rstrickt, Ekel und Tod hatte er von allen Seiten in sich eingesogen, wie ein Schwamm Wasser einsaugt, bis er voll ist. Voll war er von Xberdruss, voll von Elend, voll von Tod, nichts mehr gab es in der Welt, das ihn locken, das ihn freuen, das ihn trXsten konnte. Sehnlich wXnschte er, nichts mehr von sich zu wissen, Ruhe zu haben, tot zu sein. KXme doch ein Blitz und erschlXge ihn! KXme doch ein Tiger und frXe ihn! GXbe es doch einen Wein, ein Gift, das ihm BetXubung brXchte, Vergessen und Schlaf, und kein Erwachen mehr! Gab es denn noch irgendeinen Schmutz, mit dem er sich nicht beschmutzt hatte, eine SXnde und Torheit, die er nicht begangen, eine SeelenXde, die er nicht auf sich geladen hatte? War es denn noch mXglich, zu leben? War es mXglich, nochmals und nochmals wieder Atem zu ziehen, Atem auszustoXen, Hunger zu fXhlen, wieder zu essen, wieder zu schlafen, wieder beim Weibe zu liegen? War dieser Kreislauf nicht fXr ihn erschXpft und abgeschlossen? Siddhartha gelangte an den groXen Fluss im Walde, an denselben Fluss, Xber welchen ihn einst, als er noch ein junger Mann war und von der Stadt des Gotama kam, ein FXhrmann gefXhrt hatte. An diesem Flusse machte er Halt, blieb zXgernd beim Ufer stehen. MXdigkeit und Hunger hatten ihn geschwXcht, und wozu auch sollte er weitergehen, wohin denn, zu welchem Ziel? Nein, es gab keine Ziele mehr, es gab nichts mehr als die tiefe, leidvolle Sehnsucht, diesen ganzen wXsten Traum von sich zu schXtteln, diesen schalen Wein von sich zu speien, diesem jXmmerlichen und schmachvollen Leben ein Ende zu machen. Xber das Flussufer hing ein Baum gebeugt, ein Kokosbaum, an dessen Stamm lehnte sich Siddhartha mit der Schulter, legte den Arm um den Stamm und blickte in das grXne Wasser hinab, das unter ihm zog und zog, blickte hinab und fand sich ganz und gar von dem Wunsche erfXllt, sich loszulassen und in diesem Wasser unterzugehen. Eine schauerliche Leere spiegelte ihm aus dem Wasser entgegen, welcher die furchtbare Leere in seiner Seele Antwort gab. Ja, er war am Ende. Nichts mehr gab es fXr ihn, als sich auszulXschen, als das misslungene Gebilde seines Lebens zu zerschlagen, es wegzuwerfen, hohnlachenden GXttern vor die FXe. Dies war das groXe Erbrechen, nach dem er sich gesehnt hatte: der Tod, das Zerschlagen der Form, die er hasste! Mochten ihn die Fische fressen, diesen Hund von Siddhartha, diesen Irrsinnigen, diesen verdorbenen und verfaulten Leib, diese erschlaffte und missbrauchte Seele! Mochten die Fische und Krokodile ihn fressen, mochten die DXmonen ihn zerstXcken! Mit verzerrtem Gesichte starrte er ins Wasser, sah sein Gesicht gespiegelt und spie danach. In tiefer MXdigkeit lXste er den Arm vom Baumstamme und drehte sich ein wenig, um sich senkrecht hinabfallen zu lassen, um endlich unterzugehen. Er sank, mit geschlossenen Augen, dem Tod entgegen. Da zuckte aus entlegenen Bezirken seiner Seele, aus Vergangenheiten seines ermXdeten Lebens her ein Klang. Es war ein Wort, eine Silbe, die er ohne Gedanken mit lallender Stimme vor sich hinsprach, das alte Anfangswort und Schlusswort aller brahmanischen Gebete, das heilige "Om", das so viel bedeutet wie "das Vollkommene" oder "die Vollendung". Und im Augenblick, da der Klang "Om" Siddharthas Ohr berXhrte, erwachte sein entschlummerter Geist plXtzlich, und erkannte die Torheit seines Tuns. Siddhartha erschrak tief. So also stand es um ihn, so verloren war er, so verirrt und von allem Wissen verlassen, dass er den Tod hatte suchen kXnnen, dass dieser Wunsch, dieser Kinderwunsch in ihm hatte groX werden kXnnen: Ruhe zu finden, indem er seinen Leib auslXschte! Was alle Qual dieser letzten Zeiten, alle ErnXchterung, alle Verzweiflung nicht bewirkt hatte, das bewirkte dieser Augenblick, da das Om in sein Bewusstsein drang: dass er sich in seinem Elend und in seiner Irrsal erkannte. Om! sprach er vor sich hin: Om! Und wusste um Brahman, wusste um die UnzerstXrbarkeit des Lebens, wusste um alles GXttliche wieder, das er vergessen hatte. Doch war dies nur ein Augenblick, ein Blitz. Am FuX des Kokosbaumes sank Siddhartha nieder, von der ErmXdung hingestreckt, Om murmelnd, legte sein Haupt auf die Wurzel des Baumes und sank in tiefen Schlaf. Tief war sein Schlaf und frei von TrXumen, seit langer Zeit hatte er einen solchen Schlaf nicht mehr gekannt. Als er nach manchen Stunden erwachte, war ihm, als seien zehn Jahre vergangen, er hXrte das leise StrXmen des Wassers, wusste nicht, wo er sei und wer ihn hierher gebracht habe, schlug die Augen auf, sah mit Verwunderung BXume und Himmel Xber sich, und erinnerte sich, wo er wXre und wie er hierher gekommen sei. Doch bedurfte er hierzu einer langen Weile, und das Vergangene erschien ihm wie von einem Schleier Xberzogen, unendlich fern, unendlich weit weg gelegen, unendlich gleichgXltig. Er wusste nur, dass er sein frXheres Leben (im ersten Augenblick der Besinnung