g, wo immer das war. Und wozu dieser Wahnsinn? Weil die anderen es auch taten, die Spanier, die verfluchten Englunder, die impertinenten Hollunder, mit denen man sich dann herumschlagen musste, was man sich uberhaupt nicht leisten konnte. 300000 Livres kostet so ein Kriegsschiff gut und gerne, und versenkt ist es in funf Minuten mit einem einzigen Kanonenschuss, auf Nimmerwiedersehn, bezahlt von unseren Steuern. Den zehnten Teil auf alle Einkunfte verlangt der Herr Finanzminister neuerdings, und das ist ruinus, auch wenn man diesen Teil nicht zahlt, denn schon die ganze Geisteshaltung ist verderblich. Das Ungluck des Menschen ruhrt daher, dass er nicht still in seinem Zimmer bleiben will, dort, wo er hingehurt. Sagt Pascal. Aber Pascal war ein großer Mann gewesen, ein Frangipani des Geistes, ein Handwerker recht eigentlich, und ein solcher ist heute nicht mehr gefragt. Jetzt lesen sie aufwieglerische Bucher von Hugenotten oder Englundern. Oder sie schreiben Traktate oder sogenannte wissenschaftliche Großwerke, in denen sie alles und jedes in Frage stellen. Nichts mehr soll stimmen, alles soll jetzt plutzlich anders sein. In einem Glas Wassers sollen neuerdings ganz kleine Tierchen schwimmen, die man fruher nicht gesehen hat; die Syphilis soll eine ganz normale Krankheit sein und keine Strafe Gottes mehr; Gott soll die Welt nicht an sieben Tagen erschaffen haben, sondern in Jahrmillionen, wenn er es uberhaupt war; die Wilden sind Menschen wie wir; unsere Kinder erziehen wir falsch; und die Erde ist nicht mehr rund wie bisher, sondern oben und unten platt wie eine Melone - als ob es darauf ankume! In jedem Bereich wird gefragt und gebohrt und geforscht und geschnuffelt und herumexperimentiert. Es genugt nicht mehr, dass man sagt, was ist und wie es ist - es muss jetzt alles noch bewiesen werden, am besten mit Zeugen und Zahlen und irgendwelchen lucherlichen Versuchen. Diese Diderots und d'Alemberts und Voltaires und Rousseaus und wie die Schreiberlinge alle hießen - sogar geistliche Herren sind darunter und Herren von Adel! -, sie haben es wahrhaft geschafft, ihre eigne perfide Ruhelosigkeit, die schiere Lust am Nichtzufriedensein und des um alles in der Welt Sich-nicht-begnugen-kunnens, kurz: das grenzenlose Chaos, das in ihren Kupfen herrscht, auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen! Wo man hinsah, herrschte Hektik. Leute lasen Bucher, sogar Frauen. Priester hockten im Kaffeehaus. Und wenn die Polizei mal eingriff und einen dieser Oberschurken ins Gefungnis steckte, dann heulten die Verleger auf und reichten Petitionen ein, und huchste Herren und Damen machten ihren Einfluss geltend, bis man ihn nach ein paar Wochen wieder freisetzte oder ins Ausland ziehen ließ, wo er dann hemmungslos weiterpamphletisierte. In den Salons palaverte man nur noch uber Kometenbahnen und Expeditionen, uber Hebelkraft und Newton, uber Kanalbau, Blutkreislauf und den Durchmesser des Erdballs. Und selbst der Kunig ließ sich irgendeinen neumodischen Unsinn vorfuhren, eine Art kunstliches Gewitter namens Elektrizitut: Im Angesicht des ganzen Hofes rieb ein Mensch an einer Flasche, und es funkte, und Seine Majestut, so hurt man, zeigte sich tief beeindruckt. Unvorstellbar, dass sein Urgroßvater, der wahrhaft große Ludwig, unter dessen segensreicher Herrschaft Baldini lange Jahre noch das Gluck hatte gelebt zu haben, eine so lucherliche Demonstration vor seinen Augen geduldet hutte! Aber das war der Geist der neuen Zeit, und buse wurde alles enden! Denn wenn man schon ungeniert und auf die frechste Art die Autoritut von Gottes Kirche in Zweifel ziehen konnte; wenn man uber die nicht minder gottgewollte Monarchie und die geheiligte Person des Kunigs sprach, als seien beide bloß variable Posten in einem ganzen Katalog von anderen Regierungsformen, die man nach Gusto auswuhlen kunne; wenn man sich schließlich noch so weit verstieg, wie das geschah, Gott selbst, den Allmuchtigen, Ihn Huchstpersunlich, als entbehrlich hinzustellen und allen Ernstes zu behaupten, es seien Ordnung, Sitte und das Gluck auf Erden ohne Ihn zu denken, rein aus der eingeborenen Moralitut und der Vernunft der Menschen selber... o Gott, o Gott! - dann allerdings brauchte man sich nicht zu wundern, wenn sich alles von oben nach unten kehrte und die Sitten verlotterten und die Menschheit das Strafgericht dessen, den sie verleugnete, auf sich herabzog. Buse wird es enden. Der große Komet von 1681, uber den sie sich lustig gemacht haben, den sie