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     OCR, Spellcheck: Il'ya Frank,
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     Ein  vierundzwanzigjahriger,  fett, damit  das  Schreckliche hinter den
Kulissen, welches er sah (das war seine  Fahigkeit, vielleicht die einzige),
nicht allzu  nah an ihn  herankomme,  der  es liebte,  die Locher in  seinem
Fleisch,  da doch gerade durch sie das Ungeheuerliche  hereinstromen konnte,
zu verstopfen, derart, dass er Zigarren rauchte (Ormond  Brasil 10) und uber
seiner  Brille  eine  zweite  trug,  eine Sonnenbrille,  und  in  den  Ohren
Wattebuschel: Dieser junge  Mann,  noch von  seinen Eltern  abhangig und mit
nebulosen  Studien  auf   einer  Universitat   beschaftigt,  die  in   einer
zweistundigen  Bahnfahrt zu erreichen war, stieg eines Sonntagnachmittags in
den     gewohnten     Zug.     Abfahrt      siebzehnuhrfunfzig,      Ankunft
neunzehnuhrsiebenundzwanzig, um  anderentags ein Seminar zu besuchen, das zu
schwanzen er schon entschlossen war.  Die Sonne schien an  einem wolkenlosen
Himmel, da er  seinen Heimatort  verlie?. Es  war Sommer. Der Zug hatte sich
bei diesem angenehmen Wetter zwischen den Alpen und  dem Jura fortzubewegen,
an  reichen  Dorfern  und  kleinen  Stadten  vorbei, spater  an  einem Fluss
entlang, und tauchte  denn auch nach noch nicht ganz zwanzig  Minuten Fahrt,
gerade nach Burgdorf in einen  kleinen Tunnel. Der  Zug  war uberfullt.  Der
Vierundzwanzigjahrige  war  vorne eingestiegen und  hatte  sich muhsam  nach
hinten durchgearbeitet, schwitzend und  einen  leicht vertrottelten Eindruck
erweckend. Die Reisenden  sa?en  dicht gedrangt, viele auf Koffern, auch die
Coupes der  zweiten  Klasse  waren  besetzt,  nur  die erste Klasse  schwach
belegt. Wie sich  der  junge  Mann endlich durch den Wirrwarr  der Familien,
Rekruten, Studenten und Liebespaare  gekampft  hatte, bald,  vom Zug hin und
her geschleudert, gegen  diesen fallend und  bald  gegen jenen, gegen Bauche
und  Bruste torkelnd, fand er im hintersten Wagen Platz, so viel sogar, dass
er  in diesem Abteil der  dritten Klasse - in der es sonst Wagen mit  Coupes
selten gibt -  eine ganze Bank fur sich allein hatte: Im geschlossenen Raume
sa?  ihm gegenuber einer,  noch dicker  als er, der mit sich  selbst  Schach
spielte, und  in der Ecke  der gleichen Bank, gegen  den  Korridor  zu,  ein
rothaariges Madchen,  das einen Roman  las. So  sa?  er schon am Fenster und
hatte eben eine  Ormond Brasil 10 in Brand gesteckt, als der Tunnel kam, der
ihm langer  als sonst zu dauern schien. Er war diese  Strecke schon manchmal
gefahren,  fast  jeden Samstag  und Sonntag seit einem  Jahr, und  hatte den
Tunnel eigentlich gar nie  beachtet, sondern immer nur geahnt. Zwar hatte er
ihm  einige  Male die volle Aufmerksamkeit  schenken wollen, doch  hatte er,
wenn  er  kam,  jedesmal  an  etwas  anderes gedacht,  so  dass er das kurze
Eintauchen in die Finsternis nicht bemerkte, denn der Tunnel war eben gerade
vorbei, wenn  er,  entschlossen, ihn  zu  beachten,  aufschaute, so  schnell
durchfuhr  ihn der Zug und so  kurz war der kleine  Tunnel. So hatte er denn
auch jetzt die Sonnenbrille nicht abgenommen, als sie einfuhren, da er nicht
an den Tunnel dachte. Die Sonne hatte eben noch mit voller Kraft geschienen,
und die Landschaft, durch  die sie fuhren, die Hugel und Walder, die fernere
Kette des Juras und die Hauser  des Stadtchens, war wie von Gold gewesen, so
sehr hatte  alles  im  Abendlicht  geleuchtet,  so sehr,  dass  ihm  die nun
