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     Ein Trauerspiel in fc¼nf Aufzc¼gen

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     Personen:
     Margarete von Parma, Tochter Karls des Fc¼nften,
     Regentin der Niederlande
     Graf Egmont, Prinz von Gaure
     Wilhelm von Oranien
     Herzog von Alba
     Ferdinand, sein natc¼rlicher Sohn
     Machiavell, im Dienste der Regentin
     Richard, Egmonts Geheimschreiber
     Silva und Gomez, unter Alba dienend
     Klc¤rchen, Egmonts Geliebte
     Ihre Mutter
     Brackenburg, ein Bc¼rgerssohn
     Soest, Krc¤mer, Bc¼rger von Brc¼ssel
     Jetter, Schneider, Bc¼rger von Brc¼ssel
     Zimmermann und Seifensieder, Bc¼rger von Brc¼ssel
     Buyck, Soldat unter Egmont
     Ruysum, Invalide und taub
     Vansen, ein Schreiber
     Volk, Gefolge, Wachen usw.


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     Erster Aufzug
     ArmbrustschiecŸen
     Soldaten und Bc¼rger mit Armbrc¼sten
     Jetter,  Bc¼rger  von Brc¼ssel, Schneider,  tritt  vor und  spannt  die
Armbrust. Soest, Bc¼rger von Brc¼ssel, Krc¤mer.
     Soest. Nun schiecŸt nur  hin, dacŸ  es alle  wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht!  Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht  geschossen. Und so
wc¤r' ich fc¼r dies Jahr Meister.
     Jetter. Meister  und Kc¶nig  dazu.  Wer  micŸgc¶nnt's  Euch? Ihr  sollt
dafc¼r auch  die Zeche  doppelt  bezahlen;  Ihr sollt  Eure Geschicklichkeit
bezahlen, wie's 'recht ist.
     (Buyck, ein Hollc¤nder, Soldat unter Egmont.)
     Buyck.  Jetter,  den SchucŸ  handl'  ich  Euch ab, teile  den  Gewinst,
traktiere  die  Herren:   ich  bin  so  schon  lange  hier  und  fc¼r  viele
Hc¶flichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hc¤ttet.
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     Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei.  Doch,
Buyck, nur immerhin.
     Buyck (schiecŸt). Nun, Pritschmeister, Reverenz!  -  Eins! Zwei!  Drei!
Vier!
     Soest. Vier Ringe? Es sei!
     Alle. Vivat, Herr Kc¶nig, hoch! und abermal hoch!
     Buyck. Danke, ihr Herren. Wc¤re Meister zu viel! Danke fc¼r die Ehre.
     Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.
     (Ruysum, ein Frieslc¤nder, Invalide und taub.)
     Ruysum. DacŸ ich euch sage!
     Soest. Wie ist's, Alter?
     Ruysum. DacŸ ich euch sage!  - Er  schiecŸt wie sein  Herr, er schiecŸt
wie Egmont.
     Buyck.  Gegen  ihn  bin  ich nur ein armer Schlucker.  Mit der  Bc¼chse
trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glc¼ck oder gute
Laune hat; nein! wie er  anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe
ich von ihm. Das wc¤re auch ein Kerl, der bei ihm diente  und nichts von ihm
lernte.  - Nicht zu vergessen, meine  Herren! Ein Kc¶nig nc¤hrt seine Leute;
und so, auf des Kc¶nigs Rechnung, Wein her!
     Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, dacŸ jeder -
     Buyck. Ich bin fremd  und  Kc¶nig, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.
     Jetter.  Du bist ja c¤rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen mc¼ssen.
     Ruysum. Was?
     Soest  (laut).  Er will  uns gastieren;  er will nicht haben,  dacŸ wir
zusammenlegen und der Kc¶nig nur das Doppelte zahlt.
     Ruysum. LacŸt ihn! doch ohne  Prc¤judiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.
     (Sie bringen Wein.)
     Alle. Ihro Majestc¤t Wohl! Hoch!
     Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestc¤t.
     Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.
     Soest.  Wohl! Denn unserer spanischen Majestc¤t Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederlc¤nder von Herzen.
     Ruysum. Wer?
     Soest (laut). Philipps des Zweiten, Kc¶nigs in Spanien.
     Ruysum. Unser allergnc¤digster Kc¶nig und Herr!  Gott  geb'  ihm langes
Leben.
     Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fc¼nften, nicht lieber?
     Ruysum. Gott trc¶st' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand c¼ber den
ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch  begegnete, so
grc¼cŸt'  er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart,
wucŸt' er mit so guter Manier - ja, versteht  mich -  Er ging aus, ritt aus,
wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir  doch alle geweint, wie er
seinem Sohn  das  Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich -  der ist
schon anders, der ist majestc¤tischer.
     Jetter. Er  liecŸ sich  nicht  sehen, da er hier war,  als in Prunk und
kc¶niglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.
     Soest. Es ist kein Herr fc¼r uns  Niederlc¤nder. Unsre Fc¼rsten mc¼ssen
froh  und frei  sein  wie  wir, leben  und  leben  lassen. Wir wollen  nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.
     Jetter. Der Kc¶nig, denk  ich, wc¤re  wohl ein gnc¤diger Herr, wenn  er
nur bessere Ratgeber hc¤tte.
     Soest. Nein,  nein!  Er  hat kein Gemc¼t gegen uns  Niederlc¤nder, sein
Herz ist  dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kc¶nnen  wir  ihn
wiederlieben? Warum ist alle Welt dem  Grafen Egmont so hold? Warum  trc¼gen
wir ihn alle auf den  Hc¤nden?  Weil man ihm ansieht, dacŸ er uns  wohlwill;
weil ihm die Frc¶hlichkeit, das freie Leben, die  gute Meinung aus den Augen
sieht; weil er nichts  besitzt,  das er dem Dc¼rftigen nicht mitteilte, auch
dem, der's nicht bedarf. LacŸt  den  Grafen  Egmont leben!  Buyck,  an  Euch
ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
     Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!
     Ruysum. cœberwinder bei St. Quintin.
     Buyck. Dem Helden von Gravelingen!
     Alle. Hoch!
     Ruysum. St. Quintin  war meine  letzte Schlacht.  ich konnte  kaum mehr
fort, kaum die schwere Bc¼chse mehr schleppen.  Hab  ich doch  den Franzosen
noch eins auf den Pelz  gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
StreifschucŸ ans rechte Bein.
     Buyck. Gravelingen!  Freunde!  da  ging's frisch!  Den  Sieg  haben wir
allein. Brannten und  sengten die welschen Hunde nicht durch ganz  Flandern?
Aber ich mein,  wir trafen sie! Ihre alten, handfesten  Kerle  hielten lange
wider,  und  wir drc¤ngten  und schossen  und  hieben, dacŸ sie  die Mc¤uler
verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe
niedergeschossen,  und wir stritten lange hinc¼ber herc¼ber, Mann fc¼r Mann,
Pferd gegen Pferd, Haufe  mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See
hin.  Auf einmal  kam's, wie  vom  Himmel  herunter,  von der  Mc¼ndung  des
Flusses,  bav, bau!  immer mit  Kanonen  in  die  Franzosen drein.  Es waren
Englc¤nder, die  unter dem Admiral  Malin von  ungefc¤hr von Dc¼nkirchen her
vorbeifuhren.  Zwar  viel  halfen sie  uns  nicht; sie  konnten nur mit  den
kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter
uns - Es tat  doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's!
Rick!  rack!  herc¼ber,  hinc¼ber!  Alles  totgeschlagen, alles  ins  Wasser
gesprengt. Und die  Kerle ersoffen, wie sie das Wasser  schmeckten;  und was
wir Hollc¤nder  waren, gerad hintendrein. Uns,  die wir beidlebig sind, ward
erst  wohl  im Wasser  wie den  Frc¶schen;  und immer  die  Feinde im  FlucŸ
zusammengehauen, weggeschossen  wie  die  Enten.  Was  nun  noch durchbrach,
schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und  Mistgabeln tot.
MucŸte  doch die  welsche Majestc¤t gleich  das Pfc¶tchen reichen und Friede
machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem grocŸen Egmont schuldig.
     Alle. Hoch!  dem  grocŸen Egmont  hoch! und  abermal hoch! und  abermal
hoch!
     Jetter. Hc¤tte  man uns den statt  der Margrete  von Parma zum Regenten
gesetzt!
     Soest.  Nicht so!  Wahr  bleibt  wahr! Ich  lasse mir  Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnc¤d'ge Frau!
     Alle. Sie lebe!
     Soest.  Wahrlich,  treffliche  Weiber sind  in dem  Hause. Die Regentin
lebe!
     Jetter. Klug ist  sie, und mc¤cŸig in allem, was  sie tut; hielte sie's
nur nicht so steif und fest mit den  Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld,
dacŸ wir  die vierzehn neuen Bischofsmc¼tzen im  Lande  haben. Wozu  die nur
sollen? Nicht wahr,  dacŸ man Fremde in die guten Stellen  einschieben kann,
wo sonst  c„bte aus den Kapiteln gewc¤hlt wurden? Und wir sollen glauben, es
sei um der Religion willen.  Ja, es hat  sich. An drei Bischc¶fen hatten wir
genug: da ging's  ehrlich und ordentlich  zu. Nun mucŸ  doch auch jeder tun,
als  ob er  nc¶tig wc¤re;  und  da  setzt's  allen  Augenblick VerdrucŸ  und
Hc¤ndel.  Und je mehr ihr das Ding  rc¼ttelt  und schc¼ttelt,  desto trc¼ber
wird's.
     (Sie trinken.)
     Soest. Das  war  nun des Kc¶nigs  Wille;  sie  kann nichts  davon- noch
dazutun.
     Jetter. Da  sollen  wir  nun die neuen  Psalmen nicht singen. Sie  sind
wahrlich gar schc¶n in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die
sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum?
Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weicŸ.  Ich hab  ihrer
doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.
     Buyck. Ich  wollte sie fragen!  In unsrer  Provinz  singen wir, was wir
wollen. Das macht, dacŸ Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so
etwas  nicht. - In Gent, Ypern, durch  ganz Flandern singt sie, wer Belieben
hat.  (Laut.)  Es  ist  ja wohl nichts  unschuldiger als ein geistlich Lied?
Nicht wahr, Vater?
     Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.
     Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art;  und gefc¤hrlich  ist's  doch  immer, da lc¤cŸt man's lieber sein.  Die
Inquisitionsdiener  schleichen herum und passen  auf;  mancher ehrliche Mann
ist schon unglc¼cklich geworden.  Der  Gewissenszwang fehlte  noch!  Da  ich
nicht tun  darf,  was  ich mc¶chte, kc¶nnen sie mich doch denken und  singen
lassen, was ich will.
     Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier,  unser  Gewissen  tyrannisieren zu lassen.  Und der Adel  mucŸ auch
beizeiten suchen, ihr die Flc¼gel zu beschneiden.
     Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfc¤llt,  in mein
Haus  zu stc¼rmen, und ich  sitz  an  meiner  Arbeit  und summe  just  einen
franzc¶sischen Psalm und  denke  nichts dabei, weder Gutes noch  Bc¶ses; ich
summe ihn  aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und
werde  eingesteckt.  Oder ich gehe c¼ber  Land und bleibe  bei  einem Haufen
Volks stehen,  das einem  neuen Prediger  zuhc¶rt, einem von denen,  die aus
Deutschland gekommen sind: auf  der Stelle heicŸ ich ein Rebell und komme in
Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hc¶ren?
     Soest. Wackre Leute. Neulich hc¶rt' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Gekc¶ch, als wenn unsre auf
der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit  lateinischen Brocken  erwc¼rgen.
Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hc¤tten bei der Nase
herumgefc¼hrt,  uns in  der Dummheit erhalten, und wie wir mehr  Erleuchtung
haben kc¶nnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
     Jetter. Da  mag doch auch was  dran  sein. Ich sagt's  immer selbst und
grc¼belte so c¼ber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
     Buyck. Es lc¤uft ihnen auch alles Volk nach.
     Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hc¶ren kann und was Neues.
     Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.
     Buyck.  Frisch, ihr Herren! cœber dem Schwc¤tzen vergecŸt ihr  den Wein
und Oranien.
     Jetter. Den nicht zu vergessen. Das  ist ein rechter Wall: wenn man nur
an  ihn denkt, meint man gleich,  man kc¶nne sich  hinter ihn verstecken und
der Teufel brc¤chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
     Alle. Hoch! hoch!
     Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.
     Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
     Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
     Jetter. Krieg! Krieg! WicŸt ihr auch, was ihr ruft? DacŸ es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natc¼rlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute
ist, kann ich  nicht sagen.  Das ganze  Jahr  das  Getrommel  zu hc¶ren; und
nichts zu hc¶ren, als wie da  ein Haufen gezogen kommt und dort ein  andrer,
wie sie c¼ber  einen Hc¼gel kamen und  bei einer Mc¼hle  hielten, wieviel da
geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drc¤ngen, und  einer gewinnt,
der  andere verliert, ohne dacŸ man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder
verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bc¼rger ermordet  werden, und
wie's den armen Weibern, den unschuldigen  Kindern ergeht. Das ist eine  Not
und Angst, man denkt jeden  Augenblick: b»Da kommen sie!  Es geht  uns  auch
so.b«
     Soest. Drum mucŸ auch ein Bc¼rger immer in Waffen gec¼bt sein.
     Jetter. Ja, es c¼bt sich, wer Frau  und  Kinder hat. Und doch  hc¶r ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.
     Buyck. Das sollt' ich c¼belnehmen.
     Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir  die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.
     Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?
     Jetter. Vexier' Er sich.
     Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.
     Jetter. Halt dein Maul.
     Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der  Kc¼che, dem Keller, der Stube
- dem Bette.
     (Sie lachen.)
     Jetter. Du bist ein Tropf.
     Buyck. Friede, ihr Herren! MucŸ der Soldat  Friede rufen?  - Nun da ihr
von uns nichts  hc¶ren  wollt, nun  bringt  auch eure Gesundheit  aus,  eine
bc¼rgerliche Gesundheit.
     Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!
     Soest. Ordnung und Freiheit!
     Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.
     (Sie  stocŸen an und  wiederholen frc¶hlich  die  Worte,  doch so, dacŸ
jeder ein  anders ausruft und es eine  Art  Kanon wird. Der Alte  horcht und
fc¤llt endlich auch mit ein.)
     Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!
     Palast der Regentin
     Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
     Regentin.  Ihr stellt  das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten.  Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.
     (Alle gehen ab.)
     Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten lc¤cŸt mir keine Ruhe!
Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen;  immer sind diese Bilder,
diese  Sorgen  vor  mir. Nun  wird der  Kc¶nig sagen, dies sei'n  die Folgen
meiner  Gc¼te, meiner  Nachsicht;  und doch  sagt  mir mein  Gewissen  jeden
Augenblick, das Rc¤tlichste, das Beste getan  zu haben.  Sollte  ich frc¼her
mit dem  Sturme  des Grimmes diese  Flammen  anfachen und umhertreiben?  Ich
hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschc¼tten. Ja, was ich mir
selbst sage, was ich wohl weicŸ, entschuldigt mich vor  mir selbst; aber wie
wird es mein Bruder aufnehmen? Denn,  ist  es zu  leugnen? Der  cœbermut der
fremden  Lehrer  hat  sich  tc¤glich  erhc¶ht;  sie  haben  unser  Heiligtum
gelc¤stert, die stumpfen Sinne des Pc¶bels zerrc¼ttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrc¼hrer gemischt,
und schreckliche Taten sind geschehen,  die  zu denken schauderhaft ist, und
die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und  einzeln, damit
mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der Kc¶nig nicht  denke,  man
wolle  noch  mehr  verheimlichen. Ich sehe kein Mittel,  weder strenges noch
gelindes, dem cœbel zu  steuern. O was sind  wir  GrocŸen  auf der Woge  der
Menschheit? Wir  glauben sie  zu  beherrschen,  und sie treibt uns  auf  und
nieder, hin und her.
     (Machiavell tritt auf.)
     Regentin. Sind die Briefe an den Kc¶nig aufgesetzt?
     Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kc¶nnen.
     Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfc¼hrlich genug gemacht?
     Machiavell. Ausfc¼hrlich und umstc¤ndlich, wie es der Kc¶nig liebt. Ich
erzc¤hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstc¼rmerische Wut sich zeigt. Wie
eine  rasende  Menge,  mit  Stc¤ben,  Beilen,  Hc¤mmern,  Leitern,  Stricken
versehen,  von  wenig  Bewaffneten begleitet,  erst  Kapellen,  Kirchen  und
Klc¶ster  anfallen,  die  Andc¤chtigen verjagen,  die verschlossenen Pforten
aufbrechen,  alles  umkehren, die  Altc¤re  niederreicŸen, die  Statuen  der
Heiligen zerschlagen, alle Gemc¤lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes,
Geheiligtes antreffen,  zerschmettern,  zerreicŸen, zertreten.  Wie sich der
Haufe unterwegs  vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore erc¶ffnen.
Wie  sie  den Dom mit unglaublicher Schnelle verwc¼sten, die Bibliothek  des
Bischofs  verbrennen.  Wie  eine  grocŸe Menge  Volks, von  gleichem  Unsinn
ergriffen, sich c¼ber  Menin, Comines,  Werwicq,  Lille verbreitet,  nirgend
Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure Verschwc¶rung sich erklc¤rt und ausgefc¼hrt ist.
     Regentin.  Ach, wie  ergreift mich  aufs neue  der Schmerz  bei  deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das cœbel werde nur grc¶cŸer
und grc¶cŸer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
     Machiavell.  Verzeihen  Eure  Hoheit, meine Gedanken  sehen Grillen  so
c¤hnlich; und  wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart,  habt
Ihr doch selten  meinem  Rat  folgen mc¶gen. Ihr sagtet oft im Scherze: b»Du
siehst  zu  weit,  Machiavell!  Du  solltest  Geschichtschreiber  sein:  wer
handelt, mucŸ fc¼rs  Nc¤chste sorgen.b« Und doch,  habe ich diese Geschichte
nicht vorauserzc¤hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?
     Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es c¤ndern zu kc¶nnen.
     Machiavell. Ein  Wort fc¼r tausend:  Ihr  unterdrc¼ckt die  neue  Lehre
nicht. LacŸt  sie gelten,  sondert sie von  den Rechtglc¤ubigen, gebt  ihnen
Kirchen, facŸt  sie in  die  bc¼rgerliche Ordnung, schrc¤nkt sie ein; und so
habt Ihr  die  Aufrc¼hrer  auf einmal zur Ruhe  gebracht. Jede andern Mittel
sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
     Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kc¶nne?  WeicŸt du nicht, wie er
mir  in  jedem  Briefe  die  Erhaltung des  wahren Glaubens  aufs  eifrigste
empfiehlt?  dacŸ  er Ruhe  und  Einigkeit  auf  Kosten  der  Religion  nicht
hergestellt wissen will? Hc¤lt er nicht selbst in den  Provinzen Spione, die
wir  nicht   kennen,  um  zu  erfahren,  wer  sich  zu  der  neuen   Meinung
hinc¼berneigt?  Hat  er nicht  zu  unsrer Verwunderung uns  diesen und jenen
genannt,  der  sich in unsrer Nc¤he  heimlich  der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und  Schc¤rfe? Und ich soll  gelind sein? ich soll
Vorschlc¤ge tun, dacŸ er nachsehe,  dacŸ er  dulde?  Wc¼rde  ich nicht alles
Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
     Machiavell. Ich weicŸ wohl; der Kc¶nig  befiehlt, er lc¤cŸt  Euch seine
Absichten  wissen.  Ihr sollt  Ruhe  und  Friede wiederherstellen, durch ein
Mittel, das die Gemc¼ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an
allen Enden anblasen  wird.  Bedenkt, was  Ihr tut. Die grc¶cŸten  Kaufleute
sind angesteckt, der Adel, das Volk, die  Soldaten. Was hilft es, auf seinen
Gedanken beharren,  wenn sich um uns alles  c¤ndert? Mc¶chte  doch ein guter
Geist Philippen eingeben, dacŸ  es  einem  Kc¶nige anstc¤ndiger ist, Bc¼rger
zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
     Regentin. Solch ein  Wort nie  wieder.  Ich  weicŸ  wohl, dacŸ  Politik
selten Treu  und  Glauben  halten kann,  dacŸ  sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschliecŸt. In weltlichen Geschc¤ften ist
das leider  nur zu wahr; sollen wir aber  auch  mit Gott  spielen  wie unter
einander? Sollen wir gleichgc¼ltig gegen unsre  bewc¤hrte  Lehre  sein, fc¼r
die  so  viele  ihr  Leben aufgeopfert haben?  Die  sollten wir hingeben  an
hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?
     Machiavell. Denkt nur deswegen nicht c¼bler von mir.
     Regentin.  Ich  kenne dich  und  deine Treue und weicŸ,  dacŸ einer ein
ehrlicher und verstc¤ndiger  Mann  sein kann,  wenn er gleich  den nc¤chsten
besten  Weg zum Heil  seiner  Seele  verfehlt  hat.  Es  sind  noch  andere,
Machiavell, Mc¤nner, die ich schc¤tzen und tadeln mucŸ.
     Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
     Regentin.  Ich  kann es gestehen,  dacŸ mir  Egmont heute  einen  recht
innerlichen tiefen VerdrucŸ erregte.
     Machiavell. Durch welches Betragen?
     Regentin.  Durch   sein  gewc¶hnliches,  durch  Gleichgc¼ltigkeit   und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen
und ihm begleitet, aus  der Kirche ging. Ich  hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte  mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. b»Seht, was
in Eurer  Provinz entsteht! Das  duldet Ihr,  Graf, von  dem der Kc¶nig sich
alles versprach?b«
     Machiavell. Und was antwortete er?
     Regentin.  Als  wenn  es  nichts,  als  wenn es eine  Nebensache wc¤re,
versetzte  er:  b»Wc¤ren nur erst  die  Niederlc¤nder c¼ber ihre  Verfassung
beruhigt! Das c¼brige wc¼rde sich leicht geben.b«
     Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben,  wenn der Niederlc¤nder  sieht, dacŸ es
mehr  um seine Besitztc¼mer  als um sein Wohl, um  seiner Seele Heil  zu tun
ist? Haben die  neuen  Bischc¶fe mehr  Seelen  gerettet, als fette Pfrc¼nden
geschmaust,   und   sind   es  nicht   meist   Fremde?   Noch   werden  alle
Statthalterschaften  mit Niederlc¤ndern  besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, dacŸ sie die grc¶cŸte, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen  Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber  nach  seiner Art
von den Seinigen regieret werden  als von Fremden,  die  erst im Lande  sich
wieder Besitztc¼mer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden
MacŸstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
     Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
     Machiavell. Mit dem Herzen  gewicŸ  nicht; und  wollte, ich kc¶nnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
     Regentin. Wenn du so willst, so tc¤t'  es not,  ich  trc¤te ihnen meine
Regentschaft  ab;  denn Egmont  und  Oranien  machten  sich grocŸe Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich
verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
     Machiavell. Ein gefc¤hrliches Paar.