als nichts als einen Haufen von Sternen bezeichnet haben, er war eben doch ein warnendes Vorzeichen Gottes gewesen, denn er hatte jetzt wusste man es ja - ein Jahrhundert der Auflusung angezeigt, der Zersetzung, des geistigen und politischen und religiusen Sumpfes, den sich die Menschheit selber schuf, in dem sie dereinst selbst versinken wird und in dem nur noch schillernde und stinkende Sumpfbluten gediehen wie dieser Pelissier! Er stand am Fenster, der alte Mann Baldini, und schaute mit gehussigem Blick gegen die schrugstehende Sonne auf den Fluss hinaus. Lastkuhne tauchten unter ihm auf und glitten langsam nach Westen auf den Pont Neuf und den Hafen vor den Galerien des Louvre zu. Keiner wurde hier gegen die Strumung herauf gestakt, sie nahmen den Flussarm auf der anderen Seite der Insel. Hier strumte alles nur weg, die leeren und die beladenen Schiffe, die Ruderboote und die flachen Kuhne der Fischer, das schmutzigbraune Wasser und das golden gekruuselte, alles strumte weg, langsam, breit und unaufhaltsam. Und wenn Baldini ganz steil nach unten blickte, hart an der Hauswand entlang, dann war es, als suge das strumende Wasser die Fundamente der Brucke davon, und es schwindelte ihm. Es war ein Fehler gewesen, das Haus auf der Brucke zu kaufen, und ein doppelter Fehler, eines auf der westlich gelegenen Seite zu nehmen. Nun hatte er dauernd den wegstrumenden Fluss vor Augen, und es war ihm, als strume er selbst und sein Haus und sein in vielen Jahrzehnten erworbener Reichtum davon wie der Fluss und als sei er zu alt und zu schwach, sich noch gegen diese gewaltige Strumung zu stemmen. Manchmal, wenn er auf dem linken Ufer zu tun hatte, im Viertel um die Sorbonne oder bei Saint-Sulpice, dann ging er nicht uber die Insel und den Pont Saint-Michel, sondern er nahm den lungeren Weg uber den Pont Neuf, denn diese Brucke war unbebaut. Und dann stellte er sich an die ustliche Brustung und schaute flussaufwurts, um wenigstens ein Mal alles auf sich zustrumen zu sehen; und fur einige Augenblicke schwelgte er in der Vorstellung, die Tendenz seines Lebens habe sich umgekehrt, die Geschufte florierten, die Familie gediehe, die Frauen flugen ihm zu und seine Existenz, statt zu zerrinnen, mehre und mehre sich. Aber dann, wenn er den Blick nur ein klein wenig hob, sah er in einigen hundert Metern Entfernung sein eigenes Haus gebrechlich schmal und hoch auf dem Pont au Change, und er sah das Fenster seines Arbeitszimmers im ersten Stock und sah sich selbst dort am Fenster stehen, sah sich hinaussehen auf den Fluss und das wegstrumende Wasser beobachten, wie jetzt. Und damit war der schune Traum verflogen, und Baldini, auf dem Pont Neuf stehend, wandte sich ab, niedergeschlagener als zuvor, niedergeschlagen wie jetzt, da er sich vom Fenster abwendete, zum Schreibtisch ging und sich setzte. 12 Vor ihm stand der Flakon mit Pelissiers Parfum. Die Flussigkeit schimmerte goldbraun im Sonnenlicht, klar, ohne die geringste Trubung. Ganz unschuldig sah sie aus, wie heller Tee - und enthielt doch neben vier Funfteln Alkohol ein Funftel eines geheimnisvollen Gemisches, das eine ganze Stadt in Aufregung versetzen konnte. Dieses Gemisch wiederum mochte aus drei oder aus dreißig verschiedenen Stoffen bestehen, die in einem ganz bestimmten von unzuhligen muglichen Volumenverhultnissen zueinander standen. Es war die Seele des Parfums - soweit man bei einem Parfum dieses eiskalten Geschuftemachers Pelissier von Seele reden konnte -, und ihren Aufbau galt es nun herauszufinden. Baldini schneuzte sich sorgfultig die Nase und ließ die Jalousie am Fenster etwas herunter, denn das direkte Sonnenlicht war jedem Riechstoff und jeder feineren geruchlichen Konzentration abtruglich. Aus der Schublade des Schreibtischs holte er ein frisches weißes Spitzentaschentuch und entfaltete es. Dann uffnete er den Flakon durch eine leichte Drehung des Stupsels. Den Kopf hielt er dabei weit zuruck und kniff die Nasenflugel zusammen, denn er wollte um Gottes willen nicht einen vorschnellen Geruchseindruck direkt aus der Flasche erwischen. Parfum musste in entfaltetem, luftigem Zustand gerochen werden, niemals konzentriert. Er sprenkelte einige Tropfen auf das Taschentuch, wedelte es durch die Luft, um den Alkohol davonzujagen, und hielt es sich dann unter die Nase. Mit drei ganz kurzen, ruckartigen Stußen riss er den Duft in sich hinein wie ein Pulver, blies ihn sofort wieder aus, fuchelte sich Luft zu, schnuffelte noch einmal im Dreierrhythmus und nahm