schlagartig einsetzende Dunkelheit des Tunnels bewusst wurde, der Grund wohl
auch, warum ihm die Durchfahrt  langer erschien,  als er sie sich dachte. Es
war  vollig finster im  Abteil, da der Kurze  des Tunnels  wegen die Lichter
nicht in  Funktion gesetzt waren, denn jede Sekunde musste sich  ja  in  der
Scheibe der  erste,  fahle  Schimmer  des  Tages  zeigen, sich  blitzschnell
ausweiten und  mit  voller,  goldener Helle gewaltig  hereinbrechen; als  es
jedoch  immer  noch  dunkel blieb, nahm er die Sonnenbrille ab.  Das Madchen
zundete  sich  in diesem  Augenblick eine Zigarette  an, offenbar argerlich,
dass es im  Roman nicht weiterlesen konnte,  wie er im  rotlichen Aufflammen
des Streichholzes zu  bemerken glaubte; seine Armbanduhr mit dem leuchtenden
Zifferblatt zeigte  zehn nach sechs. Er lehnte sich in die Ecke zwischen der
Coupewand  und der  Scheibe und  beschaftigte  sich mit  seinen  verworrenen
Studien, die  ihm niemand recht  glaubte, mit dem Seminar,  in das er morgen
musste  und in das er  nicht  gehen  wurde  (alles,  was er tat, war nur ein
Vorwand, hinter  der  Fassade seines  Tuns Ordnung  zu  erlangen,  nicht die
Ordnung  selber, nur die Ahnung einer Ordnung, angesichts des Schrecklichen,
gegen  das  er  sich mit  Fett polsterte,  Zigarren  in  den  Mund  steckte,
Wattebuschel in die  Ohren), und  wie er wieder auf das Zifferblatt schaute,
war es Viertel nach sechs und immer noch der Tunnel. Das verwirrte ihn. Zwar
leuchteten nun die Gluhbirnen auf, es wurde hell im Coupe, das rote  Madchen
konnte in  seinem Roman weiterlesen, und  der dicke  Herr spielte wieder mit
sich selber Schach, doch drau?en, jenseits der Scheibe, in der sich  nun das
ganze Abteil spiegelte, war immer  noch der Tunnel. Er trat in den Korridor,
in welchem ein hochgewachsener Mann in  einem hellen  Regenmantel auf und ab
ging, ein  schwarzes  Halstuch umgeschlagen. Wozu  auch bei  diesem  Wetter,
dachte er und schaute in die anderen Coupes  dieses  Wagens,  wo man Zeitung
las und miteinander schwatzte. Er trat  wieder  zu  seiner  Ecke  und setzte
sich, der Tunnel musste nun jeden Augenblick aufhoren, jede Sekunde; auf der
Armbanduhr war  es nun  beinahe zwanzig  nach;  er argerte sich, den  Tunnel
vorher  so  wenig  beachtet  zu  haben,  dauerte  er  doch  nun  schon  eine
Viertelstunde und musste, wenn  die Geschwindigkeit eingerechnet  wurde, mit
welcher der Zug fuhr, ein bedeutender Tunnel sein, einer der langsten Tunnel
in  der Schweiz.  Es  war daher wahrscheinlich,  dass er einen  falschen Zug
genommen hatte, wenn ihm im Augenblick auch nicht erinnerlich war, dass sich
zwanzig  Minuten  Bahnfahrt  von  seinem  Heimatort  aus  ein so  langer und
bedeutender Tunnel  befand. Er fragte deshalb  den dicken Schachspieler,  ob
der Zug nach Zurich fahre, was der bestatigte. Er wusste gar nicht,  dass an
dieser Stelle der  Strecke ein so langer Tunnel  sei, sagte der junge  Mann,
doch  der Schachspieler  antwortete, etwas argerlich, da er  in  irgendeiner
schwierigen  Uberlegung  zum zweitenmal unterbrochen wurde, in  der  Schweiz
gebe  es  eben  viele  Tunnel,  au?erordentlich  viele,  er  reise  zwar zum
erstenmal in diesem Lande, doch falle dies sofort auf, auch habe er in einem
statistischen  Jahrbuch  gelesen, dass  kein Land  so viele Tunnel  wie  die
Schweiz  besitze.  Er musse sich nun  entschuldigen,  wirklich,  es  tue ihm
schrecklich  Leid,   da   er   sich   mit   einem   wichtigen   Problem  der
Nimzowitsch-Verteidigung beschaftige und  nicht mehr abgelenkt werden durfe.
