich leugne es  nicht. Der  Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zurückgebannt. Aber hängt  es nicht von eines
jeden Willkür ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern loszubrechen?
Wo ist die  Macht, sie abzuhalten? Wer bürgt uns, daß sie sich ferner treu
und untertänig  zeigen  werden? Ihr  guter Wille  ist alles Pfand,  das wir
haben.
     Egmont. Und  ist der gute  Wille  eines Volks nicht  das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein König sicherer halten, als wenn
sie alle  für einen,  einer für  alle  stehn?  Sicherer gegen  innere  und
äußere Feinde?
     Alba. Wir werden uns doch  nicht überreden sollen, daß  es jetzt hier
so steht?
     Egmont.  Der König  schreibe einen Generalpardon  aus, er beruhige die
Gemüter;  und  bald wird  man sehen,  wie Treue und Liebe mit  dem Zutrauen
wieder zurückkehrt.
     Alba. Und jeder, der die Majestät  des Königs, der das  Heiligtum der
Religion  geschändet,  ginge frei und ledig hin und wider! lebte den andern
zum bereiten Beispiel, daß ungeheure Verbrechen straflos sind?
     Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der  Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders wo so sichre Hoffnung,
wo Gewißheit ist, daß die Übel  nicht wiederkehren werden?  Waren Könige
darum nicht sicherer? Werden sie nicht  von Welt und Nachwelt gepriesen, die
eine  Beleidigung ihrer Würde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden
sie  nicht eben deswegen  Gott gleich gehalten, der viel  zu  groß ist, als
daß an ihn jede Lästerung reichen sollte?
     Alba.  Und eben darum soll der König  für die Würde  Gottes  und der
Religion,  wir sollen für das  Ansehn des Königs streiten. Was  der  obere
abzulehnen verschmäht, ist unsere Pflicht zu rächen. Ungestraft soll, wenn
ich rate, kein Schuldiger sich freuen.
     Egmont. Glaubst du, daß  du sie alle erreichen  wirst? Hört man nicht
täglich, daß die Furcht sie hie- und dahin, sie aus dem Lande  treibt? Die
Reichsten werden ihre  Güter, sich, ihre  Kinder und Freunde flüchten; der
Arme wird seine nützlichen Hände dem Nachbar zubringen.
     Alba. Sie werden, wenn  man  sie nicht  verhindern kann. Darum verlangt
der König  Rat und Tat  von jedem Fürsten,  Ernst  von  jedem Statthalter;
nicht  nur Erzählung, wie es ist, was  werden könnte, wenn man alles gehen
ließe,  wie's  geht.  Einem  großen  Übel  zusehen,  sich  mit   Hoffnung
schmeicheln,  der  Zeit  vertrauen,  etwa   einmal  dreinschlagen,  wie   im
Fastnachtsspiel, daß  es klatscht und man doch etwas zu  tun  scheint, wenn
man nichts tun möchte,  heißt das nicht, sich verdächtig machen, als sehe
man  dem Aufruhr mit Vergnügen  zu, den  man nicht erregen, wohl aber hegen
möchte!
     Egmont (im Begriff  aufzufahren,  nimmt sich  zusammen und spricht nach
einer  kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist  offenbar, und manches
Mannes  Absicht  ist  zu mißdeuten. Muß  man  doch auch  von  allen Seiten
hören: es sei des Königs Absicht weniger, die Provinzen nach  einförmigen
und  klaren Gesetzen zu regieren, die Majestät der Religion  zu sichern und
einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie  unbedingt
zu unterjochen, sie ihrer  alten Rechte zu berauben, sich Meister  von ihren
Besitztümern  zu machen, die  schönen Rechte des Adels einzuschränken, um
derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen  mag. Die
Religion,  sagt man, sei nur  ein prächtiger Teppich, hinter  dem man jeden
gefährlichen  Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf  den
Knien, betet  die  heiligen gewirkten  Zeichen an, und  hinten  lauscht  der
Vogelsteller, der sie berücken will.
     Alba. Das muß ich von dir hören?
     Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier bald da, von Großen
und  von  Kleinen,  Klugen und Toren gesprochen, laut verbreitet  wird.  Die
Niederländer fürchten ein doppeltes Joch, und wer bürgt ihnen  für  ihre
Freiheit?
     Alba. Freiheit? Ein schönes Wort, wer's recht  verstände. Was  wollen
sie  für Freiheit?  Was ist  des Freiesten Freiheit? - Recht zu tun!  - und
daran wird sie  der König nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht
frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden können.  Wäre es nicht
besser,  abzudanken,  als  ein solches  Volk zu  regieren?  Wenn auswärtige
Feinde  drängen,  an die  kein Bürger  denkt,  der  mit dem Nächsten  nur
beschäftigt ist, und der König  verlangt  Beistand: dann werden sie uneins
unter sich,  und verschwören sich gleichsam mit  ihren Feinden. Weit besser
ist's,  sie einzuengen, daß  man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem
Besten leiten  kann. Glaube nur, ein  Volk wird nicht  alt,  nicht klug; ein
Volk bleibt immer kindisch.
     Egmont. Wie selten kommt  ein König zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern
den wenigen des einen, dem Volke, das an  den Blicken  seines  Herrn altert.
Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
     Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst überlassen ist.
     Egmont. Und  darum niemand gern sich  selbst überlassen  möchte.  Man
tue, was man will; ich habe auf  deine Frage geantwortet  und wiederhole: Es
geht  nicht!  Es  kann nicht  gehen! Ich  kenne  meine  Landsleute.  Es sind
Männer, wert,  Gottes Boden  zu  betreten;  ein jeder rund für  sich,  ein
kleiner König, fest, rührig, fähig, treu, an alten Sitten hangend. Schwer
ist's,  ihr  Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und  fest! Zu
drücken sind sie; nicht zu unterdrücken.
     Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des Königs Gegenwart wiederholen?
     Egmont.  Desto  schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser  für  ihn,  für  sein Volk,  wenn  er  mir Mut  machte, wenn er mir
Zutrauen einflößte, noch weit mehr zu sagen.
     Alba. Was nützlich ist, kann ich hören wie er.
     Egmont. Ich  würde ihm sagen:  Leicht  kann der Hirt eine  ganze Herde
Schafe  vor sich  hintreiben,  der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber  dem  edeln  Pferde,  das  du  reiten willst,  mußt du  seine Gedanken
ablernen, du  mußt nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen.  Darum
wünscht  der  Bürger  seine  alte  Verfassung  zu  behalten,   von  seinen
Landsleuten regiert zu sein,  weil er weiß, wie er  geführt wird, weil  er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
     Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
verändern?  und sollte nicht eben  dies sein  schönstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser  Welt? und  sollte  eine  Staatseinrichtung  bleiben
können? Muß nicht in einer Zeitfolge jedes Verhältnis sich verändern und
eben darum eine alte Verfassung die  Ursache von tausend Ãœbeln werden, weil
sie den gegenwärtigen Zustand des Volkes nicht umfaßt? Ich fürchte, diese
alten  Rechte sind darum  so  angenehm, weil  sie  Schlupfwinkel  bilden, in
welchen  der Kluge,  der  Mächtige, zum Schaden des Volks,  zum Schaden des
Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
     Egmont. Und diese willkürlichen  Veränderungen, diese unbeschränkten
Eingriffe der höchsten Gewalt, sind  sie  nicht Vorboten,  daß  einer  tun
will,  was Tausende nicht tun sollen? Er  will sich  allein frei machen,  um
jeden  seiner  Wünsche  befriedigen,  jeden seiner Gedanken  ausführen  zu
können.  Und wenn wir uns ihm, einem guten weisen Könige, ganz vertrauten,
sagt er  uns für seine  Nachkommen gut? daß  keiner  ohne Rücksicht, ohne
Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von völliger Willkür, wenn
er uns seine  Diener, seine Nächsten  sendet, die ohne Kenntnis  des Landes
und seiner Bedürfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand
finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen.
     Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natürlicher,
als daß ein König durch sich zu  herrschen gedenkt und denen seine Befehle
am  liebsten aufträgt, die  ihn am besten verstehen, verstehen wollen,  die
seinen Willen unbedingt ausrichten.
     Egmont. Und ebenso natürlich ist's, daß der Bürger von  dem  regiert
sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefaßt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
     Alba.  Und  doch hat der Adel mit diesen seinen  Brüdern sehr ungleich
geteilt.
     Egmont.  Das ist vor Jahrhunderten geschehen und  wird jetzt  ohne Neid
geduldet.  Würden  aber  neue  Menschen ohne  Not gesendet,  die  sich  zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sähe man sich einer
strengen, kühnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das würde eine  Gärung
machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflöste.
     Alba. Du sagst mir, was ich nicht hören sollte: auch ich bin fremd.
     Egmont. Daß ich dir's sage, zeigt dir, daß ich dich nicht meine.
     Alba. Und auch so wünscht' ich es nicht  von dir zu hören. Der König
sandte  mich  mit Hoffnung,  daß  ich hier  den  Beistand  des Adels finden
würde.  Der  König  will  seinen  Willen.  Der  König   hat  nach  tiefer
Ãœberlegung gesehen, was  dem Volke frommt; es kann nicht bleiben  und gehen
wie bisher. Des Königs Absicht  ist, sie  selbst  zu  ihrem  eignen  Besten
einzuschränken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muß, ihnen aufzudringen, die
schädlichen  Bürger  aufzuopfern,  damit  die  übrigen  Ruhe  finden, des
Glücks einer weisen Regierung genießen können. Dies ist sein  Entschluß;
diesen dem Adel kundzumachen habe  ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem
Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen.
     Egmont. Leider  rechtfertigen  deine Worte  die Furcht des Volkes,  die
allgemeine Furcht! So hat er  denn beschlossen, was kein Fürst beschließen
sollte. Die  Kraft  seines Volks, ihr Gemüt,  den Begriff, den sie von sich
selbst haben, will er schwächen, niederdrücken, zerstören, um  sie bequem
regieren zu  können. Er will  den  innern  Kern ihrer  Eigenheit verderben;
gewiß  in  der Absicht, sie glücklicher zu machen. Er will sie vernichten,
damit  sie  etwas werden, ein ander  Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so
wird  sie mißgeleitet! Nicht  dem Könige widersetzt  man sich; man  stellt
sich nur dem Könige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten
unglücklichen Schritte macht.
     Alba.  Wie du gesinnt bist,  scheint es ein vergeblicher  Versuch,  uns
vereinigen  zu wollen. Du denkst  gering vom  Könige  und verächtlich  von
seinen  Räten,  wenn  du zweifelst,  das  alles  sei  nicht  schon gedacht,
geprüft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Für und Wider noch
einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich  von dem Volke: - und von Euch, ihr
Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als Bürgen dieser unbedingten Pflicht.
     Egmont. Fordre unsre Häupter, so ist es auf einmal  getan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer
edeln Seele gleich  sein. Umsonst hab ich  so viel gesprochen: die Luft  hab
ich erschüttert, weiter nichts gewonnen.
     (Ferdinand kommt.)
     Ferdinand.  Verzeiht, daß ich Euer Gespräch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen Ãœberbringer die Antwort dringend macht.
     Alba. Erlaubt mir,  daß ich  sehe,  was  er  enthält. (Tritt  an  die
Seite.)
     Ferdinand  (zu  Egmont).  Es  ist  ein schönes Pferd,  das  Eure Leute
gebracht haben, Euch abzuholen.
     Egmont. Es ist nicht  das schlimmste. Ich hab es schon  eine Weile; ich
denk es  wegzugeben.  Wenn es Euch  gefällt, so  werden  wir vielleicht des
Handels einig.
     Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
     (Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurückzieht.)
     Egmont.  Lebt wohl! Entlaßt  mich: denn  ich wüßte, bei  Gott! nicht
mehr zu sagen.
     Alba.  Glücklich  hat  dich der Zufall verhindert,  deinen  Sinn  noch
weiter zu  verraten. Unvorsichtig entwickelst  du die Falten  deines Herzens
und klagst  dich selbst weit  strenger an, als ein Widersacher gehässig tun
könnte.
     Egmont.  Dieser Vorwurf rührt mich nicht; ich kenne  mich selbst genug
und weiß,  wie ich dem König angehöre; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst  sich selber dienen.  Ungern scheid ich  aus diesem Streite, ohne ihn
beigelegt  zu sehen, und wünsche nur, daß  uns der Dienst des  Herrn,  das
Wohl des Landes bald vereinigen möge. Es wirkt  vielleicht ein wiederholtes
Gespräch, die Gegenwart der übrigen Fürsten, die heute  fehlen,  in einem
glücklichern Augenblick, was  heut  unmöglich scheint. Mit dieser Hoffnung
entfern ich mich.
     Alba  (der zugleich  seinem  Sohn Ferdinand  ein Zeichen  gibt).  Halt,
Egmont! - Deinen Degen! -
     (Die Mitteltür öffnet sich:  man sieht die Galerie mit Wache besetzt,
die unbeweglich bleibt.)
     Egmont  (der  staunend  eine Weile geschwiegen).  Dies war die Absicht?
Dazu  hast du  mich  berufen? (Nach  dem Degen  greifend,  als wenn er  sich
verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos?
     Alba. Der König befiehlt's, du bist mein Gefangener.
     (Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
     Egmont (nach einer Stille). Der König? - Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit  öfter des Königs
Sache verteidigt, als diese Brust beschützt.
     (Er geht durch  die Mitteltür ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind,
folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fällt.)
     Fünfter Aufzug
     Straße
     Dämmerung
     Klärchen. Brackenburg. Bürger.
     Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
     Klärchen. Komm mit,  Brackenburg! Du mußt  die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewiß. Denn was  gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fühlt,
ich schwör es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr  von
einem  kostbaren   Leben  abzuwenden  und   dem   Freiesten   die   Freiheit
wiederzugeben.  Komm! Es fehlt  nur an der Stimme, die sie zusammenruft.  In
ihrer Seele lebt noch ganz frisch,  was sie ihm schuldig sind! und daß sein
mächtiger  Arm allein  von  ihnen  das  Verderben  abhält, wissen sie.  Um
seinet- und  ihretwillen müssen  sie alles wagen.  Und  was wagen wir?  Zum
höchsten  unser Leben,  das zu erhalten nicht  der Mühe wert  ist, wenn er
umkommt.
