mir auch nicht an Kleidern, Schuhen, ArmbXndern und allen schXnen Dingen. Aber was wird aus dir werden? Kannst du nichts als denken, fasten, dichten?" "Ich kann auch die Opferlieder," sagte Siddhartha, "aber ich will sie nicht mehr singen. Ich kann auch ZaubersprXche, aber ich will sie nicht mehr sprechen. Ich habe die Schriften gelesen X" "Halt," unterbrach ihn Kamala. "Du kannst lesen? Und schreiben?" "Gewiss kann ich das. Manche kXnnen das." "Die meisten kXnnen es nicht. Auch ich kann es nicht. Es ist sehr gut, dass du lesen und schreiben kannst, sehr gut. Auch die ZaubersprXche wirst du noch brauchen kXnnen." In diesem Augenblick kam eine Dienerin gelaufen und flXsterte der Herrin eine Nachricht ins Ohr. "Ich bekomme Besuch," rief Kamala. "Eile und verschwinde, Siddhartha, niemand darf dich hier sehen, das merke dir! Morgen sehe ich dich wieder." Der Magd aber befahl sie, dem frommen Brahmanen ein weiXes Obergewand zu geben. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, sah sich Siddhartha von der Magd hinweggezogen, auf Umwegen in ein Gartenhaus gebracht, mit einem Oberkleid beschenkt, ins GebXsch gefXhrt und dringlich ermahnt, sich alsbald ungesehen aus dem Hain zu verlieren. Zufrieden tat er, wie ihm geheiXen war. Des Waldes gewohnt, brachte er sich lautlos aus dem Hain und Xber die Hecke. Zufrieden kehrte er in die Stadt zurXck, das zusammengerollte Kleid unterm Arme tragend. In einer Herberge, wo Reisende einkehrten, stellte er sich an die TXr, bat schweigend um Essen, nahm schweigend ein StXck Reiskuchen an. Vielleicht schon morgen, dachte er, werde ich niemand mehr um Essen bitten. Stolz flammte plXtzlich in ihm auf. Er war kein Samana mehr, nicht mehr stand es ihm an, zu betteln. Er gab den Reiskuchen einem Hunde und blieb ohne Speise. "Einfach ist das Leben, das man in der Welt hier fXhrt," dachte Siddhartha. "Es hat keine Schwierigkeiten. Schwer war alles, mXhsam und am Ende hoffnungslos, als ich noch Samana war. Nun ist alles leicht, leicht wie der Unterricht im KXssen, den mir Kamala gibt. Ich brauche Kleider und Geld, sonst nichts, das sind kleine nahe Ziele, sie stXren einem nicht den Schlaf." LXngst hatte er das Stadthaus Kamalas erkundet, dort fand er sich am andern Tage ein. "Es geht gut," rief sie ihm entgegen. "Du wirst bei Kamaswami erwartet, er ist der reichste Kaufmann dieser Stadt. Wenn du ihm gefXllst, wird er dich in Dienst nehmen. Sei klug, brauner Samana. Ich habe ihm durch andre von dir erzXhlen lassen. Sei freundlich gegen ihn, er ist sehr mXchtig. Aber sei nicht zu bescheiden! Ich will nicht, dass du sein Diener wirst, du sollst seinesgleichen werden, sonst bin ich nicht mit dir zufrieden. Kamaswami fXngt an, alt und bequem zu werden. GefXllst du ihm, so wird er dir viel anvertrauen." Siddhartha dankte ihr und lachte, und da sie erfuhr, er habe gestern und heute nichts gegessen, lieX sie Brot und FrXchte bringen und bewirtete ihn. "Du hast GlXck gehabt," sagte sie beim Abschied, "eine TXr um die andre tut sich dir auf. Wie kommt das wohl? Hast du einen Zauber?" Siddhartha sagte: "Gestern erzXhlte ich dir, ich verstXnde zu denken, zu warten und zu fasten, du aber fandest, das sei zu nichts nXtze. Es ist aber zu vielem nXtze, Kamala, du wirst es sehen. Du wirst sehen, dass die dummen Samanas im Walde viel HXbsches lernen und kXnnen, das ihr nicht kXnnt. Vorgestern war ich noch ein struppiger Bettler, gestern habe ich schon Kamala gekXsst, und bald werde ich ein Kaufmann sein und Geld haben und all diese Dinge, auf die du Wert legst." "Nun ja," gab sie zu. "Aber wie stXnde es mit dir ohne mich? Was wXrest du, wenn Kamala dir nicht hXlfe?" "Liebe Kamala," sagte Siddhartha und richtete sich hoch auf, "als ich zu dir in deinen Hain kam, tat ich den ersten Schritt. Es war mein Vorsatz, bei dieser schXnsten Frau die Liebe zu lernen. Von jenem Augenblick an, da ich den Vorsatz fasste, wusste ich auch, dass ich ihn ausfXhren werde. Ich wusste, dass du mir helfen wXrdest, bei deinem ersten Blick am Eingang des Haines wusste ich es schon." "Wenn ich aber nicht gewollt hXtte?" "Du hast gewollt. Sieh, Kamala: Wenn du einen Stein ins Wasser wirfst, so eilt er auf dem schnellsten Wege zum Grunde des Wassers. So ist es, wenn Siddhartha ein Ziel, einen Vorsatz hat. Siddhartha tut nichts, er wartet, er denkt, er fastet, aber er geht durch die Dinge der Welt hindurch wie der Stein durchs Wasser, ohne etwas zu tun, ohne sich zu rXhren; er wird gezogen, er lXsst sich fallen. Sein Ziel zieht ihn an sich, denn er lXsst nichts in seine Seele ein, was dem Ziel widerstreben kXnnte. Das ist es, was Siddhartha bei den Samanas gelernt hat. Es ist das, was die Toren Zauber nennen und wovon sie meinen, es werde durch die DXmonen bewirkt. Nichts wird von DXmonen bewirkt, es gibt keine DXmonen. Jeder kann zaubern, jeder kann seine Ziele erreichen, wenn er denken kann, wenn er warten