d nun wusste er, dass es sein eigner Sohn sei, dessen Gesicht ihn so sehr gemahnt hatte, und das Herz bewegte sich in seiner Brust. Kamalas Wunde wurde gewaschen, war aber schon schwarz und ihr Leib angeschwollen, ein Heiltrank wurde ihr eingeflXsst. Ihr Bewusstsein kehrte zurXck, sie lag auf Siddharthas Lager in der HXtte, und Xber sie gebeugt stand Siddhartha, der sie einst so sehr geliebt hatte. Es schien ihr ein Traum zu sein, lXchelnd blickte sie in ihres Freundes Gesicht, nur langsam erkannte sie ihre Lage, erinnerte sich des Bisses, rief Xngstlich nach dem Knaben. "Er ist bei dir, sei ohne Sorge," sagte Siddhartha. Kamala blickte in seine Augen. Sie sprach mit schwerer Zunge, vom Gift gelXhmt. "Du bist alt geworden, Lieber," sagte sie, "grau bist du geworden. Aber du gleichst dem jungen Samana, der einst ohne Kleider mit staubigen FXen zu mir in den Garten kam. Du gleichst ihm viel mehr, als du ihm damals glichest, da du mich und Kamaswami verlassen hast. In den Augen gleichst du ihm, Siddhartha. Ach, auch ich bin alt geworden, alt X kanntest du mich denn noch?" Siddhartha lXchelte: "Sogleich kannte ich dich, Kamala, Liebe." Kamala deutete auf ihren Knaben und sagte: "Kanntest du auch ihn? Er ist dein Sohn." Ihre Augen wurden irr und fielen zu. Der Knabe weinte, Siddhartha nahm ihn auf seine Knie, lieX ihn weinen, streichelte sein Haar, und beim Anblick des Kindergesichtes fiel ein brahmanisches Gebet ihm ein, das er einst gelernt hatte, als er selbst ein kleiner Knabe war. Langsam, mit singender Stimme, begann er es zu sprechen, aus der Vergangenheit und Kindheit her kamen ihm die Worte geflossen. Und unter seinem Singsang wurde der Knabe ruhig, schluchzte noch hin und wieder auf und schlief ein. Siddhartha legte ihn auf Vasudevas Lager. Vasudeva stand am Herd und kochte Reis. Siddhartha warf ihm einen Blick zu, den er lXchelnd erwiderte. "Sie wird sterben," sagte Siddhartha leise. Vasudeva nickte, Xber sein freundliches Gesicht lief der Feuerschein vom Herde. Nochmals erwachte Kamala zum Bewusstsein. Schmerz verzog ihr Gesicht, Siddharthas Auge las das Leiden auf ihrem Munde, auf ihren erblassten Wangen. Stille las er es, aufmerksam, wartend, in ihr Leiden versenkt. Kamala fXhlte es, ihr Blick suchte sein Auge. Ihn anblickend, sagte sie: "Nun sehe ich, dass auch deine Augen sich verXndert haben. Ganz anders sind sie geworden. Woran doch erkenne ich noch, dass du Siddhartha bist? Du bist es, und bist es nicht." Siddhartha sprach nicht, still blickten seine Augen in die ihren. "Du hast es erreicht?" fragte sie. "Du hast Friede gefunden?" Er lXchelte, und legte seine Hand auf ihre. "Ich sehe es," sagte sie, "ich sehe es. Auch ich werde Friede finden." "Du hast ihn gefunden," sprach Siddhartha flXsternd. Kamala blickte ihm unverwandt in die Augen. Sie dachte daran, dass sie zu Gotama hatte pilgern wollen, um das Gesicht eines Vollendeten zu sehen, um seinen Frieden zu atmen, und dass sie statt seiner nun ihn gefunden, und dass es gut war, ebenso gut, als wenn sie jenen gesehen hXtte. Sie wollte es ihm sagen, aber die Zunge gehorchte ihrem Willen nicht mehr. Schweigend sah sie ihn an, und er sah in ihren Augen das Leben