     Regentin.  Soll  ich aufrichtig reden: ich  fc¼rchte  Oranien, und  ich
fc¼rchte fc¼r Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen  in
die Ferne, er ist  heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit grc¶cŸter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
     Machiavell. Recht im  Gegenteil geht  Egmont einen  freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehc¶rte.
     Regentin. Er trc¤gt das Haupt so hoch, als  wenn die Hand der Majestc¤t
nicht c¼ber ihm schwebte.
     Machiavell.  Die Augen  des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hc¤ngen an ihm.
     Regentin.  Nie  hat  er  einen  Schein   vermieden;  als  wenn  niemand
Rechenschaft von  ihm  zu fordern hc¤tte.  Noch trc¤gt er den Namen  Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen  zu hc¶ren; als wollte er nicht vergessen,
dacŸ seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt  er sich  nicht
Prinz  von Gaure, wie es  ihm zukommt? Warum tut  er das?  Will er erloschne
Rechte wieder geltend machen?
     Machiavell. Ich halte ihn fc¼r einen treuen Diener des Kc¶nigs.
     Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kc¶nnte er sich um die Regierung
machen;  anstatt dacŸ  er  uns  schon, ohne  sich  zu  nutzen,  unsc¤glichen
VerdrucŸ gemacht hat.  Seine Gesellschaften, Gastmahle und  Gelage haben den
Adel  mehr  verbunden  und verknc¼pft  als  die  gefc¤hrlichsten  heimlichen
Zusammenkc¼nfte. Mit seinen Gesundheiten  haben die Gc¤ste  einen  dauernden
Rausch, einen  nie sich verziehenden Schwindel geschc¶pft. Wie oft setzt  er
durch seine Scherzreden die  Gemc¼ter des Volks in Bewegung, und wie stutzte
der  Pc¶bel c¼ber die  neuen  Livreen, c¼ber  die tc¶richten  Abzeichen  der
Bedienten!
     Machiavell. Ich bin c¼berzeugt, es war ohne Absicht.
     Regentin.  Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nc¼tzt  sich
nicht.  Er nimmt das Ernstliche  scherzhaft; und wir, um  nicht mc¼cŸig  und
nachlc¤ssig zu scheinen, mc¼ssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So  hetzt
eins das andre; und was man abzuwenden  sucht, das macht sich erst recht. Er
ist  gefc¤hrlicher als ein entschiednes Haupt  einer Verschwc¶rung;  und ich
mc¼cŸte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann
nicht  leugnen, es vergeht wenig Zeit, dacŸ er mich  nicht empfindlich, sehr
empfindlich macht.
     Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
     Regentin. Sein Gewissen  hat  einen  gefc¤lligen Spiegel. Sein Betragen
ist  oft beleidigend. Er  sieht  oft  aus,  als  wenn  er  in der  vc¶lligen
cœberzeugung lebe, er sei Herr und  wolle es uns nur aus Gefc¤lligkeit nicht
fc¼hlen  lassen,  wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen;  es werde
sich schon geben.
     Machiavell.  Ich  bitte  Euch, legt seine  Offenheit, sein glc¼ckliches
Blut,  das  alles  Wichtige  leicht behandelt, nicht zu gefc¤hrlich aus. Ihr
schadet nur ihm und Euch.
     Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche  nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlc¤ndischer Adel und sein Golden Vlies
vor der Brust stc¤rken sein Vertrauen, seine  Kc¼hnheit. Beides kann ihn vor
einem schnellen, willkc¼rlichen  Unmut des Kc¶nigs  schc¼tzen. Untersuch  es
genau; an dem ganzen Unglc¼ck, das  Flandern trifft, ist er doch  nur allein
schuld. Er hat zuerst den fremden  Lehrern nachgesehn, hat's  so genau nicht
genommen und vielleicht  sich heimlich gefreut, dacŸ wir  etwas  zu schaffen
hatten.  LacŸ  mich  nur;  was  ich auf  dem  Herzen habe,  soll  bei dieser
Gelegenheit  davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschiecŸen;  ich
weicŸ, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
     Machiavell.  Habt Ihr  den Rat zusammenberufen  lassen?  Kommt  Oranien
auch?
     Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt.  Ich will ihnen die
Last der  Verantwortung nahe  genug zuwc¤lzen; sie sollen  sich  mit mir dem
cœbel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen  erklc¤ren. Eile,
dacŸ  die  Briefe fertig werden, und  bringe mir sie  zur Unterschrift. Dann
sende schnell den  bewc¤hrten Vaska nach Madrid; er ist unermc¼det und treu;
dacŸ mein Bruder  zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, dacŸ der  Ruf  ihn
nicht c¼bereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
     Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
     Bc¼rgerhaus
     Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
     Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
     Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klc¤rchen.
     Klare.  Was  habt  Ihr  wieder? Warum versagt Ihr  mir  diesen  kleinen
Liebesdienst?
     Brackenburg.  Ihr bannt mich  mit  dem Zwirn  so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
     Klare. Grillen! kommt und haltet!
     Mutter  (im  Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hc¼bsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
     Brackenburg. Sonst.
     Klare. Wir wollen singen.
     Brackenburg. Was Ihr wollt.
     Klare. Nur hc¼bsch munter und frisch weg! Es  ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstc¼ck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
     Die Trommel gerc¼hret!
     Das Pfeifchen gespielt!
     Mein Liebster gewaffnet
     Dem Haufen befiehlt,
     Die Lanze hoch fc¼hret,
     Die Leute regieret.
     Wie klopft mir das Herze!
     Wie wallt mir das Blut!
     O hc¤tt' ich ein Wc¤mslein
     Und Hosen und Hut!
     Ich folgt' ihm zum Tor 'naus
     Mit mutigem Schritt,
     Ging' durch die Provinzen,
     Ging' c¼berall mit.
     Die Feinde schon weichen,
     Wir schiecŸen darein.
     Welch Glc¼ck sondergleichen,
     Ein Mannsbild zu sein!

     (Brackenburg  hat unter  dem  Singen Klc¤rchen  oft  angesehen; zuletzt
bleibt  ihm die  Stimme  stocken, die  Trc¤nen kommen ihm  in die  Augen, er
lc¤cŸt  den Strang fallen und geht  ans Fenster.  Klc¤rchen  singt das  Lied
allein aus, die Mutter  winkt ihr halb unwillig, sie steht auf,  geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlc¼ssig wieder um und setzt sich.)
     Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hc¶re marschieren.
     Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
     Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten?  (Sie steht auf und geht
an das Fenster  zu Brackenburg.) Das ist nicht die tc¤gliche Wache, das sind
weit  mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hc¶rt einmal, was es
gibt. Es  mucŸ etwas Besonderes sein. Geht,  guter Brackenburg, tut  mir den
Gefallen.
     Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend
die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
     Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
     Klare.  Ich  bin  neugierig;  und  auch, verdenkt  mir's  nicht,  seine
Gegenwart  tut  mir  weh. Ich  weicŸ  immer  nicht, wie ich  mich gegen  ihn
betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's  am  Herzen, dacŸ
er es so lebendig fc¼hlt. - Kann ich's doch nicht c¤ndern!
     Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
     Klare. Ich kann's auch  nicht lassen, ich mucŸ ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drc¼ckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so
liebevoll anfacŸt. Ich mache mir Vorwc¼rfe, dacŸ ich ihn betriege, dacŸ  ich
in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nc¤hre. Ich bin c¼bel dran. WeicŸ
Gott, ich  betrieg ihn nicht.  Ich will nicht, dacŸ er  hoffen soll, und ich
kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
     Mutter. Das ist nicht gut.
     Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hc¤tte ihn heiraten kc¶nnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
     Mutter. Glc¼cklich wc¤rst du immer mit ihm gewesen.
     Klare. Wc¤re versorgt und hc¤tte ein ruhiges Leben.
     Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
     Klare. Ich bin in einer  wunderlichen Lage.  Wenn ich so nachdenke, wie
es  gegangen ist,  weicŸ ich's wohl und weicŸ  es  nicht. Und dann darf  ich
Egmont nur  wieder ansehen,  wird mir alles sehr begreiflich,  ja wc¤re  mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an,
und ich in seinem Arm sollte nicht  das glc¼cklichste Geschc¶pf von der Welt
sein?
     Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
     Klare. Ach,  ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
     Mutter.  Man  hat  nichts als Herzensangst mit seinen Kindern.  Wie das
ausgehen wird! Immer Sorge  und  Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich
unglc¼cklich gemacht! mich unglc¼cklich gemacht.
     Klare (gelassen). Ihr liecŸet es doch im Anfange.
     Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
     Klare. Wenn Egmont vorbeiritt  und ich ans Fenster  lief,  schaltet Ihr
mich da? Tratet  Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lc¤chelte,
nickte,  mich grc¼cŸte: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in
Eurer Tochter geehrt?
     Mutter. Mache mir noch Vorwc¼rfe.
     Klare  (gerc¼hrt). Wenn  er  nun c¶fter die  StracŸe kam, und wir  wohl
fc¼hlten,  dacŸ er um  meinetwillen  den  Weg machte,  bemerktet Ihr's nicht
selbst  mit heimlicher  Freude?  Rieft Ihr  mich  ab,  wenn  ich  hinter den
Scheiben stand und ihn erwartete?
     Mutter. Dachte ich, dacŸ es so weit kommen sollte?
     Klare (mit stockender Stimme und zurc¼ckgehaltenen Trc¤nen). Und wie er
uns abends,  in den Mantel eingehc¼llt, bei  der Lampe c¼berraschte, wer war
geschc¤ftig, ihn zu empfangen, da  ich auf meinem  Stuhl  wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
     Mutter. Und konnte ich  fc¼rchten, dacŸ diese  unglc¼ckliche  Liebe das
kluge  Klc¤rchen so  bald hinreicŸen wc¼rde?  Ich mucŸ es  nun tragen,  dacŸ
meine Tochter -
     Klare (mit ausbrechenden Trc¤nen). Mutter! Ihr wollt's  nun!  Ihr  habt
Eure Freude, mich zu c¤ngstigen.
     Mutter (weinend).  Weine noch gar! Mache  mich noch elender durch deine
Betrc¼bnis.  Ist  mir's  nicht Kummer genug, dacŸ meine  einzige Tochter ein
verworfenes Geschc¶pf ist?
     Klare  (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte  verworfen? -
Welche  Fc¼rstin neidete  nicht das arme  Klc¤rchen um den  Platz an  seinem
Herzen! O Mutter -  meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe  Mutter,
seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese
Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
     Mutter.  Man  mucŸ  ihm hold  sein!  das  ist  wahr.  Er  ist immer  so
freundlich, frei und offen.
     Klare. Es ist keine falsche Ader an  ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der grocŸe Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie
er mir  seinen Stand,  seine  Tapferkeit gerne verbc¤rge!  wie  er  um  mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
     Mutter. Kommt er wohl heute?
     Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster  gehen  sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich  horche, wenn's an der Tc¼r rauscht? - Ob ich  schon weicŸ,
dacŸ er vor Nacht  nicht  kommt,  vermut ich ihn doch  jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe.  Wc¤r' ich nur ein Bube und kc¶nnte immer mit
ihm gehen, zu Hofe und c¼berall hin! Kc¶nnt' ihm die Fahne nachtragen in der
Schlacht! -
     Mutter.  Du  warst  immer so  ein Springinsfeld;  als ein  kleines Kind
schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du  dich nicht ein wenig  besser
an?
     Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe!  - Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen  Lobliedchen  auf ihn. Wenigstens
war  sein  Name in  den  Liedern! das c¼brige konnte ich nicht verstehn. Das
Herz schlug mir bis an den Hals  - Ich hc¤tte sie  gern zurc¼ckgerufen, wenn
ich mich nicht geschc¤mt hc¤tte.
     Mutter. Nimm dich in acht! Dein  heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrc¤tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter,  wie  du
den Holzschnitt  und die  Beschreibung fandst und mit  einem  Schrei riefst:
b»Graf Egmont!b« - Ich ward feuerrot.
     Klare.  Hc¤tt'  ich  nicht  schreien  sollen? Es  war die Schlacht  bei
Gravelingen, und ich  finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche  unten
in der Beschreibung C.  Steht  da: b»Graf  Egmont, dem  das Pferd unter  dem
Leibe totgeschossen wird.b« Mich c¼berlief's - und hernach mucŸt' ich lachen
c¼ber  den holzgeschnitzten  Egmont,  der so  grocŸ  war  als  der  Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich
mich manchmal erinnere, wie  ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was
ich mir  als Mc¤dchen fc¼r ein  Bild vom Grafen Egmont machte, wenn  sie von
ihm erzc¤hlten, und von allen Grafen und Fc¼rsten - und wie mir's jetzt ist!
     (Brackenburg kommt.)
     Klare. Wie steht's?
     Brackenburg. Man weicŸ nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er  mc¶chte sich  hieher
verbreiten. Das SchlocŸ ist stark besetzt, die Bc¼rger sind zahlreich an den
Toren, das Volk summt in  den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten
Vater. (Als wollt' er gehen.)
     Klare.  Sieht  man Euch  morgen? Ich will mich ein  wenig anziehen. Der
Vetter  kommt,  und  ich  sehe  gar  zu  liederlich  aus.  Helft  mir  einen
Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder
so eine Historie.
     Mutter. Lebt wohl.
     Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
     Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter  und Tochter
ab.)
     Brackenburg  (allein).  Ich   hatte   mir  vorgenommen,  gerade  wieder
fortzugehn; und da sie es dafc¼r aufnimmt und mich gehen lc¤cŸt, mc¶cht' ich
rasend werden. - Unglc¼cklicher! und dich rc¼hrt deines Vaterlandes Geschick
nicht? der wachsende  Tumult nicht? - und  gleich  ist  dir  Landsmann  oder
Spanier, und wer regiert und wer  recht hat? - War ich doch ein andrer Junge
als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: b»Brutus' Rede fc¼r
die Freiheit, zur cœbung der Redekunstb«, da war doch immer Fritz der Erste,
und der Rektor  sagte: b»Wenn's nur ordentlicher wc¤re,  nur nicht  alles so
c¼bereinander gestolpert.b«  - Damals  kocht' es und  trieb! - Jetzt schlepp
ich mich an den Augen des Mc¤dchens  so hin. Kann ich sie doch nicht lassen!
Kann  sie mich doch nicht  lieben!  - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht
ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht
lc¤nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr  sagte?
dacŸ sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlc¤cŸt,  da sie mich zc¼chtig
immer vor  Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es  ist eine
Lc¼ge, eine schc¤ndliche verleumderische Lc¼ge! Klc¤rchen ist so unschuldig,
als  ich  unglc¼cklich bin.  - Sie hat mich verworfen,  hat mich  von  ihrem
Herzen gestocŸen - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht.
-  - Schon  wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger  bewegt, und  ich
sterbe unter  dem Getc¼mmel  nur ab! Ich duld es  nicht! - Wenn die Trompete
klingt, ein SchucŸ fc¤llt, mir fc¤hrt's durch  Mark und Bein! Ach,  es reizt
mich nicht! es fordert mich nicht, auch  mit einzugreifen, mit zu retten, zu
wagen. - Elender,  schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal.
Neulich stc¼rzt' ich mich ins  Wasser, ich sank - aber die gec¤ngstete Natur
war stc¤rker; ich fc¼hlte, dacŸ ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Wille. - -  Kc¶nnt' ich der Zeiten vergessen, da sie  mich  liebte, mich  zu
lieben  schien!  -  Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glc¼ck?
Warum haben  mir  diese Hoffnungen allen GenucŸ des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir  ein  Paradies von  weitem zeigten? -  Und  jener erste KucŸ!  Jener
einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie
war immer  gut  und  freundlich  gegen mich gewesen -  da schien sie sich zu
erweichen - sie sah mich an -  alle Sinnen gingen  mir  um, und  ich fc¼hlte
ihre Lippen auf den meinigen.  - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst
du? (Er zieht ein Flc¤schchen aus der Tasche.) Ich will dich  nicht  umsonst
aus  meines  Bruders Doktorkc¤stchen  gestohlen  haben,  heilsames  Gift! Du
sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese TodesschweicŸe  auf  einmal
verschlingen und lc¶sen.
     Zweiter Aufzug
     Platz in Brc¼ssel
     Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
     Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor  acht Tagen  auf  der
Zunft sagt' ich, es wc¼rde schwere Hc¤ndel geben.
     Jetter. Ist's denn wahr, dacŸ  sie die Kirchen  in Flandern geplc¼ndert
haben?
     Zimmermeister.  Ganz und  gar zugrunde gerichtet haben  sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wc¤nde haben sie stehen lassen. Lauter
Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hc¤tten eher, in
der Ordnung und  standhaft, unsere Gerechtsame  der  Regentin  vortragen und
drauf halten sollen.  Reden wir jetzt, versammeln  wir uns jetzt,  so heicŸt
es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
     Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
hc¤ngt doch der Hals gar nah damit zusammen.
     Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lc¤rmen
anfc¤ngt, unter dem  Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum
Vorwande,  worauf  wir uns  auch  berufen mc¼ssen, und bringen das  Land  in
Unglc¼ck.
     (Soest tritt dazu.)
     Soest.  Guten Tag,  ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr,  dacŸ  die
Bilderstc¼rmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
     Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrc¼hren.
     Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich
aus. Die Regentin,  so eine  wackre kluge Frau sie  bleibt, diesmal  ist sie
aucŸer Fassung. Es mucŸ sehr arg sein, dacŸ sie sich so geradezu hinter ihre
Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus
der Stadt flc¼chten.
     Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre  Gegenwart  beschc¼tzt  uns,
und wir wollen ihr mehr  verschaffen als ihre  Stutzbc¤rte. Und wenn sie uns
unsere  Rechte  und  Freiheiten aufrechterhc¤lt,  so wollen wir sie  auf den
Hc¤nden tragen.
     (Seifensieder tritt dazu.)
     Seifensieder. Garstige Hc¤ndel! cœble Hc¤ndel! Es wird unruhig und geht
schief aus! - Hc¼tet euch, dacŸ ihr stille  bleibt, dacŸ man euch nicht auch
fc¼r Aufwiegler hc¤lt.
     Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
     Seifensieder.  Ich  weicŸ,  da  sind  viele,  die es  heimlich mit  den
Calvinisten  halten,  die auf die Bischc¶fe  lc¤stern, die den Kc¶nig  nicht
scheuen. Aber ein treuer Untertan, ein aufrichtiger Katholike! -
     (Es gesellt sich  nach  und nach allerlei Volk zu  ihnen  und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
     Vansen. Gott grc¼cŸ' euch Herren! Was Neues?
     Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
     Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
     Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein  Patron nach  dem andern  fortjagte, Schelmstreiche  halber,
pfuscht   er  jetzt  Notaren  und   Advokaten   ins  Handwerk  und  ist  ein
Branntweinzapf.
     (Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
     Vansen. Ihr seid auch  versammelt, steckt  die Kc¶pfe zusammen. Es  ist
immer redenswert.
     Soest. Ich denk auch.
     Vansen. Wenn jetzt  einer oder der  andere Herz hc¤tte, und einer  oder
der  andere  den Kopf dazu: wir  kc¶nnten die spanischen Ketten  auf  einmal
sprengen.
     Soest.  Herre!  So  mc¼cŸt  Ihr  nicht  reden.  Wir  haben  dem  Kc¶nig
geschworen.
     Vansen. Und der Kc¶nig uns. Merkt das.
     Jetter. Das lc¤cŸt sich hc¶ren! Sagt Eure Meinung.
     Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.
     Vansen. Ich hatte  einen alten Patron, der besacŸ Pergamente und Briefe
von  uralten Stiftungen,  Kontrakten und Gerechtigkeiten;  er  hielt auf die
rarsten  Bc¼cher.   In   einem  stand  unsere  ganze  Verfassung:   wie  uns
Niederlc¤nder zuerst einzelne Fc¼rsten  regierten, alles nach  hergebrachten
Rechten,  Privilegien und  Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren  alle Ehrfurcht
fc¼r ihren Fc¼rsten  gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich  gleich vorsahen,  wenn er c¼ber die Schnur hauen  wollte.  Die Staaten
waren gleich hinterdrein: denn jede Provinz,  so  klein sie  war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstc¤nde.
     Zimmermeister.  Haltet Euer  Maul!  das  weicŸ  man  lange!  Ein  jeder
rechtschaffene  Bc¼rger  ist,  so   viel  er  braucht,  von  der  Verfassung
unterrichtet.
     Jetter. LacŸt ihn reden; man erfc¤hrt immer etwas mehr.
     Soests. Er hat ganz recht.
     Mehrere. Erzc¤hlt! erzc¤hlt! So was hc¶rt man nicht alle Tage.
     Vansen. So seid ihr Bc¼rgersleute! Ihr  lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr  euer Gewerb' von euern  Eltern  c¼berkommen habt, so lacŸt ihr auch
das Regiment c¼ber euch  schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt
nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem  Recht eines Regenten;
und  c¼ber das Versc¤umnis haben  euch  die Spanier das Netz c¼ber die Ohren
gezogen.
     Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tc¤gliche Brot hat.
     Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
     Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der Kc¶nig in Spanien, der die Provinzen
durch  gut Glc¼ck zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten
anders als die kleinen Fc¼rsten, die sie ehemals einzeln  besacŸen. Begreift
ihr das?
     Jetter. Erklc¤rt's uns.
     Vansen. Es  ist so  klar  als die Sonne. Mc¼cŸt  ihr  nicht  nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher kc¤me das?
     Ein Bc¼rger. Wahrlich!
     Vansen. Hat der Brc¼sseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher kc¤me denn das?
     Anderer Bc¼rger. Bei Gott!
     Vansen. Aber,  wenn  ihr's so  fortlaufen lacŸt, wird man's  euch  bald
anders weisen. Pfui! Was Karl der  Kc¼hne, Friedrich der  Krieger,  Karl der
Fc¼nfte nicht konnten, das tut nun Philipp durch ein Weib.
     Soests. Ja, ja! Die alten Fc¼rsten haben's auch schon probiert.
     Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren pacŸten  auf. Wie  sie einem Herrn
gram wurden, fingen  sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei
sich und  gaben  ihn  nur auf  die  besten Bedingungen heraus. Unsere Vc¤ter
waren Leute! Die wucŸten, was ihnen  nc¼tz  war! Die wucŸten etwas zu fassen
und festzusetzen! Rechte Mc¤nner! Dafc¼r  sind  aber auch unsere Privilegien
so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
     Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
     Das Volk. Von unsern Freiheiten,  von unsern Privilegien! Erzc¤hlt noch
was von unsern Privilegien.
     Vansen. Wir  Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
     Soests. Sagt an.