     Brackenburg. Unglückliche! du  siehst nicht  die  Gewalt, die  uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
     Klärchen. Sie scheint  mir nicht unüberwindlich. Laß uns  nicht lang
vergebliche  Worte wechseln.  Hier  kommen von den alten, redlichen, wackern
Männern! Hört, Freunde! Nachbarn, hört! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
     Zimmermeister. Was will das Kind? Laß sie schweigen,
     Klärchen. Tretet näher, daß wir sachte reden, bis wir einig sind und
stärker.  Wir   dürfen  nicht  einen  Augenblick  versäumen!  Die  freche
Tyrannei, die  es wagt,  ihn  zu  fesseln, zuckt  schon  den  Dolch,  ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dämmerung werd ich ängstlicher.
Ich fürchte diese Nacht! Kommt! wir wollen  uns  teilen; mit schnellem Lauf
von Quartier  zu Quartier rufen wir die Bürger heraus. Ein jeder greife  zu
seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und  unser Strom
reißt einen  jeden  mit sich  fort.  Die  Feinde  sehen  sich  umringt  und
überschwemmt,  und sind  erdrückt.  Was kann  uns  eine  Handvoll  Knechte
widerstehen? Und er in  unsrer Mitte kehrt zurück,  sieht  sich befreit und
kann uns  einmal danken, uns, die  wir ihm  so tief  verschuldet worden.  Er
sieht vielleicht - gewiß er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.
     Zimmermeister. Wie ist dir, Mädchen?
     Klärchen.  Könnt ihr mich  mißverstehn? Vom Grafen  sprech  ich! Ich
spreche von Egmont.
     Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tödlich.
     Klärchen.  Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen  Namen?  Wer  nennt  ihn
nicht bei  jeder  Gelegenheit?  Wo  steht er  nicht  geschrieben?  In diesen
Sternen hab ich oft mit allen seinen  Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was
soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn,  ihr  träumt; besinnt  euch.  Seht
mich nicht so starr und ängstlich an!  Blickt nicht schüchtern hie und  da
beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wünscht. Ist meine Stimme nicht
eures  Herzens eigne Stimme? Wer würfe sich in dieser  bangen Nacht, eh' er
sein  unruhvolles Bette  besteigt, nicht auf  die Knie, ihn mit  ernstlichem
Gebet  vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst!
und wer spricht mir nicht nach: »Egmonts Freiheit oder den Tod!«
     Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglück.
     Klärchen. Bleibt! Bleibt, und drückt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem   ihr  euch  sonst  so  froh  entgegendrängtet!  -  Wenn  der  Ruf  ihn
ankündigte, wenn es hieß: »Egmont kommt! Er kommt von Gent!« da  hielten
die Bewohner der Straßen sich glücklich, durch  die er reiten mußte.  Und
wenn  ihr  seine  Pferde schallen hörtet, warf jeder seine Arbeit hin,  und
über die  bekümmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da
hobt ihr eure  Kinder auf der Türschwelle  in die Höhe und deutetet ihnen:
»Sieh,  das ist Egmont, der Größte  da! Er ist's! Er  ist's,  von dem ihr
bessere Zeiten, als eure  armen  Väter  lebten, einst  zu  erwarten habt.«
Laßt eure Kinder nicht dereinst euch  fragen: »Wo ist er hin? Wo sind  die
Zeiten hin, die ihr verspracht?« - Und so wechseln wir Worte! sind müßig,
verraten ihn.
     Soest. Schämt Euch,  Brackenburg!  Laßt  sie nicht gewähren! Steuert
dem Unheil!
     Brackenburg. Liebes Klärchen! wir wollen  gehen! Was wird  die  Mutter
sagen? Vielleicht -
     Klärchen.  Meinst  du, ich sei  ein  Kind  oder wahnsinnig?  Was  kann
vielleicht? - Von dieser schrecklichen Gewißheit bringst du mich mit keiner
Hoffnung weg. - Ihr  sollt mich hören und ihr werdet:  denn ich seh's,  ihr
seid bestürzt und  könnt  euch selbst in euerm  Busen nicht  wiederfinden.
Laßt durch die  gegenwärtige  Gefahr nur  einen  Blick  in  das Vergangene
dringen, das kurz  Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Könnt
ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde  geht? Mit seinem  Atem  flieht
der letzte Hauch der  Freiheit.  Was war er euch? Für wen  übergab er sich
der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur für euch. Die
große  Seele,  die  euch alle trug,  beschränkt  ein  Kerker, und  Schauer
tückischen  Mordes  schweben  um sie her.  Er denkt vielleicht  an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfüllen gewohnt war.
     Zimmermeister. Gevatter, kommt.
     Klärchen. Und ich habe nicht Arme, nicht  Mark wie ihr; doch  hab ich,
was euch  allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Könnt' euch mein
Atem doch entzünden!  könnt' ich an meinen Busen drückend euch  erwärmen
und  beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos
ein edles Heer  von  Kriegern wehend  anführt,  so soll mein Geist um  eure
Häupter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem
fürchterlichen Heer vereinigen.
     Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bürger ab.)
     Brackenburg. Klärchen! siehst du nicht, wo wir sind?
     Klärchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft  sich herrlicher zu wölben
schien,  wenn  der  Edle unter ihm herging.  Aus diesen  Fenstern  haben sie
herausgesehn, vier, fünf Köpfe übereinander;  an diesen Türen haben  sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die  Memmen herabsah. O ich  hatte sie so
lieb, wie sie ihn  ehrten! Wäre er Tyrann gewesen, möchten  sie immer  vor
seinem Falle  seitwärts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr Hände, die ihr
an die Mützen grifft,  zum Schwert könnt ihr nicht  greifen - Brackenburg,
und wir?  - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was
tun  sie für ihn? - List hat in der  Welt so viel erreicht - Du kennst Wege
und Stege, kennst das alte Schloß. Es ist nichts  unmöglich, gib mir einen
Anschlag.
     Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!
     Klärchen. Gut.
     Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; laß doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen.  Hältst du mich  für  feig? Glaubst du
nicht, daß ich um  deinetwillen sterben könnte? Hier sind wir beide  toll,
ich so gut wie  du.  Siehst du nicht das Unmögliche? Wenn du dich faßtest!
Du bist außer dir.
     Klärchen.  Außer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid außer euch.
Da  ihr  laut den  Helden verehrtet,  ihn  Freund und  Schutz  und  Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn  er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob
das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir höher
als euch  allen.  Jetzt schlägt  mir's  wieder höher als  euch allen!  Ihr
verbergt  euch,  da es not ist,  verleugnet  ihn und fühlt nicht, daß  ihr
untergeht, wenn er verdirbt.
     Brackenburg. Komm nach Hause.
     Klärchen. Nach Hause?
     Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh  dich  um! Dies  sind die Straßen,
die du nur  sonntäglich  betratst,  durch  die du sittsam  nach  der Kirche
gingst, wo du übertrieben ehrbar zürntest, wenn ich mit einem freundlichen
grüßenden  Wort mich  zu dir  gesellte. Du stehst und redest, handelst vor
den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns?
     Klärchen.  Nach  Hause! Ja, ich besinne mich. Komm,  Brackenburg, nach
Hause! Weißt du, wo meine Heimat ist? (Ab.)

     Gefängnis,
     durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde
     Egmont (allein). Alter Freund!  immer getreuer Schlaf, fliehst  du mich
auch wie die übrigen Freunde?  Wie willig senktest  du dich auf mein freies
Haupt  herunter und  kühltest wie ein schöner Myrtenkranz der  Liebe meine
Schläfe! Mitten unter Waffen, auf der Woge  des  Lebens,  ruht' ich  leicht
atmend,  wie ein aufquellender Knabe,  in  deinen  Armen. Wenn Stürme durch
Zweige und  Blätter sausten, Ast und  Wipfel sich knirrend  bewegten, blieb
innerst  doch der Kern des Herzens ungeregt.  Was schüttelt  dich nun?  was
erschüttert  den festen  treuen  Sinn?  Ich  fühl's,  es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer
Schauer  durchfährt  mich.  Ja, sie überwindet, die verräterische Gewalt;
sie  untergräbt den festen hohen Stamm,  und  eh' die  Rinde dorrt, stürzt
krachend und zerschmetternd deine Krone.
     Warum  denn jetzt, der du so  oft gewalt'ge Sorgen  gleich Seifenblasen
dir  vom  Haupte   weggewiesen,  warum  vermagst  du  nicht  die  Ahnung  zu
verscheuchen, die tausendfach in  dir  sich auf- und niedertreibt? Seit wann
begegnet der  Tod dir fürchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit
den übrigen  Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen  lebtest? - Auch ist
er's  nicht,  der  rasche  Feind, dem  die  gesunde Brust  wetteifernd  sich
entgegensehnt; der Kerker  ist's, des  Grabes Vorbild,  dem  Helden wie  dem
Feigen  widerlich.  Unleidlich  ward  mir's  schon  auf meinem  gepolsterten
Stuhle,  wenn  in  stattlicher  Versammlung  die  Fürsten,  was  leicht  zu
entscheiden  war, mit wiederkehrenden Gesprächen überlegten, und  zwischen
düstern Wänden eines Saals die Balken der Decke mich erdrückten. Da eilt'
ich fort, sobald es möglich  war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge.
Und frisch hinaus, da wo wir hingehören! ins Feld, wo aus der Erde dampfend
jede nächste  Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle  Segen der
Gestirne  uns  umwittern;  wo  wir,  dem erdgebornen Riesen gleich,  von der
Berührung unsrer Mutter  kräftiger  uns in die Höhe reißen;  wo  wir die
Menschheit ganz  und  menschliche Begier  in allen  Adern  fühlen;  wo  das
Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen,
zu  besitzen, zu erobern, durch  die Seele des jungen Jägers glüht; wo der
Soldat sein angebornes Recht  auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaßt
und  in  fürchterlicher Freiheit wie  ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und
Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
     Du bist  nur  Bild,  Erinnerungstraum  des Glücks,  das  ich  so  lang
besessen; wo  hat dich das  Geschick  verräterisch hingeführt? Versagt  es
dir, den nie gescheuten Tod im  Angesicht der Sonne rasch zu gönnen, um dir
des  Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten?  Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das  Leben, vor dem Ruhebette wie vor
dem Grabe scheut der Fuß. -
     O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den  Mord beginnst, laß ab! - Seit
wann  ist Egmont denn allein, so ganz allein in  dieser Welt? Dich macht der
Zweifel hülflos, nicht das Glück. Ist die Gerechtigkeit des  Königs,  der
du  lebenslang  vertrautest, ist der  Regentin Freundschaft,  die  fast  (du
darfst es  dir  gestehn), fast Liebe  war, sind  sie  auf  einmal,  wie  ein
glänzend  Feuerbild  der  Nacht, verschwunden? und lassen  dich allein  auf
dunkelm Pfad zurück? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend
sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln  und  mit anschwellender Gewalt den
alten Freund erretten?
     O  haltet,  Mauern,  die  ihr  mich  einschließt,  so  vieler  Geister
wohlgemeintes Drängen nicht  von mir ab;  und welcher Mut  aus meinen Augen
sonst sich  über sie  ergoß,  der kehre  nun aus  ihren  Herzen in  meines
wieder. O ja,  sie rühren sich zu Tausenden!  sie  kommen!  stehen  mir zur
Seite! Ihr  frommer  Wunsch eilt dringend zu dem  Himmel, er  bittet  um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder,  so seh ich sie
nach  Lanz und  Schwertern  greifen.  Die  Tore  spalten  sich,  die  Gitter
springen, die Mauer  stürzt von ihren Händen  ein, und  der  Freiheit  des
einbrechenden  Tages  steigt Egmont  fröhlich  entgegen.  Wie manch bekannt
Gesicht  empfängt mich jauchzend! Ach  Klärchen, wärst du Mann; so  säh'
ich dich gewiß auch hier zuerst und dankte dir, was einem Könige zu danken
hart ist, Freiheit.

     Klärchens Haus
     Klärchen (kommt  mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer;
sie setzt das Glas  auf den Tisch und tritt ans Fenster).  Brackenburg? Seid
Ihr's? Was hört' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe
ins Fenster  setzen, daß er sieht, ich  wache noch, ich warte noch auf ihn.
Er hat  mir  Nachricht versprochen.  Nachricht?  Entsetzliche Gewißheit!  -
Egmont verurteilt!  - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn!
Der König  verdammt ihn?  oder der  Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien  zaudert, und alle seine Freunde!  - - Ist  dies die Welt, von deren
Wankelmut,  Unzuverlässigkeit  ich viel gehört und  nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt?  - Wer wäre bös  genug, den Teuern  anzufeinden?  Wäre
Bosheit  mächtig genug,  den allgemein  Erkannten schnell zu stürzen? Doch
ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor  Gott und Menschen,
wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes
Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach
der Schlinge, die dich faßt, die Hand aus. Du hülflos und ich frei! - Hier
ist der Schlüssel zu meiner  Tür. An meiner Willkür hängt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts!  - - O bindet mich, damit  ich nicht
verzweifle; und  werft  mich in den  tiefsten Kerker, daß ich  das Haupt an
feuchte Mauern schlage,  nach  Freiheit winsle, träume, wie ich  ihm helfen
wollte, wenn  Fesseln mich  nicht lähmten, wie ich ihm helfen würde. - Nun
bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst
bewußt, nicht fähig, ein Glied nach seiner Hülfe zu rühren.  Ach leider,
auch der kleine Teil von deinem Wesen,  dein Klärchen, ist  wie du gefangen
und regt  getrennt  im  Todeskrampfe  nur die letzten Kräfte.  -  Ich höre
schleichen, husten -  Brackenburg -  er  ist's!  - Elender guter Mann,  dein
Schicksal  bleibt  sich  immer  gleich;  dein   Liebchen  öffnet   dir  die
nächtliche Tür, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!