zum Abschluss einen ganz tiefen Atemzug, den er langsam und mehrmals verhaltend, gleichsam ihn wie uber eine lange flache Treppe gleiten lassend, ausstrumte. Er warf das Taschentuch auf den Tisch und ließ sich gegen die Sessellehne zuruckfallen. Das Parfum war ekelhaft gut. Dieser miserable Pelissier war leider ein Kunner. Ein Meister, Gott sei's geklagt, und wenn er tausendmal nichts gelernt hatte! Baldini wunschte, es wure von ihm, dieses >Amor und Psyche<. Es war keine Spur ordinur. Absolut klassisch, rund und harmonisch war es. Und trotzdem faszinierend neu. Es war frisch, aber nicht reißerisch. Es war blumig, ohne schmalzig zu sein. Es besaß Tiefe, eine herrliche, haftende, schwelgerische, dunkelbraune Tiefe - und war doch kein bisschen uberladen oder schwulstig. Baldini stand fast ehrfurchtig auf und hielt sich das Taschentuch noch einmal unter die Nase. "Wunderbar, wunderbar..." murmelte er und schnuffelte gierig, "es hat einen heiteren Charakter, es ist lieblich, es ist wie eine Melodie, es macht direkt gute Laune... Unsinn, gute Laune!" Und er schleuderte das Tuchlein wutend auf den Tisch zuruck, wandte sich ab und ging in die hinterste Ecke des Zimmers, als schume er sich seiner Begeisterung. Lucherlich! Sich zu solchen Elogen hinreißen zu lassen. >Wie eine Melodie. Heiter. Wunderbar. Gute Laune.< - Bludsinn! Kindischer Bludsinn. Eindruck des Augenblicks. Alter Fehler. Temperamentsfrage. Wahrscheinlich italienisches Erbteil. Urteile nicht, solange du riechst! Das ist die erste Regel, Baldini, alter Schafskopf! Rieche, wenn du riechst, und urteile, wenn du gerochen hast! >Amor und Psyche< ist ein nicht unebenes Parfum. Ein durchaus gelungenes Produkt. Ein geschickt zusammengestelltes Machwerk. Um nicht zu sagen ein Blendwerk. Und etwas anderes als ein Blendwerk war von einem Mann wie Pelissier auch gar nicht zu erwarten. Naturlich fabrizierte ein Kerl wie Pelissier kein Dutzendparfum. Der Schurke blendete mit huchster Kunnerschaft, verwirrte den Geruchssinn mit perfekter Harmonie, ein Wolf im Schafspelz klassischer Geruchskunst war dieser Mensch, mit einem Wort: ein Scheusal mit Talent. Und das war schlimmer als ein Pfuscher mit dem rechten Glauben. Aber du, Baldini, wirst dich nicht beturen lassen. Du warst nur einen Augenblick lang uberrascht vom ersten Eindruck des Machwerks. Aber weiß man denn, wie es in einer Stunde riechen wird, wenn seine fluchtigsten Substanzen sich verflogen haben und sein Mittelbau hervortritt? Oder wie es heute Abend riechen wird, wenn nur noch jene schweren, dunklen Komponenten wahrzunehmen sind, die jetzt geruchlich wie im Zwielicht unter angenehmen Blutenschleiern liegen? Wart es ab, Baldini! Die zweite Regel sagt: Das Parfum lebt in der Zeit; es hat seine Jugend, seine Reife und sein Alter. Und nur wenn es in allen drei verschiedenen Lebensaltern auf gleich angenehme Weise Duft verstrumt, ist es als gelungen zu bezeichnen. Wie oft hatten wir nicht schon den Fall, dass eine Mischung, die wir machten, bei der ersten Probe herrlich frisch roch, nach kurzer Zeit nach faulem Obst und endlich nur noch ekelhaft nach reinem Zibet, das wir zu hoch dosierten. Vorsicht uberhaupt mit Zibet! Ein Tropfen zu viel schafft Katastrophen. Alte Fehlerquelle. Wer weiß - vielleicht hat Pelissier zu viel Zibet erwischt? Vielleicht bleibt bis heut Abend von seinem ambitiusen >Amor und Psyche< nur noch ein Hauch von Katzenpisse ubrig? Wir werden's sehn. Wir werden's riechen. So wie ein scharfes Beil den Holzklotz in die kleinsten Scheite teilt, wird unsre Nase sein Parfum in jede Einzelheit zerspalten. Dann wird sich zeigen, dass dieser angebliche Zauberduft auf sehr normalem, wohlbekanntem Weg entstanden ist. Wir, Baldini, Parfumeur, werden dem Essigmischer Pelissier auf die Schliche kommen. Wir werden ihm die Maske von der Fratze reißen und dem Neuerer beweisen, wozu das alte Handwerk in der Lage ist. Haargenau wird es ihm nachgemischt, sein modisches Parfum. Es wird unter unsern Hunden neu entstehen, so perfekt kopiert, dass es der Windhund selbst nicht mehr von seinem eignen unterscheiden kann. Nein! Das genugt uns nicht! Wir werden's noch verbessern! Wir werden ihm Fehler nachweisen und sie ausmerzen und es ihm auf diese Weise unter die Nase reiben: Du bis ein Pfuscher, Pelissier! Ein kleiner Stinker bist du! Ein Emporkummling im Duftgewerbe, und sonst nichts! An die Arbeit jetzt, Baldini! Die Nase geschurft und gerochen ohne Sentimentalitut! Den Duft zerlegt nach den Regeln der