Der Schachspieler hatte hoflich, aber  bestimmt  geantwortet;  dass von  ihm
keine  Antwort zu erwarten war, sah der junge Mann ein. Er war froh, als nun
der  Schaffner  kam. Er war uberzeugt, dass  seine Fahrkarte  zuruckgewiesen
werden wurde; auch als der Schaffner, ein blasser, magerer Mann, nervos, wie
es den Eindruck machte, dem  Madchen gegenuber, dem er  zuerst die Fahrkarte
abnahm, bemerkte, es musse in Olten umsteigen, gab der Vierundzwanzigjahrige
noch nicht alle  Hoffnung auf, so sehr war er uberzeugt, in den falschen Zug
gestiegen zu sein.  Er werde wohl  nachzahlen mussen, er sollte nach Zurich,
sagte er  denn, ohne  die Ormond  Brasil  10  aus  dem Munde zu nehmen,  und
reichte  dem  Schaffner  das  Billett  hin. Der  Herr  sei im  rechten  Zug,
antwortete der, wie  er die  Fahrkarte  gepruft hatte. "Aber wir fahren doch
durch einen Tunnel!" rief der junge Mann argerlich und recht  energisch aus,
entschlossen,  nun  die verwirrende Situation  aufzuklaren. Man sei eben  an
Herzogenbuchsee  vorbeigefahren  und  nahere  sich  Langenthal,   sagte  der
Schaffner. "Es stimmt, mein Herr, es ist jetzt zwanzig nach sechs." Aber man
fahre  seit zwanzig Minuten durch einen Tunnel, beharrte  der junge Mann auf
seiner Feststellung. Der  Schaffner sah ihn  verstandnislos an. "Es  ist der
Zug nach Zurich", sagte er und  schaute  nun auch nach dem Fenster. "Zwanzig
nach  sechs", sagte er wieder,  jetzt etwas beunruhigt, wie es schien, "bald
kommt Olten, Ankunft achtzehnuhrsiebenunddrei?ig. Es  wird schlechtes Wetter
gekommen  sein, ganz plotzlich, daher die Nacht,  vielleicht ein  Sturm, ja,
das wird  es sein."  - "Unsinn", mischte  sich  nun  der Mann, der sich  mit
seinem Problem  der  Nimzowitsch-  Verteidigung beschaftigte,  ins Gesprach,
argerlich,  weil er  immer noch  sein Billett hinhielt,  ohne vom  Schaffner
beachtet  zu  werden, "Unsinn, wir  fahren  durch  einen  Tunnel.  Man  kann
deutlich den Fels  sehen, Granit wie es scheint. In  der  Schweiz gibt es am
meisten  Tunnel der ganzen Welt. Ich habe es in einem statistischen Jahrbuch
gelesen." Der  Schaffner, indem er endlich  die Fahrkarte des Schachspielers
entgegennahm, versicherte  aufs neue,  fast flehentlich,  der Zug fahre nach
Zurich,  worauf  der Vierundzwanzigjahrige  den Zugfuhrer verlangte. Der sei
vorne im Zug,  sagte der  Schaffner, im  ubrigen fahre der Zug  nach Zurich,
jetzt sei es sechsuhrfunfundzwanzig, und in zwolf Minuten werde er  nach dem
Sommerfahrplan in Olten anhalten,  er fahre jede  Woche  diesen Zug dreimal.