erschien ihm dies frXhere Leben wie eine weit zurXckliegende, einstige VerkXrperung, wie eine frXhe Vorgeburt seines jetzigen Ich) X dass er sein frXheres Leben verlassen habe, dass er voll Ekel und Elend sogar sein Leben habe wegwerfen wollen, dass er aber an einem Flusse, unter einem Kokosbaume, zu sich gekommen sei, das heilige Wort Om auf den Lippen, dann entschlummert sei, und nun erwacht als ein neuer Mensch in die Welt blicke. Leise sprach er das Wort Om vor sich hin, Xber welchem er eingeschlafen war, und ihm schien sein ganzer langer Schlaf sei nichts als ein langes, versunkenes Om-Sprechen gewesen, ein Om-Denken, ein Untertauchen und vXlliges Eingehen in Om, in das Namenlose, Vollendete. Was fXr ein wunderbarer Schlaf war dies doch gewesen! Niemals hatte ein Schlaf ihn so erfrischt, so erneut, so verjXngt! Vielleicht war er wirklich gestorben, war untergegangen und in einer neuen Gestalt wiedergeboren? Aber nein, er kannte sich, er kannte seine Hand und seine FXe, kannte den Ort, an dem er lag, kannte dies Ich in seiner Brust, diesen Siddhartha, den Eigenwilligen, den Seltsamen, aber dieser Siddhartha war dennoch verwandelt, war erneut, war merkwXrdig ausgeschlafen, merkwXrdig wach, freudig und neugierig. Siddhartha richtete sich empor, da sah er sich gegenXber einen Menschen sitzen, einen fremden Mann, einen MXnch in gelbem Gewande mit rasiertem Kopfe, in der Stellung des Nachdenkens. Er betrachtete den Mann, der weder Haupthaar noch Bart an sich hatte, und nicht lange hatte er ihn betrachtet, da erkannte er in diesem MXnche Govinda, den Freund seiner Jugend, Govinda, der seine Zuflucht zum erhabenen Buddha genommen hatte. Govinda war gealtert, auch er, aber noch immer trug sein Gesicht die alten ZXge, sprach von Eifer, von Treue, von Suchen, von Xngstlichkeit. Als nun aber Govinda, seinen Blick fXhlend, das Auge aufschlug und ihn anschaute, sah Siddhartha, dass Govinda ihn nicht erkenne. Govinda freute sich, ihn wach zu finden, offenbar hatte er lange hier gesessen und auf sein Erwachen gewartet, obwohl er ihn nicht kannte. "Ich habe geschlafen," sagte Siddhartha. "Wie bist denn du hierher gekommen?" "Du hast geschlafen," antwortete Govinda. "Es ist nicht gut, an solchen Orten zu schlafen, wo hXufig Schlangen sind und die Tiere des Waldes ihre Wege haben. Ich, o Herr, bin ein JXnger des erhabenen Gotama, des Buddha, des Sakyamuni, und bin mit einer Zahl der Unsrigen diesen Weg gepilgert, da sah ich dich liegen und schlafen an einem Orte, wo es gefXhrlich ist zu schlafen. Darum suchte ich dich zu wecken, o Herr, und da ich sah, dass dein Schlaf sehr tief war, blieb ich hinter den Meinigen zurXck und saX bei dir. Und dann, so scheint es, bin ich selbst eingeschlafen, der ich deinen Schlaf bewachen wollte. Schlecht habe ich meinen Dienst versehen, MXdigkeit hat mich Xbermannt. Aber nun, da du ja wach bist, lass mich gehen, damit ich meine BrXder einhole." "Ich danke dir, Samana, dass du meinen Schlaf behXtet hast," sprach Siddhartha. "Freundlich seid Ihr JXnger des Erhabenen. Nun magst du denn gehen." "Ich gehe, Herr. MXge der Herr sich immer wohl befinden." "Ich danke dir, Samana." Govinda machte das Zeichen des GruXes und sagte: "Lebe wohl." "Lebe wohl, Govinda," sagte Siddhartha. Der MXnch blieb stehen. "Erlaube, Herr, woher kennst du meinen Namen?" Da lXchelte Siddhartha. "Ich kenne dich, o Govinda, aus der HXtte deines Vaters, und aus der Brahmanenschule, und von den Opfern, und von unsrem Gang zu den Samanas, und von jener Stunde, da du im Hain Jetavana deine Zuflucht zum Erhabenen nahmest." "Du bist Siddharthal" rief Govinda laut. Jetzt erkenne ich dich, und begreife nicht mehr, wie ich dich nicht sogleich erkennen konnte. Sei willkommen, Siddhartha, groX ist meine Freude, dich wiederzusehen" "Auch mich erfreut es, dich wiederzusehen. Du bist der WXchter meines Schlafes gewesen, nochmals danke ich dir dafXr, obwohl ich keines WXchters bedurft hXtte. Wohin gehst du, o Freund?" "Nirgendshin gehe ich. Immer sind wir MXnche unterwegs, solange nicht Regenzeit ist, immer ziehen wir von Ort zu Ort, leben nach der Regel, verkXndigen die Lehre, nehmen Almosen, ziehen weiter. Immer ist es so. Du aber, Siddhartha, wo gehst du hin?" Sprach Siddhartha: "Auch mit mir steht es so, Freund, wie mit dir. Ich gehe nirgendhin. Ich bin nur unterwegs. Ich pilgere." Govinda sprach: "Du sagst, du pilgerst, und ich glaube dir. Doch verzeih, o Siddhartha, nicht wie ein Pilger siehst du aus. Du trXgst das Kleid eines Reichen, du trXgst die Schuhe eines Vornehmen, und dein Haar, das nach wohlriechendem Wasser duftet, ist nicht das Haar eines Pilgers, nicht das Haar eines Samanas." "Wohl, Lieber, gut hast du beobachtet, alles sieht dein scharfes Auge. Doch habe ich nicht zu dir gesagt, dass ich ein Samana sei. Ich sagte: ich pilgere. Und so ist es: ich pilgere." "Du pilgerst," sagte