Kunst! Bis heute Abend musst du im Besitz der Formel sein! Und er sturzte zuruck an den Schreibtisch, holte Papier, Tinte und ein frisches Taschentuch heraus, legte sich alles zurecht und begann seine analytische Arbeit. Das geschah so, dass er das mit frischem Parfum getrunkte Tuch rasch unter der Nase vorbeizog und aus der voruberfliegenden Duftwolke den einen oder anderen Bestandteil aufzufangen suchte, ohne allzusehr von der komplexen Mischung aller Teile abgelenkt zu sein; um dann, wuhrend er das Taschentuch mit ausgestrecktem Arm weit von sich hielt, den Namen des gefundenen Bestandteils rasch zu notieren und hierauf neuerdings das Tuch an der Nase vorbeifliegen zu lassen, das nuchste Duftfragment zu erhaschen und so fort... 13 Er arbeitete zwei Stunden lang ununterbrochen. Und immer hektischer wurden seine Bewegungen, immer fahriger das Gekrakel seiner Feder auf dem Papier, immer huher die Dosen des Parfums, das er aus dem Flakon in sein Taschentuch schuttete und sich unter die Nase hielt. Er roch jetzt kaum noch etwas, er war lungst betuubt von den utherischen Substanzen, die er einatmete, konnte nicht einmal mehr wiedererkennen, was er zu Beginn seines Probierens zweifelsfrei analysiert zu haben glaubte. Er wusste, dass es sinnlos war, weiterzuriechen. Er wurde nie herausbekommen, woraus dieses neumodische Parfum zusammengesetzt war, heute schon uberhaupt nicht mehr, aber auch morgen nicht, wenn sich seine Nase, so Gott wollte, wieder erholt haben wurde. Er hatte dieses zersetzende Riechen nie gelernt. Es war ihm eine unselig widerwurtige Beschuftigung, einen Duft zu zerspalten; ein Ganzes, ein gut oder weniger gut Gefugtes, aufzuteilen in seine simplen Fragmente. Es interessierte ihn nicht. Er wollte nicht mehr. Aber mechanisch fuhr seine Hand fort, mit jener tausendmal geubten zierlichen Bewegung das Spitzentaschentuch zu trunken, es zu schutteln und rasch am Gesicht vorbeizuwedeln, und mechanisch riss er bei jedem Voruberflug eine Portion duftgetrunkter Luft in sich hinein, um sie kunstgerecht verhalten ausstrumen zu lassen. Bis ihn endlich seine eigene Nase von der Qual befreite, indem sie von innen her allergisch schwoll und sich wie mit einem wuchsernen Pfropfen selbst verschloss. Jetzt konnte er gar nichts mehr riechen, kaum noch atmen. Wie von einem schweren Schnupfen zugelutet war die Nase, und in seinen Augenwinkeln sammelten sich kleine Trunen. Gott im Himmel sei Dank! Nun konnte er guten Gewissens ein Ende machen. Nun hatte er seine Pflicht getan, nach besten Kruften, nach allen Regeln der Kunst, und war, wie schon so oft, gescheitert. Ultra posse nemo obligatur. Feierabend. Morgen fruh wurde er zu Pelissier schicken um eine große Flasche >Amor und Psyche< und damit die spanische Haut fur den Grafen Verhamont beduften, wie bestellt. Und danach wurde er sein Kufferchen nehmen, mit den altmodischen Seifen, Sentbons, Pomaden und Sachets, und seine Runde machen durch die Salons greiser Herzoginnen. Und eines Tages wurde die letzte greise Herzogin gestorben sein und damit seine letzte Kundin. Und dann wurde er selbst ein Greis sein und wurde sein Haus verkaufen mussen, an Pelissier oder an irgendeinen anderen dieser aufstrebenden Hundler, vielleicht bekume er noch ein paar tausend Livre dafur. Und wurde ein, zwei Koffer packen und mit seiner alten Frau, wenn die bis dahin noch nicht tot war, nach Italien reisen. Und wenn er die Reise uberlebte, wurde er sich ein kleines Huuschen auf dem Lande bei Messina kaufen, wo es billig war. Und dort wurde er sterben, Giuseppe Baldini, einst grußter Parfumeur von Paris, in bitterster Armut, wann immer Gott es gefiel. Und so war es gut. Er stupselte den Flakon zu, legte die Feder aus der Hand und wischte sich ein letztes Mal mit dem getrunkten Taschentuch uber die Stirn. Er spurte die Kuhle des verdunstenden Alkohols, sonst nichts mehr. Dann ging die Sonne unter. Baldini erhob sich. Er uffnete die Jalousie, und sein Kurper tauchte bis herab zu den Knien ins Abendlicht und gluhte auf wie eine abgebrannte glosende Fackel. Er sah den tiefroten Saum der Sonne hinterm Louvre und das zartere Feuer auf den Schieferduchern der Stadt. Unter ihm der Fluss glunzte wie Gold , die Schiffe waren verschwunden. Und es kam wohl ein Wind auf, denn uber die Wasserfluche fielen die Buen wie Schuppen, und es glitzerte da und dort und immer nuher, als streue eine riesige Hand Millionen von Louisdor-Stucken ins Wasser, und die Richtung des Flusses schien sich fur einen