kann, wenn er fasten kann." Kamala hXrte ihm zu. Sie liebte seine Stimme, sie liebte den Blick seiner Augen. "Vielleicht ist es so," sagte sie leise, "wie du sprichst, Freund. Vielleicht ist es aber auch so, dass Siddhartha ein hXbscher Mann ist, dass sein Blick den Frauen gefXllt, dass darum das GlXck ihm entgegenkommt." Mit einem Kuss nahm Siddhartha Abschied. "MXge es so sein, meine Lehrerin. MXge immer mein Blick dir gefallen, mXge immer von dir mir GlXck entgegenkommen!" BEI DEN KINDERMENSCHEN Siddhartha ging zum Kaufmann Kamaswami, in ein reiches Haus ward er gewiesen, Diener fXhrten ihn zwischen kostbaren Teppichen in ein Gemach, wo er den Hausherrn erwartete. Kamaswami trat ein, ein rascher, geschmeidiger Mann mit stark ergrauendem Haar, mit sehr klugen, vorsichtigen Augen, mit einem begehrlichen Mund. Freundlich begrXten sich Herr und Gast. "Man hat mir gesagt," begann der Kaufmann, "dass du ein Brahmane bist, ein Gelehrter, dass du aber Dienste bei einem Kaufmann suchst. Bist du denn in Not geraten, Brahmane, dass du Dienste suchst?" "Nein," sagte Siddhartha, "ich bin nicht in Not geraten und bin nie in Not gewesen. Wisse, dass ich von den Samanas komme, bei welchen ich lange Zeit gelebt habe." "Wenn du von den Samanas kommst, wie solltest du da nicht in Not sein? Sind nicht die Samanas vXllig besitzlos?" "Besitzlos bin ich," sagte Siddhartha, "wenn es das ist, was du meinst. Gewiss bin ich besitzlos. Doch bin ich es freiwillig, bin also nicht in Not." "Wovon aber willst du leben, wenn du besitzlos bist?" "Ich habe daran noch nie gedacht, Herr. Ich bin mehr als drei Jahre besitzlos gewesen, und habe niemals daran gedacht, wovon ich leben solle." "So hast du vom Besitz anderer gelebt." "Vermutlich ist es so. Auch der Kaufmann lebt ja von der Habe anderer." "Wohl gesprochen. Doch nimmt er von den andern du nicht umsonst; er gibt ihnen seine Waren dafXr." "So scheint es sich in der Tat zu verhalten. Jeder nimmt, jeder gibt, so ist das Leben." "Aber erlaube: wenn du besitzlos bist, was willst du da geben?" "Jeder gibt, was er hat. Der Krieger gibt Kraft, der Kaufmann gibt Ware, der Lehrer Lehre, der Bauer Reis, der Fischer Fische." "Sehr wohl. Und was ist es nun, was du zu geben hast? Was ist es, das du gelernt hast, das du kannst?" "Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten." "Das ist alles?" "Ich glaube, es ist alles!" "Und wozu nXtzt es? Zum Beispiel das Fasten X wozu ist es gut?" "Es ist sehr gut, Herr. Wenn ein Mensch nichts zu essen hat, so ist Fasten das AllerklXgste, was er tun kann. Wenn, zum Beispiel, Siddhartha nicht fasten gelernt hXtte, so mXsste er heute noch irgendeinen Dienst annehmen, sei es bei dir oder wo immer, denn der Hunger wXrde ihn dazu zwingen. So aber kann Siddhartha ruhig warten, er kennt keine Ungeduld, er kennt keine Notlage, lange kann er sich vom Hunger belagern lassen und kann dazu lachen. Dazu, Herr, ist Fasten gut." "Du hast Recht, Samana. Warte einen Augenblick." Kamaswami ging hinaus und kehrte mit einer Rolle wieder, die er seinem Gaste hinreichte, indem er fragte: "Kannst du dies lesen?" Siddhartha betrachtete die Rolle, in welcher ein Kaufvertrag niedergeschrieben war, und begann ihren Inhalt vorzulesen. "Vortrefflich", sagte Kamaswami. "Und willst du mir etwas auf dieses Blatt schreiben?" Er gab ihm ein Blatt und einen Griffel, und Siddhartha schrieb und gab das Blatt zurXck. Kamaswami las: "Schreiben ist gut, Denken ist besser. Klugheit ist gut, Geduld ist besser." "VorzXglich verstehst du zu schreiben," lobte der Kaufmann. "Manches werden wir noch miteinander zu sprechen haben. FXr heute bitte ich dich, sei mein Gast und nimm in diesem Hause Wohnung." Siddhartha dankte und nahm an, und wohnte nun im Hause des HXndlers. Kleider wurden ihm gebracht, und Schuhe, und ein Diener bereitete ihm tXglich das Bad. Zweimal am Tage wurde eine reichliche Mahlzeit aufgetragen, Siddhartha aber aX nur einmal am Tage, und aX weder Fleisch noch trank er Wein. Kamaswami erzXhlte ihm von seinem Handel, zeigte ihm Waren und Magazine, zeigte ihm Berechnungen. Vieles Neue lernte Siddhartha kennen, er hXrte viel und sprach wenig. Und der Worte Kamalas eingedenk, ordnete er sich niemals dem Kaufmanne unter, zwang ihn, dass er ihn als seinesgleichen, ja als mehr denn seinesgleichen behandle. Kamaswami betrieb seine GeschXfte mit Sorglichkeit und oft mit Leidenschaft, Siddhartha aber betrachtete dies alles wie ein Spiel, dessen Regeln genau zu lernen er bemXht war, dessen Inhalt aber sein Herz nicht berXhrte. Nicht lange war er in Kamaswamis Hause, da nahm er schon an seines Hausherrn Handel teil. TXglich aber zu der Stunde, die sie ihm nannte, besuchte er die schXne Kamala, in hXbschen Kleidern, in feinen Schuhen, und bald brachte er ihr auch Geschenke mit. Vieles lehrte ihn ihr roter, kluger Mund. Vieles lehrte ihn ihre zarte, geschmeidige Hand. Ihm, der