     Jetter. LacŸt hc¶ren.
     Ein Bc¼rger. Ich bitt Euch.
     Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
     Soests. Gut! Steht das so?
     Jetter. Getreu? Ist das wahr?
     Vansen.  Wie  ich euch  sage.  Er  ist  uns verpflichtet, wie  wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder  eignen  Willen an uns  beweisen,  merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
     Jetter. Schc¶n! Schc¶n! nicht beweisen.
     Soests. Nicht merken lassen.
     Ein anderer.  Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der  Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
     Vansen. Mit ausdrc¼cklichen Worten.
     Jetter. Schafft uns das Buch.
     Ein Bc¼rger. Ja, wir mc¼ssen's haben.
     Andere. Das Buch! das Buch!
     Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
     Ein anderer. Ihr sollt das Wort fc¼hren, Herr Doktor.
     Seifensieder. O die Trc¶pfe!
     Andere. Noch etwas aus dem Buche!
     Seifensieder. Ich schlage ihm die Zc¤hne in den Hals, wenn er  noch ein
Wort sagt.
     Das Volk. Wir  wollen sehen, wer  ihm  etwas  tut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
     Vansen.  Mancherlei,  und  sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den  geistlichen Stand  nicht  verbessern oder  mehren,  ohne
Verwilligung des Adels und der Stc¤nde! Merkt das! Auch den Staat des Landes
nicht verc¤ndern.
     Soest. Ist das so?
     Vansen.  Ich  will's  euch  geschrieben zeigen, von zwei-,  dreihundert
Jahren her.
     Bc¼rger.  Und  wir  leiden  die  neuen  Bischc¶fe?  Der Adel  mucŸ  uns
schc¼tzen, wir fangen Hc¤ndel an!
     Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
     Vansen. Das ist eure Schuld.
     Das Volk.  Wir  haben noch  Egmont! noch Oranien! Die sorgen fc¼r unser
Bestes!
     Vansen. Eure Brc¼der in Flandern haben das gute Werk angefangen.
     Seifensieder. Du Hund!
     (Er schlc¤gt ihn.)
     Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
     Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
     Ein anderer. Den Gelahrten?
     (Sie fallen den Seifensieder an.)
     Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!
     (Andere mischen sich in den Streit.)
     Zimmermeister. Bc¼rger, was soll das?
     (Buben pfeifen, werfen mit Steinen,  hetzen Hunde an, Bc¼rger stehn und
gaffen,  Volk lc¤uft zu,  andere  gehn  gelassen auf und ab, andere  treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
     Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
     (Egmont tritt auf mit Begleitung.)
     Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
     Zimmermeister.  Gnc¤diger Herr,  Ihr kommt wie ein  Engel des  Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
     Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bc¼rger gegen Bc¼rger! Hc¤lt sogar
die Nc¤he unsrer kc¶niglichen Regentin diesen  Unsinn  nicht  zurc¼ck?  Geht
auseinander, geht  an euer Gewerbe.  Es ist ein  c¼bles Zeichen, wenn ihr an
Werktagen feiert. Was war's?
     (Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
     Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
     Egmont. Die sie noch mutwillig zertrc¼mmern werden - Und wer seid  Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
     Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
     Egmont. Eures Zeichens?
     Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
     Egmont. Und Ihr?
     Soest. Krc¤mer.
     Egmont. Ihr?
     Jetter. Schneider.
     Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen fc¼r meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
     Jetter. Gnade, dacŸ Ihr Euch dessen erinnert.
     Egmont.  Ich  vergesse  niemanden  leicht,  den  ich einmal gesehen und
gesprochen  habe. - Was  an euch ist, Ruhe zu erhalten,  Leute, das tut; ihr
seid c¼bel genug angeschrieben.  Reizt den Kc¶nig nicht mehr, er hat zuletzt
doch die  Gewalt in Hc¤nden. Ein ordentlicher Bc¼rger, der  sich ehrlich und
fleicŸig nc¤hrt, hat c¼berall so viel Freiheit, als er braucht.
     Zimmermeister.  Ach  wohl! das ist eben  unsre  Not! Die Tagdiebe,  die
Sc¶ffer,  die  Faulenzer,  mit  Euer   Gnaden  Verlaub,  die  stc¤nkern  aus
Langerweile  und  scharren  aus  Hunger  nach  Privilegien  und  lc¼gen  den
Neugierigen und Leichtglc¤ubigen was  vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu
kriegen,  fangen sie  Hc¤ndel  an, die  viel tausend  Menschen  unglc¼cklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Hc¤user und Kasten zu gut
verwahrt; da mc¶chten sie gern uns mit Feuerbrc¤nden davontreiben.
     Egmont. Allen Beistand  sollt ihr finden; es sind MacŸregeln  genommen,
dem cœbel krc¤ftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht,  durch  Aufruhr  befestige man Privilegien.  Bleibt zu  Hause; leidet
nicht, dacŸ sie  sich auf  den  StracŸen rotten. Vernc¼nftige  Leute kc¶nnen
viel tun.
     (Indessen hat sich der grc¶cŸte Haufe verlaufen.)
     Zimmermeister. Danken  Euer Exzellenz,  danken fc¼r  die gute  Meinung!
Alles,  was  an  uns  liegt.  (Egmont ab.)  Ein  gnc¤diger  Herr! der  echte
Niederlc¤nder! Gar so nichts Spanisches.
     Jetter. Hc¤tten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
     Soest. Das lc¤cŸt  der Kc¶nig wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit
den Seinigen.
     Jetter.  Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
     Zimmermeister. Ein schc¶ner Herr!
     Jetter. Sein Hals wc¤r' ein rechtes Fressen fc¼r einen Scharfrichter.
     Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!
     Jetter. Dumm genug, dacŸ einem so etwas einfc¤llt. - Es ist mir nun so.
Wenn  ich einen  schc¶nen langen Hals  sehe,  mucŸ  ich gleich wider  Willen
denken: der ist  gut  kc¶pfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie
nicht aus dem Sinne.  Wenn die Bursche  schwimmen, und ich seh einen nackten
Buckel, gleich  fallen  sie mir zu  Dutzenden  ein, die  ich habe  mit Ruten
streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst,  mein  ich,  den  sc¤h' ich
schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern;
man wird eben keine Stunde  froh. Jede Lustbarkeit, jeden SpacŸ hab ich bald
vergessen;  die  fc¼rchterlichen  Gestalten  sind  mir  wie  vor die  Stirne
gebrannt.
     Egmonts Wohnung
     Sekretc¤r an einem Tisch mit Papieren, er steht unruhig auf.
     Sekretc¤r. Er kommt immer nicht! und  ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand,.  die Papiere vor mir; und eben heute mc¶cht' ich gern so
zeitig  fort.  Es brennt  mir unter den Sohlen. Ich  kann vor  Ungeduld kaum
bleiben. b»Sei auf die Stunde dab«,  befahl er mir noch, ehe er wegging; nun
kommt er  nicht. Es  ist so viel zu  tun,  ich  werde vor  Mitternacht nicht
fertig. Freilich  sieht er einem  auch einmal durch die Finger.  Doch hielt'
ich's  besser,  wenn  er  strenge  wc¤re  und  liecŸe einen auch  wieder zur
bestimmten  Zeit. Man kc¶nnte sich einrichten. Von der  Regentin ist er  nun
schon zwei Stunden weg; wer weicŸ, wen er unterwegs angefacŸt hat.
     (Egmont tritt auf.)
     Egmont. Wie sieht's aus?
     Sekretc¤r. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
     Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdriecŸlich
Gesicht.
     Sekretc¤r. Euerm Befehl zu gehorchen, wart ich  schon lange. Hier  sind
die Papiere!
     Egmont. Donna Elvira wird bc¶se auf  mich werden, wenn sie  hc¶rt, dacŸ
ich dich abgehalten habe.
     Sekretc¤r. Ihr scherzt.
     Egmont.  Nein,  nein.  Schc¤me  dich  nicht.  Du   zeigst  einen  guten
Geschmack. Sie  ist hc¼bsch; und es  ist  mir ganz  recht,  dacŸ du  auf dem
Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
     Sekretc¤r. Mancherlei und wenig Erfreuliches.
     Egmont.  Da ist gut, dacŸ wir die  Freude zu Hause haben  und sie nicht
von auswc¤rts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
     Sekretc¤r. Genug, und drei Boten warten.
     Egmont. Sag an! das Nc¶tigste!
     Sekretc¤r. Es ist alles nc¶tig.
     Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
     Sekretc¤r. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. -
     Egmont.  Er  schreibt  wohl  noch  von  einzelnen  Ungezogenheiten  und
Tollkc¼hnheiten?
     Sekretc¤r. Ja! Es kommt noch manches vor.
     Egmont. Verschone mich damit.
     Sekretc¤r. Noch  sechs  sind  eingezogen  worden,  die bei  Wervicq das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll
hc¤ngen lassen?
     Egmont. Ich bin des Hc¤ngens  mc¼de. Man  soll  sie durchpeitschen, und
sie mc¶gen gehen.
     Sekretc¤r. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
     Egmont. Die mag er verwarnen und laufenlassen.
     Sekretc¤r. Brink  von  Bredas  Kompanie  will  heiraten.  Der Hauptmann
hofft,  Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt  er,  dacŸ, wenn wir  ausziehen, es keinem Soldatenmarsch,  sondern
einem Zigeunergeschleppe c¤hnlich sehen wird.
     Egmont. Dem mag's noch hingehen!  Es ist  ein schc¶ner junger Kerl;  er
bat mich  noch gar  dringend,  eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem  mehr
gestattet sein,  so leid mir's tut, den armen Teufeln,  die ohnedies geplagt
genug sind, ihren besten SpacŸ zu versagen.
     Sekretc¤r. Zwei von  Euern Leuten, Seter und Hart, haben  einem Mc¤del,
einer  Wirtstochter,  c¼bel mitgespielt. Sie kriegten  sie allein,  und  die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
     Egmont. Wenn  es  ein  ehrlich  Mc¤dchen  ist,  und  sie  haben  Gewalt
gebraucht,  so  soll  er sie drei Tage  hintereinander mit  Ruten  streichen
lassen, und wenn  sie etwas besitzen, soll er so  viel davon einziehen, dacŸ
dem Mc¤dchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
     Sekretc¤r. Einer  von den  fremden  Lehrern ist heimlich durch  Comines
gegangen  und  entdeckt  worden.  Er  schwc¶rt,  er  sei  im  Begriff,  nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
     Egmont. Sie sollen ihn in der  Stille  an  die Grenze  bringen  und ihm
versichern, dacŸ er das zweitemal nicht so wegkommt.
     Sekretc¤r. Ein  Brief von Euerm  Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er kc¶nne  auf die Woche die verlangte Summe  schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die grc¶cŸte Konfusion gebracht.
     Egmont. Das Geld mucŸ herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
     Sekretc¤r. Er  sagt, er werde  sein mc¶glichstes tun  und wolle endlich
den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
     Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
     Sekretc¤r. Das letztemal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
     Egmont. So gebe man  ihm noch vierzehn Tage; und dann mag  er gegen ihn
verfahren.
     Sekretc¤r. Ihr tut wohl. Es ist nicht Unvermc¶gen; es ist bc¶ser Wille.
Er macht  gewicŸ  Ernst, wenn  er sieht, Ihr spacŸt nicht. - Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen
Ihr  Gnadengehalte gebt, die Gebc¼hr einen halben Monat  zurc¼ckhalten;  man
kc¶nne indessen Rat schaffen; sie mc¶chten sich einrichten.
     Egmont. Was  ist da einzurichten? Die Leute brauchen  das Geld nc¶tiger
als ich. Das soll er bleibenlassen.
     Sekretc¤r. Woher befehlt Ihr denn, dacŸ er das Geld nehmen soll?
     Egmont.  Darauf  mag  er  denken; es  ist  ihm im vorigen Briefe  schon
gesagt.
     Sekretc¤r. Deswegen tut er die Vorschlc¤ge.
     Egmont.  Die  taugen nicht,  er  soll auf was  anders  sinnen. Er  soll
Vorschlc¤ge  tun,  die  annehmlich  sind, und  vor  allem soll er  das  Geld
schaffen.
     Sekretc¤r.  Ich  habe den Brief  des Grafen  Oliva wieder hiehergelegt.
Verzeiht, dacŸ ich Euch daran  erinnere.  Der alte  Herr verdient vor  allen
andern eine ausfc¼hrliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. GewicŸ,
er liebt Euch wie ein Vater.
     Egmont. Ich  komme nicht dazu. Und unter vielem  VerhacŸten ist mir das
Schreiben das VerhacŸteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib  in
meinem  Namen.  Ich erwarte  Oranien. Ich  komme  nicht dazu; und  wc¼nschte
selbst,  dacŸ  ihm   auf  seine  Bedenklichkeiten  was   recht  Beruhigendes
geschrieben wc¼rde.
     Sekretc¤r.  Sagt mir nur ungefc¤hr Eure Meinung;  ich  will die Antwort
schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, dacŸ sie
vor Gericht fc¼r Eure Hand gelten kann.
     Egmont.  Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner  Jugend auch  wohl so bedc¤chtig? Erstiegst du nie
einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrc¤t, hinten? -
Der treue, sorgliche! Er will  mein Leben und mein Glc¼ck und  fc¼hlt nicht,
dacŸ der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm,
er  mc¶ge unbesorgt sein;  ich handle, wie  ich soll,  ich  werde mich schon
wahren:  sein Ansehn bei Hofe  soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines
vollkommnen Dankes gewicŸ sein.
     Sekretc¤r. Nichts weiter? O er erwartet mehr.
     Egmont. Was soll  ich mehr  sagen?  Willst  du mehr  Worte  machen,  so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie
ich nicht leben mag. DacŸ  ich frc¶hlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch
lebe,  das ist mein Glc¼ck; und  ich vertausch es nicht gegen die Sicherheit
eines Totengewc¶lbes. Ich habe  nun zu der spanischen  Lebensart nicht einen
Blutstropfen  in  meinen  Adern;  nicht Lust,  meine Schritte nach der neuen
bedc¤chtigen Hofkadenz  zu mustern.  Leb ich  nur, um aufs Leben  zu denken?
Soll  ich  den gegenwc¤rtigen  Augenblick  nicht  geniecŸen, damit  ich  des
folgenden gewicŸ sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
     Sekretc¤r. Ich bitt Euch, Herr; seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja  sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefc¤llig
Wort, das den edeln Freund  beruhige. Seht, wie sorgfc¤ltig er ist, wie leis
er Euch berc¼hrt.
     Egmont. Und doch berc¼hrt  er  immer diese  Saite. Er  weicŸ von alters
her,  wie  verhacŸt mir  diese Ermahnungen sind; sie  machen  nur irre,  sie
helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wc¤re und auf dem gefc¤hrlichen
Gipfel  eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich,  mich beim Namen zu
rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu tc¶ten? LacŸt jeden seines Pfades
gehn; er mag sich wahren.
     Sekretc¤r. Es  ziemt Euch, nicht  zu  sorgen, aber  wer Euch  kennt und
liebt -
     Egmont  (in den  Brief sehend). Da bringt er wieder  die alten Mc¤rchen
auf, was  wir an einem Abend in leichtem  cœbermut der  Geselligkeit und des
Weins  getrieben und gesprochen; und was man  daraus fc¼r Folgen und Beweise
durchs ganze Kc¶nigreich  gezogen und geschleppt habe. - Nun gut! wir  haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf  unsrer  Diener  c„rmel sticken lassen, und
haben  diese tolle Zierde nachher in ein Bc¼ndel Pfeile verwandelt; ein noch
gefc¤hrlicher Symbol fc¼r alle, die deuten wollen,  wo nichts zu deuten ist.
Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich
und geboren; sind schuld, dacŸ  eine ganze edle Schar mit Bettelsc¤cken  und
mit einem selbstgewc¤hlten Unnamen dem  Kc¶nige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedc¤chtnis  rief;  sind schuld  -  was ist's nun  weiter? Ist ein
Fastnachtsspiel gleich  Hochverrat? Sind  uns die  kurzen, bunten Lumpen  zu
micŸgc¶nnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers
Lebens arme Blc¶cŸe hc¤ngen mag? Wenn ihr das  Leben gar zu ernsthaft nehmt,
was  ist denn dran? Wenn  uns der Morgen  nicht  zu neuen  Freuden weckt, am
Abend  uns  keine Lust  zu hoffen  c¼brigbleibt:  ist's  wohl  des  An-  und
Ausziehens  wert? Scheint mir  die Sonne  heut,  um  das zu  c¼berlegen, was
gestern war? und um zu  raten,  zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist,  das  Schicksal  eines  kommenden  Tages? Schenke  mir  diese
Betrachtungen;  wir wollen  sie  Schc¼lern  und Hc¶flingen c¼berlassen.  Die
mc¶gen sinnen  und  aussinnen, wandeln und schleichen,  gelangen, wohin  sie
kc¶nnen, erschleichen, was sie kc¶nnen. -  Kannst du von allem  diesem etwas
brauchen, dacŸ deine  Epistel kein Buch wird, so ist mir's  recht. Dem guten
Alten scheint  alles  viel zu wichtig. So drc¼ckt ein Freund, der lang unsre
Hand gehalten, sie stc¤rker noch einmal, wenn er sie lassen will.
     Sekretc¤r. Verzeiht  mir, es wird dem FucŸgc¤nger schwindlig, der einen
Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
     Egmont.  Kind!  Kind!  nicht  weiter!  Wie  von  unsichtbaren  Geistern
gepeitscht, gehen  die Sonnenpferde  der Zeit mit unsers Schicksals leichtem
Wagen  durch;  und  uns  bleibt  nichts,  als,  mutig  gefacŸt,  die  Zc¼gel
festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze  da, die
Rc¤der wegzulenken. Wohin es geht, wer weicŸ es? Erinnert er sich doch kaum,
woher er kam.
     Sekretc¤r. Herr! Herr!
     Egmont.  Ich  stehe  hoch  und  kann und  mucŸ noch hc¶her steigen; ich
fc¼hle mir Hoffnung, Mut  und  Kraft.  Noch hab ich  meines Wachstums Gipfel
nicht  erreicht;  und steh  ich  droben  einst,  so  will  ich  fest,  nicht
c¤ngstlich stehn. Soll ich fallen, so  mag ein Donnerschlag,  ein Sturmwind,
ja ein selbst  verfehlter  Schritt mich abwc¤rts in  die  Tiefe stc¼rzen; da
lieg ich  mit viel Tausenden.  Ich habe nie  verschmc¤ht, mit  meinen  guten
Kriegsgesellen um  kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich
knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
     Sekretc¤r.  O Herr! Ihr wicŸt  nicht, was fc¼r  Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
     Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nc¶tigsten  ist, dacŸ die Boten fortkommen, eh die Tore  geschlossen werden.
Das  andere  hat  Zeit. Den Brief an  den Grafen lacŸ  bis morgen; versc¤ume
nicht, Elviren zu besuchen, und grc¼cŸe sie von mir. -  Horche, wie sich die
Regentin  befindet;  sie soll nicht  wohl sein,  ob  sie's gleich  verbirgt.
(Sekretc¤r ab.)
     (Oranien kommt.)
     Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
     Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
     Egmont.   Ich   fand   in    ihrer   Art,   uns   aufzunehmen,   nichts
AucŸerordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
     Oranien. Merktet Ihr nicht, dacŸ sie zurc¼ckhaltender war?  Erst wollte
sie  unser  Betragen bei  dem  neuen  Aufruhr des Pc¶bels gelassen billigen;
nachher  merkte sie  an, was sich doch  auch fc¼r  ein falsches Licht darauf
werfen lasse;  wich dann  mit dem  Gesprc¤che zu ihrem  alten  gewc¶hnlichen
Diskurs:  dacŸ  man  ihre liebevolle  gute  Art,  ihre  Freundschaft zu  uns
Niederlc¤ndern, nie  genug erkannt, zu  leicht behandelt  habe, dacŸ  nichts
einen erwc¼nschten Ausgang nehmen wolle, dacŸ sie am Ende wohl mc¼de werden,
der  Kc¶nig sich  zu  andern MacŸregeln entschliecŸen  mc¼sse. Habt Ihr  das
gehc¶rt?
     Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist  ein
Weib, guter  Oranien, und die mc¶chten immer gern, dacŸ sich alles unter ihr
sanftes Joch  gelassen schmiegte, dacŸ jeder Herkules die Lc¶wenhaut ablegte
und  ihren Kunkelhof vermehrte;  dacŸ, weil sie friedlich gesinnt  sind, die
Gc¤rung,  die  ein  Volk  ergreift, der  Sturm,  den  mc¤chtige  Nebenbuhler
gegeneinander erregen,  sich  durch  ein freundlich Wort beilegen liecŸe und
die  widrigsten  Elemente  sich  zu  ihren  Fc¼cŸen   in  sanfter  Eintracht
vereinigten. Das ist  ihr Fall;  und da sie es  dahin nicht bringen kann, so
hat  sie  keinen  Weg,  als  launisch zu werden,  sich c¼ber  Undankbarkeit,
Unweisheit zu  beklagen,  mit  schrecklichen Aussichten  in  die Zukunft  zu
drohen, und zu drohen - dacŸ sie fortgehn will.
     Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, dacŸ sie ihre Drohung erfc¼llt?
     Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie  schon reisefertig gesehn!  Wo
will  sie  denn  hin? Hier Statthalterin, Kc¶nigin; glaubst du, dacŸ sie  es
unterhalten wird, am Hofe ihres  Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder
nach  Italien   zu  gehen   und   sich   in   alten   Familienverhc¤ltnissen
herumzuschleppen?
     Oranien. Man hc¤lt sie dieser EntschliecŸung nicht fc¤hig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr  sie habt zurc¼cktreten sehn; dennoch liegt's wohl in
ihr; neue Umstc¤nde treiben sie zu  dem  lang verzc¶gerten EntschlucŸ.  Wenn
sie ginge? und der Kc¶nig schickte einen andern?
     Egmont. Nun, der wc¼rde kommen, und wc¼rde eben auch zu tun finden. Mit
grocŸen  Planen,  Projekten und  Gedanken  wc¼rde  er kommen,  wie  er alles
zurechtrc¼cken,  unterwerfen und  zusammenhalten wolle;  und wc¼rde heut mit
dieser  Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun  haben, c¼bermorgen jene
Hindernis  finden,  einen  Monat mit  Entwc¼rfen, einen andern  mit VerdrucŸ
c¼ber fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen c¼ber eine einzige
Provinz zubringen. Auch ihm wird die  Zeit vergehn, der  Kopf schwindeln und
die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, dacŸ er, statt weite Meere nach einer
vorgezognen Linie zu  durchsegeln, Gott danken mag,  wenn er sein Schiff  in
diesem Sturme vom Felsen hc¤lt.
     Oranien. Wenn man nun aber dem Kc¶nig zu einem Versuch riete?