Moment umgekehrt zu haben: er strumte auf Baldini zu, eine gleißende Flut von purem Gold. Baldinis Augen waren feucht und traurig. Eine Weile lang stand er still und beobachtete das herrliche Bild. Dann, plutzlich, riss er das Fenster auf, schlug die beiden Flugel weit auseinander und warf den Flakon mit Pelissiers Parfum in hohem Bogen hinaus. Er sah, wie er aufplatschte und fur einen Augenblick den glitzernden Wasserteppich zerriss. Frische Luft strumte ins Zimmer. Baldini schupfte Atem und merkte, wie sich die Schwellung seiner Nase luste. Dann schloss er das Fenster. Fast im gleichen Moment wurde es Nacht, ganz plutzlich. Das goldglunzende Bild der Stadt und des Flusses erstarrte zu einer aschgrauen Silhouette. Im Zimmer war es mit einem Schlag duster geworden. Baldini stand wieder in der gleichen Haltung wie zuvor und starrte zum Fenster hinaus. "Ich werde morgen nicht zu Pelissier schicken", sagte er und umklammerte mit beiden Hunden die Ruckenlehne seines Stuhles. "Ich werde es nicht tun. Und ich werde auch nicht meine Tour durch die Salons machen. Sondern ich werde morgen zum Notar gehen und mein Haus und mein Geschuft verkaufen. Das werde ich tun. E basta!" Er hatte einen trotzigen, bubenhaften Gesichtsausdruck bekommen und fuhlte sich auf einmal sehr glucklich. Er war wieder der alte, der junge Baldini, mutig, und entschlossen wie je, dem Schicksal die Stirn zu bieten - auch wenn das Stirnbieten in diesem Fall nur Ruckzug war. Und wenn schon! Es blieb ja nichts anderes ubrig. Die dumme Zeit ließ keine andre Wahl. Gott gibt gute und schlechte Zeiten, aber er will nicht, dass wir in schlechten Zeiten jammern und wehklagen, sondern dass wir uns munnlich bewuhren. Und Er hatte ein Zeichen gegeben. Das blutrot-goldene Trugbild der Stadt war eineWarnung gewesen: Handle, Baldini, eh es zu sput ist! Noch steht dein Haus fest, noch sind deine Lager gefullt, noch wirst du einen guten Preis fur dein niedergehendes Geschuft erzielen kunnen. Noch liegen die Entscheidungen in deiner Hand. In Messina bescheiden alt zu werden, das ist zwar nicht dein Lebensziel gewesen - aber es ist doch ehrenwerter und gottgefulliger als in Paris pompus zugrunde zu gehen. Sollen die Brouets, Calteaux und Pelissiers ruhig triumphieren. Giuseppe Baldini ruumt das Feld. Aber er tat es aus freien Stucken und ungebeugt! Er war jetzt direkt stolz auf sich. Und unendlich erleichtert. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wich der subalterne Krampf aus seinem Rucken, der den Nacken verspannte und die Schultern immer devoter gewulbt hatte, und er stand ohne Anstrengung aufrecht, gelust und frei und freute sich. Sein Atem ging leicht durch die Nase. Er nahm den Geruch von >Amor und Psyche<, der das Zimmer beherrschte, deutlich wahr, aber er ließ sich nichts mehr von ihm anhaben. Baldini hatte sein Leben geundert und fuhlte sich wunderbar. Er wurde jetzt zu seiner Frau hinaufgehen und sie von seinen Entschlussen in Kenntnis setzen und dann nach Notre-Dame hinuberpilgern und eine Kerze anzunden, um Gott zu danken fur den gnudigen Fingerzeig und fur die unglaubliche Charaktersturke, die Er ihm, Giuseppe Baldini, verliehen hatte. Mit beinahe jugendlichem Elan warf er die Perucke auf seinen kahlen Schudel, schlupfte in den blauen Rock, ergriff den Leuchter, der auf dem Schreibtischstand, und verließ das Arbeitszimmer. Er hatte gerade die Kerze am Talglicht des Treppenhauses angezundet, um sich den Weg hinauf zur Wohnung zu beleuchten, als er es unten im Erdgeschoss klingeln hurte. Es war nicht das schune persische Geluute der Ladentur, sondern die scheppernde Klingel des Dienstboteneingangs, ein ekelhaftes Geruusch, das ihn schon immer gesturt hatte. Oft wollte er das Ding entfernen und durch eine angenehmere Glocke ersetzen lassen, aber dann war es ihm immer um die Ausgabe leid gewesen, und jetzt, fiel ihm plutzlich ein, und er kicherte bei dem Gedanken, jetzt war's egal; er wurde die aufdringliche Klingel samt dem Haus verkaufen. Sollte sein Nachfolger sich daruber urgern! Wieder schepperte die Klingel. Er lauschte nach unten. Offenbar hatte Chenier den Laden schon verlassen. Auch das Dienstmudchen machte keine Anstalten zu kommen. So stieg Baldini selbst hinab, um zu uffnen. Er riss den Riegel zuruck, schwenkte die schwere Tur auf - und sah nichts. Die Dunkelheit verschluckte den Schein der Kerze vollstundig. Dann, sehr allmuhlich, konnte er eine kleine Gestalt ausmachen, ein Kind oder einen halbwuchsigen Jungen, der etwas uber dem Arm trug. "Was willst du?" "Ich komme von Maitre Grimal, ich bringe das Ziegenleder", sagte die Gestalt und trat nuher und hielt Baldini den abgewinkelten Arm mit einigen ubereinandergehungten Huuten entgegen. Im Lichtschein erkannte Baldini das Gesicht eines Jungen mit ungstlich lauernden Augen. Seine Haltung war geduckt. Es schien, als verstecke er sich hinter seinem vorgehaltenen Arm wie einer, der Schluge erwartet. Es war Grenouille. 