in der Liebe noch ein Knabe war und dazu neigte, sich blindlings und unersXttlich in die Lust zu stXrzen wie ins Bodenlose, lehrte sie von Grund auf die Lehre, dass man Lust nicht nehmen kann, ohne Lust zu geben, und dass jede GebXrde, jedes Streicheln, jede BerXhrung, jeder Anblick, jede kleinste Stelle des KXrpers ihr Geheimnis hat, das zu wecken dem Wissenden GlXck bereitet. Sie lehrte ihn, dass Liebende nach einer Liebesfeier nicht voneinander gehen dXrfen, ohne eins das andere zu bewundern, ohne ebenso besiegt zu sein, wie gesiegt zu haben, so dass bei keinem von beiden XbersXttigung und Xde entstehe und das bXse GefXhl, missbraucht zu haben oder missbraucht worden zu sein. Wunderbare Stunden brachte er bei der schXnen und klugen KXnstlerin zu, wurde ihr SchXler, ihr Liebhaber, ihr Freund. Hier bei Kamala lag der Wert und Sinn seines jetzigen Lebens, nicht im Handel des Kamaswami. Der Kaufmann Xbertrug ihm das Schreiben wichtiger Briefe und VertrXge, und gewXhnte sich daran, alle wichtigen Angelegenheiten mit ihm zu beraten. Er sah bald, dass Siddhartha von Reis und Wolle, von Schiffahrt und Handel wenig verstand, dass aber seine Hand eine glXckliche war, und dass Siddhartha ihn, den Kaufmann, Xbertraf an Ruhe und Gleichmut, und in der Kunst des ZuhXrenkXnnens und Eindringens in fremde Menschen. "Dieser Brahmane," sagte er zu einem Freunde, "ist kein richtiger Kaufmann und wird nie einer werden, nie ist seine Seele mit Leidenschaft bei den GeschXften. Aber er hat das Geheimnis jener Menschen, zu welchen der Erfolg von selber kommt, sei das nun ein angeborener guter Stern, sei es Zauber, sei es etwas, das er bei den Samanas gelernt hat. Immer scheint er mit den GeschXften nur zu spielen, nie gehen sie ganz in ihn ein, nie beherrschen sie ihn, nie fXrchtet er Misserfolg, nie bekXmmert ihn ein Verlust." Der Freund riet dem HXndler: "Gib ihm von den GeschXften, die er fXr dich treibt, einen Drittel vom Gewinn, lass ihn aber auch denselben Anteil des Verlustes treffen, wenn Verlust entsteht. So wird er eifriger werden." Kamaswami folgte dem Rat. Siddhartha aber kXmmerte sich wenig darum. Traf ihn Gewinn, so nahm er ihn gleichmXtig hin; traf ihn Verlust, so lachte er und sagte: "Ei sieh, dies ist also schlecht gegangen!" Es schien in der Tat, als seien die GeschXfte ihm gleichgXltig. Einmal reiste er in ein Dorf, um dort eine groXe Reisernte aufzukaufen. Als er ankam, war aber der Reis schon an einen andern HXndler verkauft. Dennoch blieb Siddhartha manche Tage in jenem Dorf, bewirtete die Bauern, schenkte ihren Kindern KupfermXnzen, feierte eine Hochzeit mit und kam Xberaus zufrieden von der Reise zurXck. Kamaswami machte ihm VorwXrfe, dass er nicht sogleich umgekehrt sei, dass er Zeit und Geld vergeudet habe. Siddhartha antwortete: "Lass das Schelten, lieber Freund! Noch nie ist mit Schelten etwas erreicht worden. Ist Verlust entstanden, so lass mich den Verlust tragen. Ich bin sehr zufrieden mit dieser Reise. Ich habe vielerlei Menschen kennen gelernt, ein Brahmane ist mein Freund geworden, Kinder sind auf meinen Knien geritten, Bauern haben mir ihre Felder gezeigt, niemand hat mich fXr einen HXndler gehalten." "Sehr hXbsch ist dies alles," rief Kamaswami unwillig, "aber tatsXchlich bist du doch ein HXndler, sollte ich meinen! Oder bist du denn nur zu deinem VergnXgen gereist?" "Gewiss," lachte Siddhartha, "Gewiss bin ich zu meinem VergnXgen gereist. Wozu denn sonst? Ich habe Menschen und Gegenden kennen gelernt, ich habe Freundlichkeit und Vertrauen genossen, ich habe Freundschaft gefunden. Sieh, Lieber, wenn ich Kamaswami gewesen wXre, so wXre ich sofort, als ich meinen Kauf vereitelt sah, voll Xrger und in Eile wieder zurXckgereist, und Zeit und Geld wXre in der Tat verloren gewesen. So aber habe ich gute Tage gehabt, habe gelernt, habe Freude genossen, habe weder mich noch andre durch Xrger und durch Eilfertigkeit geschXdigt. Und wenn ich jemals wieder dorthin komme, vielleicht um eine spXtere Ernte zu kaufen, oder zu welchem Zwecke es sei, so werden freundliche Menschen mich freundlich und heiter empfangen, und ich werde mich dafXr loben, dass ich damals nicht Eile und Unmut gezeigt habe. Also lass gut sein, Freund, und schade dir nicht durch Schelten! Wenn der Tag kommt, an dem du sehen wirst: Schaden bringt mir dieser Siddhartha, dann sprich ein Wort, und Siddhartha wird seiner Wege gehen. Bis dahin aber lass uns einer mit dem andern zufrieden sein." Vergeblich waren auch die Versuche des Kaufmanns, Siddhartha zu Xberzeugen, dass er sein, Kamaswamis, Brot esse. Siddhartha aX sein eignes Brot, vielmehr sie beide aXen das Brot anderer, das Brot aller. Niemals hatte Siddhartha ein Ohr fXr Kamaswamis Sorgen, und Kamaswami machte sich viele Sorgen. \War ein GeschXft im Gange, welchem Misserfolg drohte, schien eine Warensendung verloren, schien ein Schuldner nicht zahlen zu kXnnen, nie