     Egmont. Der wc¤re?
     Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
     Egmont. Wie?
     Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhc¤ltnisse am
Herzen,  ich stehe immer wie c¼ber einem Schachspiele und halte  keinen  Zug
des Gegners fc¼r unbedeutend; und  wie  mc¼cŸige Menschen mit  der grc¶cŸten
Sorgfalt  sich um die Geheimnisse  der Natur bekc¼mmern, so halt ich es fc¼r
Pflicht,  fc¼r Beruf eines  Fc¼rsten, die Gesinnungen, die Ratschlc¤ge aller
Parteien  zu kennen. Ich  habe Ursach', einen  Ausbruch zu befc¼rchten.  Der
Kc¶nig  hat  lange nach  gewissen Grundsc¤tzen gehandelt;  er sieht, dacŸ er
damit nicht auskommt; was  ist wahrscheinlicher, als dacŸ er  es  auf  einem
andern Wege versucht?
     Egmont.  Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, mucŸ  man  es  endlich  wohl
genug haben.
     Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
     Egmont. Nun?
     Oranien. Das Volk zu schonen und die Fc¼rsten zu verderben.
     Egmont.  Wie  viele  haben das  schon lange gefc¼rchtet!  Es  ist keine
Sorge.
     Oranien. Sonst war's  Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
GewicŸheit geworden.
     Egmont. Und hat der Kc¶nig treuere Diener als uns?
     Oranien. Wir dienen ihm auf  unsere Art; und unter einander kc¶nnen wir
gestehen,  dacŸ wir  des Kc¶nigs  Rechte  und  die  unsrigen wohl abzuwc¤gen
wissen.
     Egmont. Wer tut's  nicht?  Wir sind ihm  untertan und gewc¤rtig in dem,
was ihm zukommt.
     Oranien.  Wenn  er sich nun  aber  mehr  zuschriebe  und  Treulosigkeit
nennte, was wir heicŸen: auf unsre Rechte halten?
     Egmont.  Wir werden  uns verteidigen  kc¶nnen. Er  rufe die  Ritter des
Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
     Oranien. Und was wc¤re ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
     Egmont.  Eine  Ungerechtigkeit, der sich Philipp  nie  schuldig  machen
wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen Rc¤ten nicht zutraue.
     Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und tc¶richt wc¤ren?
     Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht mc¶glich. Wer sollte wagen, Hand an
uns  zu  legen? - Uns  gefangenzunehmen, wc¤r' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen.  Nein,  sie  wagen nicht,  das  Panier  der  Tyrannei  so  hoch
aufzustecken.  Der  Windhauch,  der  diese  Nachricht c¼bers  Land brc¤chte,
wc¼rde  ein  ungeheures Feuer  zusammentreiben.  Und  wohinaus  wollten sie?
Richten  und  verdammen  kann nicht  der  Kc¶nig  allein;  und  wollten  sie
meuchelmc¶rderisch  an  unser  Leben?   -  Sie  kc¶nnen  nicht  wollen.  Ein
schrecklicher Bund wc¼rde in einem Augenblick das Volk vereinigen.  HacŸ und
ewige Trennung vom spanischen Namen wc¼rde sich gewaltsam erklc¤ren.
     Oranien.  Die  Flamme wc¼tete  dann c¼ber  unserm  Grabe, und das  Blut
unsrer Feinde flc¶sse zum leeren Sc¼hnopfer. LacŸ uns denken, Egmont.
     Egmont. Wie sollten sie aber?
     Oranien. Alba ist unterwegs.
     Egmont. Ich glaub's nicht.
     Oranien. Ich weicŸ es.
     Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
     Oranien. Um  desto mehr bin ich c¼berzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
     Egmont.  Aufs neue  die Provinzen zu belc¤stigen? Das Volk wird hc¶chst
schwierig werden.
     Oranien. Man wird sich der Hc¤upter versichern.
     Egmont. Nein! Nein!
     Oranien.  LacŸ  uns gehen, jeder  in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstc¤rken; mit offner Gewalt fc¤ngt er nicht an.
     Egmont. Mc¼ssen wir ihn nicht begrc¼cŸen, wenn er kommt?
     Oranien. Wir zc¶gern.
     Egmont. Und  wenn  er  uns  im Namen  des  Kc¶nigs bei  seiner  Ankunft
fordert?
     Oranien. Suchen wir Ausflc¼chte.
     Egmont. Und wenn er dringt?
     Oranien. Entschuldigen wir uns.
     Egmont. Und wenn er drauf besteht?
     Oranien. Kommen wir um so weniger.
     Egmont. Und der Krieg ist erklc¤rt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
lacŸ dich nicht durch Klugheit verfc¼hren; ich weicŸ, dacŸ Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
     Oranien. Ich hab ihn bedacht.
     Egmont.  Bedenke,  wenn du dich  irrst,  woran du schuld  bist; an  dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwc¼stet hat. Dein Weigern ist das
Signal,  das  die  Provinzen  mit  einmal  zu  den  Waffen  ruft,  das  jede
Grausamkeit rechtfertigt,  wozu Spanien  von  jeher  nur  gern  den  Vorwand
gehascht hat.  Was wir  lange mc¼hselig  gestillt haben, wirst du  mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk  an  die  Stc¤dte,  die
Edeln, das Volk, an  die Handlung, den Feldbau,  die Gewerbe! und  denke die
Verwc¼stung,  den Mord! -  Ruhig sieht  der  Soldat  wohl  im  Felde  seinen
Kameraden  neben  sich  hinfallen; aber  den  FlucŸ herunter werden dir  die
Leichen  der Bc¼rger, der Kinder, der  Jungfrauen entgegenschwimmen, dacŸ du
mit Entsetzen  dastehst und nicht mehr weicŸt, wessen Sache du  verteidigst,
da die zugrunde gehen, fc¼r deren Freiheit du die Waffen  ergriffst. Und wie
wird  dir's sein, wenn  du  dir still sagen  mucŸt:  b»Fc¼r meine Sicherheit
ergriff ich sie.b«
     Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es  sich,  uns
fc¼r  Tausende hinzugeben,  so  ziemt es sich auch,  uns  fc¼r  Tausende  zu
schonen.
     Egmont. Wer sich schont, mucŸ sich selbst verdc¤chtig werden.
     Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rc¼ckwc¤rts gehen.
     Egmont. Das cœbel, das du fc¼rchtest, wird gewicŸ durch deine Tat.
     Oranien.   Es   ist   klug   und  kc¼hn,  dem   unvermeidlichen   cœbel
entgegenzugehn.
     Egmont.  Bei  so  grocŸer  Gefahr  kommt  die  leichteste  Hoffnung  in
Anschlag.
     Oranien.  Wir haben nicht fc¼r den leisesten FucŸtritt Platz mehr;  der
Abgrund liegt hart vor uns.
     Egmont. Ist des Kc¶nigs Gunst ein so schmaler Grund?
     Oranien. So schmal nicht, aber schlc¼pfrig.
     Egmont. Bei Gott! man  tut ihm  Unrecht. Ich mag nicht leiden, dacŸ man
unwc¼rdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fc¤hig.
     Oranien. Die Kc¶nige tun nichts Niedriges.
     Egmont. Man sollte ihn kennenlernen.
     Oranien.  Eben diese Kenntnis  rc¤t uns, eine gefc¤hrliche  Probe nicht
abzuwarten.
     Egmont. Keine Probe ist gefc¤hrlich, zu der man Mut hat.
     Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
     Egmont. Ich mucŸ mit meinen Augen sehen.
     Oranien. O sc¤hst du diesmal nur mit den  meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du  Albas Ankunft ab, und
Gott sei bei  dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern.  Vielleicht dacŸ der
Drache  nichts  zu  fangen  glaubt,  wenn  er uns  nicht  beide  auf  einmal
verschlingt.   Vielleicht   zc¶gert  er,   um   seinen   Anschlag   sicherer
auszufc¼hren;  und  vielleicht  siehest  du indes die Sache  in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell!  Rette! rette dich! - Leb  wohl! - LacŸ
deiner Aufmerksamkeit nichts  entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie
er die Stadt besetzt, was fc¼r Macht die Regentin behc¤lt, wie deine Freunde
gefacŸt sind. Gib mir Nachricht - - - Egmont -
     Egmont. Was willst du?
     Oranien (ihn bei der Hand fassend). LacŸ dich c¼berreden! Geh mit!
     Egmont. Wie? Trc¤nen, Oranien?
     Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch mc¤nnlich.
     Egmont. Du wc¤hnst mich verloren?
     Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
     Egmont (allein). DacŸ andrer Menschen Gedanken solchen EinflucŸ auf uns
haben!  Mir  wc¤r'  es  nie  eingekommen;   und  dieser  Mann  trc¤gt  seine
Sorglichkeit  in mich  herc¼ber.  - Weg!  - Das ist ein fremder  Tropfen  in
meinem  Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die
sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
     Dritter Aufzug
     Palast der Regentin
     Margarete von Parma.
     Margarete. Ich hc¤tte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mc¼he  und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer,  man tue das Mc¶glichste;  und der
von weitem zusieht und  befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mc¶gliche. - O
die  Kc¶nige!  - Ich hc¤tte nicht  geglaubt, dacŸ  es  mich  so  verdriecŸen
kc¶nnte. Es ist so schc¶n zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weicŸ nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
     (Machiavell erscheint im Grunde.)
     Regentin. Tretet  nc¤her,  Machiavell. Ich denke hier  c¼ber den  Brief
meines Bruders.
     Machiavell. Ich darf wissen, was er enthc¤lt?
     Regentin. So viel zc¤rtliche Aufmerksamkeit fc¼r mich als Sorgfalt fc¼r
seine Staaten. Er  rc¼hmt die Standhaftigkeit,  den FleicŸ  und  die  Treue,
womit ich  bisher fc¼r die Rechte seiner Majestc¤t in diesen Landen  gewacht
habe. Er bedauert  mich, dacŸ mir  das unbc¤ndige Volk  so viel zu  schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen  c¼berzeugt, mit
der Klugheit meines Betragens  so aucŸerordentlich zufrieden, dacŸ ich  fast
sagen mucŸ,  der  Brief ist fc¼r einen  Kc¶nig  zu  schc¶n geschrieben, fc¼r
einen Bruder gewicŸ.
     Machiavell.  Es  ist  nicht  das erstemal, dacŸ  er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
     Regentin. Aber das erstemal, dacŸ es rednerische Figur ist.
     Machiavell. Ich versteh Euch nicht.
     Regentin.  Ihr  werdet.  - Denn er meint,  nach diesem  Eingange:  ohne
Mannschaft, ohne  eine  kleine Armee werde  ich immer hier eine c¼ble  Figur
spielen! Wir hc¤tten,  sagt er, unrecht getan,  auf die Klagen der Einwohner
unsre  Soldaten  aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er,  die
dem Bc¼rger auf dem Nacken lastet,  verbiete  ihm durch ihre Schwere, grocŸe
Sprc¼nge zu machen.
     Machiavell. Es wc¼rde die Gemc¼ter c¤ucŸerst aufbringen.
     Regentin.  Der  Kc¶nig  meint aber,  hc¶rst  du?  - Er meint, dacŸ  ein
tc¼chtiger  General, so  einer, der gar keine  Rc¤son  annimmt, gar bald mit
Volk  und Adel,  Bc¼rgern  und  Bauern fertig werden  kc¶nne;  - und schickt
deswegen mit einem starken Heere - den Herzog von Alba.
     Machiavell. Alba?
     Regentin. Du wunderst dich?
     Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
     Regentin. Der Kc¶nig fragt nicht; er schickt.
     Machiavell. So  werdet Ihr einen  erfahrnen  Krieger  in Euren Diensten
haben.
     Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.
     Machiavell. Ich mc¶cht' Euch nicht vorgreifen.
     Regentin. Und ich mc¶chte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder  sagte, wie er's denkt, als dacŸ
er fc¶rmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretc¤r aufsetzt.
     Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -
     Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie mc¶chten's gern
gesc¤ubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet
ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in  der Hand kommt.  O mir ist's, als
wenn ich den Kc¶nig und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sc¤he.
     Machiavell. So lebhaft?
     Regentin.  Es  fehlt  kein  Zug.  Es  sind gute  Menschen  drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so  erfahren und  mc¤cŸig ist, nicht zu hoch will, und
doch nichts fallen lc¤cŸt,  der gerade  Alonzo, der  fleicŸige Freneda,  der
feste Las  Vargas, und  noch  einige,  die  mitgehen,  wenn  die gute Partei
mc¤chtig wird. Da sitzt aber der hohlc¤ugige Toledaner mit der ehrnen Stirne
und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen  den  Zc¤hnen  von  Weibergc¼te,
unzeitigem Nachgeben  und  dacŸ Frauen  wohl  von  zugerittenen Pferden sich
tragen lassen, selbst  aber schlechte Stallmeister sind, und solche Spc¤cŸe,
die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhc¶ren mc¼ssen.
     Machiavell. Ihr habt zu dem Gemc¤lde einen guten Farbentopf gewc¤hlt.
     Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In  meiner  ganzen Schattierung, aus
der  ich  allenfalls malen kc¶nnte, ist  kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz
wie  Albas Gesichtsfarbe und  als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist  bei
ihm gleich  ein  Gotteslc¤sterer,  ein  Majestc¤tsschc¤nder: denn aus diesem
Kapitel  kann  man  sie  alle  sogleich rc¤dern,  pfc¤hlen,  vierteilen  und
verbrennen. - Das Gute, was  ich hier getan habe, sieht  gewicŸ in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hc¤ngt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist;  und es wird  dem
Kc¶nige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkc¼hnheit,  dacŸ  er
sich vorstellt,  sie  frc¤cŸen sich  hier einander auf, wenn eine  flc¼chtig
vorc¼bergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist.
Da facŸt er einen recht herzlichen HacŸ auf  die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich,  ja wie Tiere  und  Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um und wc¤hnt, so bc¤ndige man Menschen.
     Machiavell. Ihr scheint mir zu  heftig, Ihr  nehmt  die  Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
     Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich  bin in
Staatsgeschc¤ften  alt  genug  geworden,   um   zu  wissen,  wie  man  einen
verdrc¤ngt,  ohne  ihm  seine Bestallung  zu nehmen.  -  Erst wird  er  eine
Instruktion bringen, die  wird unbestimmt  und schief sein; er  wird um sich
greifen, denn er hat  die Gewalt; und  wenn  ich mich beklage, wird  er eine
geheime  Instruktion  vorschc¼tzen;  wenn ich sie sehen  will, wird er  mich
herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz
was  anders enthc¤lt; und wenn ich mich  da nicht  beruhige, gar nicht  mehr
tun, als wenn ich redete. - Indes wird er,  was ich fc¼rchte, getan, und was
ich wc¼nsche, weit abwc¤rts gelenkt haben.
     Machiavell. Ich wollt', ich kc¶nnt' Euch widersprechen.
     Regentin.  Was  ich mit  unsc¤glicher Geduld beruhigte,  wird er  durch
Hc¤rte und  Grausamkeiten wieder aufhetzen;  ich werde vor meinen Augen mein
Werk verloren sehen und c¼berdies noch seine Schuld zu tragen haben.
     Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
     Regentin. So viel Gewalt hab  ich  c¼ber mich, um stille zu  sein. LacŸ
ihn kommen;  ich  werde  ihm mit der  besten Art Platz machen, eh'  er  mich
verdrc¤ngt.
     Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
     Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist,  wer's
hergebracht hat, dacŸ jeden  Tag das Schicksal von Tausenden  in seiner Hand
liegt, steigt  vom Throne wie ins Grab. Aber besser  so, als einem Gespenste
gleich  unter  den  Lebenden  bleiben  und  mit  hohlem  Ansehn einen  Platz
behaupten wollen, den ihm  ein  anderer  abgeerbt hat  und  nun  besitzt und
geniecŸt.

     Klc¤rchens Wohnung
     Klc¤rchen. Mutter.
     Mutter.  So  eine  Liebe  wie Brackenburgs  hab  ich  nie  gesehen; ich
glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
     Klc¤rchen (geht in der Stube auf und ab, ein  Lied zwischen den  Lippen
summend).
     Glc¼cklich allein
     Ist die Seele, die liebt.

     Mutter.  Er vermutet deinen Umgang mit  Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich tc¤test, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
     Klc¤rchen (singt).
     Freudvoll
     Und leidvoll,
     Gedankenvoll sein,
     Langen
     Und bangen
     In schwebender Pein,
     Himmelhoch jauchzend,
     Zum Tode betrc¼bt -
     Glc¼cklich allein
     Ist die Seele, die liebt.

     Mutter. LacŸ das Heiopopeia.
     Klc¤rchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein krc¤ftig Lied. Hab ich doch
schon manchmal ein grocŸes Kind damit schlafen gewiegt.
     Mutter. Du hast  doch  nichts im  Kopfe als deine Liebe. Vergc¤cŸest du
nur nicht alles c¼ber das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag ich dir. Er kann dich noch einmal glc¼cklich machen.
     Klc¤rchen. Er?
     Mutter. O ja! es kommt eine  Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus  und
c¼berhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schc¶ne  Liebe,  alles hat
sein  Ende;  und es  kommt eine Zeit, wo man  Gott dankt, wenn man  irgendwo
unterkriechen kann.
     Klc¤rchen (schaudert, schweigt und fc¤hrt auf). Mutter, lacŸt  die Zeit
kommen  wie den Tod. Dran  vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt!
Wenn  wir mc¼ssen  -  dann  - wollen wir  uns  gebc¤rden, wie wir kc¶nnen  -
Egmont,  ich  dich  entbehren! - (In Trc¤nen.) Nein, es ist nicht  mc¶glich,
nicht mc¶glich.
     Egmont  (in  einem  Reitermantel,  den  Hut  ins   Gesicht  gedrc¼ckt).
Klc¤rchen!
     Klc¤rchen (tut einen Schrei, fc¤hrt zurc¼ck). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und  ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Sc¼cŸer!
Kommst du? bist du da!
     Egmont. Guten Abend, Mutter.
     Mutter. Gott grc¼cŸ' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
dacŸ Ihr so  lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch  geredet
und gesungen.
     Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
     Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hc¤tten.
     Klc¤rchen.  Freilich!  Seid  nur ruhig, Mutter;  ich habe  schon  alles
darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
     Mutter. Schmal genug.
     Klc¤rchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab  ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen grocŸen  Appetit haben, wenn ich
bei ihm bin.
     Egmont. Meinst du?
     Klc¤rchen (stampft mit dem FucŸe und kehrt sich unwillig um).
     Egmont. Wie ist dir?
     Klc¤rchen.  Wie seid Ihr heute so kalt!  Ihr habt  mir noch keinen KucŸ
angeboten.  Warum  habt  Ihr  die  Arme  in  den  Mantel  gewickelt wie  ein
Wochenkind? Ziemt  keinem Soldaten noch  Liebhaber, die Arme eingewickelt zu
haben.
     Egmont. Zuzeiten,  Liebchen,  zuzeiten.  Wenn der  Soldat auf der Lauer
steht  und  dem  Feinde etwas ablisten mc¶chte, da  nimmt er  sich zusammen,
facŸt  sich selbst in seine Arme und  kaut  seinen  Anschlag reif.  Und  ein
Liebhaber -
     Mutter. Wollt  Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen?  Ich
mucŸ in die Kc¼che; Klc¤rchen denkt  an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr mc¼cŸt
fc¼rliebnehmen.
     Egmont. Euer guter Wille ist die beste Wc¼rze. (Mutter ab.)
     Klc¤rchen. Und was wc¤re denn meine Liebe?
     Egmont. So viel du willst.
     Klc¤rchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
     Egmont. Zuvc¶rderst also. (Er wirft den  Mantel  ab  und steht in einem
prc¤chtigen Kleide da.)
     Klc¤rchen. O je!
     Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
     Klc¤rchen.  LacŸt!  Ihr  verderbt  Euch.   (Sie  tritt  zurc¼ck.)   Wie
prc¤chtig! Da darf ich Euch nicht anrc¼hren.
     Egmont. Bist  du  zufrieden?  Ich  versprach  dir, einmal  spanisch  zu
kommen.
     Klc¤rchen.  Ich bat  Euch zeither  nicht  mehr  drum;  ich dachte,  Ihr
wolltet nicht - Ach und das Goldne Vlies!
     Egmont. Da siehst du's nun.
     Klc¤rchen. Das hat dir der Kaiser umgehc¤ngt?
     Egmont. Ja,  Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trc¤gt, die
edelsten  Freiheiten.  Ich  erkenne auf  Erden  keinen  Richter c¼ber  meine
Handlungen als den GrocŸmeister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der
Ritter.
     Klc¤rchen. O du dc¼rftest die  ganze Welt  c¼ber dich richten lassen. -
Der Sammet ist gar zu herrlich,  und die Passementarbeit! und das Gestickte!
- Man weicŸ nicht, wo man anfangen soll.
     Egmont. Sieh dich nur satt.
     Klc¤rchen. Und  das Goldne Vlies! Ihr erzc¤hltet mir die Geschichte und
sagtet, es sei ein Zeichen alles GrocŸen und Kostbaren, was man mit Mc¼h und
FleicŸ verdient und erwirbt. Es ist sehr  kostbar  - ich kann's deiner Liebe
vergleichen. - Ich trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
     Egmont. Was willst du sagen?
     Klc¤rchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
     Egmont. Wieso?
     Klc¤rchen. Ich  habe  sie nicht mit  Mc¼h  und  FleicŸ erworben,  nicht
verdient.
     Egmont. In  der  Liebe ist es anders. Du verdienst  sie, weil  du  dich
nicht  darum bewirbst - und die Leute  erhalten sie auch  meist  allein, die
nicht darnach jagen.
     Klc¤rchen.  Hast du das  von  dir  abgenommen?  Hast  du  diese  stolze
Anmerkung c¼ber dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
     Egmont. Hc¤tt' ich nur etwas fc¼r sie getan! kc¶nnt' ich etwas fc¼r sie
tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
     Klc¤rchen. Du warst gewicŸ heute bei der Regentin?
     Egmont. Ich war bei ihr.
     Klc¤rchen. Bist du gut mit ihr?
     Egmont.  Es  sieht einmal so  aus.  Wir sind  einander  freundlich  und
dienstlich.
     Klc¤rchen. Und im Herzen?
     Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat  seine eignen  Absichten. Das  tut
nichts zur Sache. Sie ist eine  treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sc¤he
tief genug, wenn sie  auch  nicht argwc¶hnisch wc¤re. Ich  mache ihr viel zu
schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse  sucht,  und ich
keine habe.
     Klc¤rchen. So gar keine?
     Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in
den  Fc¤ssern  an   mit  der  Zeit.  Oranien  ist  doch  noch  eine  bessere
Unterhaltung fc¼r sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit
gesetzt, dacŸ er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht  sie immer nach
seiner  Stirne, was  er  wohl denken, auf seine Schritte, wohin  er sie wohl
richten mc¶chte.