Der junge Mann machte sich auf den Weg. Das Gehen fiel ihm  noch schwerer im
uberfullten  Zug als  vor  kurzem,  wie  er  die gleiche  Strecke  umgekehrt
gegangen  war; der Zug musste uberaus schnell fahren;  auch war  das Getose,
das er dabei verursachte, entsetzlich; so steckte er sich seine Wattebuschel
denn wieder  in die Ohren, nachdem  er sie beim  Betreten des Zuges entfernt
hatte. Die Menschen, an denen er vorbeikam, verhielten sich ruhig, in nichts
unterschied   sich   der   Zug   von   anderen   Zugen,   die   er  an   den
Sonntagnachmittagen gefahren war, und  niemand fiel ihm auf, der  beunruhigt
gewesen ware.  In einem Wagen mit Zweitklass-Abteilen stand ein Englander am
Fenster  des  Korridors  und tippte freudestrahlend mit  der Pfeife, die  er
rauchte, an die Scheibe. "Simplon", sagte  er. Auch im Speisewagen war alles
wie  sonst,  obwohl kein  Platz  frei war  und  der  Tunnel  doch einem  der
Reisenden oder der Bedienung, die Wiener Schnitzel und Reis servierte, hatte
auffallen konnen. Den  Zugfuhrer, den er an der roten Tasche  erkannte, fand
der  junge Mann  am Ausgang  des  Speisewagens.  "Sie  wunschen?" fragte der
Zugfuhrer, der ein gro?gewachsener,  ruhiger Mann  war, mit einem sorgfaltig
gepflegten, schwarzen Schnurrbart und einer randlosen Brille.  "Wir sind  in
einem  Tunnel,  seit  funfundzwanzig  Minuten",  sagte  der junge Mann.  Der
Zugfuhrer  schaute  nicht nach  dem Fenster,  wie der  Vierundzwanzigjahrige
erwartet  hatte,  sondern  wandte  sich zum  Kellner.  "Geben  Sie  mir eine
Schachtel Ormond 10", sagte er, "ich rauche  die gleiche Sorte  wie der Herr
da"; doch konnte ihn der Kellner nicht bedienen, da  man diese Zigarre nicht
besa?, so dass  denn der junge Mann, froh, einen  Anknupfungspunkt zu haben,
dem Zugfuhrer eine Brasil anbot. "Danke", sagte er, "ich werde in Olten kaum
Zeit haben,  mir eine zu verschaffen, und so tun Sie mir denn  einen  gro?en
Gefallen.  Rauchen ist  wichtig. Darf ich Sie nun bitten, mir zu folgen?" Er
fuhrte den Vierundzwanzigjahrigen in den Packwagen, der vor  dem Speisewagen
lag. "Dann kommt noch  die Maschine", sagte der  Zugfuhrer, wie sie den Raum
betraten, "wir  befinden uns an der Spitze  des Zuges." Im Packraum  brannte
ein  schwaches, gelbes  Licht, der gro?te Teil des Wagens lag im Ungewissen,
die Seitenturen waren verschlossen,  und  nur durch ein kleines vergittertes
Fenster drang  die Finsternis des Tunnels.  Koffer standen  herum, viele mit
Hotelzetteln beklebt, einige Fahrrader  und  ein  Kinderwagen. Der Zugfuhrer
hing  seine  rote Tasche an  einen Haken. "Was wunschen Sie?" fragte er aufs
neue, schaute jedoch den jungen Mann nicht an, sondern begann in einem Heft,
das  er der  Tasche entnommen hatte, Tabellen auszufullen. "Wir befinden uns
seit   Burgdorf  in  einem  Tunnel",  antwortete  der  Vierundzwanzigjahrige
entschlossen, "einen so gewaltigen Tunnel  gibt es auf dieser Strecke nicht,