Govinda. "Aber wenige pilgern in solchem Kleide, wenige in solchen Schuhen, wenige mit solchen Haaren. Nie habe ich, der ich schon viele Jahre pilgere, solch einen Pilger angetroffen." "Ich glaube es dir, mein Govinda. Aber nun, heute, hast du eben einen solchen Pilger angetroffen, in solchen Schuhen, mit solchem Gewande. Erinnere dich, Lieber: VergXnglich ist die Welt der Gestaltungen, vergXnglich, hXchst vergXnglich sind unsere GewXnder, und die Tracht unserer Haare, und unsere Haare und KXrper selbst. Ich trage die Kleider eines Reichen, da hast du recht gesehen. Ich trage sie, denn ich bin ein Reicher gewesen, und trage das Haar wie die Weltleute und LXstlinge, denn einer von ihnen bin ich gewesen. " "Und jetzt, Siddhartha, was bist du jetzt?" "Ich weiX es nicht, ich weiX es so wenig wie du. Ich bin unterwegs. Ich war ein Reicher, und bin es nicht mehr; und was ich morgen sein werde, weiX ich nicht." "Du hast deinen Reichtum verloren?" "Ich habe ihn verloren, oder er mich. Er ist mir abhanden gekommen. Schnell dreht sich das Rad der Gestaltungen, Govinda. Wo ist der Brahmane Siddhartha? Wo ist der Samana Siddhartha? Wo ist der Reiche Siddhartha? Schnell wechselt das VergXngliche, Govinda, du weiXt es. Govinda blickte den Freund seiner Jugend lange an, Zweifel im Auge. Darauf grXte er ihn, wie man Vornehme grXt, und ging seines Weges. Mit lXchelndem Gesicht schaute Siddhartha ihm nach, er liebte ihn noch immer, diesen Treuen, diesen Xngstlichen. Und wie hXtte er, in diesem Augenblick, in dieser herrlichen Stunde nach seinem wunderbaren Schlafe, durchdrungen von Om, irgend jemand und irgend etwas nicht lieben sollen! Eben darin bestand die Verzauberung, welche im Schlafe und durch das Om in ihm geschehen war, dass er alles liebte, dass er voll froher Liebe war zu allem, was er sah. Und eben daran, so schien es ihm jetzt, war er vorher so sehr krank gewesen, dass er nichts und niemand hatte lieben kXnnen. Mit lXchelndem Gesichte schaute Siddhartha dem hinweggehenden MXnche nach. Der Schlaf hatte ihn sehr gestXrkt, sehr aber quXlte ihn der Hunger, denn er hatte nun zwei Tage nichts gegessen, und lange war die Zeit vorXber, da er hart gegen den Hunger gewesen war. Mit Kummer, und doch auch mit Lachen, gedachte er jener Zeit. Damals, so erinnerte er sich, hatte er sich vor Kamala dreier Dinge gerXhmt, hatte drei edle und unXberwindliche KXnste gekonnt: Fasten X Warten X Denken. Dies war sein Besitz gewesen, seine Macht und Kraft, sein fester Stab, in den fleiXigen, mXhseligen Jahren seiner Jugend hatte er diese drei KXnste gelernt, nichts anderes. Und nun hatten sie ihn verlassen, keine von ihnen war mehr sein, nicht Fasten, nicht Warten, nicht Denken. Um das Elendeste hatte er sie hingegeben, um das VergXnglichste, um SinnenIust, um Wohlleben, um Reichtum! Seltsam war es ihm in der Tat ergangen. Und jetzt, so schien es, jetzt war er wirklich ein Kindermensch geworden. Siddhartha dachte Xber seine Lage nach. Schwer fiel ihm das Denken, er hatte im Grunde keine Lust dazu, doch zwang er sich. Nun, dachte er, da alle diese vergXnglichsten Dinge mir wieder entglitten sind, nun stehe ich wieder unter der Sonne, wie ich einst als kleines Kind gestanden bin, nichts ist mein, nichts kann ich, nichts vermag ich, nichts habe ich gelernt. Wie ist dies wunderlich! Jetzt, wo ich nicht mehr jung bin, wo meine Haare schon halb grau sind, wo die KrXfte nachlassen, jetzt fange ich wieder von vorn und beim Kinde an! Wieder musste er lXcheln. Ja, seltsam war sein Geschick! Es ging abwXrts mit ihm, und nun stand er wieder leer und nackt und dumm in der Welt. Aber Kummer darXber konnte er nicht empfinden, nein, er fXhlte sogar groXen Anreiz zum Lachen, zum Lachen Xber sich, zum Lachen Xber diese seltsame, tXrichte Welt. "AbwXrts geht es mit dir!" sagte er zu sich selber, und lachte dazu, und wie er es sagte, fiel sein Blick auf den Fluss, und auch den Fluss sah er abwXrts gehen, immer abwXrts wandern, und dabei singen und frXhlich sein. Das gefiel ihm wohl, freundlich lXchelte er dem Flusse zu. War dies nicht der Fluss, in welchem er sich hatte ertrXnken wollen, einst, vor hundert Jahren, oder hatte er das getrXumt? Wunderlich in der Tat war mein Leben, so dachte er, wunderliche Umwege hat es genommen. Als Knabe habe ich nur mit GXttern und Opfern zu tun gehabt. Als JXngling habe ich nur mit Askese, mit Denken und Versenkung zu tun gehabt, war auf der Suche nach Brahman, verehrte das Ewige im Atman. Als junger Mann aber zog ich den BXern nach, lebte im Walde, litt Hitze und Frost, lernte hungern, lehrte meinen Leib absterben. Wunderbar kam mir alsdann in der Lehre des groXen Buddha Erkenntnis entgegen, ich fXhlte Wissen um die Einheit der Welt in mir kreisen wie mein eigenes Blut. Aber auch von Buddha und von dem groXen Wissen musste ich wieder fort. Ich ging und lernte bei Kamala die Liebeslust, lernte bei