konnte Kamaswami seinen Mitarbeiter Xberzeugen, dass es nXtzlich sei, Worte des Kummers oder des Zornes zu verlieren, Falten auf der Stirn zu haben, schlecht zu schlafen. Als ihm Kamaswami einstmals vorhielt, er habe alles, was er verstehe, von ihm gelernt, gab er zur Antwort: "Wolle mich doch nicht mit solchen SpXen zum Besten haben! Von dir habe ich gelernt, wie viel ein Korb voll Fische kostet, und wie viel Zins man fXr geliehenes Geld fordern kann. Das sind deine Wissenschaften. Denken habe ich nicht bei dir gelernt, teurer Kamaswami, suche lieber du es von mir zu lernen." In der Tat war seine Seele nicht beim Handel. Die GeschXfte waren gut, um ihm Geld fXr Kamala einzubringen, und sie brachten weit mehr ein, als er brauchte. Im Xbrigen war Siddharthas Teilnahme und Neugierde nur bei den Menschen, deren GeschXfte, Handwerke, Sorgen, Lustbarkeiten und Torheiten ihm frXher fremd und fern gewesen waren wie der Mond. So leicht es ihm gelang, mit allen zu sprechen, mit allen zu leben, von allen zu lernen, so sehr ward ihm dennoch bewusst, dass etwas sei, was ihn von ihnen trenne, und dies Trennende war sein Samanatum. Er sah die Menschen auf eine kindliche oder tierhafte Art dahinleben, welche er zugleich liebte und auch verachtete. Er sah sie sich mXhen, sah sie leiden und grau werden um Dinge, die ihm dieses Preises ganz unwert schienen, um Geld, um kleine Lust, um kleine Ehren, er sah sie einander schelten und beleidigen, er sah sie um Schmerzen wehklagen, Xber die der Samana lXchelt, und unter Entbehrungen leiden, die ein Samana nicht fXhlt. Allem stand er offen, was diese Menschen ihm zubrachten. Willkommen war ihm der HXndler, der ihm Leinwand zum Kauf anbot, willkommen der Verschuldete, der ein Darlehen suchte, willkommen der Bettler, der ihm eine Stunde lang die Geschichte seiner Armut erzXhlte, und welcher nicht halb so arm war als ein jeder Samana. Den reichen auslXndischen HXndler behandelte er nicht anders als den Diener, der ihn rasierte, und den StraXenverkXufer, von dem er sich beim Bananenkauf um kleine MXnze betrXgen lieX. Wenn Kamaswami zu ihm kam, um Xber seine Sorgen zu klagen oder ihm wegen eines GeschXftes VorwXrfe zu machen, so hXrte er neugierig und heiter zu, wunderte sich Xber ihn, suchte ihn zu verstehen, lieX ihn ein wenig Recht haben, eben so viel als ihm unentbehrlich schien, und wandte sich von ihm ab, dem NXchsten zu, der ihn begehrte. Und es kamen viele zu ihm, viele um mit ihm zu handeln, viele um ihn zu betrXgen, viele um ihn auszuhorchen, viele um sein Mitleid anzurufen, viele um seinen Rat zu hXren. Er gab Rat, er bemitleidete, er schenkte, er lieX sich ein wenig betrXgen, und dieses ganze Spiel und die Leidenschaft, mit welcher alle Menschen dies Spiel betrieben, beschXftigte seine Gedanken ebensosehr, wie einst die GXtter und das Brahman sie beschXftigt hatten. Zuzeiten spXrte er, tief in der Brust, eine sterbende, leise Stimme, die mahnte leise, klagte leise, kaum dass er sie vernahm. Alsdann kam ihm fXr eine Stunde zum Bewusstsein, dass er ein seltsames Leben fXhre, dass er da lauter Dinge tue, die bloX ein Spiel waren, dass er wohl heiter sei und zuweilen Freude fXhle, dass aber das eigentliche Leben dennoch an ihm vorbeiflieXe und ihn nicht berXhre. Wie ein Ballspieler mit seinen BXllen spielt, so spielte er mit seinen GeschXften, mit den Menschen seiner Umgebung, sah ihnen zu, fand seinen SpaX an ihnen; mit dem Herzen, mit der Quelle seines Wesens war er nicht dabei. Die Quelle lief irgendwo, wie fern von ihm, lief und lief unsichtbar, hatte nichts mehr mit seinem Leben zu tun. Und einigemal erschrak er ob solchen Gedanken und wXnschte sich, es mXge doch auch ihm gegeben sein, bei all dem kindlichen Tun des Tages mit Leidenschaft und mit dem Herzen beteiligt zu sein, wirklich zu leben, wirklich zu tun, wirklich zu genieXen und zu leben, statt nur so als ein Zuschauer daneben zu stehen. Immer aber kam er wieder zur schXnen Kamala, lernte Liebeskunst, Xbte den Kult der Lust, bei welchem mehr als irgendwo geben und nehmen zu einem wird, plauderte mit ihr, lernte von ihr, gab ihr Rat, empfing Rat. Sie verstand ihn besser, als Govinda ihn einst verstanden hatte, sie war ihm Xhnlicher. Einmal sagte er zu ihr: "Du bist wie ich, du bist anders als die meisten Menschen. Du bist Kamala, nichts andres, und in dir innen ist eine Stille und Zuflucht, in welche du zu jeder Stunde eingehen und bei dir daheim sein kannst, so wie auch ich es kann. Wenige Menschen haben das, und doch kXnnten alle es haben." "Nicht alle Menschen sind klug," sagte Kamala. "Nein," sagte Siddhartha, "nicht daran liegt es. Kamaswami ist ebenso klug wie ich, und hat doch keine Zuflucht in sich. Andre haben sie, die an Verstand kleine Kinder sind. Die meisten Menschen, Kamala, sind wie ein fallendes Blatt, das weht und dreht sich durch die Luft, und schwankt, und taumelt zu Boden. Andre