     (Brackenburg tritt auf.)
     Klärchen. Du kommst so bleich und schüchtern, Brackenburg! was ist's?
     Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren  such ich  dich auf. Die großen
Straßen sind besetzt; durch Gäßchen und durch Winkel hab  ich mich zu dir
gestohlen.
     Klärchen. Erzähl, wie ist's?
     Brackenburg (indem er sich setzt). Ach  Kläre,  laß  mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf
zur bessern Weide  herüber. Ich hab  ihn  nie verflucht; Gott hat mich treu
geschaffen und weich.  In Schmerzen floß  mein Leben vor mir nieder, und zu
verschmachten hofft' ich jeden Tag.
     Klärchen. Vergiß das,  Brackenburg! Vergiß dich  selbst.  Sprich mir
von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
     Brackenburg. Er ist's! ich weiß es ganz genau.
     Klärchen. Und lebt noch?
     Brackenburg. Ja, er lebt noch.
     Klärchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der
Nacht   den  Herrlichen!  vor  allen  Augen  verborgen  fließt  sein  Blut.
Ängstlich im  Schlafe  liegt das  betäubte Volk und  träumt  von Rettung,
träumt  ihres ohnmächtigen  Wunsches Erfüllung; indes unwillig über  uns
sein  Geist die Welt verläßt. Er ist  dahin! -  Täusche mich nicht!  dich
nicht!
     Brackenburg.  Nein  gewiß, er  lebt!  -  Und  leider,  es bereitet der
Spanier  dem Volke, das er  zertreten  will, ein fürchterliches Schauspiel,
gewaltsam  jedes  Herz,  das  nach  der  Freiheit sich  regt,  auf  ewig  zu
zerknirschen.
     Klärchen. Fahre  fort und sprich gelassen auch  mein Todesurteil  aus!
Ich wandle den seligen Gefilden schon näher  und näher, mir weht der Trost
aus jenen Gegenden des Friedens schon herüber. Sag an.
     Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da
bald  dorten  fielen,  daß auf  dem  Markte  geheimnisvoll  ein  Schrecknis
zubereitet werde.  Ich schlich durch Seitenwege, durch  bekannte Gänge nach
meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte.  -  Es
wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich
schärfte  mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein  schwarzes
Gerüst  entgegen, geräumig  hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschäftig
waren  viele rings umher bemüht, was  noch von Holzwerk  weiß und sichtbar
war, mit schwarzem Tuch  einhüllend zu verkleiden. Die Treppen  deckten sie
zuletzt  auch  schwarz,  ich  sah es wohl.  Sie  schienen  die  Weihe  eines
gräßlichen Opfers  vorbereitend zu begehn. Ein weißes Kruzifix, das durch
die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt.  Ich
sah,  und  sah  die  schreckliche Gewißheit  immer  gewisser. Noch  wankten
Fackeln  hie und da herum; allmählich wichen sie  und erloschen. Auf einmal
war die scheußliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter Schoß zurückgekehrt.
     Klärchen. Still, Brackenburg! Nun  still! Laß diese Hülle auf meiner
Seele  ruhn.  Verschwunden sind  die Gespenster,  und du,  holde Nacht, leih
deinen  Mantel der  Erde,  die in sich  gärt; sie trägt  nicht länger die
abscheuliche Last, reißt ihre tiefen  Spalten grausend auf und knirscht das
Mordgerüst hinunter.  Und  irgendeinen Engel sendet der Gott, den  sie  zum
Zeugen ihrer Wut geschändet; vor  des Boten heiliger Berührung lösen sich
Riegel und  Bande, und er umgießt den Freund mit mildem Schimmer; er führt
ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft  und  still. Und  auch mein  Weg geht
heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
     Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
     Klärchen.  Leise,  Lieber, daß niemand erwache! daß  wir  uns selbst
nicht wecken!  Kennst  du dies  Fläschchen,  Brackenburg?  Ich  nahm  dir's
scherzend, als du mit übereiltem Tod  oft  ungeduldig drohtest. - Und  nun,
mein Freund -
     Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -
     Klärchen.  Du hinderst nichts. Tod ist  mein Teil! und  gönne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest.  Gib mir deine Hand! -
Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte eröffne, aus der kein Rückweg ist,
könnt' ich mit diesem Händedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie
sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wählt' ich, seine
Stelle  zu  ersetzen.  Es widersprach dein  Herz und quälte sich und  mich,
verlangtest heiß und immer heißer, was dir  nicht  beschieden war.  Vergib
mir und leb wohl! Laß  mich  dich  Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel
Namen  in  sich faßt. Nimm die  letzte  schöne  Blume der  Scheidenden mit
treuem  Herzen ab - nimm diesen Kuß - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg,
uns denn auch.
     Brackenburg. So laß mich mit dir sterben! Teile!  Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulöschen.
     Klärchen.  Bleib!  du  sollst leben, du kannst  leben. -  Steh  meiner
Mutter bei, die ohne dich  in Armut sich verzehren würde.  Sei ihr, was ich
ihr  nicht  mehr  sein kann;  lebt  zusammen  und beweint  mich. Beweint das
Vaterland  und  den,  der es  allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der  Rache selbst vermag ihn nicht  zu
tilgen.  Lebt, ihr Armen, die Zeit  noch hin, die keine Zeit mehr  ist. Heut
steht die Welt  auf einmal  still; es  stockt ihr  Kreislauf, und  mein Puls
schlägt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!
     Brackenburg. O  lebe du  mit  uns, wie wir für dich allein! Du tötest
uns in dir, o leb  und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn,  und  immer  achtsam  soll die Liebe den schönsten  Trost  in  ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein.
     Klärchen.  Leise, Brackenburg!  Du fühlst nicht,  was  du rührst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
     Brackenburg. Teile  mit  den Lebendigen die  Hoffnung! Verweil am Rande
des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zurück.
     Klärchen. Ich hab überwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.
     Brackenburg.  Du bist betäubt; gehüllt in Nacht suchst du  die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -
     Klärchen. Weh! über dich Weh! Weh! Grausam zerreißest du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja,  er wird grauen, der Tag! vergebens alle  Nebel um sich
ziehn  und  wider Willen  grauen! Furchtsam schaut  der Bürger  aus  seinem
Fenster, die Nacht  läßt einen schwarzen Flecken  zurück;  er schaut, und
fürchterlich  wächst im  Lichte  das  Mordgerüst. Neu  leidend wendet das
entweihte Gottesbild  sein flehend  Auge zum Vater  auf. Die Sonne wagt sich
nicht  hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.
Träge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine  Stunde nach der andern schlägt.
Halt! Halt! Nun ist  es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das  Grab.
(Sie tritt ans Fenster, als sähe sie sich um, und trinkt heimlich.)
     Brackenburg. Kläre! Kläre!