14 Das Ziegenleder fur die spanische Haut! Baldini erinnerte sich. Er hatte die Huute vor ein paar Tagen bei Grimal bestellt, feinstes weichstes Waschleder fur die Schreibunterlage des Grafen Verhamont, funfzehn Franc das Stuck. Aber jetzt brauchte er sie eigentlich nicht mehr, er konnte sich das Geld sparen. Andrerseits, wenn er den Jungen einfach zuruckschickte...? Wer weiß - es kunnte einen ungunstigen Eindruck machen, man wurde vielleicht reden, Geruchte kunnten entstehen: Baldini sei unzuverlussig geworden, Baldini bekomme keine Auftruge mehr, Baldini kunne nicht mehr zahlen... und so etwas war nicht gut, nein, nein, denn so etwas druckte womuglich den Verkaufswert des Geschufts. Es war besser, diese nutzlosen Ziegenhuute anzunehmen. Niemand brauchte zur Unzeit zu erfahren, dass Giuseppe Baldini sein Leben geundert hatte. "Komm herein!" Er ließ den Jungen eintreten, und sie gingen in den Laden hinuber, Baldini mit dem Leuchter voran, Grenouille mit seinen Huuten hinterdrein. Es war das erste Mal, dass Grenouille eine Parfumerie betrat, einen Ort, wo Geruche nicht Beiwerk waren, sondern ganz unverblumt im Mittelpunkt des Interesses standen. Naturlich kannte er sumtliche Parfum - und Drogenhandlungen der Stadt, nuchtelang war er vor den Auslagen gestanden, hatte seine Nase an die Spalten der Turen gedruckt. Er kannte sumtliche Dufte, die hier gehandelt wurden, und hatte sie in seinem Innern schon oft zu herrlichsten Parfums zusammengedacht. Es erwartete ihn also nichts Neues. Aber ebenso wie ein musikalisches Kind darauf brennt, ein Orchester aus der Nuhe zu sehen oder einmal in der Kirche auf die Empore hinaufzusteigen, zum verborgenen Manual der Orgel, so brannte Grenouille darauf, eine Parfumerie von innen zu sehen, und er hatte, als er hurte, es solle Leder zu Baldini geliefert werden, alles daran gesetzt, diese Besorgung ubernehmen zu durfen. Und nun stand er in Baldinis Laden, an dem Ort von Paris, an dem die grußte Anzahl professioneller Dufte auf engstem Raum versammelt war. Viel sah er nicht im voruberfliegenden Kerzenlicht, nur kurz den Schatten des Kontors mit der Waage, die beiden Reiher uber dem Becken, einen Sessel fur die Kunden, die dunklen Regale an den Wunden, das kurze Aufblinken von Messinggerut und weißen Etiketten auf Glusern und Tiegeln; und er roch auch nicht mehr, als er schon von der Straße her gerochen hatte. Aber er spurte sofort den Ernst, der in diesen Ruumen herrschte, fast muchte man sagen, den heiligen Ernst, wenn das Wort "heilig" fur Grenouille irgendeine Bedeutung besessen hutte; den kalten Ernst spurte er, die handwerkliche Nuchternheit, den trockenen Geschuftssinn, die an jedem Mubel, an jedem Gerut, an den Bottichen und Flaschen und Tupfen klebten. Und wuhrend er hinter Baldini herging, in Baldinis Schatten, denn Baldini nahm sich nicht die Muhe, ihm zu leuchten, uberkam ihn der Gedanke, dass er hierhergehure und nirgendwo anders hin, dass er hier bleiben werde, dass er von hier die Welt aus den Angeln heben wurde. Dieser Gedanke war naturlich von geradezu grotesker Unbescheidenheit. Es gab nichts, aber schon wirklich rein gar nichts, was einen dahergelaufenen Gerbereihilfsarbeiter dubioser Abkunft, ohne Verbindung oder Protektion, ohne die geringste stundische Position, zu der Hoffnung berechtigte, in der renommiertesten Duftstoffhandlung von Paris Fuß zu fassen; um so weniger, als, wie wir wissen, die Auflusung des Geschufts bereits beschlossene Sache war. Aber es handelte sich ja auch nicht um eine Hoffnung, die sich in Grenouilles unbescheidenen Gedanken ausdruckte, sondern um eine Gewissheit. Diesen Laden, so wusste er, wurde er nur noch verlassen, um seine Kleider bei Grimal abzuholen, und dann nicht mehr. Der Zeck hatte Blut gewittert. Jahrelang war er still gewesen, in sich verkapselt, und hatte gewartet. Jetzt ließ er sich fallen auf Gedeih und Verderb, vollkommen hoffnungslos. Und deshalb war seine Sicherheit so groß. Sie hatten den Laden durchquert. Baldini uffnete den nach der Flussseite gelegenen Hinterraum, der