aber, wenige, sind wie Sterne, die gehen eine feste Bahn, kein Wind erreicht sie, in sich selber haben sie ihr Gesetz und ihre Bahn. Unter allen Gelehrten und Samanas, deren ich viele kannte, war einer von dieser Art, ein Vollkommener, nie kann ich ihn vergessen. Es ist jener Gotama, der Erhabene, der VerkXndiger jener Lehre. Tausend JXnger hXren jeden Tag seine Lehre, folgen jede Stunde seiner Vorschrift, aber sie alle sind fallendes Laub, nicht in sich selbst haben sie Lehre und Gesetz." Kamala betrachtete ihn mit LXcheln. "Wieder redest du von ihm," sagte sie, "wieder hast du Samana-Gedanken." Siddhartha schwieg, und sie spielten das Spiel der Liebe, eines von den dreiXig oder vierzig verschiedenen Spielen, welche Kamala wusste. Ihr Leib war biegsam wie der eines Jaguars, und wie der Bogen eines JXgers; wer von ihr die Liebe gelernt hatte, war vieler LXste, vieler Geheimnisse kundig. Lange spielte sie mit Siddhartha lockte ihn, wies ihn zurXck, zwang ihn, umspannte ihn: freute sich seiner Meisterschaft, bis er besiegt war und erschXpft an ihrer Seite ruhte. Die HetXre beugte sich Xber ihn, sah lang in sein Gesicht, in seine mXdgewordenen Augen. "Du bist der beste Liebende," sagte sie nachdenklich, "den ich gesehen habe. Du bist stXrker als andre, biegsamer, williger. Gut hast du meine Kunst gelernt, Siddhartha. Einst, wenn ich Xlter bin, will ich von dir ein Kind haben. Und dennoch, Lieber, bist du ein Samana geblieben, dennoch liebst du mich nicht, du liebst keinen Menschen. Ist es nicht so?" "Es mag wohl so sein", sagte Siddhartha mXde. "Ich bin wie du. Auch du liebst nicht X wie kXnntest du sonst 'die Liebe als eine Kunst betreiben? Die Menschen von unserer Art kXnnen vielleicht nicht lieben. Die Kindermenschen kXnnen es; das ist ihr Geheimnis." SANSARA Lange Zeit hatte Siddhartha das Leben der Welt und der LXste gelebt, ohne ihm doch anzugehXren. Seine Sinne, die er in heiXen Samana-Jahren ertXtet hatte, waren wieder erwacht, er hatte Reichtum gekostet, hatte Wollust gekostet, hatte Macht gekostet; dennoch war er lange Zeit im Herzen noch ein Samana geblieben, dies hatte Kamala, die Kluge, richtig erkannt. Immer noch war es die Kunst des Denkens, des Wartens, des Fastens, von welcher sein Leben gelenkt wurde, immer noch waren die Menschen der Welt, die Kindermenschen, ihm fremd geblieben, wie er ihnen fremd war. Die Jahre liefen dahin, in Wohlergehen eingehXllt fXhlte Siddhartha ihr Schwinden kaum. Er war reich geworden, er besaX lXngst ein eigenes Haus und eigene Dienerschaft, und einen Garten vor der Stadt am Flusse. Die Menschen hatten ihn gerne, sie kamen zu ihm, wenn sie Geld oder Rat brauchten, niemand aber stand ihm nahe, auXer Kamala. Jenes hohe, helle Wachsein, welches er einst, auf der HXhe seiner Jugend, erlebt hatte, in den Tagen nach Gotamas Predigt, nach der Trennung von Govinda, jene gespannte Erwartung, jenes stolze Alleinstehen ohne Lehren und ohne Lehrer, jene geschmeidige Bereitschaft, die gXttliche Stimme im eigenen Herzen zu hXren, war allmXhlich Erinnerung geworden, war vergXnglich gewesen; fern und leise rauschte die heilige Quelle, die einst nahe gewesen war, die einst in ihm selber gerauscht hatte. Vieles zwar, das er von den Samanas gelernt, das er von Gotama gelernt, das er von seinem Vater, dem Brahmanen, gelernt hatte, war noch lange Zeit in ihm geblieben: mXiges Leben, Freude am Denken, Stunden der Versenkung, heimliches Wissen vom Selbst, vom ewigen Ich, das nicht KXrper noch Bewusstsein ist. Manches davon war in ihm geblieben, eines ums andre aber war untergesunken und hatte sich mit Staub bedeckt. Wie die Scheibe des TXpfers, einmal angetrieben, sich noch lange dreht und nur langsam ermXdet und ausschwingt, so hatte in Siddharthas Seele das Rad der Askese, das Rad des Denkens, das Rad der Unterscheidung lange weiter geschwungen, schwang immer noch, aber es schwang langsam und zXgernd und war dem Stillstand nahe. Langsam, wie Feuchtigkeit in den absterbenden Baumstrunk dringt, ihn langsam fXllt und faulen macht, war Welt und TrXgheit in Siddharthas Seele gedrungen, langsam fXllte sie seine Seele, machte sie schwer, machte sie mXde, schlXferte sie ein. DafXr waren seine Sinne lebendig geworden, viel hatten sie gelernt, viel erfahren. Siddhartha hatte gelernt, Handel zu treiben, Macht Xber Menschen auszuXben, sich mit dem Weibe zu vergnXgen, er hatte gelernt, schXne Kleider zu tragen, Dienern zu befehlen, sich in wohlriechenden Wassern zu baden. Er hatte gelernt, zart und sorgfXltig bereitete Speisen zu essen, auch den Fisch, auch Fleisch und Vogel, GewXrze und SXigkeiten, und den Wein zu trinken, der trXge und vergessen macht. Er hatte gelernt, mit WXrfeln und auf dem Schachbrette zu spielen, TXnzerinnen zuzusehen, sich in der SXnfte tragen zu lassen, auf einem weichen Bett zu schlafen. Aber immer noch hatte er sich von den andern verschieden und ihnen