Kamaswami den Handel, hXufte Geld, vertat Geld, lernte meinen Magen lieben, lernte meinen Sinnen schmeicheln. Viele Jahre musste ich damit hinbringen, den Geist zu verlieren, das Denken wieder zu verlernen, die Einheit zu vergessen. Ist es nicht so, als sei ich langsam und auf groXen Umwegen aus einem Mann ein Kind geworden, aus einem Denker ein Kindermensch? Und doch ist dieser Weg sehr gut gewesen, und doch ist der Vogel in meiner Brust nicht gestorben. Aber welch ein Weg war das! Ich habe durch so viel Dummheit, durch so viel Laster, durch so viel Irrtum, durch so viel Ekel und EnttXuschung und Jammer hindurchgehen mXssen, bloX um wieder ein Kind zu werden und neu anfangen zu kXnnen. Aber es war richtig so, mein Herz sagt Ja dazu, meine Augen lachen dazu. Ich habe Verzweiflung erleben mXssen, ich habe hinabsinken mXssen bis zum tXrichtesten aller Gedanken, zum Gedanken des Selbstmordes, um Gnade erleben zu kXnnen, um wieder Om zu vernehmen, um wieder richtig schlafen und richtig erwachen zu kXnnen. Ich habe ein Tor werden mXssen, um Atman wieder in mir zu finden. Ich habe sXndigen mXssen, um wieder leben zu kXnnen. Wohin noch mag mein Weg mich fXhren? NXrrisch ist er, dieser Weg, er geht in Schleifen, er geht vielleicht im Kreise. Mag er gehen, wie er will, ich will ihn gehen. Wunderbar fXhlte er in seiner Brust die Freude wallen. Woher denn, fragte er sein Herz, woher hast du diese FrXhlichkeit? Kommt sie wohl aus diesem langen, guten Schlafe her, der mir so sehr wohlgetan hat? Oder von dem Worte Om, das ich aussprach? Oder davon, dass ich entronnen bin, dass meine Flucht vollzogen ist, dass ich endlich wieder frei bin und wie ein Kind unter dem Himmel stehe? O wie gut ist dies Geflohensein, dies Freigewordensein! Wie rein und schXn ist hier die Luft, wie gut zu atmen! Dort, von wo ich entlief, dort roch alles nach Salbe, nach GewXrzen, nach Wein, nach Xberfluss, nach TrXgheit. Wie hasste ich diese Welt der Reichen, der Schlemmer, der Spieler! Wie habe ich mich selbst gehasst, dass ich so lang in dieser schrecklichen Welt geblieben bin! Wie habe ich mich gehasst, habe mich beraubt, vergiftet, gepeinigt, habe mich alt und bXse gemacht! Nein, nie mehr werde ich, wie ich es einst so gerne tat, mir einbilden, dass Siddhartha weise sei! Dies aber habe ich gut gemacht, dies gefXllt mir, dies muss ich loben, dass es nun ein Ende hat mit jenem Hass gegen mich selber, mit jenem tXrichten und Xden Leben! Ich lobe dich, Siddharta, nach so viel Jahren der Torheit hast du wieder einmal einen Einfall gehabt, hast etwas getan, hast den Vogel in deiner Brust singen hXren und bist ihm gefolgt! So lobte er sich, hatte Freude an sich, hXrte neugierig seinem Magen zu, der vor Hunger knurrte. Ein StXck Leid, ein StXck Elend hatte er nun, so fXhlte er, in diesen letzten Zeiten und Tagen ganz und gar durchgekostet und ausgespien, bis zur Verzweiflung und bis zum Tode ausgefressen. So war es gut. Lange noch hXtte er bei Kamaswami bleiben kXnnen, Geld erwerben, Geld vergeuden, seinen Bauch mXsten und seine Seele verdursten lassen, lange noch hXtte er in dieser sanften, wohlgepolsterten HXlle wohnen kXnnen, wXre dies nicht gekommen: der Augenblick der vollkommenen Trostlosigkeit und Verzweiflung, jener XuXerste Augenblick, da er Xber dem strXmenden Wasser hing und bereit war, sich zu vernichten. Dass er diese Verzweiflung, diesen tiefsten Ekel gefXhlt hatte, und dass er ihm nicht erlegen war, dass der Vogel, die frohe Quelle und Stimme in ihm doch noch lebendig war, darXber fXhlte er diese Freude, darXber lachte er, darXber strahlte sein Gesicht unter den ergrauten Haaren. "Es ist gut," dachte er, "alles selber zu kosten, was man zu wissen nXtig hat. Dass Weltlust und Reichtum nicht vom Guten sind, habe ich schon als Kind gelernt. Gewusst habe ich es lange, erlebt habe ich es erst jetzt. Und nun weiX ich es, weiX es nicht nur mit dem GedXchtnis, sondern mit meinen Augen, mit meinem Herzen, mit meinem Magen. Wohl mir, dass ich es weiX!" Lange sann er nach Xber seine Verwandlung, lauschte dem Vogel, wie er vor Freude sang. War nicht dieser Vogel in ihm gestorben, hatte er nicht seinen Tod gefXhlt? Nein, etwas anderes in ihm war gestorben, etwas, das schon, lange sich nach Sterben gesehnt hatte. War es nicht das, was er einst in seinen glXhenden BXerjahren hatte abtXten wollen? War es nicht sein Ich, sein kleines, banges und stolzes Ich, mit dem er so viele Jahre gekXmpft hatte, das ihn immer wieder besiegt hatte, das nach jeder AbtXtung wieder da war, Freude verbot, Furcht empfand? War es nicht dies, was heute endlich seinen Tod gefunden hatte, hier im Walde an diesem lieblichen Flusse? War es nicht dieses Todes wegen, dass er jetzt wie ein Kind war, so voll Vertrauen, so ohne Furcht, so voll Freude? Nun auch ahnte Siddhartha, warum er als Brahmane, als BXer vergeblich mit diesem Ich gekXmpft hatte. Zu viel