ich  fahre  sie jede  Woche  hin und zuruck,  ich kenne  die  Strecke."  Der
Zugfuhrer schrieb weiter. "Mein Herr", sagte er endlich  und trat nah an den
jungen Mann heran, so nah, dass sich die beiden Leiber fast beruhrten, "mein
Herr, ich habe Ihnen wenig zu  sagen. Wie wir in diesen Tunnel geraten sind,
wei?  ich nicht,  ich  habe  dafur  keine Erklarung. Doch bitte ich  Sie  zu
bedenken:  Wir bewegen  uns  auf  Schienen,  der  Tunnel  muss also irgendwo
hinfuhren. Nichts beweist, dass am Tunnel etwas nicht in Ordnung  ist, au?er
naturlich, dass er nicht aufhort." Der  Zugfuhrer, die  Ormond  Brasil immer
noch, ohne zu rauchen, zwischen den Lippen, hatte  uberaus leise gesprochen,
jedoch mit so gro?er Wurde  und so deutlich  und bestimmt, dass seine  Worte
vernehmbar waren,  obgleich  im  Packwagen  das  Tosen des  Zuges um  vieles
starker war  als  im Speisewagen. "Dann bitte ich Sie, den  Zug anzuhalten",
sagte der  junge Mann ungeduldig, "ich  verstehe kein Wort von  dem, was Sie
sagen.  Wenn etwas nicht stimmt mit  diesem Tunnel, dessen Vorhandensein Sie
selbst nicht  erklaren konnen,  haben Sie  den Zug  anzuhalten."  -"Den  Zug
anhalten?" antwortete der andere langsam,  gewi?, daran  habe  er auch schon
gedacht, worauf er  das  Heft schlo? und in die rote  Tasclfe zurucksteckte,
die an  ihrem  Haken  hin  und her schwankte,  dann steckte  er  die  Ormond
sorgfaltig in Brand. Ob er die Notbremse ziehen solle, fragte der junge Mann
und wollte nach dem Haken der  Bremse uber  seinem  Kopf  greifen,  torkelte
jedoch im selb..,}} Augenblick  nach vorne,  wo er an  die Wand prallte. Der
Kinderwagen  rollte  auf  ihn  zu,  und  Koffer  rutschten   heran;  seltsam
schwankend kam  auch  der  Zugfuhrer  mit  vorgestreckten  Handen durch  den
Packraum. "Wir  fahren  abwarts", sagte der Zugfuhrer  und lehnte sich neben
dem  Vierundzwanzigjahrigen  an  die  Vorderwand des  Wagens,  doch  kam der
erwartete Aufprall des  rasenden Zuges am  Fels  nicht, dieses Zerschmettern
und  Ineinanderschachteln der Wagen, der Tunnel schien vielmehr  wieder eben
zu verlaufen. Am  andern  Ende des Wagens offnete sich die  Ture. Im grellen
Licht  des  Speisewagens sah  man  Menschen, die  einander  zutranken,  dann
schloss  sich  die  Ture wieder.  "Kommen Sie in  die Lokomotive", sagte der
Zugfuhrer und schaute dem Vierundzwanzigjahrigen nachdenklich und,  wie - es
plotzlich schien, seltsam drohend ins Gesicht, dann schloss er die Ture auf,
neben  der sie  an  der Wand lehnten: Mit solcher Gewalt jedoch schlug ihnen
ein  sturmartiger,  hei?er  Luftstrom  entgegen, dass sie von der  Wucht des
Orkans  aufs  neue  gegen  die  Wand  taumelten; gleichzeitig  erfullte  ein
furchterliches    Getose   den   Packwagen.   "Wir   mussen   zur   Maschine
hinuberklettern", schrie der Zugfuhrer dem jungen Mann ins Ohr, auch so kaum
vernehmbar, und  verschwand dann im Rechteck der offenen Ture, durch die man
die hellerleuchteten, hin und her schwankenden Scheiben der Zugmaschine sah.