Xberlegen gefXhlt, immer hatte er ihnen mit ein wenig Spott zugesehen, mit ein wenig spXttischer Verachtung, mit eben jener Verachtung, wie sie ein Samana stets fXr Weltleute fXhlt. Wenn Kamaswami krXnklich war, wenn er Xrgerlich war, wenn er sich beleidigt fXhlte, wenn er von seinen Kaufmannssorgen geplagt wurde, immer hatte Siddhartha es mit Spott angesehen. Langsam und unmerklich nur, mit den dahingehenden Erntezeiten und Regenzeiten, war sein Spott mXder geworden, war seine Xberlegenheit stiller geworden. Langsam nur, zwischen seinen wachsenden ReichtXmern, hatte Siddhartha selbst etwas von der Art der Kindermenschen angenommen, etwas von ihrer Kindlichkeit und von ihrer Xngstlichkeit. Und doch beneidete er sie, beneidete sie desto mehr, je Xhnlicher er ihnen wurde. Er beneidete sie um das Eine, was ihm fehlte und was sie hatten, um die Wichtigkeit, welche sie ihrem Leben beizulegen vermochten, um die Leidenschaftlichkeit ihrer Freuden und Xngste, um das bange, aber sXe GlXck ihrer ewigen Verliebtheit. In sich selbst, in Frauen, in ihre Kinder, in Ehre oder Geld, in PlXne oder Hoffnungen verliebt waren diese Menschen immerzu. Er aber lernte dies nicht von ihnen, gerade dies nicht, diese Kinderfreude und Kindertorheit; er lernte von ihnen gerade das Unangenehme, was er selbst verachtete. Es geschah immer Xfter, dass er am Morgen nach einem geselligen Abend lange liegen blieb und sich dumpf und mXde fXhlte. Es geschah, dass er Xrgerlich und ungeduldig wurde, wenn Kamaswami ihn mit seinen Sorgen lang weilte. Es geschah, dass er allzu laut lachte, wenn er im WXrfelspiel verlor. Sein Gesicht war noch immer klXger und geistiger als andre, aber es lachte selten, und nahm einen um den andern jene ZXge an, die man im Gesicht reicher Leute so hXufig findet, jene ZXge der Unzufriedenheit, der KrXnklichkeit, des Missmutes, der TrXgheit, der Lieblosigkeit. Langsam ergriff ihn die Seelenkrankheit der Reichen. Wie ein Schleier, wie ein dXnner Nebel senkte sich MXdigkeit Xber Siddhartha, langsam, jeden Tag ein wenig dichter, jeden Monat ein wenig trXber, jedes Jahr ein wenig schwerer. Wie ein neues Kleid mit der Zeit alt wird, mit der Zeit seine schXne Farbe verliert, Flecken bekommt, Falten bekommt, an den SXumen abgestoXen wird und hier und dort blXde, fXdige Stellen zu zeigen beginnt, so war Siddharthas neues Leben, das er nach seiner Trennung von Govinda begonnen hatte, alt geworden, so verlor es mit den hinrinnenden Jahren Farbe und Glanz, so sammelten sich Falten und Flecken auf ihm, und im Grunde verborgen, hier und dort schon hXlich hervorblickend, wartete EnttXuschung und Ekel. Siddhartha merkte es nicht. Er merkte nur, das jene helle und sichere Stimme seines Innern, die einst in ihm erwacht war und ihn in seinen glXnzenden Zeiten je und je geleitet hatte, schweigsam geworden war. Die Welt hatte ihn eingefangen, die Lust, die Begehrlichkeit, die TrXgheit, und zuletzt auch noch jenes Laster, das er als das tXrichteste stets am meisten verachtet und gehXhnt hatte: die Habgier. Auch das Eigentum, der Besitz und Reichtum hatte ihn schlieXlich eingefangen, war ihm kein Spiel und Tand mehr, war Kette und Last geworden. Auf einem seltsamen und listigen Wege war Siddhartha in diese letzte und schnXdeste AbhXngigkeit geraten, durch das WXrfelspiel. Seit der Zeit nXmlich, da er im Herzen aufgehXrt hatte, ein Samana zu sein, begann Siddhartha das Spiel um Geld und Kostbarkeiten, das er sonst lXchelnd und lXssig als eine Sitte der Kindermenschen mitgemacht hatte, mit einer zunehmenden Wut und Leidenschaft zu treiben. Er war ein gefXrchteter Spieler, wenige wagten es mit ihm, so hoch und frech waren seine EinsXtze. Er trieb das Spiel aus der Not seines Herzens, das Verspielen und Verschleudern des elenden Geldes schuf ihm eine zornige Freude, auf keine andre Weise konnte er seine Verachtung des Reichtums, des GXtzen der Kaufleute, deutlicher und hXhnischer zeigen. So spielte er hoch und schonungslos, sich selbst hassend, sich selbst verhXhnend, strich Tausende ein, warf Tausende weg, verspielte Geld, verspielte Schmuck, verspielte ein Landhaus, gewann wieder, verspielte wieder. Jene Angst, jene furchtbare und beklemmende Angst, welche er wXhrend des WXrfelns, wXhrend des Bangens um hohe EinsXtze empfand, jene Angst liebte er und suchte sie immer zu erneuern, immer zu steigern, immer hXher zu kitzeln, denn in diesem GefXhl allein noch fXhlte er etwas wie GlXck, etwas wie Rausch, etwas wie erhXhtes Leben inmitten seines gesXttigten, lauen, faden Lebens. Und nach jedem groXen Verluste sann er auf neuen Reichtum, ging eifriger dem Handel nach, zwang strenger seine Schuldner zum Zahlen, denn er wollte weiter spielen, er wollte weiter vergeuden, weiter dem Reichtum seine Verachtung zeigen. Siddhartha verlor die Gelassenheit bei Verlusten, er verlor die Geduld gegen sXumige Zahler, verlor die GutmXtigkeit gegen