Wissen hatte ihn gehindert, zu viel heilige Verse, zu viel Opferregeln, zu viel Kasteiung, zu viel Tun und Streben! Voll Hochmut war er gewesen, immer der KlXgste, immer der Eifrigste, immer allen um einen Schritt voran, immer der Wissende und Geistige, immer der Priester oder Weise. In dies Priestertum, in diesen Hochmut, in diese Geistigkeit hinein hatte sein Ich sich verkrochen, dort saX es fest und wuchs, wXhrend er es mit Fasten und BuXe zu tXten meinte. Nun sah er es, und sah, dass die heimliche Stimme Recht gehabt hatte, dass kein Lehrer ihn je hXtte erlXsen kXnnen. Darum hatte er in die Welt gehen mXssen, sich an Lust und Macht, an Weib und Geld verlieren mXssen, hatte ein HXndler, ein WXrfelspieler, Trinker und Habgieriger werden mXssen, bis der Priester und Samana in ihm tot war. Darum hatte er weiter diese hXlichen Jahre ertragen mXssen, den Ekel ertragen, die Lehre, die Sinnlosigkeit eines Xden und verlorenen Lebens, bis zum Ende, bis zur bittern Verzweiflung, bis auch der LXstling Siddhartha, der Habgierige Siddhartha sterben konnte. Er war gestorben, ein neuer Siddhartha war aus dem Schlaf erwacht. Auch er wXrde alt werden, auch er wXrde einst sterben mXssen, vergXnglich war Siddhartha, vergXnglich war jede Gestaltung. Heute aber war er jung, war ein Kind, der neue Siddhartha, und war voll Freude. Diese Gedanken dachte er, lauschte lXchelnd auf seinen Magen, hXrte dankbar einer summenden Biene zu. Heiter blickte er in den strXmenden Fluss, nie hatte ihm ein Wasser so wohl gefallen wie dieses, nie hatte er Stimme und Gleichnis des ziehenden Wassers so stark und schXn vernommen. Ihm schien, es habe der Fluss ihm etwas Besonderes zu sagen, etwas, das er noch nicht wisse, das noch auf ihn warte. In diesem Fluss hatte sich Siddhartha ertrXnken wollen, in ihm war der alte, mXde, verzweifelte Siddhartha heute ertrunken. Der neue Siddhartha aber fXhlte eine tiefe Liebe zu diesem strXmenden Wasser, und beschloss bei sich, es nicht so bald wieder zu verlassen. DER FXHRMANN An diesem Fluss will ich bleiben, dachte Siddhartha, es ist der selbe, Xber den ich einstmals auf dem Wege zu den Kindermenschen gekommen bin, ein freundlicher FXhrmann hat mich damals gefXhrt, zu ihm will ich gehen, von seiner HXtte aus fXhrte mich einst mein Wegin ein neues Leben, das nun alt geworden und tot ist X mXge auch mein jetziger Weg, mein jetziges neues Leben dort seinen Ausgang nehmen! ZXrtlich blickte er in das strXmende Wasser, in das durchsichtige GrXn, in die kristallenen Linien seiner geheimnisreichen Zeichnung. Lichte Perlen sah er aus der Tiefe steigen, stille Luftblasen auf dem Spiegel schwimmen, HimmelsblXue darin abgebildet. Mit tausend Augen blickte der Fluss ihn an, mit grXnen, mit weiXen, mit kristallnen, mit himmelblauen. Wie liebte er dies Wasser, wie entzXckte es ihn, wie war er ihm dankbar! Im Herzen hXrte er die Stimme sprechen, die neu erwachte, und sie sagte ihm: Liebe dies Wasser! Bleibe bei ihm! Lerne von ihm! O ja, er wollte von ihm lernen, er wollte ihm zuhXren. Wer dies Wasser und seine Geheimnisse verstXnde, so schien ihm, der wXrde auch viel anderes verstehen, viele Geheimnisse, alle Geheimnisse. Von den Geheimnissen des Flusses aber sah er heute nur eines, das ergriff seine Seele. Er sah: dies Wasser lief und lief, immerzu lief es, und war doch immer da, war immer und allezeit dasselbe und doch jeden Augenblick neu! O wer dies fasste, dies verstXnde! Er verstand und fasste es nicht, fXhlte nur Ahnung sich regen, ferne Erinnerung, gXttliche Stimmen. Siddhartha erhob sich, unertrXglich wurde das Treiben des Hungers in seinem Leibe. Hingenommen wanderte er weiter, den Uferpfad hinan, dem Strom entgegen, lauschte auf die StrXmung, lauschte auf den knurrenden Hunger in seinem Leibe. Als er die FXhre erreichte, lag eben das Boot bereit, und derselbe FXhrmann, welcher einst den jungen Samana Xber den Fluss gesetzt hatte, stand im Boot, Siddhartha erkannte ihn wieder, auch er war stark gealtert. "Willst du mich Xbersetzen?" fragte er. Der FXhrmann, erstaunt, einen so vornehmen Mann allein und zu FuXe wandern zu sehen, nahm ihn ins Boot und stieX ab. "Ein schXnes Leben hast du dir erwXhlt," sprach der Gast. "SchXn muss es sein, jeden Tag an diesem Wasser zu leben und auf ihm zu fahren." LXchelnd wiegte sich der Ruderer: "Es ist schXn, Herr, es ist, wie du sagst. Aber ist nicht jedes Leben, ist nicht jede Arbeit schXn?" "Es mag wohl sein. Dich aber beneide ich um die Deine." "Ach, du mXchtest bald die Lust an ihr verlieren. Das ist nichts fXr Leute in feinen Kleidern." Siddhartha lachte. "Schon einmal bin ich heute um meiner Kleider willen betrachtet worden, mit Misstrauen betrachtet. Willst du nicht, FXhrmann, diese Kleider, die mir lXstig sind, von mir annehmen? Denn du musst wissen, ich habe kein Geld, dir einen FXhrlohn zu zahlen." "Der Herr scherzt," lachte der FXhrmann. "Ich