Der Vierundzwanzigjahrige folgte  entschlossen,  wenn  er  auch  en Sinn der
Kletterei  nicht  begriff. Die  Plattform, die  er betrat, besa?  auf beiden
Seiten ein  Eisengelander,  woran  er  sich  klammerte, doch war  nicht  der
ungeheure  Luftzug das  Entsetzliche, der  sich  milderte,  wie er sich  der
Maschine  zubewegte, sondern  die unmittelbare Nahe der  Tunnelwande, die er
zwar nicht sah, da  er sich ganz auf die Maschine konzentrieren  musste, die
er  jedoch  ahnte,  durchzittert vom Stampfen der  Rader und vom Pfeifen der
Luft, so dass ihm war, als rase er mit Sterngeschwindigkeit in eine Welt aus
Stein.  Der  Lokomotive  entlang  lief  ein schmales  Band  und  daruber als
Gelander eine Stange, die sich in immer gleicher Hohe uber dem Band  um  die
Maschine herumkrummte: Dies musste der Weg sein; den Sprung, den es zu wagen
galt, schatzte er auf einen Meter. So gelang es ihm denn auch, die Stange zu
fassen.  Er  schob  sich, gegen die Lokomotive gepresst,  dem  Band entlang;
furchterlich  wurde  der Weg erst, als er auf die  Langsseite  der  Maschine
gelangte, nun voll der Wucht des  brullenden Orkans ausgesetzt und drohenden
Felswanden,  die,  hell erleuchtet von der Maschine,  heranfegten.  Nur  der
Umstand, dass  ihn  der  Zugfuhrer  durch eine kleine  Ture  ins  Innere der
Maschine zog,  rettete ihn. Erschopft  lehnte sich  der junge Mann gegen den
Maschinenraum, worauf es mit einem Male still wurde, denn die Stahlwande der
riesenhaften Lokomotive  dampften, wie der  Zugfuhrer  die  Ture geschlossen
hatte, das Tosen so sehr ab, dass es kaum mehr zu vernehmen war. "Die Ormond
Brasil haben  wir auch verloren", sagte der Zugfuhrer.  "Es war nicht  klug,
vor  der Kletterei eine  anzuzunden,  aber sie zerbrechen  leicht, wenn  man
keine Schachtel mit  sich fuhrt, bei ihrer langlichen Form." Der junge  Mann
war  froh,  nach  der bedenklichen Nahe  der  Felswande auf etwas gelenkt zu
werden, was ihn  an  die Alltaglichkeit  erinnerte, in  der er sich noch vor
wenig mehr denn  einer halben Stunde befunden  hatte, an diese immergleichen
Tage und Jahre (immergleich, weil er nur auf diesen Augenblick hinlebte, der
nun erreicht war, auf diesen Augenblick des Einbruchs, auf dieses plotzliche
Nachlassen der  Erdoberflache, auf den abenteuerlichen Sturz ins Erdinnere).
Er holte eine der braunen Schachteln  aus der rechten Rocktasche und bot dem
Zugfuhrer erneut eine Zigarre an,  selber steckte  er sich  auch eine in den
Mund,  und vorsichtig nahmen sie Feuer, das der Zugfuhrer bot. "Ich  schatze
diese Ormond sehr", sagte der  Zugfuhrer, "nur muss einer gut ziehen,  sonst
gehen sie aus", Worte, die den Vierundzwanzigjahrigen  misstrauisch machten,
weil er spurte, dass der Zugfuhrer auch nicht gern an den Tunnel dachte, der
drau?en  immer  noch  dauerte (immer  noch war  die  Moglichkeit, er  konnte
plotzlich aufhoren, wie ein Traum mit einemmal aufzuhoren vermag). "Achtzehn