     Klc¤rchen. Verstellt sie sich?
     Egmont. Regentin, und du fragst?
     Klc¤rchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
     Egmont.  Nicht mehr und nicht  weniger als  jeder, der  seine Absichten
erreichen will.
     Klc¤rchen. Ich kc¶nnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen mc¤nnlichen Geist,  sie  ist ein  ander  Weib als wir Nc¤hterinnen und
Kc¶chinnen. Sie ist grocŸ, herzhaft, entschlossen.
     Egmont. Ja,  wenn's nicht  gar zu bunt geht.  Diesmal ist sie doch  ein
wenig aus der Fassung.
     Klc¤rchen. Wieso?
     Egmont. Sie  hat  auch  ein Bc¤rtchen  auf  der Oberlippe, und manchmal
einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
     Klc¤rchen.  Eine  majestc¤tische Frau!  Ich scheute mich,  vor  sie  zu
treten.
     Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wc¤re  auch nicht Furcht,
nur jungfrc¤uliche Scham.
     Klc¤rchen (schlc¤gt  die Augen nieder,  nimmt seine Hand und lehnt sich
an ihn).
     Egmont.  Ich  verstehe  dich!  liebes  Mc¤dchen!  du  darfst  die Augen
aufschlagen. (Er kc¼cŸt ihre Augen.)
     Klc¤rchen. LacŸ mich schweigen! LacŸ mich dich halten. LacŸ mich dir in
die  Augen  sehen;  alles  drin  finden,  Trost und Hoffnung und  Freude und
Kummer.  (Sie  umarmt  ihn und sieht ihn an.)  Sag  mir! Sage!  ich begreife
nicht!  bist  du Egmont?  der  Graf Egmont? der grocŸe  Egmont,  der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hc¤ngen?
     Egmont. Nein, Klc¤rchen, das bin ich nicht.
     Klc¤rchen. Wie?
     Egmont. Siehst du,  Klc¤rchen! - LacŸ mich sitzen! (Er  setzt sich, sie
kniet vor ihn auf einen Schemel,  legt ihr Arme auf  seinen SchocŸ und sieht
ihn an.) Jener Egmont  ist ein verdriecŸlicher, steifer, kalter Egmont,  der
an sich  halten,  bald  dieses bald  jenes  Gesicht  machen  mucŸ;  geplagt,
verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute fc¼r froh und frc¶hlich halten;
geliebt von einem Volke, das nicht  weicŸ, was es  will;  geehrt und in  die
Hc¶he  getragen von einer Menge,  mit der nichts anzufangen ist; umgeben von
Freunden, denen er sich nicht c¼berlassen darf; beobachtet von Menschen, die
ihm  auf alle Weise  beikommen mc¶chten; arbeitend  und  sich bemc¼hend, oft
ohne Zweck  meist ohne Lohn -  O lacŸ mich schweigen, wie es dem ergeht, wie
es dem zumute ist. Aber dieser, Klc¤rchen, der ist ruhig, offen, glc¼cklich,
geliebt und gekannt von dem  besten Herzen,  das auch er ganz  kennt und mit
voller  Liebe  und Zutrauen  an das seine drc¼ckt.  (Er umarmt sie.) Das ist
dein Egmont!
     Klc¤rchen. So lacŸ mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
     Vierter Aufzug
     StracŸe
     Jetter. Zimmermeister.
     Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
     Zimmermeister. Geh deines Pfads und sei ruhig.
     Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
     Zimmermeister. Nichts, als dacŸ uns von Neuem zu reden verboten ist.
     Jetter. Wie?
     Zimmermeister.  Tretet hier ans  Haus an. Hc¼tet  Euch!  Der Herzog von
Alba hat gleich  bei  seiner Ankunft einen  Befehl ausgehen lassen,  dadurch
zwei oder drei, die auf der StracŸe  zusammen sprechen, des Hochverrats ohne
Untersuchung schuldig erklc¤rt sind.
     Jetter. O weh!
     Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
     Jetter. O unsre Freiheit!
     Zimmermeister. Und  bei  Todesstrafe  soll niemand die  Handlungen  der
Regierung micŸbilligen.
     Jetter. O unsre Kc¶pfe!
     Zimmermeister.  Und  mit  grocŸem Versprechen  werden  Vc¤ter, Mc¼tter,
Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
     Jetter. Gehn wir nach Hause.
     Zimmermeister.  Und den Folgsamen  ist versprochen, dacŸ  sie weder  an
Leibe, noch Ehre, noch Vermc¶gen einige Krc¤nkung erdulden sollen.
     Jetter. Wie gnc¤dig!  War mir's doch gleich weh, wie  der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wc¤re der Himmel mit einem schwarzen
Flor c¼berzogen und hinge so tief herunter, dacŸ man sich bc¼cken mc¼sse, um
nicht dran zu stocŸen.
     Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
     Jetter. Pfui! Es schnc¼rt einem das Herz ein, wenn  man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren  sieht. Kerzengerad mit unverwandtem Blick, ein
Tritt, soviel  ihrer  sind. Und wenn sie auf  der Schildwache stehen und  du
gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte,
und  sieht so  steif  und  mc¼rrisch  aus,  dacŸ du  auf allen  Ecken  einen
Zuchtmeister  zu sehen glaubst.  Sie tun mir gar nicht wohl. Unsre Miliz war
doch noch  ein  lustig  Volk;  sie  nahmen  sich  was  heraus,  standen  mit
ausgegrc¤tschten  Beinen da, hatten  den Hut c¼berm Ohr, lebten  und liecŸen
leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
     Zimmermeister. Wenn so einer ruft. b»Halt!b« und anschlc¤gt, meinst du,
man hielte?
     Jetter. Ich wc¤re gleich des Todes.
     Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
     Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
     (Soest tritt dazu.)
     Soest. Freunde! Genossen!
     Zimmermeister. Still! LacŸt uns gehen.
     Soest. WicŸt ihr?
     Jetter. Nur zu viel!
     Soest. Die Regentin ist weg.
     Jetter. Nun gnad' uns Gott!
     Zimmermeister. Die hielt uns noch.
     Soest. Auf  einmal und in der Stille.  Sie  konnte sich mit dem  Herzog
nicht  vertragen;  sie  liecŸ  dem Adel melden,  sie  komme wieder.  Niemand
glaubt's.
     Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, dacŸ  er uns diese neue GeicŸel
c¼ber den  Hals  gelassen  hat.  Sie  hc¤tten  es  abwenden  kc¶nnen.  Unsre
Privilegien sind hin.
     Jetter. Um Gottes willen  nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
     Soest. Oranien ist auch weg.
     Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
     Soest. Graf Egmont ist noch da.
     Jetter. Gott sei Dank! Stc¤rken ihn alle Heiligen, dacŸ er sein  Bestes
tut; der ist allein was vermc¶gend.
     (Vansen tritt auf.)
     Vansen. Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
     Jetter. Tut uns den Gefallen und geht fc¼rbacŸ.
     Vansen. Ihr seid nicht hc¶flich.
     Zimmermeister.  Es ist gar keine  Zeit zu Komplimenten.  Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
     Vansen.  Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schlc¤ge
was gegeben hc¤tte, wc¤re sein Tage nichts aus mir geworden.
     Jetter. Es kann ernstlicher werden.
     Vansen. Ihr spc¼rt  von dem Gewitter, das aufsteigt, eine  erbc¤rmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
     Zimmermeister. Deine Glieder  werden  sich  bald woanders  eine  Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
     Vansen.  Armselige Mc¤use,  die  gleich verzweifeln,  wenn der Hausherr
eine neue Katze anschafft! Nur ein bicŸchen  anders; aber wir  treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
     Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
     Vansen.  Gevatter  Tropf! LacŸ  du den Herzog  nur gewc¤hren.  Der alte
Kater sieht aus,  als wenn er  Teufel  statt  Mc¤use  gefressen  hc¤tte  und
kc¶nnte sie nun nicht  verdauen. LacŸt  ihn  nur  erst; er  mucŸ auch essen,
trinken, schlafen  wie andere Menschen.  Es ist  mir nicht  bange,  wenn wir
unsere  Zeit  recht nehmen. Im  Anfange  geht's rasch; nachher wird  er auch
finden, dacŸ in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben  ist und
des Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne Mc¤uschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
     Zimmermeister. Was  so  einem  Menschen  alles  durchgeht!  Wenn ich in
meinem Leben  so etwas  gesagt  hc¤tte,  hielt'  ich mich  keine Minute fc¼r
sicher.
     Vansen.  Seid  nur  ruhig!  Gott im Himmel  erfc¤hrt  nichts  von  euch
Wc¼rmern, geschweige der Regent.
     Jetter. Lc¤stermaul!
     Vansen.  Ich weicŸ  andere, denen  es  besser wc¤re,  sie hc¤tten statt
ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
     Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
     Vansen. Hm! den Grafen mein ich.
     Jetter. Egmont! Was soll der fc¼rchten?
     Vansen. Ich  bin ein armer Teufel und kc¶nnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch kc¶nnt' er mir sein Einkommen
eines ganzen  Jahres geben,  wenn er  meinen  Kopf  auf  eine  Viertelstunde
hc¤tte.
     Jetter. Du  denkst  dich was Rechts. Egmonts  Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
     Vansen. Redt  Ihr! Aber  nicht feiner.  Die  Herren betriegen  sich  am
ersten. Er sollte nicht trauen.
     Jetter. Was er schwc¤tzt! So ein Herr!
     Vansen. Eben weil er kein Schneider ist.
     Jetter. Ungewaschen Maul!
     Vansen. Dem  wollt'  ich Eure  Courage  nur  eine Stunde in die Glieder
wc¼nschen, dacŸ sie ihm da Unruh machte und ihn so lange neckte  und juckte,
bis er aus der Stadt mc¼cŸte.
     Jetter. Ihr redet recht unverstc¤ndig; er  ist so  sicher wie der Stern
am Himmel.
     Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
     Zimmermeister. Wer will ihm denn was tun?
     Vansen. Wer will? Willst  du's  etwa  hindern? Willst du einen  Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
     Jetter. Ah!
     Vansen. Wollt ihr eure Rippen fc¼r ihn wagen?
     Soest. Eh!
     Vansen  (sie nachc¤ffend). Ih! Oh! Uh!  Verwundert  euch  durchs  ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
     Jetter.  Ich  erschrecke  c¼ber  Eure Unverschc¤mtheit.  So ein  edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befc¼rchten haben?
     Vansen.   Der   Schelm    sitzt   c¼berall   im    Vorteil.   Auf   dem
Armensc¼nderstc¼hlchen  hat er den  Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten  mit Lust zum Verbrecher. Ich habe  so ein Protokoll
abzuschreiben  gehabt, wo  der  Kommissarius  schwer Lob  und  Geld vom Hofe
erhielt, weil  er  einen ehrlichen Teufel,  an den man wollte, zum  Schelmen
verhc¶rt hatte.
     Zimmermeister.  Das  ist  wieder frisch  gelogen. Was wollen  sie  denn
heraus verhc¶ren, wenn einer unschuldig ist?
     Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhc¶ren ist, da verhc¶rt man
hinein.  Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt  man erst
recht sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine  Unschuld,  wie sie's
heicŸen,  und  sagt  alles geradezu, was  ein  Verstc¤ndiger verbc¤rge. Dann
macht der Inquisitor  aus den Antworten wieder Fragen und pacŸt ja  auf,  wo
irgendein  Widersprc¼chelchen erscheinen will; da knc¼pft  er seinen  Strick
an, und lc¤cŸt sich der dumme Teufel betreten, dacŸ  er  hier etwas zu viel,
dort etwas  zu wenig gesagt  oder wohl gar aus  Gott  weicŸ  was  fc¼r einer
Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch  wohl irgend an  einem Ende sich
hat  schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich  versichre
euch, mit mehr Sorgfalt  suchen die  Bettelweiber nicht die  Lumpen  aus dem
Kehricht,  als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verrc¼ckten,  verdrc¼ckten, geschlossenen, bekannten,  geleugneten  Anzeigen
und    Umstc¤nden    sich    endlich    einen    strohlumpenen    Vogelscheu
zusammenkc¼nstelt,  um wenigstens seinen  Inquisiten  in  effigie hc¤ngen zu
kc¶nnen. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hc¤ngen
sehen.
     Jetter. Der hat eine gelc¤ufige Zunge.
     Zimmermeister.  Mit Fliegen  mag das angehen. Die Wespen  lachen  Eures
Gespinstes.
     Vansen.  Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange  Herzog hat euch  so
ein rein Ansehn  von einer Kreuzspinne, nicht einer dickbc¤uchigen, die sind
weniger schlimm, aber so einer langfc¼cŸigen, schmalleibigen, die vom FracŸe
nicht feist wird und recht dc¼nne Fc¤den zieht, aber desto zc¤here.
     Jetter. Egmont ist Ritter des  Goldnen  Vlieses; wer darf Hand  an  ihn
legen?  Nur von seinesgleichen kann  er gerichtet  werden, nur vom  gesamten
Orden.  Dein loses Maul, dein  bc¶ses Gewissen  verfc¼hren  dich  zu solchem
Geschwc¤tz.
     Vansen. Will ich  ihm  darum  c¼bel? Mir kann's recht sein. Es ist  ein
trefflicher  Herr.  Ein  paar  meiner  guten  Freunde, die anderwc¤rts schon
wc¤ren gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schlc¤ge verabschiedet.
Nun  geht! Geht!  Ich rat  es euch  selbst. Dort  seh ich wieder eine  Runde
antreten; die sehen  nicht aus, als  wenn sie so bald Brc¼derschaft mit  uns
trinken wc¼rden. Wir  wollen's abwarten und nur sachte zusehen. Ich  hab ein
paar Nichten  und einen Gevatter Schenkwirt;  wenn  sie  von  denen gekostet
haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wc¶lfe.
     Der Culenburgische Palast
     Wohnung des Herzogs von Alba
     Silva und Gomez begegnen einander.
     Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
     Gomez. Pc¼nktlich. Alle tc¤gliche Runden sind  beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen Plc¤tzen einzutreffen, die ich ihnen  bezeichnet habe;
sie gehen indes,  wie gewc¶hnlich, durch die Stadt, um Ordnung  zu erhalten.
Keiner weicŸ von dem andern;  jeder glaubt, der Befehl gehe  ihn allein  an,
und  in  einem Augenblick kann alsdann  der Kordon gezogen und alle Zugc¤nge
zum Palast kc¶nnen besetzt sein. WeicŸt du die Ursache dieses Befehls?
     Silva.  Ich bin  gewohnt,  blindlings zu  gehorchen.  Und  wem gehorcht
sich's  leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, dacŸ er recht
befohlen hat?
     Gomez.  Gut!  Gut!  Auch  scheint  es  mir  kein  Wunder,  dacŸ  du  so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein mucŸt.  Mir
kommt  es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin.
An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das Schwc¤tzen und
Rc¤sonieren angewc¶hnt. Ihr  schweigt alle und lacŸt  es euch nie wohl sein.
Der Herzog gleicht mir  einem ehrnen  Turm  ohne Pforte, wozu die  Besatzung
Flc¼gel  hc¤tte.  Neulich  hc¶rt'  ich  ihn   bei  Tafel  von  einem  frohen
freundlichen Menschen sagen: er  sei wie eine  schlechte  Schenke  mit einem
ausgesteckten  Branntweinzeichen,   um  Mc¼cŸiggc¤nger,  Bettler  und  Diebe
hereinzulocken.
     Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergefc¼hrt?
     Gomez. Dagegen ist nichts  zu sagen.  GewicŸ! Wer Zeuge seiner Klugheit
war,  wie er die Armee aus  Italien hierher brachte, der hat etwas  gesehen.
Wie er  sich durch Freund  und Feind, durch die  Franzosen, Kc¶niglichen und
Ketzer, durch  die Schweizer  und Verbundnen gleichsam  durchschmiegte,  die
strengste  Mannszucht hielt  und  einen Zug, den man so gefc¤hrlich achtete,
leicht  und  ohne AnstocŸ zu leiten wucŸte!  -  Wir haben  was gesehen,  was
lernen kc¶nnen.
     Silva.  Auch  hier!  Ist  nicht  alles still  und  ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wc¤re?
     Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
     Silva. In den  Provinzen ist es  viel  ruhiger geworden;  und wenn sich
noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die
Wege bald versperren, denk ich.
     Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Kc¶nigs gewinnen.
     Silva. Und  uns  bleibt  nichts  angelegener, als uns  die  seinige  zu
erhalten. Wenn der Kc¶nig hieherkommt,  bleibt gewicŸ der Herzog  und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
     Gomez. Glaubst du, dacŸ der Kc¶nig kommt?
     Silva.  Es  werden   so  viele  Anstalten  gemacht,   dacŸ  es  hc¶chst
wahrscheinlich ist.
     Gomez. Mich c¼berreden sie nicht.
     Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Kc¶nigs Absicht ja
nicht  sein sollte zu kommen,  so ist sie's doch wenigstens gewicŸ, dacŸ man
es glauben soll.
     (Ferdinand, Albas natc¼rlicher Sohn.)
     Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
     Silva. Wir warten auf ihn.
     Ferdinand. Die Fc¼rsten werden bald hier sein.
     Gomez. Kommen sie heute?
     Ferdinand. Oranien und Egmont.
     Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
     Silva. So behalt es fc¼r dich.
     (Herzog  von Alba. -  Wie er herein- und hervortritt, treten die andern
zurc¼ck.)
     Alba. Gomez.
     Gomez (tritt vor). Herr!
     Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
     Gomez. Aufs genaueste. Die tc¤glichen Runden -
     Alba.  Genug.  Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie  zusammenziehen, die Zugc¤nge  nach  dem  Palast besetzen
sollst. Das c¼brige weicŸt du.
     Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
     Alba. Silva!
     Silva. Hier bin ich.
     Alba.   Alles,  was  ich  von  jeher  an  dir  geschc¤tzt   habe,  Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausfc¼hren, das zeige heut.
     Silva.  Ich  danke Euch, dacŸ Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen,  dacŸ
ich der alte bin.
     Alba.  Sobald die Fc¼rsten bei mir eingetreten sind, dann eile  gleich,
Egmonts  Geheimschreiber  gefangenzunehmen. Du hast  alle Anstalten gemacht,
die c¼brigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
     Silva.  Vertraue  auf   uns.  Ihr   Schicksal  wird   sie,   wie   eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pc¼nktlich und schrecklich treffen.
     Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
     Silva. Alle; den  Egmont vor andern. Er  ist der einzige, der, seit  du
hier bist, sein Betragen nicht gec¤ndert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd
aufs andere,  ladet Gc¤ste,  ist immer  lustig und  unterhaltend bei  Tafel,
wc¼rfelt,  schiecŸt und  schleicht  nachts  zum  Liebchen.  Die andern haben
dagegen eine merkliche  Pause in ihrer  Lebensart  gemacht; sie  bleiben bei
sich; vor ihrer Tc¼re sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wc¤re.
     Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
     Silva.  Ich stelle sie.  Auf  deinen  Befehl c¼berhc¤ufen  wir sie  mit
dienstfertigen  Ehren.   Ihnen  graut's;  politisch  geben  sie   uns  einen
c¤ngstlichen Dank, fc¼hlen, das Rc¤tlichste sei, zu entfliehen, keiner  wagt
einen Schritt, sie zaudern, kc¶nnen sich nicht vereinigen; und einzeln etwas
Kc¼hnes zu tun,  hc¤lt sie der Gemeingeist ab.  Sie mc¶chten gern sich jedem
Verdacht  entziehen  und machen sich  immer verdc¤chtiger. Schon seh ich mit
Freuden deinen ganzen Anschlag ausgefc¼hrt.
     Alba. Ich freue mich nur c¼ber das Geschehene; und auch c¼ber das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch  c¼brig, was  uns  zu denken und zu sorgen
gibt. Das  Glc¼ck ist  eigensinnig, oft das  Gemeine,  das Nichtswc¼rdige zu
adeln  und  wohlc¼berlegte  Taten mit  einem  gemeinen  Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die Fc¼rsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die StracŸen zu
besetzen,   und   eile  selbst,   Egmonts   Schreiber   und   die   c¼brigen
gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und
meld es meinem Sohne, dacŸ er mir in den Rat die Nachricht bringe.
     Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dc¼rfen.
     (Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
     Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber  meine Hoffnung  schwankt.
Ich  fc¼rchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir,
die  still  und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der  Fc¼rsten und
vieler  Tausende wc¤gen.  Langsam  wankt  das  Zc¼nglein  auf  und  ab; tief
scheinen  die  Richter zu sinnen; zuletzt sinkt  diese  Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
     (Alba mit Ferdinand hervortretend.)
     Alba. Wie fandst du die Stadt?
     Ferdinand.  Es  hat  sich  alles  gegeben.   Ich  ritt,   als  wie  zum
Zeitvertreib,  stracŸauf,  stracŸab.  Eure wohlverteilten  Wachen halten die
Furcht so angespannt, dacŸ sie  sich nicht zu lispeln untersteht.  Die Stadt
sieht  einem  Felde  c¤hnlich, wenn  das  Gewitter  von weitem leuchtet; man
erblickt  keinen  Vogel, kein Tier, als  das  eilend nach  einem  Schutzorte
schlc¼pft.
     Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
     Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grc¼cŸten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben  mucŸte. b»LacŸt uns eilen,
Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!b«  rief er mir entgegen. Er
werde mich  noch heute  wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen,
mit Euch zu ratschlagen.
     Alba. Er wird dich wiedersehn.
     Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier  kenne, gefc¤llt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
     Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig  behutsam;  immer  erkenn
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie  unbedingt in  die Arme
lieferte. Zu mancher gefc¤hrlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig
ein.
     Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
     Alba. Ich  vergebe deinem jungen  Blute dies leichtsinnige  Wohlwollen,
diese  unachtsame  Frc¶hlichkeit. Nur  vergicŸ  nicht, zu welchem  Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben mc¶chte.
     Ferdinand.  Erinnert  mich, und  schont mich nicht,  wo Ihr  es  nc¶tig
haltet.
     Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
     Ferdinand. Mein Vater!
     Alba. Die Fc¼rsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
MicŸtrauen, dacŸ ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden
nicht wieder von hinnen gehn.
     Ferdinand. Was sinnst du?
     Alba. Es ist beschlossen, sie  festzuhalten. - Du erstaunst! Was du  zu
tun hast, hc¶re;  die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt
bleibt keine  Zeit,  sie  auszulegen.  Mit  dir  allein  wc¼nscht'  ich  das
Grc¶cŸte,  das   Geheimste  zu   besprechen;  ein  starkes  Band  hc¤lt  uns
zusammengefesselt; du bist mir  wert und  lieb; auf dich  mc¶cht' ich  alles
hc¤ufen.  Nicht  die  Gewohnheit  zu   gehorchen  allein   mc¶cht'  ich  dir
einprc¤gen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszufc¼hren, wc¼nscht'
ich  in dir  fortzupflanzen;  dir  ein  grocŸes  Erbteil,  dem  Kc¶nige  den
brauchbarsten Diener zu  hinterlassen; dich mit dem  Besten,  was  ich habe,
auszustatten, dacŸ du dich nicht  schc¤men dc¼rfest, unter  deine Brc¼der zu
treten.