Bettler, verlor die Lust am Verschenken und Wegleihen des Geldes an Bittende. Er, der zehntausend auf einen Wurf verspielte und dazu lachte, wurde im Handel strenger und kleinlicher, trXumte nachts zuweilen von Geld! Und so oft er aus dieser hXlichen Bezauberung erwachte, so oft er sein Gesicht im Spiegel an der Schlafzimmerwand gealtert und hXlicher geworden sah, so oft Scham und Ekel ihn Xberfiel, floh er weiter, floh in neues GlXcksspiel, floh in BetXubungen der Wollust, des Weines, und von da zurXck in den Trieb des HXufens und Erwerbens. In diesem sinnlosen Kreislauf lief er sich mXde, lief er sich alt, lief sich krank. Da mahnte ihn einst ein Traum. Er war die Abendstunden bei Kamala gewesen, in ihrem schXnen Lustgarten. Sie waren unter den BXumen gesessen, im GesprXch, und Kamala hatte nachdenkliche Worte gesagt, Worte, hinter welchen sich eine Trauer und MXdigkeit verbarg. Von Gotama hatte sie ihn gebeten zu erzXhlen, und konnte nicht genug von ihm hXren, wie rein sein Auge, wie still und schXn sein Mund, wie gXtig sein LXcheln, wie friedevoll sein Gang gewesen. Lange hatte er ihr vom erhabenen Buddha erzXhlen mXssen, und Kamala hatte geseufzt, und hatte gesagt: Einst, vielleicht bald, werde auch ich diesem Buddha folgen. Ich werde ihm meinen Lustgarten schenken, und werde meine Zuflucht zu seiner Lehre nehmen." Darauf aber hatte sie ihn gereizt, und ihn im Liebesspiel mit schmerzlicher Inbrunst an sich gefesselt, unter Bissen und unter TrXnen, als wolle sie noch einmal aus dieser eiteln, vergXnglichen Lust den letzten sXen Tropfen pressen. Nie war es Siddhartha so seltsam klar geworden, wie nahe die Wollust dem Tode verwandt ist. Dann war er an ihrer Seite gelegen, und Kamalas Antlitz war ihm nahe gewesen, und unter ihren Augen und neben ihren Mundwinkeln hatte er, deutlich wie noch niemals, eine bange Schrift gelesen, eine Schrift von feinen Linien, von leisen Furchen, eine Schrift, die an den Herbst und an das Alter erinnerte, wie denn auch Siddhartha selbst, der erst in den Vierzigern stand, schon hier und dort ergraute Haare zwischen seinen schwarzen bemerkt hatte. MXdigkeit stand auf Kamalas schXnem Gesicht geschrieben, MXdigkeit vom Gehen eines langen Weges, der kein frohes Ziel hat, MXdigkeit und beginnende Welke, und verheimlichte, noch nicht gesagte, vielleicht noch nicht einmal gewusste Bangigkeit: Furcht vor dem Alter, Furcht vor dem Herbste, Furcht vor dem SterbenmXssen. Seufzend hatte er von ihr Abschied genommen, die Seele voll Unlust, und voll verheimlichter Bangigkeit. Dann hatte Siddhartha die Nacht in seinem Hause mit TXnzerinnen beim Weine zugebracht, hatte gegen seine Standesgenossen den Xberlegenen gespielt, welcher er nicht mehr war, hatte viel Wein getrunken und spXt nach Mitternacht sein Lager aufgesucht, mXde und dennoch erregt, dem Weinen und der Verzweiflung nahe, und hatte lang vergeblich den Schlaf gesucht, das Herz voll eines Elendes, das er nicht mehr ertragen zu kXnnen meinte, voll eines Ekels, von dem er sich durchdrungen fXhlte wie vom lauen, widerlichen Geschmack des Weines, der allzu sXen, Xden Musik, dem allzu weichen LXcheln der TXnzerinnen, dem allzu sXen Duft ihrer Haare und BrXste. Mehr aber als vor allem anderen ekelte ihm vor sich selbst, vor seinen duftenden Haaren, vor dem Weingeruch seines Mundes, vor der schlaffen MXdigkeit und Unlust seiner Haut. Wie wenn einer, der allzuviel gegessen oder getrunken hat, es unter Qualen wieder erbricht und doch der Erleichterung froh ist, so wXnschte sich der Schlaflose, in einem ungeheuren Schwall von Ekel sich dieser GenXsse, dieser Gewohnheiten, dieses ganzen sinnlosen Lebens und seiner selbst zu entledigen. Erst beim Schein des Morgens und dem Erwachen der ersten GeschXftigkeit auf der StraXe vor seinem Stadthause war er eingeschlummert, hatte fXr wenige Augenblicke eine halbe BetXubung, eine Ahnung von Schlaf gefunden. In diesen Augenblicken hatte er einen Traum: Kamala besaX in einem goldenen KXfig einen kleinen seltenen Singvogel. Von diesem Vogel trXumte er. Er trXumte: dieser Vogel war stumm geworden, der sonst stets in der Morgenstunde sang, und da dies ihm auffiel, trat er vor den KXfig und blickte hinein, da war der kleine Vogel tot und lag steif am Boden. Er nahm ihn heraus, wog ihn einen Augenblick in der Hand und warf ihn dann weg, auf die Gasse hinaus, und im gleichen Augenblick erschrak er furchtbar, und das Herz tat ihm weh, so, als habe er mit diesem toten Vogel allen Wert und alles Gute von sich geworfen. Aus diesem Traum auffahrend, fXhlte er sich von tiefer Traurigkeit umfangen. Wertlos, so schien ihm, wertlos und sinnlos hatte er sein Leben dahingefXhrt; nichts Lebendiges, nichts irgendwie KXstliches oder Behaltenswertes war ihm in HXnden geblieben. Allein stand er und leer, wie ein SchiffbrXchiger am Ufer. Finster begab sich Siddhartha in einen Lustgarten, der ihm gehXrte, verschloss