scherze nicht, Freund. Sieh, schon einmal hast du mich in deinem Boot Xber dies Wasser gefahren, um Gotteslohn. So tue es auch heute, und nimm meine Kleider dafXr an." "Und will der Herr ohne Kleider weiterreisen?" "Ach, am liebsten wollte ich gar nicht weiterreisen. Am liebsten wXre es mir, FXhrmann, wenn du mir eine alte SchXrze gXbest und behieltest mich als deinen Gehilfen bei dir, vielmehr als deinen Lehrling, denn erst muss ich lernen, mit dem Boot umzugehen." Lange blickte der FXhrmann den Fremden an, suchend. "Jetzt erkenne ich dich," sagte er endlich. "Einst hast du in meiner HXtte geschlafen, lange ist es her, wohl mehr als zwanzig Jahre mag das her sein, und bist von mir Xber den Fluss gebracht worden, und wir nahmen Abschied voneinander wie gute Freunde. Warst du nicht ein Samana? Deines Namens kann ich mich nicht mehr entsinnen." "Ich heiXe Siddhartha, und ich war ein Samana, als du mich zuletzt gesehen hast." "So sei willkommen, Siddhartha. Ich heiXe Vasudeva. Du wirst, so hoffe ich, auch heute mein Gast sein und in meiner HXtte schlafen, und mir erzXhlen, woher du kommst, und warum deine schXnen Kleider dir so lXstig sind." Sie waren in die Mitte des Flusses gelangt, und Vasudeva legte sich stXrker ins Ruder, um gegen die StrXmung anzukommen. Ruhig arbeitete er, den Blick auf der Bootspitze, mit krXftigen Armen. Siddhartha saX und und sah ihm zu, und erinnerte sich, wie schon einstmals, an jenem letzten Tage seiner Samana-Zeit, Liebe zu diesem Manne sich in seinem Herzen geregt hatte. Dankbar nahm er Vasudevas Einladung an. Als sie am Ufer anlegten, half er ihm das Boot an den PflXcken festbinden, darauf bat ihn der FXhrmann, in die HXtte zu treten, bot ihm Brot und Wasser, und Siddhartha aX mit Lust, und aX mit Lust auch von den MangofrXchten, die ihm Vasudeva anbot. Danach setzten sie sich, es ging gegen Sonnenuntergang, auf einem Baumstamm am Ufer, und Siddhartha erzXhlte dem FXhrmann seine Herkunft und sein Leben, wie er es heute, in jener Stunde der Verzweiflung, vor seinen Augen gesehen hatte. Bis tief in die Nacht wXhrte sein ErzXhlen. Vasudeva hXrte mit groXer Aufmerksamkeit zu. Alles nahm er lauschend in sich auf, Herkunft und Kindheit, all das Lernen, all das Suchen, alle Freude, alle Not. Dies war unter des FXhrmanns Tugenden eine der grXten: er verstand wie wenige das ZuhXren. Ohne dass er ein Wort gesprochen hXtte, empfand der Sprechende, wie Vasudeva seine Worte in sich einlieX, still, offen, wartend, wie er keines verlor, keines mit Ungeduld erwartete, nicht Lob noch Tadel daneben stellte, nur zuhXrte. Siddhartha empfand, welches GlXck es ist, einem solchen ZuhXrer sich zu bekennen, in sein Herz das eigene Leben zu versenken, das eigene Suchen, das eigene Leiden. Gegen das Ende von Siddharthas ErzXhlung aber, als er von dem Baum am Flusse sprach, und von seinem tiefen Fall, vom heiligen Om, und wie er nach seinem Schlummer eine solche Liebe zu dem Flusse gefXhlt hatte, da lauschte der FXhrmann mit verdoppelter Aufmerksamkeit, ganz und vXllig hingegeben, mit geschlossnem Auge. Als aber Siddhartha schwieg, und eine lange Stille gewesen war, da sagte Vasudeva: "Es ist so, wie ich dachte. Der Fluss hat zu dir gesprochen. Auch dir ist er Freund, auch zu dir spricht er. Das ist gut, das ist sehr gut. Bleibe bei mir, Siddhartha, mein Freund. Ich hatte einst eine Frau, ihr Lager war neben dem meinen, doch ist sie schon lange gestorben, lange habe ich allein gelebt. Lebe nun du mit mir, es ist Raum und Essen fXr beide vorhanden." "Ich danke dir," sagte Siddhartha, "ich danke dir und nehme an. Und auch dafXr danke ich dir, Vasudeva, dass du mir so gut zugehXrt hast! Selten sind die Menschen, welche das ZuhXren verstehen, und keinen traf ich, der es verstand wie du. Auch hierin werde ich von dir lernen." "Du wirst es lernen," sprach Vasudeva, "aber nicht von mir. Das ZuhXren hat mich der Fluss gelehrt, von ihm wirst auch du es lernen. Er weiX alles, der Fluss, alles kann man von ihm lernen. Sieh, auch das hast du, schon vom Wasser gelernt, dass es gut ist, nach unten zu streben, zu sinken, die Tiefe zu suchen. Der reiche und vornehme Siddhartha wird ein Ruderknecht, der gelehrte Brahmane Siddhartha wird ein FXhrmann: auch dies ist dir vom Fluss gesagt worden. Du wirst auch das andere von ihm lernen." Sprach Siddhartha, nach einer langen Pause: "Welches andere, Vasudeva?" Vasudeva erhob sich. "SpXt ist es geworden," sagte er, "lass uns schlafen gehen. Ich kann dir das andere nicht sagen, o Freund. Du wirst es lernen, vielleicht auch weiXt du es schon. Sieh, ich bin kein Gelehrter, ich verstehe nicht zu sprechen, ich verstehe auch nicht zu denken. Ich verstehe nur zuzuhXren und fromm zu sein, sonst habe ich nichts gelernt. KXnnte ich es sagen und lehren, so wXre ich vielleicht ein Weiser, so aber bin ich nur ein FXhrmann, und meine Aufgabe ist es, Menschen Xber