     Ferdinand. Was werd ich dir nicht fc¼r diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
     Alba. Nun hc¶re, was zu tun ist. Sobald die  Fc¼rsten eingetreten sind,
wird  jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird
eilen,  Egmonts  Schreiber  mit  den  Verdc¤chtigsten  gefangenzunehmen.  Du
hc¤ltst  die  Wache am Tore und in  den  Hc¶fen in Ordnung. Vor allen Dingen
besetze diese  Zimmer hier neben mit den sichersten  Leuten;  dann warte auf
der  Galerie, bis  Silva  wiederkommt, und bringe  mir irgendein unbedeutend
Blatt herein, zum Zeichen, dacŸ sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im
Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte  Egmont hier, als ob  ich
ihm noch was zu  sagen hc¤tte. Am  Ende der Galerie  fordre  Oraniens Degen,
rufe die Wache an, verwahre schnell den gefc¤hrlichsten  Mann; und ich fasse
Egmont hier.
     Ferdinand. Ich gehorche, mein  Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
     Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste grocŸe Tag, den du erlebst.
     (Silva tritt herein.)
     Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
     Alba. Sagt' es der Bote?
     Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
     Alba. Aus  dir spricht  mein  bc¶ser  Genius.  (Nachdem  er  den  Brief
gelesen, winkt er beiden,  und sie ziehen  sich  in die  Galerie zurc¼ck. Er
bleibt  allein  auf dem  Vorderteile.)  Er kommt nicht! Bis  auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklc¤ren. Er wagt es, nicht zu kommen! So
war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug  zu sein! -
Es rc¼ckt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein  grocŸes Werk
ist getan oder  versc¤umt, unwiederbringlich versc¤umt;  denn  es ist  weder
nachzuholen,  noch  zu  verheimlichen.  Lc¤ngst  hatt'  ich  alles  reiflich
abgewogen, und mir auch  diesen Fall  gedacht, mir festgesetzt, was  auch in
diesem Falle zu tun  sei; und jetzt, da  es  zu  tun ist, wehr ich mir kaum,
dacŸ nicht  das Fc¼r und Wider  mir  aufs  neue durch die Seele  schwankt. -
Ist's rc¤tlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf
und lacŸ  Egmont mit den Seinigen,  mit  so  vielen  entschlc¼pfen, die nun,
vielleicht  nur  heute noch,  in  meinen  Hc¤nden  sind? So  zwingt dich das
Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet!
Wie grocŸ, wie schc¶n der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im
Augenblick des Entscheidens  bist du zwischen zwei  cœbel  gestellt; wie  in
einen Lostopf greifst  du in die  dunkle Zukunft; was du  fassest,  ist noch
zugerollt,  dir  unbewucŸt, sei's Treffer oder  Fehler! (Er wird aufmerksam,
wie  einer, der etwas hc¶rt, und tritt  ans  Fenster.)  Er ist es! Egmont! -
Trug dich dein Pferd  so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht
und  vor  dem  Geiste  mit  dem  blanken  Schwert,  der an  der Pforte  dich
empfc¤ngt? - Steig ab! - So  bist du mit dem einen FucŸ im Grab!  und so mit
beiden!  - ja streichl'  es nur  und klopfe fc¼r  seinen  mutigen Dienst zum
letztenmale den Nacken ihm - Und mir bleibt keine Wahl. In  der Verblendung,
wie hier Egmont naht,  kann  er  dir  nicht zum  zweitenmal sich  liefern! -
Hc¶rt!
     (Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
     Alba. Ihr tut, was  ich  befahl; ich  c¤ndre  meinen Willen  nicht. Ich
halte,  wie es gehn  will,  Egmont auf,  bis du mir  von Silva die Nachricht
gebracht  hast. Dann bleib  in  der  Nc¤he. Auch dir raubt  das Geschick das
grocŸe Verdienst, des  Kc¶nigs grc¶cŸten Feind mit  eigener Hand gefangen zu
haben.  (Zu  Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.)  Geh ihm  entgegen. (Alba  bleibt
einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
     (Egmont tritt auf.)
     Egmont.  Ich komme, die  Befehle des Kc¶nigs zu  vernehmen, zu  hc¶ren,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
     Alba. Er wc¼nscht vor allen Dingen Euern Rat zu hc¶ren.
     Egmont. cœber welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
     Alba. Mir tut  es  leid,  dacŸ er uns  eben in dieser  wichtigen Stunde
fehlt. Euern Rat, Eure Meinung wc¼nscht der Kc¶nig, wie diese Staaten wieder
zu befriedigen. Ja, er hofft, Ihr  werdet krc¤ftig  mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen vc¶llig und dauerhaft zu grc¼nden.
     Egmont.  Ihr  kc¶nnt besser  wissen  als  ich,  dacŸ schon alles  genug
beruhigt  ist, ja, noch  mehr beruhigt war,  eh  die  Erscheinung der  neuen
Soldaten wieder mit Furcht und Sorge die Gemc¼ter bewegte.
     Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das Rc¤tlichste sei gewesen, wenn
der Kc¶nig mich gar nicht in den Fall gesetzt hc¤tte, Euch zu fragen.
     Egmont. Verzeiht! Ob der Kc¶nig  das  Heer hc¤tte schicken  sollen,  ob
nicht vielmehr  die  Macht seiner majestc¤tischen Gegenwart allein  stc¤rker
gewirkt hc¤tte, ist meine Sache nicht  zu beurteilen.  Das Heer ist  da,  er
nicht. Wir aber mc¼cŸten sehr undankbar, sehr  vergessen sein, wenn  wir uns
nicht  erinnerten,  was wir der Regentin  schuldig  sind.  Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als  tapferes Betragen die Aufrc¼hrer mit Gewalt
und Ansehn, mit cœberredung und List zur Ruhe und  fc¼hrte zum Erstaunen der
Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner Pflicht zurc¼ck.
     Alba. Ich leugne es  nicht. Der  Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zurc¼ckgebannt. Aber hc¤ngt  es nicht von eines
jeden Willkc¼r ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern loszubrechen?
Wo ist die  Macht, sie abzuhalten? Wer bc¼rgt uns, dacŸ sie sich ferner treu
und untertc¤nig  zeigen  werden? Ihr  guter Wille  ist alles Pfand,  das wir
haben.
     Egmont. Und  ist der gute  Wille  eines Volks nicht  das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein Kc¶nig sicherer halten, als wenn
sie alle  fc¼r einen,  einer fc¼r  alle  stehn?  Sicherer gegen  innere  und
c¤ucŸere Feinde?
     Alba. Wir werden uns doch  nicht c¼berreden sollen, dacŸ  es jetzt hier
so steht?
     Egmont.  Der Kc¶nig  schreibe einen Generalpardon  aus, er beruhige die
Gemc¼ter;  und  bald wird  man sehen,  wie Treue und Liebe mit  dem Zutrauen
wieder zurc¼ckkehrt.
     Alba. Und jeder, der die Majestc¤t  des Kc¶nigs, der das  Heiligtum der
Religion  geschc¤ndet,  ginge frei und ledig hin und wider! lebte den andern
zum bereiten Beispiel, dacŸ ungeheure Verbrechen straflos sind?
     Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der  Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders wo so sichre Hoffnung,
wo GewicŸheit ist, dacŸ die cœbel  nicht wiederkehren werden?  Waren Kc¶nige
darum nicht sicherer? Werden sie nicht  von Welt und Nachwelt gepriesen, die
eine  Beleidigung ihrer Wc¼rde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden
sie  nicht eben deswegen  Gott gleich gehalten, der viel  zu  grocŸ ist, als
dacŸ an ihn jede Lc¤sterung reichen sollte?
     Alba.  Und eben darum soll der Kc¶nig  fc¼r die Wc¼rde  Gottes  und der
Religion,  wir sollen fc¼r das  Ansehn des Kc¶nigs streiten. Was  der  obere
abzulehnen verschmc¤ht, ist unsere Pflicht zu rc¤chen. Ungestraft soll, wenn
ich rate, kein Schuldiger sich freuen.
     Egmont. Glaubst du, dacŸ  du sie alle erreichen  wirst? Hc¶rt man nicht
tc¤glich, dacŸ die Furcht sie hie- und dahin, sie aus dem Lande  treibt? Die
Reichsten werden ihre  Gc¼ter, sich, ihre  Kinder und Freunde flc¼chten; der
Arme wird seine nc¼tzlichen Hc¤nde dem Nachbar zubringen.
     Alba. Sie werden, wenn  man  sie nicht  verhindern kann. Darum verlangt
der Kc¶nig  Rat und Tat  von jedem Fc¼rsten,  Ernst  von  jedem Statthalter;
nicht  nur Erzc¤hlung, wie es ist, was  werden kc¶nnte, wenn man alles gehen
liecŸe,  wie's  geht.  Einem  grocŸen  cœbel  zusehen,  sich  mit   Hoffnung
schmeicheln,  der  Zeit  vertrauen,  etwa   einmal  dreinschlagen,  wie   im
Fastnachtsspiel, dacŸ  es klatscht und man doch etwas zu  tun  scheint, wenn
man nichts tun mc¶chte,  heicŸt das nicht, sich verdc¤chtig machen, als sehe
man  dem Aufruhr mit Vergnc¼gen  zu, den  man nicht erregen, wohl aber hegen
mc¶chte!
     Egmont (im Begriff  aufzufahren,  nimmt sich  zusammen und spricht nach
einer  kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist  offenbar, und manches
Mannes  Absicht  ist  zu micŸdeuten. MucŸ  man  doch auch  von  allen Seiten
hc¶ren: es sei des Kc¶nigs Absicht weniger, die Provinzen nach  einfc¶rmigen
und  klaren Gesetzen zu regieren, die Majestc¤t der Religion  zu sichern und
einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie  unbedingt
zu unterjochen, sie ihrer  alten Rechte zu berauben, sich Meister  von ihren
Besitztc¼mern  zu machen, die  schc¶nen Rechte des Adels einzuschrc¤nken, um
derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen  mag. Die
Religion,  sagt man, sei nur  ein prc¤chtiger Teppich, hinter  dem man jeden
gefc¤hrlichen  Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf  den
Knien, betet  die  heiligen gewirkten  Zeichen an, und  hinten  lauscht  der
Vogelsteller, der sie berc¼cken will.
     Alba. Das mucŸ ich von dir hc¶ren?
     Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier bald da, von GrocŸen
und  von  Kleinen,  Klugen und Toren gesprochen, laut verbreitet  wird.  Die
Niederlc¤nder fc¼rchten ein doppeltes Joch, und wer bc¼rgt ihnen  fc¼r  ihre
Freiheit?
     Alba. Freiheit? Ein schc¶nes Wort, wer's recht  verstc¤nde. Was  wollen
sie  fc¼r Freiheit?  Was ist  des Freiesten Freiheit? - Recht zu tun!  - und
daran wird sie  der Kc¶nig nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht
frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden kc¶nnen.  Wc¤re es nicht
besser,  abzudanken,  als  ein solches  Volk zu  regieren?  Wenn auswc¤rtige
Feinde  drc¤ngen,  an die  kein Bc¼rger  denkt,  der  mit dem Nc¤chsten  nur
beschc¤ftigt ist, und der Kc¶nig  verlangt  Beistand: dann werden sie uneins
unter sich,  und verschwc¶ren sich gleichsam mit  ihren Feinden. Weit besser
ist's,  sie einzuengen, dacŸ  man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem
Besten leiten  kann. Glaube nur, ein  Volk wird nicht  alt,  nicht klug; ein
Volk bleibt immer kindisch.
     Egmont. Wie selten kommt  ein Kc¶nig zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern
den wenigen des einen, dem Volke, das an  den Blicken  seines  Herrn altert.
Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
     Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst c¼berlassen ist.
     Egmont. Und  darum niemand gern sich  selbst c¼berlassen  mc¶chte.  Man
tue, was man will; ich habe auf  deine Frage geantwortet  und wiederhole: Es
geht  nicht!  Es  kann nicht  gehen! Ich  kenne  meine  Landsleute.  Es sind
Mc¤nner, wert,  Gottes Boden  zu  betreten;  ein jeder rund fc¼r  sich,  ein
kleiner Kc¶nig, fest, rc¼hrig, fc¤hig, treu, an alten Sitten hangend. Schwer
ist's,  ihr  Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und  fest! Zu
drc¼cken sind sie; nicht zu unterdrc¼cken.
     Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des Kc¶nigs Gegenwart wiederholen?
     Egmont.  Desto  schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser  fc¼r  ihn,  fc¼r  sein Volk,  wenn  er  mir Mut  machte, wenn er mir
Zutrauen einflc¶cŸte, noch weit mehr zu sagen.
     Alba. Was nc¼tzlich ist, kann ich hc¶ren wie er.
     Egmont. Ich  wc¼rde ihm sagen:  Leicht  kann der Hirt eine  ganze Herde
Schafe  vor sich  hintreiben,  der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber  dem  edeln  Pferde,  das  du  reiten willst,  mucŸt du  seine Gedanken
ablernen, du  mucŸt nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen.  Darum
wc¼nscht  der  Bc¼rger  seine  alte  Verfassung  zu  behalten,   von  seinen
Landsleuten regiert zu sein,  weil er weicŸ, wie er  gefc¼hrt wird, weil  er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
     Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
verc¤ndern?  und sollte nicht eben  dies sein  schc¶nstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser  Welt? und  sollte  eine  Staatseinrichtung  bleiben
kc¶nnen? MucŸ nicht in einer Zeitfolge jedes Verhc¤ltnis sich verc¤ndern und
eben darum eine alte Verfassung die  Ursache von tausend cœbeln werden, weil
sie den gegenwc¤rtigen Zustand des Volkes nicht umfacŸt? Ich fc¼rchte, diese
alten  Rechte sind darum  so  angenehm, weil  sie  Schlupfwinkel  bilden, in
welchen  der Kluge,  der  Mc¤chtige, zum Schaden des Volks,  zum Schaden des
Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
     Egmont. Und diese willkc¼rlichen  Verc¤nderungen, diese unbeschrc¤nkten
Eingriffe der hc¶chsten Gewalt, sind  sie  nicht Vorboten,  dacŸ  einer  tun
will,  was Tausende nicht tun sollen? Er  will sich  allein frei machen,  um
jeden  seiner  Wc¼nsche  befriedigen,  jeden seiner Gedanken  ausfc¼hren  zu
kc¶nnen.  Und wenn wir uns ihm, einem guten weisen Kc¶nige, ganz vertrauten,
sagt er  uns fc¼r seine  Nachkommen gut? dacŸ  keiner  ohne Rc¼cksicht, ohne
Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von vc¶lliger Willkc¼r, wenn
er uns seine  Diener, seine Nc¤chsten  sendet, die ohne Kenntnis  des Landes
und seiner Bedc¼rfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand
finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen.
     Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natc¼rlicher,
als dacŸ ein Kc¶nig durch sich zu  herrschen gedenkt und denen seine Befehle
am  liebsten auftrc¤gt, die  ihn am besten verstehen, verstehen wollen,  die
seinen Willen unbedingt ausrichten.
     Egmont. Und ebenso natc¼rlich ist's, dacŸ der Bc¼rger von  dem  regiert
sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefacŸt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
     Alba.  Und  doch hat der Adel mit diesen seinen  Brc¼dern sehr ungleich
geteilt.
     Egmont.  Das ist vor Jahrhunderten geschehen und  wird jetzt  ohne Neid
geduldet.  Wc¼rden  aber  neue  Menschen ohne  Not gesendet,  die  sich  zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sc¤he man sich einer
strengen, kc¼hnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das wc¼rde eine  Gc¤rung
machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflc¶ste.
     Alba. Du sagst mir, was ich nicht hc¶ren sollte: auch ich bin fremd.
     Egmont. DacŸ ich dir's sage, zeigt dir, dacŸ ich dich nicht meine.
     Alba. Und auch so wc¼nscht' ich es nicht  von dir zu hc¶ren. Der Kc¶nig
sandte  mich  mit Hoffnung,  dacŸ  ich hier  den  Beistand  des Adels finden
wc¼rde.  Der  Kc¶nig  will  seinen  Willen.  Der  Kc¶nig   hat  nach  tiefer
cœberlegung gesehen, was  dem Volke frommt; es kann nicht bleiben  und gehen
wie bisher. Des Kc¶nigs Absicht  ist, sie  selbst  zu  ihrem  eignen  Besten
einzuschrc¤nken, ihr eigenes Heil, wenn's sein mucŸ, ihnen aufzudringen, die
schc¤dlichen  Bc¼rger  aufzuopfern,  damit  die  c¼brigen  Ruhe  finden, des
Glc¼cks einer weisen Regierung geniecŸen kc¶nnen. Dies ist sein  EntschlucŸ;
diesen dem Adel kundzumachen habe  ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem
Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen.
     Egmont. Leider  rechtfertigen  deine Worte  die Furcht des Volkes,  die
allgemeine Furcht! So hat er  denn beschlossen, was kein Fc¼rst beschliecŸen
sollte. Die  Kraft  seines Volks, ihr Gemc¼t,  den Begriff, den sie von sich
selbst haben, will er schwc¤chen, niederdrc¼cken, zerstc¶ren, um  sie bequem
regieren zu  kc¶nnen. Er will  den  innern  Kern ihrer  Eigenheit verderben;
gewicŸ  in  der Absicht, sie glc¼cklicher zu machen. Er will sie vernichten,
damit  sie  etwas werden, ein ander  Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so
wird  sie micŸgeleitet! Nicht  dem Kc¶nige widersetzt  man sich; man  stellt
sich nur dem Kc¶nige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten
unglc¼cklichen Schritte macht.
     Alba.  Wie du gesinnt bist,  scheint es ein vergeblicher  Versuch,  uns
vereinigen  zu wollen. Du denkst  gering vom  Kc¶nige  und verc¤chtlich  von
seinen  Rc¤ten,  wenn  du zweifelst,  das  alles  sei  nicht  schon gedacht,
geprc¼ft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Fc¼r und Wider noch
einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich  von dem Volke: - und von Euch, ihr
Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als Bc¼rgen dieser unbedingten Pflicht.
     Egmont. Fordre unsre Hc¤upter, so ist es auf einmal  getan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer
edeln Seele gleich  sein. Umsonst hab ich  so viel gesprochen: die Luft  hab
ich erschc¼ttert, weiter nichts gewonnen.
     (Ferdinand kommt.)
     Ferdinand.  Verzeiht, dacŸ ich Euer Gesprc¤ch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen cœberbringer die Antwort dringend macht.
     Alba. Erlaubt mir,  dacŸ ich  sehe,  was  er  enthc¤lt. (Tritt  an  die
Seite.)
     Ferdinand  (zu  Egmont).  Es  ist  ein schc¶nes Pferd,  das  Eure Leute
gebracht haben, Euch abzuholen.
     Egmont. Es ist nicht  das schlimmste. Ich hab es schon  eine Weile; ich
denk es  wegzugeben.  Wenn es Euch  gefc¤llt, so  werden  wir vielleicht des
Handels einig.
     Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
     (Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurc¼ckzieht.)
     Egmont.  Lebt wohl! EntlacŸt  mich: denn  ich wc¼cŸte, bei  Gott! nicht
mehr zu sagen.
     Alba.  Glc¼cklich  hat  dich der Zufall verhindert,  deinen  Sinn  noch
weiter zu  verraten. Unvorsichtig entwickelst  du die Falten  deines Herzens
und klagst  dich selbst weit  strenger an, als ein Widersacher gehc¤ssig tun
kc¶nnte.
     Egmont.  Dieser Vorwurf rc¼hrt mich nicht; ich kenne  mich selbst genug
und weicŸ,  wie ich dem Kc¶nig angehc¶re; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst  sich selber dienen.  Ungern scheid ich  aus diesem Streite, ohne ihn
beigelegt  zu sehen, und wc¼nsche nur, dacŸ  uns der Dienst des  Herrn,  das
Wohl des Landes bald vereinigen mc¶ge. Es wirkt  vielleicht ein wiederholtes
Gesprc¤ch, die Gegenwart der c¼brigen Fc¼rsten, die heute  fehlen,  in einem
glc¼cklichern Augenblick, was  heut  unmc¶glich scheint. Mit dieser Hoffnung
entfern ich mich.
     Alba  (der zugleich  seinem  Sohn Ferdinand  ein Zeichen  gibt).  Halt,
Egmont! - Deinen Degen! -
     (Die Mitteltc¼r c¶ffnet sich:  man sieht die Galerie mit Wache besetzt,
die unbeweglich bleibt.)
     Egmont  (der  staunend  eine Weile geschwiegen).  Dies war die Absicht?
Dazu  hast du  mich  berufen? (Nach  dem Degen  greifend,  als wenn er  sich
verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos?
     Alba. Der Kc¶nig befiehlt's, du bist mein Gefangener.
     (Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
     Egmont (nach einer Stille). Der Kc¶nig? - Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit  c¶fter des Kc¶nigs
Sache verteidigt, als diese Brust beschc¼tzt.
     (Er geht durch  die Mitteltc¼r ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind,
folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fc¤llt.)
     Fc¼nfter Aufzug
     StracŸe
     Dc¤mmerung
     Klc¤rchen. Brackenburg. Bc¼rger.
     Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
     Klc¤rchen. Komm mit,  Brackenburg! Du mucŸt  die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewicŸ. Denn was  gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fc¼hlt,
ich schwc¶r es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr  von
einem  kostbaren   Leben  abzuwenden  und   dem   Freiesten   die   Freiheit
wiederzugeben.  Komm! Es fehlt  nur an der Stimme, die sie zusammenruft.  In
ihrer Seele lebt noch ganz frisch,  was sie ihm schuldig sind! und dacŸ sein
mc¤chtiger  Arm allein  von  ihnen  das  Verderben  abhc¤lt, wissen sie.  Um
seinet- und  ihretwillen mc¼ssen  sie alles wagen.  Und  was wagen wir?  Zum
hc¶chsten  unser Leben,  das zu erhalten nicht  der Mc¼he wert  ist, wenn er
umkommt.
     Brackenburg. Unglc¼ckliche! du  siehst nicht  die  Gewalt, die  uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
     Klc¤rchen. Sie scheint  mir nicht unc¼berwindlich. LacŸ uns  nicht lang
vergebliche  Worte wechseln.  Hier  kommen von den alten, redlichen, wackern
Mc¤nnern! Hc¶rt, Freunde! Nachbarn, hc¶rt! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
     Zimmermeister. Was will das Kind? LacŸ sie schweigen,
     Klc¤rchen. Tretet nc¤her, dacŸ wir sachte reden, bis wir einig sind und
stc¤rker.  Wir   dc¼rfen  nicht  einen  Augenblick  versc¤umen!  Die  freche
Tyrannei, die  es wagt,  ihn  zu  fesseln, zuckt  schon  den  Dolch,  ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dc¤mmerung werd ich c¤ngstlicher.