     Klärchen (geht nach  dem Tisch und trinkt das  Wasser).  Hier ist  der
Rest! Ich locke dich nicht nach.  Tu, was du darfst, leb wohl. Lösche diese
Lampe still und ohne  Zaudern, ich geh zur  Ruhe. Schleiche dich sachte weg,
ziehe die  Tür nach  dir  zu. Still! Wecke  meine Mutter  nicht! Geh, rette
dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mörder scheinen willst. (Ab.)
     Brackenburg. Sie läßt mich  zum letztenmale wie immer. O könnte eine
Menschenseele fühlen, wie sie ein liebend Herz  zerreißen kann. Sie läßt
mich  stehn, mir  selber  überlassen;  und  Tod und  Leben  ist mir  gleich
verhaßt.  -  Allein  zu  sterben!  - Weint,  ihr  Liebenden!  Kein  härter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich
weg! von ihrer Seite weg! sie  zieht  mich nach und stößt  ins  Leben mich
zurück. O  Egmont,  welch preiswürdig Los fällt dir! Sie geht  voran; der
Kranz  des Siegs aus ihrer Hand  ist dein, sie bringt den ganzen  Himmel dir
entgegen!   -   Und   soll   ich   folgen?  wieder  seitwärts  stehn?   den
unauslöschlichen  Neid  in jene  Wohnungen hinübertragen?  - Auf Erden ist
kein Bleiben mehr  für mich, und Höll  und Himmel bieten gleiche Qual. Wie
wäre der Vernichtung Schreckenshand dem Unglückseligen will kommen!
     (Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverändert. Eine
Musik,  Klärchens Tod bezeichnend, beginnt;  die Lampe,  welche Brackenburg
auszulöschen  vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald
verwandelt sich der Schauplatz in das
     Gefängnis
     Egmont  liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlüsseln, und  die Tür  tut sich  auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen  folgt Ferdinand, Albas  Sohn, und  Silva,  begleitet von Gewaffneten.
Egmont fährt aus dem Schlaf auf.)
     Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schüttelt. Was  künden  eure  trotzigen,  unsichern  Blicke mir  an? Warum
diesen fürchterlichen Aufzug?  Welchen Schreckenstraum kommt ihr  der  halb
erwachten Seele vorzulügen?
     Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukündigen.
     Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
     Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
     Egmont. So  ziemt es euch und  euerm  schändlichen  Beginnen! In Nacht
gebrütet   und  in  Nacht  vollführt.  So   mag   diese  freche   Tat  der
Ungerechtigkeit  sich verbergen!  - Tritt kühn  hervor, der du  das Schwert
verhüllt unter dem  Mantel trägst; hier ist mein Haupt,  das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
     Silva.  Du irrst! Was gerechte Richter beschließen,  werden  sie  vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
     Egmont. So übersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
     Silva  (nimmt  einem Dabeistehenden  das  Urteil  ab,  entfaltet's  und
liest's).  »Im Namen des Königs, und kraft besonderer von Seiner Majestät
uns  übertragenen  Gewalt, alle seine  Untertanen, wes  Standes  sie seien,
zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wir« -
     Egmont. Kann die der König übertragen?
     Silva.   »Erkennen  wir,   nach  vorgängiger  genauer,   gesetzlicher
Untersuchung,  dich   Heinrich  Grafen   Egmont,  Prinzen  von   Gaure,  des
Hochverrats  schuldig und sprechen das  Urteil:  daß du  mit der Frühe des
einbrechenden  Morgens aus dem Kerker  auf den Markt geführt und dort, vorm
Angesicht des Volks,  zur Warnung aller Verräter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest.  Gegeben Brüssel im« (Datum und Jahrzahl
werden undeutlich gelesen, so, daß sie der Zuhörer nicht versteht.)
     »Ferdinand, Herzog von Alba,
     Vorsitzer des Gerichts der Zwölfe.«
     Du weißt nun  dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
     (Silva mit dem Gefolge geht ab. Es  bleibt Ferdinand und  zwei Fackeln;
das Theater ist mäßig erleuchtet.)
     Egmont (hat  eine Weile in  sich versenkt  stille gestanden und  Silva,
ohne sich umzusehn,  abgehen lassen.  Er glaubt sich  allein, und da  er die
Augen aufhebt,  erblickt er Albas Sohn).  Du stehst  und bleibst? Willst  du
mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart  vermehren? Willst
du  noch  etwa  die  willkommne Botschaft  deinem Vater  bringen,  daß  ich
unmännlich verzweifle? Geh! Sag  ihm! Sag ihm,  daß er weder mich noch die
Welt belügt. Ihm, dem Ruhmsüchtigen, wird man es erst hinter den Schultern
leise  lispeln, dann  laut  und lauter  sagen, und wenn er einst  von diesem
Gipfel herabsteigt, werden  tausend Stimmen es ihm  entgegenrufen! Nicht das
Wohl des Staats, nicht die Würde des  Königs, nicht die Ruhe der Provinzen
haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daß
der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit
man  seiner bedürfe. Und  ich  falle,  ein  Opfer seines  niedrigen Hasses,
seines kleinlichen  Neides.  Ja, ich weiß  es,  und ich darf es  sagen; der
Sterbende, der tödlich Verwundete  kann es sagen: mich hat der Eingebildete
beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht.
     Schon damals, als wir noch jünger mit Würfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer  nach dem  andern, von seiner  Seite zu mir herübereilten, da
stand  er  grimmig,  log  Gelassenheit,  und  innerlich  verzehrte  ihn  die
Ärgernis, mehr  über  mein Glück als über seinen  Verlust. Noch erinnere
ich  mich  des  funkelnden  Blicks, der verräterischen Blässe, als  wir an
einem öffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen.
Er  forderte  mich  auf,  und  beide  Nationen  standen;  die  Spanier,  die
Niederländer wetteten und wünschten. Ich überwand ihn; seine Kugel irrte,
die meine traf; ein lauter  Freudenschrei  der Meinigen durchbrach die Luft.
Nun  trifft  mich  sein  Geschoß. Sag  ihm, daß ich's  weiß, daß ich ihn
kenne,  daß die  Welt jede Siegszeichen  verachtet,  die ein kleiner  Geist
erschleichend  sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne möglich  ist,  von
der Sitte des Vaters  zu  weichen,  übe beizeiten die Scham, indem  du dich
für den schämst, den du gerne von ganzem Herzen verehren möchtest.
     Ferdinand.  Ich  höre  dich  an,  ohne  dich  zu  unterbrechen!  Deine
Vorwürfe   lasten  wie  Keulschläge  auf  einem  Helm;   ich  fühle   die
Erschütterung, aber ich bin  bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich
nicht;  fühlbar  ist mir allein der Schmerz, der mir  den  Busen zerreißt.
Wehe mir! Wehe!  Zu  einem solchen Anblick bin ich  aufgewachsen,  zu  einem
solchen Schauspiele bin ich gesendet!
     Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rührt,  was bekümmert dich? Ist
es eine späte  Reue,  daß du der schändlichen Verschwörung deinen Dienst
geliehen?  Du bist  so jung und  hast ein glückliches Ansehn. Du  warst  so
zutraulich, so  freundlich gegen  mich.  Solang  ich dich  sah, war ich  mit
deinem Vater versöhnt. Und ebenso verstellt, verstellter als  er, lockst du
mich in  das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer  ihm traut,  mag er  es auf
seine Gefahr tun;  aber  wer fürchtete Gefahr, dir zu vertrauen?  Geh! Geh!
Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, daß ich mich sammle, die Welt
und dich zuerst vergesse! -
     Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fühle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir
versichern, daß ich  erst spät,  erst  ganz  zuletzt des  Vaters Absichten
erfuhr,  daß ich  als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's,  welche Meinung du  von mir  haben magst? Du  bist
verloren;  und ich Unglücklicher  stehe nur da,  um dir's zu versichern, um
dich zu bejammern.
     Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir  auf  dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten,  meines  fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mördern? Sage, rede!
Für wen soll ich dich halten?
     Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne  dich  in diesem Befehle. Du
kanntest  mein  Herz,  meine Gesinnung,  die du  so  oft  als Erbteil  einer
zärtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich  zu  bilden,  sandtest du mich
hierher.  Diesen Mann  am Rande  des gähnenden Grabes, in der  Gewalt eines
willkürlichen  Todes  zu  sehen, zwingst  du mich,  daß  ich  den tiefsten
Schmerz  empfinde,  daß   ich  taub   gegen   alles   Schicksal,  daß  ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
     Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann.
     Ferdinand. O daß ich ein  Weib wäre! daß man mir sagen  könnte: was
rührt dich? was  ficht dich an? Sage  mir ein größeres, ein  ungeheureres
Ãœbel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir  danken,
ich will sagen: es war nichts.
     Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du?
     Ferdinand. Laß diese Leidenschaft rasen, laß mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen,  wenn  alles in  mir zusammenbricht. Dich
soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich!  Du verstehst mich  nicht!
Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
     Egmont. Löse mir das Geheimnis.
     Ferdinand. Kein Geheimnis.
     Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
     Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir  nicht fremd. Dein Name war's,  der
mir   in   meiner   ersten   Jugend   gleich   einem   Stern   des   Himmels
entgegenleuchtete. Wie  oft  hab ich nach dir gehorcht,  gefragt! Des Kindes
Hoffnung ist der Jüngling, des Jünglings der Mann. So bist du vor mir  her
geschritten; immer vor,  und  ohne  Neid  sah ich dich vor, und  schritt dir
nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich,
und  mein Herz flog dir  entgegen. Dich hatt'  ich mir bestimmt, und wählte
dich aufs neue, da ich dich sah. Nun  hofft' ich erst,  mit dir zu sein, mit
dir zu leben, dich zu fassen, dich -  Das ist nun alles  weggeschnitten, und
ich sehe dich hier!
     Egmont.  Mein  Freund,  wenn   es   dir  wohltun  kann,  so  nimm   die
Versicherung,  daß im ersten  Augenblick mein  Gemüt dir  entgegenkam. Und
höre mich. Laß uns ein  ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist
es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu töten?
     Ferdinand. Er ist's.
     Egmont.  Dieses  Urteil  wäre  nicht  ein leeres Schreckbild  mich  zu
ängstigen,  durch Furcht  und Drohung zu strafen:  mich zu  erniedrigen und
dann mit königlicher Gnade mich wieder aufzuheben?
     Ferdinand. Nein, ach  leider nein! Anfangs schmeichelte ich  mir selbst
mit  dieser  ausweichenden  Hoffnung;  und  schon da  empfand ich  Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es  wirklich, ist gewiß.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer  gibt mir eine Hülfe, wer einen  Rat, dem
Unvermeidlichen zu entgehen?
     Egmont. So höre  mich. Wenn deine Seele  so  gewaltsam dringt, mich zu
retten,  wenn du die Übermacht verabscheust,  die mich  gefesselt hält, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und
selbst  gewaltig  - Laß uns entfliehen!  Ich  kenne  die  Wege; die  Mittel
können  dir nicht  unbekannt sein. Nur  diese  Mauern,  nur  wenige  Meilen
entfernen mich von meinen Freunden. Löse  diese Bande, bringe mich zu ihnen
und sei unser. Gewiß, der  König dankt dir  dereinst meine Rettung.  Jetzt
ist er überrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt;
und  die Majestät  muß das Geschehene billigen,  wenn sie  sich auch davor
entsetzet. Du denkst?  O denke  mir den Weg der  Freiheit  aus! Sprich,  und
nähre die Hoffnung der lebendigen Seele.
     Ferdinand. Schweig!  o  schweige! Du vermehrst mit  jedem  Worte  meine
Verzweiflung. Hier  ist  kein Ausweg,  kein Rat, keine Flucht. - Das  quält
mich, das greift und faßt mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das
Netz  zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weiß,  wie
jeder Kühnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fühle mich  mit dir
und mit allen andern  gefesselt.  Würde ich klagen, hätte ich  nicht alles
versucht? Zu  seinen  Füßen  habe ich  gelegen, geredet  und  gebeten.  Er
schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt,
in diesem Augenblicke zu zerstören.
     Egmont. Und keine Rettung?
     Ferdinand. Keine!
     Egmont  (mit  dem Fuße stampfend).  Keine Rettung! - - Süßes  Leben!
schöne freundliche Gewohnheit  des  Daseins  und Wirkens! von dir  soll ich
scheiden! So gelassen  scheiden!  Nicht im  Tumulte der Schlacht,  unter dem
Geräusch der  Waffen,  in der Zerstreuung  des Getümmels  gibst du mir ein
flüchtiges Lebewohl; du nimmst  keinen eiligen Abschied, verkürzest  nicht
den  Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in
die Augen sehn, deine Schöne,  deinen Wert recht lebhaft  fühlen und  dann
mich entschlossen losreißen und sagen: Fahre hin!
     Ferdinand Und ich soll daneben  stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern können!  O  welche Stimme reichte zur Klage!  Welches  Herz flösse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer?
     Egmont. Fasse dich!
     Ferdinand. Du  kannst  dich  fassen,  du kannst entsagen,  den schweren
Schritt an der  Hand der Notwendigkeit heldenmäßig gehn. Was kann ich? Was
soll ich? Du überwindest dich selbst und uns; du überstehst; ich überlebe
dich  und mich selbst. Bei der  Freude des  Mahls  hab  ich  mein  Licht, im
Getümmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren, trüb scheint
mir die Zukunft.
     Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der für  mich die Todesschmerzen empfindet, für mich
leidet,  sieh mich in  diesen Augenblicken an;  du verlierst mich nicht. War
dir mein  Leben ein Spiegel,  in welchem du dich gerne betrachtetest: so sei
es auch mein Tod. Die Menschen  sind nicht nur zusammen, wenn  sie beisammen
sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe
mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab ich mich gefreut;  an jedem Tage mit
rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein  Gewissen mir  sie zeigte. Nun
endigt sich das Leben, wie es sich früher, früher, schon auf dem Sande von
Gravelingen hätte  endigen können.  Ich höre auf zu leben; aber ich  habe
gelebt. So leb auch du,  mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den  Tod
nicht.
     Ferdinand. Du hättest dich für uns erhalten können, erhalten sollen.