Uhr  vierzig",  sagte  er,  indem  er  auf  seine Uhr  mit  dem  leuchtenden
Zifferblatt schaute, "jetzt  sollten wir  doch  schon in  Olten  sein",  und
dachte dabei  an  die Hugel  und  Walder, die doch  noch  vor kurzem  waren,
golduberhauft in der sinkenden  Sonne.  So standen sie und rauchten,  an die
Wand des Maschinenraums gelehnt. "Keller ist mein Name", sagte der Zugfuhrer
und zog an seiner Brasil. Der junge Mann gab  nicht nach. "Die Kletterei auf
der Maschine war nicht ungefahrlich", bemerkte er, "wenigstens fur mich, der
ich  an dergleichen nicht  gewohnt  bin, und so mochte ich denn wissen, wozu
Sie mich  hergebracht haben." Er  wisse es nicht, antwortete Keller, er habe
sich  nur  Zeit   zum  Uberlegen  schaffen  wollen.  "Zeit  zum  Uberlegen",
wiederholte der Vierundzwanzigjahrige. "Ja", sagte  der Zugfuhrer,  "so  sei
es", rauchte dann wieder weiter. Die  Maschine  schien  sich von neuem  nach
vorne zu neigen. "Wir konnen ja in den Fuhrerraum gehen", schlug Keller vor,
blieb jedoch immer noch unschlussig an der Maschinenwand stehen, worauf  der
junge  Mann  den Korridor entlangschritt.  Wie er die  Ture  zum  Fuhrerraum
geoffnet hatte, blieb er  stehen. "Leer", sagte er  zum  Zugfuhrer,  der nun
auch herankam, "der Fuhrerstand ist leer." Sie betraten den Raum, schwankend
durch  die ungeheure Geschwindigkeit, mit der die Maschine, den Zug mit sich
rei?end,  immer  weiter  in  den  Tunnel  hineinraste.  "Bitte",  sagte  der
Zugfuhrer und  druckte  einige  Hebel  nieder, zog  auch die  Notbremse. Die
Maschine gehorchte nicht. Sie hatten alles getan, sie anzuhalten, gleich als
sie die Anderung in der Strecke bemerkt hatten, versicherte Keller, doch sei
die Maschine immer  weitergerast.  "Sie wird immer  weiterrasen", antwortete
der  Vierundzwanzigjahrige   und  wies   auf   den   Geschwindigkeitsmesser.
"Hundertfunfzig. Ist  die  Maschine  je hundertfunfzig  gefahren?"  -  "Mein
Gott",  sagte  der Zugfuhrer,  "so schnell  ist sie nie  gefahren, hochstens
hundertfunf." -  "Eben", sagte der junge Mann. "Ihre Schnelligkeit nimmt zu.
Jetzt  zeigt der Messer  hundertachtundfunfzig. Wir fallen."  Er trat an die
Scheibe, doch konnte  er sich nicht aufrechterhalten,  sondern wurde mit dem
Gesicht   an  die   Glaswand  gepresst,  so   abenteuerlich  war   nun   die
Geschwindigkeit. "Der Lokomotivfuhrer?"  schrie  er  und  starrte  nach  den
Felsmassen,  die  in das grelle  Licht der  Scheinwerfer hinaufsturzten, ihm
entgegen, die auf  ihn zurasten und uber ihm, unter ihm und zu beiden Seiten
des Fuhrerraums verschwanden. "Abgesprungen!" schrie Keller zuruck, der nun,
mit dem Rucken  gegen das  Schaltbrett gelehnt,  auf dem  Boden sa?. "Wann?"
fragte der Vierundzwanzigjahrige hartnackig. Der Zugfuhrer zogerte ein wenig
und musste sich seine Ormond aufs neue anzunden,  die Beine, da sich der Zug
immer starker neigte,  in der gleichen Hohe wie sein Kopf.  "Schon nach funf
Minuten", sagte er  dann. "Es war  sinnlos,  noch eine Rettung zu versuchen.