diesen Fluss zu setzen. Viele habe ich Xbergesetzt, Tausende, und ihnen allen ist mein Fluss nichts anderes gewesen als ein Hindernis auf ihren Reisen. Sie reisten nach Geld und GeschXften, und zu Hochzeiten, und zu Wallfahrten, und der Fluss war ihnen im Wege, und der FXhrmann war dazu da, sie schnell Xber das Hindernis hinweg zubringen. Einige unter den Tausenden aber, einige wenige, vier oder fXnf, denen hat der Fluss aufgehXrt, ein Hindernis zu sein, sie haben seine Stimme gehXrt, sie haben ihm zugehXrt, und der Fluss ist ihnen heilig geworden, wie er es mir geworden ist. Lass uns nun zur Ruhe gehen, Siddhartha." Siddhartha blieb bei dem FXhrmann und lernte das Boot bedienen, und wenn nichts an der FXhre zu tun war, arbeitete er mit Vasudeva im Reisfelde, sammelte Holz, pflXckte die FrXchte der PisangbXume. Er lernte ein Ruder zimmern, und lernte das Boot ausbessern, und KXrbe flechten, und war frXhlich Xber alles, was erlernte, und die Tage und Monate liefen schnell hinweg. Mehr aber, als Vasudeva ihn lehren konnte, lehrte ihn der Fluss. Von ihm lernte er unaufhXrlich. Vor allem lernte er von ihm das ZuhXren, das Lauschen mit stillem Herzen, mit wartender, geXffneter Seele, ohne Leidenschaft, ohne,Wunsch, ohne Urteil, ohne Meinung. Freundlich lebte er neben Vasudeva, und zuweilen tauschten sie Worte miteinander, wenige und lang bedachte Worte. Vasudeva war kein Freund der Worte, selten gelang es Siddhartha, ihn zum Sprechen zu bewegen. "Hast du," so fragte er ihn einst, "hast auch du vom Flusse jenes Geheime gelernt: dass es keine Zeit gibt?" Vasudevas Gesicht Xberzog sich mit hellem LXcheln. "Ja, Siddhartha," sprach er. "Es ist doch dieses, was du meinst: dass der Fluss Xberall zugleich ist, am Ursprung und an der MXndung, am Wasserfall, an der FXhre, an der Stromschnelle, im Meer, im Gebirge, Xberall zugleich, und dass es fXr ihn nur Gegenwart gibt, nicht den Schatten Vergangenheit, nicht den Schatten Zukunft?" "Dies ist es," sagte Siddhartha. "Und als ich es gelernt hatte, da sah ich mein Leben an, und es war auch ein Fluss, und es war der Knabe Siddhartha vom Manne Siddhartha und vom Greis Siddhartha nur durch Schatten getrennt, nicht durch Wirkliches. Es waren auch Siddharthas frXhere Geburten keine Vergangenheit, und sein Tod und seine RXckkehr zu Brahma keine Zukunft. Nichts war, nichts wird sein; alles ist, alles hat Wesen und Gegenwart." Siddhartha sprach mit EntzXcken, tief hatte diese Erleuchtung ihn beglXckt. Oh, war denn nicht alles Leiden Zeit, war nicht alles SichquXlen und SichfXrchten Zeit, war nicht alles Schwere, alles Feindliche in der Welt weg und Xberwunden, sobald man die Zeit Xberwunden hatte, sobald man die Zeit wegdenken konnte? EntzXckt hatte er gesprochen, Vasudeva aber lXchelte ihn strahlend an und nickte BestXtigung, schweigend nickte er, strich mit der Hand Xber Siddharthas Schulter, wandte sich zu seiner Arbeit zurXck. Und wieder einmal, als eben der Fluss in der Regenzeit geschwollen war und mXchtig rauschte, da sagte Siddhartha: "Nicht wahr, o Freund, der Fluss hat viele Stimmen, sehr viele Stimmen? Hat er nicht die Stimme eines KXnigs, und eines Kriegers, und eines Stieres, und eines NachtvogeIs, und einer GebXrenden, und eines Seufzenden, und noch tausend andere Stimmen?" "Es ist so," nickte Vasudeva, "alle Stimmen der GeschXpfe sind in seiner Stimme." "Und weiXt du," fuhr Siddhartha fort, "welches Wort er spricht, wenn es dir gelingt, alle seine zehntausend Stimmen zugleich zu hXren?" GlXcklich lachte Vasudevas Gesicht, er neigte sich gegen Siddhartha und sprach ihm das heilige Om ins Ohr. Und eben dies war es, was auch Siddhartha gehXrt hatte. Und von Mal zu Mal ward sein LXcheln dem des FXhrmanns Xhnlicher, ward beinahe ebenso strahlend, beinahe ebenso von GlXck durchglXnzt, ebenso aus tausend kleinen Falten leuchtend, ebenso kindlich, ebenso greisenhaft. Viele Reisende, wenn sie die beiden FXhrmXnner sahen, hielten sie fXr BrXder. Oft saXen sie am Abend gemeinsam beim Ufer auf dem Baumstamm, schwiegen und hXrten beide dem Wasser zu, welches fXr sie kein Wasser war, sondern die Stimme des Lebens, die Stimme des Seienden, des ewig Werdenden. Und es geschah zuweilen, dass beide beim AnhXren des Flusses an dieselben Dinge dachten, an ein GesprXch von vorgestern, an einen ihrer Reisenden, dessen Gesicht und Schicksal sie beschXftigte, an den Tod, an ihre Kindheit, und dass sie beide im selben Augenblick, wenn der Fluss ihnen etwas Gutes gesagt hatte, einander anblickten, beide genau dasselbe denkend, beide beglXckt Xber dieselbe Antwort auf dieselbe Frage. Es ging von der FXhre und von den beiden FXhrleuten etwas aus, das manche von den Reisenden spXrten. Es geschah zuweilen, dass ein Reisender, nachdem er in das Gesicht eines der FXhrmXnner geblickt hatte, sein Leben zu erzXhlen begann, Leid erzXhlte, BXses bekannte, Trost und Rat erbat. Es