Du hast dich selber getötet. Oft hört' ich, wenn  kluge Männer über dich
sprachen, feindselige, wohlwollende,  sie  stritten lang über deinen  Wert;
doch  endlich  vereinigten sie  sich,  keiner  wagt'  es  zu  leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefährlichen Weg. Wie oft wünscht' ich, dich
warnen zu können! Hattest du denn keine Freunde?
     Egmont. Ich war gewarnt.
     Ferdinand. Und wie ich punktweise alle  diese Beschuldigungen wieder in
der  Anklage fand, und  deine Antworten! Gut genug, dich  zu  entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien -
     Egmont. Dies sei beiseite gelegt.  Es  glaubt der Mensch sein Leben  zu
leiten, sich selbst zu führen; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach
seinem  Schicksale  gezogen. Laß uns darüber nicht sinnen; dieser Gedanken
entschlag ich mich leicht - schwerer der Sorge  für dieses  Land! doch auch
dafür  wird gesorgt sein. Kann mein Blut für  viele fließen, meinem Volke
Friede bringen, so fließt es willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es
ziemt  dem Menschen, nicht mehr  zu grübeln, wo er  nicht mehr wirken soll.
Kannst  du die  verderbende Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's.
Wer wird das können? - Leb wohl!
     Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
     Egmont. Laß meine Leute dir aufs  beste empfohlen sein!  Ich habe gute
Menschen zu Dienern; daß  sie  nicht zerstreut,  nicht unglücklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
     Ferdinand.  Er ist  dir vorangegangen. Sie  haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
     Egmont.  Arme  Seele!  -  Noch eins,  und dann leb wohl, ich kann nicht
mehr. Was auch den Geist  gewaltsam beschäftigt, fordert die Natur  zuletzt
doch  unwiderstehlich  ihre Rechte;  und  wie  ein  Kind,  umwunden von  der
Schlange, des erquickenden Schlafs genießt,  so  legt der  Müde sich  noch
einmal vor der Pforte des Todes nieder  und  ruht tief aus,  als ob er einen
weiten Weg zu wandern hätte. - Noch eins - Ich kenne ein Mädchen; du wirst
sie nicht verachten, weil sie  mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb ich
ruhig. Du bist ein edler Mann;  ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
     Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
     Egmont. Derselbe.
     Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
     Egmont. Er weiß  ihre Wohnung; laß dich von ihm führen  und lohn ihm
bis an sein Ende, daß er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
     Ferdinand. Ich gehe nicht.
     Egmont (ihn nach der Tür drängend). Leb wohl!
     Ferdinand. O laß mich noch!
     Egmont. Freund, keinen Abschied.
     (Er begleitet Ferdinanden bis an die  Tür und reißt sich dort von ihm
los. Ferdinand, betäubt, entfernt sich eilend.)
     Egmont  (allein). Feindseliger  Mann!  Du  glaubtest  nicht, mir  diese
Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los  und
der  Schmerzen,  der  Furcht  und  jedes  ängstlichen  Gefühls.  Sanft und
dringend fordert  die  Natur  ihren  letzten  Zoll. Es  ist  vorbei,  es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiß auf meinem Lager wachend
hielt, das schläfert nun mit unbezwinglicher Gewißheit meine Sinnen ein.
     (Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
     Süßer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glück ungebeten, unerfleht am
willigsten.  Du lösest die Knoten der  strengen Gedanken, vermischest  alle
Bilder der Freude und des  Schmerzes;  ungehindert fließt der Kreis innerer
Harmonien, und eingehüllt in gefälligen Wahnsinn, versinken wir und hören
auf zu sein.
     (Er entschläft;  die Musik  begleitet  seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu eröffnen, eine glänzende Erscheinung zeigt
sich.  Die Freiheit in himmlischem  Gewande, von  einer Klarheit  umflossen,
ruht auf einer Wolke. Sie hat  die Züge von Klärchen und neigt sich  gegen
den  schlafenden Helden. Sie drückt  eine  bedauernde  Empfindung aus,  sie
scheint ihn zu beklagen. Bald faßt sie sich, und mit aufmunternder Gebärde
zeigt sie ihm das Bündel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heißt ihn
froh sein, und indem  sie ihm  andeutet, daß  sein  Tod den  Provinzen  die
Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und  reicht ihm einen
Lorbeerkranz, Wie  sie sich  mit  dem Kranze dem Haupte  nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie  einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, daß er mit
dem Gesicht  aufwärts gegen sie  liegt. Sie  hält den  Kranz über  seinem
Haupte  schwebend:  man hört ganz von  weitem eine  kriegerische Musik  von
Trommeln und  Pfeifen: bei dem  leisesten  Laut derselben  verschwindet  die
Erscheinung. Der Schall wird  stärker. Egmont erwacht; das Gefängnis  wird
vom Morgen mäßig erhellt.  Seine erste  Bewegung ist,  nach dem Haupte  zu
greifen: er steht  auf und  sieht sich  um, indem er die Hand auf dem Haupte
behält.)
     Verschwunden ist  der Kranz! Du schönes Bild, das Licht  des Tages hat
dich verscheuchet!  Ja sie waren's, sie waren vereint, die beiden süßesten
Freuden meines Herzens. Die göttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte
sie  die  Gestalt; das  reizende  Mädchen  kleidete sich  in  der  Freundin
himmlisches  Gewand. In einem ernsten  Augenblick erscheinen sie  vereinigt,
ernster  als lieblich.  Mit blutbefleckten Sohlen  trat sie vor mir auf, die
wehenden  Falten  des Saumes mit Blut befleckt. Es war mein  Blut und vieler
Edeln  Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch!  Braves
Volk! Die Siegesgöttin führt dich an!  Und wie das Meer durch  eure Dämme
bricht, so brecht,  so reißt den Wall  der  Tyrannei  zusammen und schwemmt
ersäufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaßt, weg!
     (Trommeln näher.)
     Horch!  Horch! Wie oft rief mich  dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits  und des  Siegs! Wie munter  traten die Gefährten auf
der  gefährlichen, rühmlichen  Bahn! Auch ich schreite  einem  ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe für die  Freiheit, für die ich
lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfre.
     (Der  Hintergrund wird  mit einer Reihe  spanischer  Soldaten  besetzt,
welche Hellebarden tragen.)
     Ja, führt sie  nur zusammen! Schließt eure Reihen, ihr schreckt  mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn und, rings umgeben
von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu fühlen.
     (Trommeln.)
     Dich schließt der Feind  von  allen Seiten ein! Es blinken  Schwerter;
Freunde, höhern Mut! Im Rücken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
     (Auf die Wache zeigend.)
     Und  diese treibt  ein  hohles  Wort des Herrschers, nicht ihr  Gemüt.
Schützt eure Güter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig,  wie ich
euch ein Beispiel gebe.
     (Trommeln.  Wie  er auf  die Wache los- und auf  die Hintertür zugeht,
fällt  der   Vorhang:  die   Musik  fällt  ein  und  schließt  mit  einer
Siegessymphonie das Stück.)

Last-modified: Fri, 24 Jan 2003 11:57:01 GMT
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