teils als Lager, teils als Werkstatt und Labor diente, wo die Seifen gekocht und die Pomaden geruhrt und die Riechwusser in bauchigen Flaschen gemischt wurden. "Da!" sagte er und wies auf einen großen Tisch, der vor dem Fenster stand, "da leg sie hin!" Grenouille trat aus Baldinis Schatten heraus, legte die Leder auf den Tisch, sprang dann rasch wieder zuruck und stellte sich zwischen Baldini und die Tur. Baldini blieb noch eine Weile stehen. Er hielt die Kerze etwas beiseite, damit keine Wachstropfen auf den Tisch fielen, und strich mit dem Fingerrucken uber die glatte Fluche des Leders. Dann schlug er das oberste um und fuhr uber die samtige, zugleich rauhe und weiche Innenseite. Es war sehr gut, dieses Leder. Wie geschaffen fur eine spanische Haut. Es wurde sich beim Trocknen kaum verziehen, es wurde, wenn man es richtig mit dem Falzbein strich, wieder geschmeidig werden, er spurte das sofort, wenn er es nur zwischen Daumen und Zeigefinger druckte; es konnte Duft fur funf oder zehn Jahre aufnehmen; es war ein sehr, sehr gutes Leder - vielleicht wurde er Handschuhe daraus machen, drei Paar fur sich und drei Paar fur seine Frau, fur die Reise nach Messina. Er zog seine Hand zuruck. Ruhrend sah der Arbeitstisch aus: wie alles bereit lag; die Glaswanne fur das Duftbad, die Glasplatte zum Trocknen, die Reibschalen zum Anmischen der Tinktur, Pistill und Spatel, Pinsel und Falzbein und Schere. Es war, als schliefen die Dinge nur, weil es dunkel war, und als wurden sie morgen wieder lebendig. Vielleicht sollte er den Tisch mitnehmen nach Messina? Und einen Teil seines Werkzeugs, nur die wichtigsten Stucke...? Man saß und arbeitete sehr gut an diesem Tisch. Er bestand aus Eichenbrettern, und das Gestell ebenfalls, und er war quer verstrebt, da zitterte und wackelte nichts an diesem Tisch, dem machte keine Suure etwas aus und kein ul und kein Messerschnitt - und ein Vermugen wurde es kosten, ihn nach Messina zu bringen! Selbst mit dem Schiff! Und darum wird er verkauft, der Tisch, morgen wird er verkauft, und alles, was darauf, darunter und daneben ist, wird ebenfalls verkauft! Denn er, Baldini, hatte zwar ein sentimentales Herz, aber er hatte auch einen starken Charakter, und deshalb wurde er, so schwer es ihm fiel, seinen Entschluss durchfuhren; mit Trunen in den Augen gab er alles weg, aber er wurde es trotzdem tun, denn er wusste, dass es richtig war, er hatte ein Zeichen bekommen. Er drehte sich um, um zu gehen. Da stand dieser kleine verwachsene Mensch in der Tur, den hatte er fast schon vergessen. "Es ist gut", sagte Baldini. "Richte dem Meister aus, das Leder ist gut. Ich werde in den nuchsten Tagen vorbeikommen, um zu bezahlen." "Jawohl", sagte Grenouille und blieb stehen und verstellte Baldini, der sich anschickte, seine Werkstatt zu verlassen, den Weg. Baldini stutzte ein wenig, hielt aber in seiner Ahnungslosigkeit das Verhalten des Jungen nicht fur Chuzpe, sondern fur Schuchternheit. "Was ist?" fragte er. "Hast du mir noch etwas zu bestellen? Nun? Sag es nur!" Grenouille stand geduckt und schaute Baldini mit jenem Blick an, der scheinbar ungstlichkeit verriet, in Wirklichkeit aber einer lauernden Gespanntheit entsprang. "Ich will bei Ihnen arbeiten, Maitre Baldini. Bei Ihnen, in Ihrem Geschuft will ich arbeiten." Das war nicht bittend gesagt, sondern fordernd, und es war auch nicht eigentlich gesagt, sondern herausgepresst, hervorgezischelt, schlangenhaft. Und wieder verkannte Baldini das unheimliche Selbstbewusstsein Grenouilles als knabenhafte Unbeholfenheit. Er luchelte ihn freundlich an. "Du bist Gerberlehrling, mein Sohn", sagte er, "ich habe keine Verwendung fur einen Gerberlehrling. Ich habe selbst einen Gesellen, und einen Lehrling brauche ich nicht." "Sie wollen diese Ziegenleder riechen machen, Maitre Baldini? Diese Leder, die ich Ihnen gebracht habe, die wollen Sie doch riechen machen?" zischelte Grenouille, als habe er Baldinis Antwort gar nicht zur Kenntnis genommen. "In der Tat", sagte Baldini. "Mit >Amor und Psyche< von Pelissier?" fragte Grenouille und duckte sich noch tiefer zusammen. Jetzt zuckte ein milder Schrecken durch Baldinis Kurper. Nicht weil er sich fragte, woher der Bursche so genau Bescheid wusste, sondern einfach wegen der Namensnennung dieses verhassten Parfums, an dessen Entrutselung er heute gescheitert war. "Wie kommst du auf die absurde Idee, ich wurde ein fremdes Parfum benutzen, um..." "Sie riechen danach!" zischelte Grenouille. "Sie tragen es auf der