geschah zuweilen, dass einer um Erlaubnis bat, einen Abend bei ihnen zu verweilen, um dem Flusse zuzuhXren. Es geschah auch, dass Neugierige kamen, welchen erzXhlt worden war, an dieser FXhre lebten zwei Weise, oder Zauberer, oder Heilige. Die Neugierigen stellten viele Fragen, aber sie bekamen keine Antworten, und sie fanden weder Zauberer noch Weise, sie fanden nur zwei alte freundliche MXnnlein, welche stumm zu sein und etwas sonderbar und verblXdet schienen. Und die Neugierigen lachten, und unterhielten sich darXber, wie tXricht und leichtglXubig doch das Volk solche leere GerXchte verbreite. Die Jahre gingen hin und keiner zXhlte sie. Da kamen einst MXnche gepilgert, AnhXnger des Gotama, des Buddha, welche baten, sie Xber den Fluss zu setzen, und von ihnen erfuhren die FXhrmXnner, dass sie eiligst zu ihrem groXen Lehrer zurXck wanderten, denn es habe sich die Nachricht verbreitet, der Erhabene sei todkrank und werde bald seinen letzten Menschentod sterben, um zur ErlXsung einzugehen. Nicht lange, so kam eine neue Schar MXnche gepilgert, und wieder eine, und sowohl die MXnche wie die meisten der Xbrigen Reisenden und Wanderer sprachen von nichts anderem als von Gotama und seinem nahen Tode. Und wie zu einem Kriegszug oder zur KrXnung eines KXnigs von Xberall und allen Seiten her die Menschen strXmen und sich gleich Ameisen in Scharen sammeln, so strXmten sie, wie von einem Zauber gezogen, dahin, wo der groXe Buddha seinen Tod erwartete, wo das Ungeheure geschehen und der groXe Vollendete eines Weltalters zur Herrlichkeit eingehen sollte. Viel gedachte Siddhartha in dieser Zeit des sterbenden Weisen, des groXen Lehrers, dessen Stimme VXlker ermahnt und Hunderttausende erweckt hatte, dessen Stimme auch er einst vernommen, dessen heiliges Antlitz auch er einst mit Ehrfurcht geschaut hatte. Freundlich gedachte er seiner, sah seinen Weg der Vollendung vor Augen, und erinnerte sich mit LXcheln der Worte, welche er einst als junger Mann an ihn, den Erhabenen, gerichtet hatte. Es waren, so schien ihm, stolze und altkluge Worte gewesen, lXchelnd erinnerte er sich ihrer. LXngst wusste er sich nicht mehr von Gotama getrennt, dessen Lehre er doch nicht hatte annehmen kXnnen. Nein, keine Lehre konnte ein wahrhaft Suchender annehmen, einer, der wahrhaft finden wollte. Der aber, der gefunden hat, der konnte jede, jede Lehre gutheiXen, jeden Weg, jedes Ziel, ihn trennte nichts mehr von all den tausend anderen, welche im Ewigen lebten, welche das GXttliche atmeten. An einem dieser Tage, da so viele zum sterbenden Buddha pilgerten, pilgerte zu ihm auch Kamala, einst die schXnste der Kurtisanen. LXngst hatte sie sich aus ihrem vorigen Leben zurXckgezogen, hatte ihren Garten den MXnchen Gotamas geschenkt, hatte ihre Zuflucht zur Lehre genommen, gehXrte zu den Freundinnen und WohltXterinnen der Pilgernden. Zusammen mit dem Knaben Siddhartha, ihrem Sohne, hatte sie auf die Nachricht vom nahen Tode Gotamas hin sich auf den Weg gemacht, in einfachem Kleide, zu Fuss. Mit ihrem SXhnlein war sie am Flusse unterwegs; der Knabe aber war bald ermXdet, begehrte nach Hause zurXck, begehrte zu rasten, begehrte zu essen, wurde trotzig und weinerlich. Kamala musste hXufig mit ihm rasten, er war gewohnt, seinen Willen gegen sie zu behaupten, sie musste ihn fXttern, musste ihn trXsten, musste ihn schelten. Er begriff nicht, warum er mit seiner Mutter diese mXhsame und traurige Pilgerschaft habe antreten mXssen, an einen unbekannten Ort, zu einem fremden Manne, welcher heilig war und welcher im Sterben lag. Mochte er sterben, was ging dies den Knaben an? Die Pilgernden waren nicht mehr ferne von Vasudevas FXhre, als der kleine Siddhartha abermals seine Mutter zu einer Rast nXtigte. Auch sie selbst, Kamala, war ermXdet, und wXhrend der Knabe an einer Banane kaute, kauerte sie sich am Boden nieder, schloss ein wenig die Augen und ruhte. PlXtzlich aber stieX sie einen klagenden Schrei aus, der Knabe sah sie erschrocken an und sah ihr Gesicht von Entsetzen gebleicht, und unter ihrem Kleide hervor entwich eine kleine schwarze Schlange, von welcher Kamala gebissen war. Eilig liefen sie nun beide des Weges, um zu Menschen zu kommen, und kamen bis in die NXhe der FXhre, dort sank Kamala zusammen, und vermochte nicht weiter zu gehen. Der Knabe aber erhob ein klXgliches Geschrei, dazwischen kXsste und umhalste er seine Mutter, und auch sie stimmte in seine lauten Hilferufe ein, bis die TXne Vasudevas Ohr erreichten, der bei der FXhre stand. Schnell kam er gegangen, nahm die Frau auf die Arme, trug sie ins Boot, der Knabe lief mit, und bald kamen sie alle in der HXtte an, wo Siddhartha am Herde stand und eben Feuer machte. Er blickte auf und sah zuerst das Gesicht des Knaben, das ihn wunderlich erinnerte, an Vergessenes mahnte. Dann sah er Kamala, die er alsbald erkannte, obwohl sie besinnungslos im Arm des FXhrmanns lag, un