die Pforte, setzte sich unter einem Mangobaum nieder, fXhlte den Tod im Herzen und das Grauen in der Brust, saX und spXrte, wie es in ihm starb, in ihm welkte, in ihm zu Ende ging. AllmXhlich sammelte er seine Gedanken, und ging im Geiste nochmals den ganzen Weg seines Lebens, von den ersten Tagen an, auf welche er sich besinnen konnte. Wann denn hatte er ein GlXck erlebt, eine wahre Wonne gefXhlt? O ja, mehrere Male hatte er solches erlebt. In den Knabenjahren hatte er es gekostet, wenn er von den Brahmanen Lob errungen hatte er es in seinem Herzen gefXhlt: "Ein Weg liegt vor dem Hersagen der heiligen Verse, im Disput mit den Gelehrten, als Gehilfe beim Opfer ausgezeichnet hatte. Da hatte er es in seinem Herzen gefXhlt: "Ein Weg liegt vor dir, zu dem du berufen bist, auf dich warten die GXtter." Und wieder als JXngling, da ihn das immer hXher emporfliehende Ziel alles Nachdenkens aus der Schar Gleichstrebender heraus- und hinangerissen hatte, da er in Schmerzen um den Sinn des Brahman rang, da jedes erreichte Wissen nur neuen Durst in ihm entfachte, da wieder hatte er, mitten im Durst, mitten im Schmerze dieses selbe gefXhlt: "Weiter! Weiter! Du bist berufen!" Diese Stimme hatte er vernommen, als er seine Heimat verlassen und das Leben des Samana gewXhlt hatte, und wieder, als er von den Samanas hinweg zu jenem Vollendeten, und auch von ihm hinweg ins Ungewisse gegangen war. Wie lange hatte er diese Stimme nicht mehr gehXrt, wie lange keine HXhe mehr erreicht, wie eben und Xde war sein Weg dahingegangen, viele lange Jahre, ohne hohes Ziel, ohne Durst, ohne Erhebung, mit kleinen LXsten zufrieden und dennoch nie begnXgt! Alle diese Jahre hatte er, ohne es selbst zu wissen, sich bemXht und danach gesehnt, ein Mensch wie diese vielen zu werden, wie diese Kinder, und dabei war sein Leben viel elender und Xrmer gewesen als das ihre, denn ihre Ziele waren nicht die seinen, noch ihre Sorgen, diese ganze Welt der Kamaswami-Menschen war ihm ja nur ein Spiel gewesen, ein Tanz, dem man zusieht, eine KomXdie. Einzig Kamala war ihm lieb, war ihm wertvoll gewesen X aber war sie es noch? Brauchte er sie noch, oder sie ihn? Spielten sie nicht ein Spiel ohne Ende? War es notwendig, dafXr zu leben? Nein, es war nicht notwendig! Dieses Spiel hieX Sansara, ein Spiel fXr Kinder, ein Spiel, vielleicht hold zu spielen, einmal, zweimal, zehnmal X aber immer und immer wieder? Da wusste Siddhartha, dass das Spiel zu Ende war, dass er es nicht mehr spielen kXnne. Ein Schauder lief ihm Xber den Leib, in seinem Innern, so fXhlte er, war etwas gestorben. Jenen ganzen Tag saX er unter dem Mangobaume, seines Vaters gedenkend, Govindas gedenkend, Gotamas gedenkend. Hatte er diese verlassen mXssen, um ein Kamaswami zu werden? Er saX noch, als die Nacht angebrochen war. Als er aufschauend die Sterne erblickte, dachte er: "Hier sitze ich unter meinem Mangobaume, in meinem Lustgarten." Er lXchelte ein wenig X war es denn notwendig, war es richtig, war es nicht ein tXrichtes Spiel, dass er einen Mangobaum, dass er einen Garten besaX? Auch damit schloss er ab, auch das starb in ihm. Er erhob sich, nahm Abschied vom Mangobaum, Abschied vom Lustgarten. Da er den Tag ohne Speise geblieben war, fXhlte er heftigen Hunger, und gedachte an sein Haus in der Stadt, an sein Gemach und Bett, an den Tisch mit den Speisen. Er lXchelte mXde, schXttelte sich und nahm Abschied von diesen Dingen. In derselben Nachtstunde verlieX Siddhartha seinen Garten, verlieX die Stadt und kam niemals wieder. Lange lieX Kamaswami nach ihm suchen, der ihn in RXuberhand gefallen glaubte. Kamala lieX nicht nach ihm suchen. Als sie erfuhr, dass Siddhartha verschwunden sei, wunderte sie sich nicht. Hatte sie es nicht immer erwartet? War er nicht ein Samana, ein Heimloser, ein Pilger? Und am meisten hatte sie dies beim letzten Zusammensein gefXhlt, und sie freute sich mitten im Schmerz des Verlustes, dass sie ihn dieses letzte Mal noch so innig an ihr Herz gezogen, sich noch einmal so ganz von ihm, besessen und durchdrungen gefXhlt hatte. Als sie die erste Nachricht von Siddharthas Verschwinden bekam, trat sie ans Fenster, wo sie in einem goldenen KXfig einen seltenen Singvogel gefangen hielt. Sie Xffnete die TXr des KXfigs, nahm den Vogel heraus und lieX ihn fliegen. Lange sah sie ihm nach, dem fliegenden Vogel. Sie empfing von diesem Tage an keine Besucher mehr, und hielt ihr Haus verschlossen. Nach einiger Zeit aber ward sie inne, dass sie von dem letzten Zusammensein mit Siddhartha schwanger sei. AM FLUSSE Siddhartha wanderte im Walde, schon fern von der Stadt, und wusste nichts als das eine, dass er nicht mehr zurXck konnte, dass dies Leben, wie er es nun viele Jahre lang gefXhrt, vorXber und dahin und bis zum Ekel ausgekostet und ausgesogen war. Tot war der Singvogel, von dem er getrXumt. Tot war der Vogel in seinem Herzen. Tief war er in Sansara ve