Ich fc¼rchte diese Nacht! Kommt! wir wollen  uns  teilen; mit schnellem Lauf
von Quartier  zu Quartier rufen wir die Bc¼rger heraus. Ein jeder greife  zu
seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und  unser Strom
reicŸt einen  jeden  mit sich  fort.  Die  Feinde  sehen  sich  umringt  und
c¼berschwemmt,  und sind  erdrc¼ckt.  Was kann  uns  eine  Handvoll  Knechte
widerstehen? Und er in  unsrer Mitte kehrt zurc¼ck,  sieht  sich befreit und
kann uns  einmal danken, uns, die  wir ihm  so tief  verschuldet worden.  Er
sieht vielleicht - gewicŸ er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.
     Zimmermeister. Wie ist dir, Mc¤dchen?
     Klc¤rchen.  Kc¶nnt ihr mich  micŸverstehn? Vom Grafen  sprech  ich! Ich
spreche von Egmont.
     Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tc¶dlich.
     Klc¤rchen.  Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen  Namen?  Wer  nennt  ihn
nicht bei  jeder  Gelegenheit?  Wo  steht er  nicht  geschrieben?  In diesen
Sternen hab ich oft mit allen seinen  Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was
soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn,  ihr  trc¤umt; besinnt  euch.  Seht
mich nicht so starr und c¤ngstlich an!  Blickt nicht schc¼chtern hie und  da
beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wc¼nscht. Ist meine Stimme nicht
eures  Herzens eigne Stimme? Wer wc¼rfe sich in dieser  bangen Nacht, eh' er
sein  unruhvolles Bette  besteigt, nicht auf  die Knie, ihn mit  ernstlichem
Gebet  vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst!
und wer spricht mir nicht nach: b»Egmonts Freiheit oder den Tod!b«
     Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglc¼ck.
     Klc¤rchen. Bleibt! Bleibt, und drc¼ckt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem   ihr  euch  sonst  so  froh  entgegendrc¤ngtet!  -  Wenn  der  Ruf  ihn
ankc¼ndigte, wenn es hiecŸ: b»Egmont kommt! Er kommt von Gent!b« da  hielten
die Bewohner der StracŸen sich glc¼cklich, durch  die er reiten mucŸte.  Und
wenn  ihr  seine  Pferde schallen hc¶rtet, warf jeder seine Arbeit hin,  und
c¼ber die  bekc¼mmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da
hobt ihr eure  Kinder auf der Tc¼rschwelle  in die Hc¶he und deutetet ihnen:
b»Sieh,  das ist Egmont, der Grc¶cŸte  da! Er ist's! Er  ist's,  von dem ihr
bessere Zeiten, als eure  armen  Vc¤ter  lebten, einst  zu  erwarten habt.b«
LacŸt eure Kinder nicht dereinst euch  fragen: b»Wo ist er hin? Wo sind  die
Zeiten hin, die ihr verspracht?b« - Und so wechseln wir Worte! sind mc¼cŸig,
verraten ihn.
     Soest. Schc¤mt Euch,  Brackenburg!  LacŸt  sie nicht gewc¤hren! Steuert
dem Unheil!
     Brackenburg. Liebes Klc¤rchen! wir wollen  gehen! Was wird  die  Mutter
sagen? Vielleicht -
     Klc¤rchen.  Meinst  du, ich sei  ein  Kind  oder wahnsinnig?  Was  kann
vielleicht? - Von dieser schrecklichen GewicŸheit bringst du mich mit keiner
Hoffnung weg. - Ihr  sollt mich hc¶ren und ihr werdet:  denn ich seh's,  ihr
seid bestc¼rzt und  kc¶nnt  euch selbst in euerm  Busen nicht  wiederfinden.
LacŸt durch die  gegenwc¤rtige  Gefahr nur  einen  Blick  in  das Vergangene
dringen, das kurz  Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Kc¶nnt
ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde  geht? Mit seinem  Atem  flieht
der letzte Hauch der  Freiheit.  Was war er euch? Fc¼r wen  c¼bergab er sich
der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur fc¼r euch. Die
grocŸe  Seele,  die  euch alle trug,  beschrc¤nkt  ein  Kerker, und  Schauer
tc¼ckischen  Mordes  schweben  um sie her.  Er denkt vielleicht  an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfc¼llen gewohnt war.
     Zimmermeister. Gevatter, kommt.
     Klc¤rchen. Und ich habe nicht Arme, nicht  Mark wie ihr; doch  hab ich,
was euch  allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Kc¶nnt' euch mein
Atem doch entzc¼nden!  kc¶nnt' ich an meinen Busen drc¼ckend euch  erwc¤rmen
und  beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos
ein edles Heer  von  Kriegern wehend  anfc¼hrt,  so soll mein Geist um  eure
Hc¤upter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem
fc¼rchterlichen Heer vereinigen.
     Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bc¼rger ab.)
     Brackenburg. Klc¤rchen! siehst du nicht, wo wir sind?
     Klc¤rchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft  sich herrlicher zu wc¶lben
schien,  wenn  der  Edle unter ihm herging.  Aus diesen  Fenstern  haben sie
herausgesehn, vier, fc¼nf Kc¶pfe c¼bereinander;  an diesen Tc¼ren haben  sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die  Memmen herabsah. O ich  hatte sie so
lieb, wie sie ihn  ehrten! Wc¤re er Tyrann gewesen, mc¶chten  sie immer  vor
seinem Falle  seitwc¤rts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr Hc¤nde, die ihr
an die Mc¼tzen grifft,  zum Schwert kc¶nnt ihr nicht  greifen - Brackenburg,
und wir?  - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was
tun  sie fc¼r ihn? - List hat in der  Welt so viel erreicht - Du kennst Wege
und Stege, kennst das alte SchlocŸ. Es ist nichts  unmc¶glich, gib mir einen
Anschlag.
     Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!
     Klc¤rchen. Gut.
     Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; lacŸ doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen.  Hc¤ltst du mich  fc¼r  feig? Glaubst du
nicht, dacŸ ich um  deinetwillen sterben kc¶nnte? Hier sind wir beide  toll,
ich so gut wie  du.  Siehst du nicht das Unmc¶gliche? Wenn du dich facŸtest!
Du bist aucŸer dir.
     Klc¤rchen.  AucŸer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid aucŸer euch.
Da  ihr  laut den  Helden verehrtet,  ihn  Freund und  Schutz  und  Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn  er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob
das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir hc¶her
als euch  allen.  Jetzt schlc¤gt  mir's  wieder hc¶her als  euch allen!  Ihr
verbergt  euch,  da es not ist,  verleugnet  ihn und fc¼hlt nicht, dacŸ  ihr
untergeht, wenn er verdirbt.
     Brackenburg. Komm nach Hause.
     Klc¤rchen. Nach Hause?
     Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh  dich  um! Dies  sind die StracŸen,
die du nur  sonntc¤glich  betratst,  durch  die du sittsam  nach  der Kirche
gingst, wo du c¼bertrieben ehrbar zc¼rntest, wenn ich mit einem freundlichen
grc¼cŸenden  Wort mich  zu dir  gesellte. Du stehst und redest, handelst vor
den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns?
     Klc¤rchen.  Nach  Hause! Ja, ich besinne mich. Komm,  Brackenburg, nach
Hause! WeicŸt du, wo meine Heimat ist? (Ab.)

     Gefc¤ngnis,
     durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde
     Egmont (allein). Alter Freund!  immer getreuer Schlaf, fliehst  du mich
auch wie die c¼brigen Freunde?  Wie willig senktest  du dich auf mein freies
Haupt  herunter und  kc¼hltest wie ein schc¶ner Myrtenkranz der  Liebe meine
Schlc¤fe! Mitten unter Waffen, auf der Woge  des  Lebens,  ruht' ich  leicht
atmend,  wie ein aufquellender Knabe,  in  deinen  Armen. Wenn Stc¼rme durch
Zweige und  Blc¤tter sausten, Ast und  Wipfel sich knirrend  bewegten, blieb
innerst  doch der Kern des Herzens ungeregt.  Was schc¼ttelt  dich nun?  was
erschc¼ttert  den festen  treuen  Sinn?  Ich  fc¼hl's,  es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer
Schauer  durchfc¤hrt  mich.  Ja, sie c¼berwindet, die verrc¤terische Gewalt;
sie  untergrc¤bt den festen hohen Stamm,  und  eh' die  Rinde dorrt, stc¼rzt
krachend und zerschmetternd deine Krone.
     Warum  denn jetzt, der du so  oft gewalt'ge Sorgen  gleich Seifenblasen
dir  vom  Haupte   weggewiesen,  warum  vermagst  du  nicht  die  Ahnung  zu
verscheuchen, die tausendfach in  dir  sich auf- und niedertreibt? Seit wann
begegnet der  Tod dir fc¼rchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit
den c¼brigen  Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen  lebtest? - Auch ist
er's  nicht,  der  rasche  Feind, dem  die  gesunde Brust  wetteifernd  sich
entgegensehnt; der Kerker  ist's, des  Grabes Vorbild,  dem  Helden wie  dem
Feigen  widerlich.  Unleidlich  ward  mir's  schon  auf meinem  gepolsterten
Stuhle,  wenn  in  stattlicher  Versammlung  die  Fc¼rsten,  was  leicht  zu
entscheiden  war, mit wiederkehrenden Gesprc¤chen c¼berlegten, und  zwischen
dc¼stern Wc¤nden eines Saals die Balken der Decke mich erdrc¼ckten. Da eilt'
ich fort, sobald es mc¶glich  war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge.
Und frisch hinaus, da wo wir hingehc¶ren! ins Feld, wo aus der Erde dampfend
jede nc¤chste  Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle  Segen der
Gestirne  uns  umwittern;  wo  wir,  dem erdgebornen Riesen gleich,  von der
Berc¼hrung unsrer Mutter  krc¤ftiger  uns in die Hc¶he reicŸen;  wo  wir die
Menschheit ganz  und  menschliche Begier  in allen  Adern  fc¼hlen;  wo  das
Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen,
zu  besitzen, zu erobern, durch  die Seele des jungen Jc¤gers glc¼ht; wo der
Soldat sein angebornes Recht  auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmacŸt
und  in  fc¼rchterlicher Freiheit wie  ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und
Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
     Du bist  nur  Bild,  Erinnerungstraum  des Glc¼cks,  das  ich  so  lang
besessen; wo  hat dich das  Geschick  verrc¤terisch hingefc¼hrt? Versagt  es
dir, den nie gescheuten Tod im  Angesicht der Sonne rasch zu gc¶nnen, um dir
des  Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten?  Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das  Leben, vor dem Ruhebette wie vor
dem Grabe scheut der FucŸ. -
     O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den  Mord beginnst, lacŸ ab! - Seit
wann  ist Egmont denn allein, so ganz allein in  dieser Welt? Dich macht der
Zweifel hc¼lflos, nicht das Glc¼ck. Ist die Gerechtigkeit des  Kc¶nigs,  der
du  lebenslang  vertrautest, ist der  Regentin Freundschaft,  die  fast  (du
darfst es  dir  gestehn), fast Liebe  war, sind  sie  auf  einmal,  wie  ein
glc¤nzend  Feuerbild  der  Nacht, verschwunden? und lassen  dich allein  auf
dunkelm Pfad zurc¼ck? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend
sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln  und  mit anschwellender Gewalt den
alten Freund erretten?
     O  haltet,  Mauern,  die  ihr  mich  einschliecŸt,  so  vieler  Geister
wohlgemeintes Drc¤ngen nicht  von mir ab;  und welcher Mut  aus meinen Augen
sonst sich  c¼ber sie  ergocŸ,  der kehre  nun aus  ihren  Herzen in  meines
wieder. O ja,  sie rc¼hren sich zu Tausenden!  sie  kommen!  stehen  mir zur
Seite! Ihr  frommer  Wunsch eilt dringend zu dem  Himmel, er  bittet  um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder,  so seh ich sie
nach  Lanz und  Schwertern  greifen.  Die  Tore  spalten  sich,  die  Gitter
springen, die Mauer  stc¼rzt von ihren Hc¤nden  ein, und  der  Freiheit  des
einbrechenden  Tages  steigt Egmont  frc¶hlich  entgegen.  Wie manch bekannt
Gesicht  empfc¤ngt mich jauchzend! Ach  Klc¤rchen, wc¤rst du Mann; so  sc¤h'
ich dich gewicŸ auch hier zuerst und dankte dir, was einem Kc¶nige zu danken
hart ist, Freiheit.

     Klc¤rchens Haus
     Klc¤rchen (kommt  mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer;
sie setzt das Glas  auf den Tisch und tritt ans Fenster).  Brackenburg? Seid
Ihr's? Was hc¶rt' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe
ins Fenster  setzen, dacŸ er sieht, ich  wache noch, ich warte noch auf ihn.
Er hat  mir  Nachricht versprochen.  Nachricht?  Entsetzliche GewicŸheit!  -
Egmont verurteilt!  - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn!
Der Kc¶nig  verdammt ihn?  oder der  Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien  zaudert, und alle seine Freunde!  - - Ist  dies die Welt, von deren
Wankelmut,  Unzuverlc¤ssigkeit  ich viel gehc¶rt und  nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt?  - Wer wc¤re bc¶s  genug, den Teuern  anzufeinden?  Wc¤re
Bosheit  mc¤chtig genug,  den allgemein  Erkannten schnell zu stc¼rzen? Doch
ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor  Gott und Menschen,
wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes
Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach
der Schlinge, die dich facŸt, die Hand aus. Du hc¼lflos und ich frei! - Hier
ist der Schlc¼ssel zu meiner  Tc¼r. An meiner Willkc¼r hc¤ngt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts!  - - O bindet mich, damit  ich nicht
verzweifle; und  werft  mich in den  tiefsten Kerker, dacŸ ich  das Haupt an
feuchte Mauern schlage,  nach  Freiheit winsle, trc¤ume, wie ich  ihm helfen
wollte, wenn  Fesseln mich  nicht lc¤hmten, wie ich ihm helfen wc¼rde. - Nun
bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst
bewucŸt, nicht fc¤hig, ein Glied nach seiner Hc¼lfe zu rc¼hren.  Ach leider,
auch der kleine Teil von deinem Wesen,  dein Klc¤rchen, ist  wie du gefangen
und regt  getrennt  im  Todeskrampfe  nur die letzten Krc¤fte.  -  Ich hc¶re
schleichen, husten -  Brackenburg -  er  ist's!  - Elender guter Mann,  dein
Schicksal  bleibt  sich  immer  gleich;  dein   Liebchen  c¶ffnet   dir  die
nc¤chtliche Tc¼r, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!
     (Brackenburg tritt auf.)
     Klc¤rchen. Du kommst so bleich und schc¼chtern, Brackenburg! was ist's?
     Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren  such ich  dich auf. Die grocŸen
StracŸen sind besetzt; durch Gc¤cŸchen und durch Winkel hab  ich mich zu dir
gestohlen.
     Klc¤rchen. Erzc¤hl, wie ist's?
     Brackenburg (indem er sich setzt). Ach  Klc¤re,  lacŸ  mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf
zur bessern Weide  herc¼ber. Ich hab  ihn  nie verflucht; Gott hat mich treu
geschaffen und weich.  In Schmerzen flocŸ  mein Leben vor mir nieder, und zu
verschmachten hofft' ich jeden Tag.
     Klc¤rchen. VergicŸ das,  Brackenburg! VergicŸ dich  selbst.  Sprich mir
von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
     Brackenburg. Er ist's! ich weicŸ es ganz genau.
     Klc¤rchen. Und lebt noch?
     Brackenburg. Ja, er lebt noch.
     Klc¤rchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der
Nacht   den  Herrlichen!  vor  allen  Augen  verborgen  fliecŸt  sein  Blut.
c„ngstlich im  Schlafe  liegt das  betc¤ubte Volk und  trc¤umt  von Rettung,
trc¤umt  ihres ohnmc¤chtigen  Wunsches Erfc¼llung; indes unwillig c¼ber  uns
sein  Geist die Welt verlc¤cŸt. Er ist  dahin! -  Tc¤usche mich nicht!  dich
nicht!
     Brackenburg.  Nein  gewicŸ, er  lebt!  -  Und  leider,  es bereitet der
Spanier  dem Volke, das er  zertreten  will, ein fc¼rchterliches Schauspiel,
gewaltsam  jedes  Herz,  das  nach  der  Freiheit sich  regt,  auf  ewig  zu
zerknirschen.
     Klc¤rchen. Fahre  fort und sprich gelassen auch  mein Todesurteil  aus!
Ich wandle den seligen Gefilden schon nc¤her  und nc¤her, mir weht der Trost
aus jenen Gegenden des Friedens schon herc¼ber. Sag an.
     Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da
bald  dorten  fielen,  dacŸ auf  dem  Markte  geheimnisvoll  ein  Schrecknis
zubereitet werde.  Ich schlich durch Seitenwege, durch  bekannte Gc¤nge nach
meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte.  -  Es
wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich
schc¤rfte  mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein  schwarzes
Gerc¼st  entgegen, gerc¤umig  hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschc¤ftig
waren  viele rings umher bemc¼ht, was  noch von Holzwerk  weicŸ und sichtbar
war, mit schwarzem Tuch  einhc¼llend zu verkleiden. Die Treppen  deckten sie
zuletzt  auch  schwarz,  ich  sah es wohl.  Sie  schienen  die  Weihe  eines
grc¤cŸlichen Opfers  vorbereitend zu begehn. Ein weicŸes Kruzifix, das durch
die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt.  Ich
sah,  und  sah  die  schreckliche GewicŸheit  immer  gewisser. Noch  wankten
Fackeln  hie und da herum; allmc¤hlich wichen sie  und erloschen. Auf einmal
war die scheucŸliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter SchocŸ zurc¼ckgekehrt.
     Klc¤rchen. Still, Brackenburg! Nun  still! LacŸ diese Hc¼lle auf meiner
Seele  ruhn.  Verschwunden sind  die Gespenster,  und du,  holde Nacht, leih
deinen  Mantel der  Erde,  die in sich  gc¤rt; sie trc¤gt  nicht lc¤nger die
abscheuliche Last, reicŸt ihre tiefen  Spalten grausend auf und knirscht das
Mordgerc¼st hinunter.  Und  irgendeinen Engel sendet der Gott, den  sie  zum
Zeugen ihrer Wut geschc¤ndet; vor  des Boten heiliger Berc¼hrung lc¶sen sich
Riegel und  Bande, und er umgiecŸt den Freund mit mildem Schimmer; er fc¼hrt
ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft  und  still. Und  auch mein  Weg geht
heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
     Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
     Klc¤rchen.  Leise,  Lieber, dacŸ niemand erwache! dacŸ  wir  uns selbst
nicht wecken!  Kennst  du dies  Flc¤schchen,  Brackenburg?  Ich  nahm  dir's
scherzend, als du mit c¼bereiltem Tod  oft  ungeduldig drohtest. - Und  nun,
mein Freund -
     Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -
     Klc¤rchen.  Du hinderst nichts. Tod ist  mein Teil! und  gc¶nne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest.  Gib mir deine Hand! -
Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte erc¶ffne, aus der kein Rc¼ckweg ist,
kc¶nnt' ich mit diesem Hc¤ndedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie
sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wc¤hlt' ich, seine
Stelle  zu  ersetzen.  Es widersprach dein  Herz und quc¤lte sich und  mich,
verlangtest heicŸ und immer heicŸer, was dir  nicht  beschieden war.  Vergib
mir und leb wohl! LacŸ  mich  dich  Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel
Namen  in  sich facŸt. Nimm die  letzte  schc¶ne  Blume der  Scheidenden mit
treuem  Herzen ab - nimm diesen KucŸ - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg,
uns denn auch.
     Brackenburg. So lacŸ mich mit dir sterben! Teile!  Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulc¶schen.
     Klc¤rchen.  Bleib!  du  sollst leben, du kannst  leben. -  Steh  meiner
Mutter bei, die ohne dich  in Armut sich verzehren wc¼rde.  Sei ihr, was ich
ihr  nicht  mehr  sein kann;  lebt  zusammen  und beweint  mich. Beweint das
Vaterland  und  den,  der es  allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der  Rache selbst vermag ihn nicht  zu
tilgen.  Lebt, ihr Armen, die Zeit  noch hin, die keine Zeit mehr  ist. Heut
steht die Welt  auf einmal  still; es  stockt ihr  Kreislauf, und  mein Puls
schlc¤gt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!
     Brackenburg. O  lebe du  mit  uns, wie wir fc¼r dich allein! Du tc¶test
uns in dir, o leb  und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn,  und  immer  achtsam  soll die Liebe den schc¶nsten  Trost  in  ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein.
     Klc¤rchen.  Leise, Brackenburg!  Du fc¼hlst nicht,  was  du rc¼hrst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
     Brackenburg. Teile  mit  den Lebendigen die  Hoffnung! Verweil am Rande
des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zurc¼ck.
     Klc¤rchen. Ich hab c¼berwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.
     Brackenburg.  Du bist betc¤ubt; gehc¼llt in Nacht suchst du  die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -
     Klc¤rchen. Weh! c¼ber dich Weh! Weh! Grausam zerreicŸest du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja,  er wird grauen, der Tag! vergebens alle  Nebel um sich
ziehn  und  wider Willen  grauen! Furchtsam schaut  der Bc¼rger  aus  seinem
Fenster, die Nacht  lc¤cŸt einen schwarzen Flecken  zurc¼ck;  er schaut, und
fc¼rchterlich  wc¤chst im  Lichte  das  Mordgerc¼st. Neu  leidend wendet das
entweihte Gottesbild  sein flehend  Auge zum Vater  auf. Die Sonne wagt sich
nicht  hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.
Trc¤ge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine  Stunde nach der andern schlc¤gt.
Halt! Halt! Nun ist  es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das  Grab.
(Sie tritt ans Fenster, als sc¤he sie sich um, und trinkt heimlich.)
     Brackenburg. Klc¤re! Klc¤re!
     Klc¤rchen (geht nach  dem Tisch und trinkt das  Wasser).  Hier ist  der
Rest! Ich locke dich nicht nach.  Tu, was du darfst, leb wohl. Lc¶sche diese
Lampe still und ohne  Zaudern, ich geh zur  Ruhe. Schleiche dich sachte weg,
ziehe die  Tc¼r nach  dir  zu. Still! Wecke  meine Mutter  nicht! Geh, rette
dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mc¶rder scheinen willst. (Ab.)