Stirn, und in der rechten Rocktasche haben Sie ein Tuch, das ist getrunkt davon. Es ist nicht gut, dieses >Amor und Psyche<, es ist schlecht, es ist zu viel Bergamotte darin und zu viel Rosmarin und zu wenig Rosenul." "Aha", sagte Baldini, der von der Wendung des Gespruchs ins Exakte vullig uberrascht war, "was noch?" "Orangenblute, Limette, Nelke, Moschus, Jasmin, Weingeist und etwas, von dem ich den Namen nicht kenne, hier, sehen Sie, da! In dieser Flasche!" Und er deutete mit dem Finger ins Dunkle. Baldini hielt den Leuchter in die angegebene Richtung, sein Blick folgte dem Zeigefinger des Jungen und fiel auf eine Flasche im Regal, die mit einem graugelben Balsam gefullt war. "Storax?" fragte er. Grenouille nickte. "Ja. Das ist drin. Storax." Und dann krummte er sich wie von einem Krampf zusammengezogen und murmelte mindestens ein dutzendmal das Wort >Storax< vor sich hin: "Storaxstoraxstoraxstorax..." Baldini hielt die Kerze gegen das storaxkruchzende Huuflein Mensch und dachte: Entweder ist er besessen, oder er ist ein betrugerischer Gauner, oder er ist ein begnadetes Talent. Denn dass die angegebenen Stoffe in richtiger Zusammensetzung das Parfum >Amor und Psyche< ergeben konnten, war durchaus muglich; es war sogar wahrscheinlich. Rosenul, Nelke und Storax - nach diesen drei Komponenten hatte er heute Nachmittag so verzweifelt gesucht; mit ihnen fugten sich die anderen Teile der Komposition - die auch er erkannt zu haben glaubte - wie Segmente zu einem hubschen runden Kuchen. Es war jetzt nur noch die Frage, in welchem exakten Verhultnis zueinander man sie fugen musste. Um das herauszufinden, wurde er, Baldini, tagelang herumexperimentieren mussen, eine entsetzliche Arbeit, fast noch schlimmer als das bloße Identifizieren der Teile, denn nun galt es, zu messen und zu wugen und zu notieren und dabei doch hullisch aufzupassen, denn die kleinste Unaufmerksamkeit - ein Zittern mit der Pipette, ein Fehler beim Tropfenzuhlen - konnte alles verderben. Und jeder verpatzte Versuch war grußlich teuer. Jede verdorbene Mischung kostete ein kleines Vermugen... Er wollte den kleinen Menschen auf die Probe stellen, wollte ihn nach der exakten Formel von >Amor und Psyche< fragen. Wenn er sie wusste, auf Gramm und Tropfen genau - dann war er offenkundig ein Betruger, der sich auf irgendeine Weise das Rezept von Pelissier ergaunert hatte, um sich bei Baldini Zutritt und Anstellung zu verschaffen. Erriet er sie aber ungefuhr, dann war er ein Geruchsgenie und forderte als solches Baldinis professionelles Interesse heraus. Nicht dass Baldini seinen gefassten Entschluss, das Geschuft aufzugeben, in Frage stellte! Es kam ihm nicht auf das Parfum von Pelissier als solches an. Selbst wenn der Bursche es ihm literweise verschaffte, Baldini dachte nicht im Traum daran, die spanische Haut des Grafen Verhamont damit zu beduften, aber... Aber man war doch nicht sein Leben lang Parfumeur gewesen, hatte sich nicht ein Leben lang mit der Zusammensetzung von Duften beschuftigt, um von einer Stunde zur anderen seine ganze professionelle Leidenschaft zu verlieren! Es interessierte ihn jetzt, die Formel dieses verfluchten Parfums herauszubekommen, und mehr noch, das Talent dieses unheimlichen Jungen zu erforschen, der ihm einen Duft von der Stirne abgelesen hatte. Er wollte wissen, was da dahintersteckte. Er war ganz einfach neugierig. "Du hast, so scheint es, eine feine Nase, junger Mann", sagte er, nachdem Grenouille mit seinem Gekruchze aufgehurt hatte, und trat zuruck in die Werkstatt, um den Leuchter vorsichtig auf dem Arbeitstisch abzustellen, "eine zweifellos feine Nase, aber..." "Ich habe die beste Nase von Paris, Maitre Baldini",schnarrte Grenouille dazwischen. "Ich kenne alle Geruche der Welt, alle, die in Paris sind, alle, nur kenne ich von manchen die Namen nicht, aber ich kann auch die Namen lernen, alle Geruche, die Namen haben, das sind nicht viele, das sind nur einige Tausende, ich werde sie alle lernen, ich werde den Namen des Balsams nie vergessen, Storax, der Balsam heisst Storax heisst er, Storax..." "Schweig!" rief Baldini, "unterbrich mich nicht, wenn ich spreche! Du bist vorlaut und anmaßend. Kein Mensch kennt tausend Geruche beim Namen. Selbst ich kenne nicht tausend beim Namen, sondern nur einige hundert, denn mehr gibt es nicht in unserem Gewerbe als einige hundert, alles andre ist nicht Geruch, sondern Gestank!" Grenouille, der sich wuhrend seiner lungeren eruptiven Zwischenrede beinahe kurperlich entfalt