Der  im   Packraum  ist   auch   abgesprungen."  -  "Und  Sie?"  fragte  der
Vierundzwanzigjahrige. "Ich bin der Zugfuhrer", antwortete der andere, "auch
habe  ich  immer ohne Hoffnung gelebt." - "Ohne Hoffnung",  wiederholte  der
junge Mann, der nun geborgen auf der Glasscheibe  des Fuhrerstandes lag, das
Gesicht uber den Abgrund gepresst. Da sa?en wir noch in unseren Abteilen und
wussten nicht,  dass schon alles verloren war,  dachte er. Noch  hatte  sich
nichts verandert, wie es uns schien, doch schon hatte  uns  der Schacht nach
der Tiefe  zu  aufgenommen,  und so rasen  wir denn wie die  Rotte Korah  in
unseren  Abgrund. Er musse  nun zuruck, schrie der Zugfuhrer,  "in den Wagen
wird die Panik ausgebrochen  sein.  Alles  wird sich nach hinten drangen." -
"Gewiss",  antwortete der  Vierundzwanzigjahrige und  dachte an  den  dicken
Schachspieler und  an das Madchen mit seinem  Roman und dem  roten Haar.  Er
reichte  dem Zugfuhrer seine ubrigen Schachteln  Ormond Brasil  10.  "Nehmen
Sie",  sagte er, "Sie werden  Ihre Brasil  beim Hinuberklettern doch  wieder
verlieren." "Ob er  denn nicht zuruckkomme; fragte der  Zugfuhrer, der  sich
aufgerichtet hatte  und muhsam  den Trichter des Korridors  hinaufzukriechen
begann.  Der  junge  Mann sah nach  den sinnlosen Instrumenten, nach  diesen
lacherlichen Hebeln und  Schaltern, die  ihn im  glei?enden Licht der Kabine
silbern umgaben. "Zweihundertzehn", sagte er. "Ich glaube nicht, dass Sie es
bei dieser Geschwindigkeit schaffen, hinaufzukommen in die Wagen  uber uns."
- "Es  ist meine  Pflicht!" schrie der Zugfuhrer.  "Gewiss", antwortete  der
Vierundzwanzigjahrige, ohne seinen Kopf  nach dem sinnlosen Unternehmen  des
Zugfuhrers  zu  wenden.  "Ich  muss  es wenigstens  versuchen!"  schrie  der
Zugfuhrer noch einmal, nun schon  weit oben  im Korridor, sich mit  Ellbogen
und  Schenkeln gegen die  Metallwande stemmend, doch  wie  sich die Maschine
weiter  hinabsenkte, um  nun  in  furchterlichem Sturz dem Innern  der  Erde
entgegenzurasen, diesem Ziel aller Dinge zu, so dass der Zugfuhrer in seinem
Schacht  direkt  uber  dem Vierundzwanzigjahrigen  hing, der  am Grunde  der
Maschine  auf dem  silbernen  Fenster des Fuhrerraumes lag, das Gesicht nach
unten, lie? seine Kraft nach. Der Zugfuhrer sturzte  auf das Schaltbrett und
kam blutuberstromt  neben  den jungen Mann  zu  liegen,  dessen Schultern er
umklammerte. "Was sollen wir tun?" schrie der  Zugfuhrer durch das Tosen der
ihnen  entgegenschnellenden Tunnelwande  hindurch dem Vierundzwanzigjahrigen
ins  Ohr, der mit  seinem  fetten Leib, der jetzt nutzlos war und nicht mehr
schutzte, unbeweglich auf der ihn vom Abgrund  trennenden Scheibe  ruhte und
durch  sie  hindurch  den  Abgrund gierig  in seine nun  zum  erstenmal weit
geoffneten Augen sog. Was sollen wir tun?" - "Nichts", antwortete der andere
unbarmherzig,  ohne sein Gesicht vom  todlichen Schauspiel abzuwenden,  doch
nicht  ohne eine gespensterhafte Heiterkeit,  von Glassplittem  ubersat, die
von der  zerbrochenen  Schalttafel herstammten,  wahrend zwei  Wattebuschel,
durch irgendeinen Luftzug ergriffen, der nun  plotzlich  hereindrang (in der
Scheibe zeigte sich ein erster Spalt), pfeilschnell nach oben in den Schacht
uber  ihnen fegten. "Nichts. Gott  lie? uns fallen, und  so sturzen wir denn
auf ihn zu."

     OCR, Spellcheck: Il'ya Frank, http://frank.deutschesprache.ru




Last-modified: Thu, 27 May 2004 18:37:42 GMT
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