     Brackenburg. Sie lc¤cŸt mich  zum letztenmale wie immer. O kc¶nnte eine
Menschenseele fc¼hlen, wie sie ein liebend Herz  zerreicŸen kann. Sie lc¤cŸt
mich  stehn, mir  selber  c¼berlassen;  und  Tod und  Leben  ist mir  gleich
verhacŸt.  -  Allein  zu  sterben!  - Weint,  ihr  Liebenden!  Kein  hc¤rter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich
weg! von ihrer Seite weg! sie  zieht  mich nach und stc¶cŸt  ins  Leben mich
zurc¼ck. O  Egmont,  welch preiswc¼rdig Los fc¤llt dir! Sie geht  voran; der
Kranz  des Siegs aus ihrer Hand  ist dein, sie bringt den ganzen  Himmel dir
entgegen!   -   Und   soll   ich   folgen?  wieder  seitwc¤rts  stehn?   den
unauslc¶schlichen  Neid  in jene  Wohnungen hinc¼bertragen?  - Auf Erden ist
kein Bleiben mehr  fc¼r mich, und Hc¶ll  und Himmel bieten gleiche Qual. Wie
wc¤re der Vernichtung Schreckenshand dem Unglc¼ckseligen will kommen!
     (Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverc¤ndert. Eine
Musik,  Klc¤rchens Tod bezeichnend, beginnt;  die Lampe,  welche Brackenburg
auszulc¶schen  vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald
verwandelt sich der Schauplatz in das
     Gefc¤ngnis
     Egmont  liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlc¼sseln, und  die Tc¼r  tut sich  auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen  folgt Ferdinand, Albas  Sohn, und  Silva,  begleitet von Gewaffneten.
Egmont fc¤hrt aus dem Schlaf auf.)
     Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schc¼ttelt. Was  kc¼nden  eure  trotzigen,  unsichern  Blicke mir  an? Warum
diesen fc¼rchterlichen Aufzug?  Welchen Schreckenstraum kommt ihr  der  halb
erwachten Seele vorzulc¼gen?
     Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukc¼ndigen.
     Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
     Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
     Egmont. So  ziemt es euch und  euerm  schc¤ndlichen  Beginnen! In Nacht
gebrc¼tet   und  in  Nacht  vollfc¼hrt.  So   mag   diese  freche   Tat  der
Ungerechtigkeit  sich verbergen!  - Tritt kc¼hn  hervor, der du  das Schwert
verhc¼llt unter dem  Mantel trc¤gst; hier ist mein Haupt,  das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
     Silva.  Du irrst! Was gerechte Richter beschliecŸen,  werden  sie  vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
     Egmont. So c¼bersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
     Silva  (nimmt  einem Dabeistehenden  das  Urteil  ab,  entfaltet's  und
liest's).  b»Im Namen des Kc¶nigs, und kraft besonderer von Seiner Majestc¤t
uns  c¼bertragenen  Gewalt, alle seine  Untertanen, wes  Standes  sie seien,
zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wirb« -
     Egmont. Kann die der Kc¶nig c¼bertragen?
     Silva.   b»Erkennen  wir,   nach  vorgc¤ngiger  genauer,   gesetzlicher
Untersuchung,  dich   Heinrich  Grafen   Egmont,  Prinzen  von   Gaure,  des
Hochverrats  schuldig und sprechen das  Urteil:  dacŸ du  mit der Frc¼he des
einbrechenden  Morgens aus dem Kerker  auf den Markt gefc¼hrt und dort, vorm
Angesicht des Volks,  zur Warnung aller Verrc¤ter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest.  Gegeben Brc¼ssel imb« (Datum und Jahrzahl
werden undeutlich gelesen, so, dacŸ sie der Zuhc¶rer nicht versteht.)
     b»Ferdinand, Herzog von Alba,
     Vorsitzer des Gerichts der Zwc¶lfe.b«
     Du weicŸt nun  dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
     (Silva mit dem Gefolge geht ab. Es  bleibt Ferdinand und  zwei Fackeln;
das Theater ist mc¤cŸig erleuchtet.)
     Egmont (hat  eine Weile in  sich versenkt  stille gestanden und  Silva,
ohne sich umzusehn,  abgehen lassen.  Er glaubt sich  allein, und da  er die
Augen aufhebt,  erblickt er Albas Sohn).  Du stehst  und bleibst? Willst  du
mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart  vermehren? Willst
du  noch  etwa  die  willkommne Botschaft  deinem Vater  bringen,  dacŸ  ich
unmc¤nnlich verzweifle? Geh! Sag  ihm! Sag ihm,  dacŸ er weder mich noch die
Welt belc¼gt. Ihm, dem Ruhmsc¼chtigen, wird man es erst hinter den Schultern
leise  lispeln, dann  laut  und lauter  sagen, und wenn er einst  von diesem
Gipfel herabsteigt, werden  tausend Stimmen es ihm  entgegenrufen! Nicht das
Wohl des Staats, nicht die Wc¼rde des  Kc¶nigs, nicht die Ruhe der Provinzen
haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, dacŸ
der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit
man  seiner bedc¼rfe. Und  ich  falle,  ein  Opfer seines  niedrigen Hasses,
seines kleinlichen  Neides.  Ja, ich weicŸ  es,  und ich darf es  sagen; der
Sterbende, der tc¶dlich Verwundete  kann es sagen: mich hat der Eingebildete
beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht.
     Schon damals, als wir noch jc¼nger mit Wc¼rfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer  nach dem  andern, von seiner  Seite zu mir herc¼bereilten, da
stand  er  grimmig,  log  Gelassenheit,  und  innerlich  verzehrte  ihn  die
c„rgernis, mehr  c¼ber  mein Glc¼ck als c¼ber seinen  Verlust. Noch erinnere
ich  mich  des  funkelnden  Blicks, der verrc¤terischen Blc¤sse, als  wir an
einem c¶ffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen.
Er  forderte  mich  auf,  und  beide  Nationen  standen;  die  Spanier,  die
Niederlc¤nder wetteten und wc¼nschten. Ich c¼berwand ihn; seine Kugel irrte,
die meine traf; ein lauter  Freudenschrei  der Meinigen durchbrach die Luft.
Nun  trifft  mich  sein  GeschocŸ. Sag  ihm, dacŸ ich's  weicŸ, dacŸ ich ihn
kenne,  dacŸ die  Welt jede Siegszeichen  verachtet,  die ein kleiner  Geist
erschleichend  sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne mc¶glich  ist,  von
der Sitte des Vaters  zu  weichen,  c¼be beizeiten die Scham, indem  du dich
fc¼r den schc¤mst, den du gerne von ganzem Herzen verehren mc¶chtest.
     Ferdinand.  Ich  hc¶re  dich  an,  ohne  dich  zu  unterbrechen!  Deine
Vorwc¼rfe   lasten  wie  Keulschlc¤ge  auf  einem  Helm;   ich  fc¼hle   die
Erschc¼tterung, aber ich bin  bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich
nicht;  fc¼hlbar  ist mir allein der Schmerz, der mir  den  Busen zerreicŸt.
Wehe mir! Wehe!  Zu  einem solchen Anblick bin ich  aufgewachsen,  zu  einem
solchen Schauspiele bin ich gesendet!
     Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rc¼hrt,  was bekc¼mmert dich? Ist
es eine spc¤te  Reue,  dacŸ du der schc¤ndlichen Verschwc¶rung deinen Dienst
geliehen?  Du bist  so jung und  hast ein glc¼ckliches Ansehn. Du  warst  so
zutraulich, so  freundlich gegen  mich.  Solang  ich dich  sah, war ich  mit
deinem Vater versc¶hnt. Und ebenso verstellt, verstellter als  er, lockst du
mich in  das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer  ihm traut,  mag er  es auf
seine Gefahr tun;  aber  wer fc¼rchtete Gefahr, dir zu vertrauen?  Geh! Geh!
Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, dacŸ ich mich sammle, die Welt
und dich zuerst vergesse! -
     Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fc¼hle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir
versichern, dacŸ ich  erst spc¤t,  erst  ganz  zuletzt des  Vaters Absichten
erfuhr,  dacŸ ich  als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's,  welche Meinung du  von mir  haben magst? Du  bist
verloren;  und ich Unglc¼cklicher  stehe nur da,  um dir's zu versichern, um
dich zu bejammern.
     Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir  auf  dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten,  meines  fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mc¶rdern? Sage, rede!
Fc¼r wen soll ich dich halten?
     Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne  dich  in diesem Befehle. Du
kanntest  mein  Herz,  meine Gesinnung,  die du  so  oft  als Erbteil  einer
zc¤rtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich  zu  bilden,  sandtest du mich
hierher.  Diesen Mann  am Rande  des gc¤hnenden Grabes, in der  Gewalt eines
willkc¼rlichen  Todes  zu  sehen, zwingst  du mich,  dacŸ  ich  den tiefsten
Schmerz  empfinde,  dacŸ   ich  taub   gegen   alles   Schicksal,  dacŸ  ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
     Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann.
     Ferdinand. O dacŸ ich ein  Weib wc¤re! dacŸ man mir sagen  kc¶nnte: was
rc¼hrt dich? was  ficht dich an? Sage  mir ein grc¶cŸeres, ein  ungeheureres
cœbel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir  danken,
ich will sagen: es war nichts.
     Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du?
     Ferdinand. LacŸ diese Leidenschaft rasen, lacŸ mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen,  wenn  alles in  mir zusammenbricht. Dich
soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich!  Du verstehst mich  nicht!
Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
     Egmont. Lc¶se mir das Geheimnis.
     Ferdinand. Kein Geheimnis.
     Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
     Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir  nicht fremd. Dein Name war's,  der
mir   in   meiner   ersten   Jugend   gleich   einem   Stern   des   Himmels
entgegenleuchtete. Wie  oft  hab ich nach dir gehorcht,  gefragt! Des Kindes
Hoffnung ist der Jc¼ngling, des Jc¼nglings der Mann. So bist du vor mir  her
geschritten; immer vor,  und  ohne  Neid  sah ich dich vor, und  schritt dir
nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich,
und  mein Herz flog dir  entgegen. Dich hatt'  ich mir bestimmt, und wc¤hlte
dich aufs neue, da ich dich sah. Nun  hofft' ich erst,  mit dir zu sein, mit
dir zu leben, dich zu fassen, dich -  Das ist nun alles  weggeschnitten, und
ich sehe dich hier!
     Egmont.  Mein  Freund,  wenn   es   dir  wohltun  kann,  so  nimm   die
Versicherung,  dacŸ im ersten  Augenblick mein  Gemc¼t dir  entgegenkam. Und
hc¶re mich. LacŸ uns ein  ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist
es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu tc¶ten?
     Ferdinand. Er ist's.
     Egmont.  Dieses  Urteil  wc¤re  nicht  ein leeres Schreckbild  mich  zu
c¤ngstigen,  durch Furcht  und Drohung zu strafen:  mich zu  erniedrigen und
dann mit kc¶niglicher Gnade mich wieder aufzuheben?
     Ferdinand. Nein, ach  leider nein! Anfangs schmeichelte ich  mir selbst
mit  dieser  ausweichenden  Hoffnung;  und  schon da  empfand ich  Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es  wirklich, ist gewicŸ.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer  gibt mir eine Hc¼lfe, wer einen  Rat, dem
Unvermeidlichen zu entgehen?
     Egmont. So hc¶re  mich. Wenn deine Seele  so  gewaltsam dringt, mich zu
retten,  wenn du die cœbermacht verabscheust,  die mich  gefesselt hc¤lt, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und
selbst  gewaltig  - LacŸ uns entfliehen!  Ich  kenne  die  Wege; die  Mittel
kc¶nnen  dir nicht  unbekannt sein. Nur  diese  Mauern,  nur  wenige  Meilen
entfernen mich von meinen Freunden. Lc¶se  diese Bande, bringe mich zu ihnen
und sei unser. GewicŸ, der  Kc¶nig dankt dir  dereinst meine Rettung.  Jetzt
ist er c¼berrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt;
und  die Majestc¤t  mucŸ das Geschehene billigen,  wenn sie  sich auch davor
entsetzet. Du denkst?  O denke  mir den Weg der  Freiheit  aus! Sprich,  und
nc¤hre die Hoffnung der lebendigen Seele.
     Ferdinand. Schweig!  o  schweige! Du vermehrst mit  jedem  Worte  meine
Verzweiflung. Hier  ist  kein Ausweg,  kein Rat, keine Flucht. - Das  quc¤lt
mich, das greift und facŸt mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das
Netz  zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weicŸ,  wie
jeder Kc¼hnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fc¼hle mich  mit dir
und mit allen andern  gefesselt.  Wc¼rde ich klagen, hc¤tte ich  nicht alles
versucht? Zu  seinen  Fc¼cŸen  habe ich  gelegen, geredet  und  gebeten.  Er
schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt,
in diesem Augenblicke zu zerstc¶ren.
     Egmont. Und keine Rettung?
     Ferdinand. Keine!
     Egmont  (mit  dem FucŸe stampfend).  Keine Rettung! - - Sc¼cŸes  Leben!
schc¶ne freundliche Gewohnheit  des  Daseins  und Wirkens! von dir  soll ich
scheiden! So gelassen  scheiden!  Nicht im  Tumulte der Schlacht,  unter dem
Gerc¤usch der  Waffen,  in der Zerstreuung  des Getc¼mmels  gibst du mir ein
flc¼chtiges Lebewohl; du nimmst  keinen eiligen Abschied, verkc¼rzest  nicht
den  Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in
die Augen sehn, deine Schc¶ne,  deinen Wert recht lebhaft  fc¼hlen und  dann
mich entschlossen losreicŸen und sagen: Fahre hin!
     Ferdinand Und ich soll daneben  stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern kc¶nnen!  O  welche Stimme reichte zur Klage!  Welches  Herz flc¶sse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer?
     Egmont. Fasse dich!
     Ferdinand. Du  kannst  dich  fassen,  du kannst entsagen,  den schweren
Schritt an der  Hand der Notwendigkeit heldenmc¤cŸig gehn. Was kann ich? Was
soll ich? Du c¼berwindest dich selbst und uns; du c¼berstehst; ich c¼berlebe
dich  und mich selbst. Bei der  Freude des  Mahls  hab  ich  mein  Licht, im
Getc¼mmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren, trc¼b scheint
mir die Zukunft.
     Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der fc¼r  mich die Todesschmerzen empfindet, fc¼r mich
leidet,  sieh mich in  diesen Augenblicken an;  du verlierst mich nicht. War
dir mein  Leben ein Spiegel,  in welchem du dich gerne betrachtetest: so sei
es auch mein Tod. Die Menschen  sind nicht nur zusammen, wenn  sie beisammen
sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe
mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab ich mich gefreut;  an jedem Tage mit
rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein  Gewissen mir  sie zeigte. Nun
endigt sich das Leben, wie es sich frc¼her, frc¼her, schon auf dem Sande von
Gravelingen hc¤tte  endigen kc¶nnen.  Ich hc¶re auf zu leben; aber ich  habe
gelebt. So leb auch du,  mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den  Tod
nicht.
     Ferdinand. Du hc¤ttest dich fc¼r uns erhalten kc¶nnen, erhalten sollen.
Du hast dich selber getc¶tet. Oft hc¶rt' ich, wenn  kluge Mc¤nner c¼ber dich
sprachen, feindselige, wohlwollende,  sie  stritten lang c¼ber deinen  Wert;
doch  endlich  vereinigten sie  sich,  keiner  wagt'  es  zu  leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefc¤hrlichen Weg. Wie oft wc¼nscht' ich, dich
warnen zu kc¶nnen! Hattest du denn keine Freunde?
     Egmont. Ich war gewarnt.
     Ferdinand. Und wie ich punktweise alle  diese Beschuldigungen wieder in
der  Anklage fand, und  deine Antworten! Gut genug, dich  zu  entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien -
     Egmont. Dies sei beiseite gelegt.  Es  glaubt der Mensch sein Leben  zu
leiten, sich selbst zu fc¼hren; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach
seinem  Schicksale  gezogen. LacŸ uns darc¼ber nicht sinnen; dieser Gedanken
entschlag ich mich leicht - schwerer der Sorge  fc¼r dieses  Land! doch auch
dafc¼r  wird gesorgt sein. Kann mein Blut fc¼r  viele fliecŸen, meinem Volke
Friede bringen, so fliecŸt es willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es
ziemt  dem Menschen, nicht mehr  zu grc¼beln, wo er  nicht mehr wirken soll.
Kannst  du die  verderbende Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's.
Wer wird das kc¶nnen? - Leb wohl!
     Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
     Egmont. LacŸ meine Leute dir aufs  beste empfohlen sein!  Ich habe gute
Menschen zu Dienern; dacŸ  sie  nicht zerstreut,  nicht unglc¼cklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
     Ferdinand.  Er ist  dir vorangegangen. Sie  haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
     Egmont.  Arme  Seele!  -  Noch eins,  und dann leb wohl, ich kann nicht
mehr. Was auch den Geist  gewaltsam beschc¤ftigt, fordert die Natur  zuletzt
doch  unwiderstehlich  ihre Rechte;  und  wie  ein  Kind,  umwunden von  der
Schlange, des erquickenden Schlafs geniecŸt,  so  legt der  Mc¼de sich  noch
einmal vor der Pforte des Todes nieder  und  ruht tief aus,  als ob er einen
weiten Weg zu wandern hc¤tte. - Noch eins - Ich kenne ein Mc¤dchen; du wirst
sie nicht verachten, weil sie  mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb ich
ruhig. Du bist ein edler Mann;  ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
     Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
     Egmont. Derselbe.
     Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
     Egmont. Er weicŸ  ihre Wohnung; lacŸ dich von ihm fc¼hren  und lohn ihm
bis an sein Ende, dacŸ er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
     Ferdinand. Ich gehe nicht.
     Egmont (ihn nach der Tc¼r drc¤ngend). Leb wohl!
     Ferdinand. O lacŸ mich noch!
     Egmont. Freund, keinen Abschied.
     (Er begleitet Ferdinanden bis an die  Tc¼r und reicŸt sich dort von ihm
los. Ferdinand, betc¤ubt, entfernt sich eilend.)
     Egmont  (allein). Feindseliger  Mann!  Du  glaubtest  nicht, mir  diese
Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los  und
der  Schmerzen,  der  Furcht  und  jedes  c¤ngstlichen  Gefc¼hls.  Sanft und
dringend fordert  die  Natur  ihren  letzten  Zoll. Es  ist  vorbei,  es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewicŸ auf meinem Lager wachend
hielt, das schlc¤fert nun mit unbezwinglicher GewicŸheit meine Sinnen ein.
     (Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
     Sc¼cŸer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glc¼ck ungebeten, unerfleht am
willigsten.  Du lc¶sest die Knoten der  strengen Gedanken, vermischest  alle
Bilder der Freude und des  Schmerzes;  ungehindert fliecŸt der Kreis innerer
Harmonien, und eingehc¼llt in gefc¤lligen Wahnsinn, versinken wir und hc¶ren
auf zu sein.
     (Er entschlc¤ft;  die Musik  begleitet  seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu erc¶ffnen, eine glc¤nzende Erscheinung zeigt
sich.  Die Freiheit in himmlischem  Gewande, von  einer Klarheit  umflossen,
ruht auf einer Wolke. Sie hat  die Zc¼ge von Klc¤rchen und neigt sich  gegen
den  schlafenden Helden. Sie drc¼ckt  eine  bedauernde  Empfindung aus,  sie
scheint ihn zu beklagen. Bald facŸt sie sich, und mit aufmunternder Gebc¤rde
zeigt sie ihm das Bc¼ndel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heicŸt ihn
froh sein, und indem  sie ihm  andeutet, dacŸ  sein  Tod den  Provinzen  die
Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und  reicht ihm einen
Lorbeerkranz, Wie  sie sich  mit  dem Kranze dem Haupte  nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie  einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, dacŸ er mit
dem Gesicht  aufwc¤rts gegen sie  liegt. Sie  hc¤lt den  Kranz c¼ber  seinem
Haupte  schwebend:  man hc¶rt ganz von  weitem eine  kriegerische Musik  von
Trommeln und  Pfeifen: bei dem  leisesten  Laut derselben  verschwindet  die
Erscheinung. Der Schall wird  stc¤rker. Egmont erwacht; das Gefc¤ngnis  wird
vom Morgen mc¤cŸig erhellt.  Seine erste  Bewegung ist,  nach dem Haupte  zu
greifen: er steht  auf und  sieht sich  um, indem er die Hand auf dem Haupte
behc¤lt.)
     Verschwunden ist  der Kranz! Du schc¶nes Bild, das Licht  des Tages hat
dich verscheuchet!  Ja sie waren's, sie waren vereint, die beiden sc¼cŸesten
Freuden meines Herzens. Die gc¶ttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte
sie  die  Gestalt; das  reizende  Mc¤dchen  kleidete sich  in  der  Freundin
himmlisches  Gewand. In einem ernsten  Augenblick erscheinen sie  vereinigt,
ernster  als lieblich.  Mit blutbefleckten Sohlen  trat sie vor mir auf, die
wehenden  Falten  des Saumes mit Blut befleckt. Es war mein  Blut und vieler
Edeln  Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch!  Braves
Volk! Die Siegesgc¶ttin fc¼hrt dich an!  Und wie das Meer durch  eure Dc¤mme
bricht, so brecht,  so reicŸt den Wall  der  Tyrannei  zusammen und schwemmt
ersc¤ufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmacŸt, weg!
     (Trommeln nc¤her.)
     Horch!  Horch! Wie oft rief mich  dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits  und des  Siegs! Wie munter  traten die Gefc¤hrten auf
der  gefc¤hrlichen, rc¼hmlichen  Bahn! Auch ich schreite  einem  ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe fc¼r die  Freiheit, fc¼r die ich
lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfre.
     (Der  Hintergrund wird  mit einer Reihe  spanischer  Soldaten  besetzt,
welche Hellebarden tragen.)
     Ja, fc¼hrt sie  nur zusammen! SchliecŸt eure Reihen, ihr schreckt  mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn und, rings umgeben
von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu fc¼hlen.
     (Trommeln.)
     Dich schliecŸt der Feind  von  allen Seiten ein! Es blinken  Schwerter;
Freunde, hc¶hern Mut! Im Rc¼cken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
     (Auf die Wache zeigend.)
     Und  diese treibt  ein  hohles  Wort des Herrschers, nicht ihr  Gemc¼t.
Schc¼tzt eure Gc¼ter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig,  wie ich
euch ein Beispiel gebe.
     (Trommeln.  Wie  er auf  die Wache los- und auf  die Hintertc¼r zugeht,
fc¤llt  der   Vorhang:  die   Musik  fc¤llt  ein  und  schliecŸt  mit  einer
Siegessymphonie das Stc¼ck.)

Last-modified: Fri, 24 Jan 2003 11:57:01 GMT
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