erlXschen. Als der letzte Schmerz ihr Auge erfXllte und brach, als der letzte Schauder Xber ihre Glieder lief, schloss sein Finger ihre Lider. Lange saX er und blickte auf ihr entschlafnes Gesicht. Lange betrachtete er ihren Mund, ihren alten, mXden Mund mit den schmal gewordenen Lippen, und erinnerte sich, dass er einst, im FrXhling seiner Jahre, diesen Mund einer frisch aufgebrochenen Feige verglichen hatte. Lange saX er, las in dem bleichen Gesicht, in den mXden Falten, fXllte sich mit dem Anblick, sah sein eigenes Gesicht ebenso liegen, ebenso weiX, ebenso erloschen, und sah zugleich sein Gesicht und das ihre jung, mit den roten Lippen, mit dem brennenden Auge, und das GefXhl der Gegenwart und Gleichzeitigkeit durchdrang ihn vXllig, das GefXhl der Ewigkeit. Tief empfand er, tiefer als jemals, in dieser Stunde die UnzerstXrbarkeit jedes Lebens, die Ewigkeit jedes Augenblicks. Da er sich erhob, hatte Vasudeva Reis fXr ihn bereitet. Doch aX Siddhartha nicht. Im Stall, wo ihre Ziege stand, machten sich die beiden Alten eine Streu zurecht, und Vasudeva legte sich schlafen. Siddhartha aber ging hinaus und saX die Nacht vor der HXtte, dem Flusse lauschend, von Vergangenheit umspXlt, von allen Zeiten seines Lebens zugleich berXhrt und umfangen. Zuweilen aber erhob er sich, trat an die HXttentXr und lauschte, ob der Knabe schlafe. FrXh am Morgen, noch ehe die Sonne sichtbar ward, kam Vasudeva aus dem Stalle und trat zu seinem Freunde. "Du hast nicht geschlafen, " sagte er. "Nein, Vasudeva. Ich saX hier, ich hXrte dem Flusse zu. Viel hat er mir gesagt, tief hat er mich mit dem heilsamen Gedanken erfXllt, mit dem Gedanken der Einheit." "Du hast Leid erfahren, Siddhartha, doch ich sehe, es ist keine Traurigkeit in dein Herz gekommen." "Nein, Lieber, wie sollte ich denn traurig sein? Ich, der ich reich und glXcklich war, bin jetzt noch reicher und glXcklicher geworden. Mein Sohn ist mir geschenkt worden." "Willkommen sei dein Sohn auch mir. Nun aber, Siddhartha, lass uns an die Arbeit gehen, viel ist zu tun. Auf demselben Lager ist Kamala gestorben, auf welchem einst mein Weib gestorben ist. Auf demselben HXgel auch wollen wir Kamalas Scheiterhaufen bauen, auf welchem ich einst meines Weibes Scheiterhaufen gebaut habe." WXhrend der Knabe noch schlief, bauten sie den Scheiterhaufen. DER SOHN Scheu und weinend hatte der Knabe der Bestattung seiner Mutter beigewohnt, finster und scheu hatte er Siddhartha angehXrt, der ihn als seinen Sohn begrXte und ihn bei sich in Vasudevas HXtte willkommen hieX. Bleich saX er tagelang am HXgel der Toten, mochte nicht essen, verschloss seinen Blick, verschloss sein Herz, wehrte und strXubte sich gegen das Schicksal. Siddhartha schonte ihn und lieX ihn gewXhren, er ehrte seine Trauer. Siddhartha verstand, dass sein Sohn ihn nicht kenne, dass er ihn nicht lieben kXnne wie einen Vater. Langsam sah und verstand er auch, dass der ElfjXhrige ein verwXhnter Knabe war, ein Mutterkind, und in Gewohnheiten des Reichtums aufgewachsen, gewohnt an feinere Speisen, an ein weiches Bett, gewohnt, Dienern zu befehlen. Siddhartha verstand, dass der Trauernde und VerwXhnte nicht plXtzlich und gutwillig in der Fremde und Armut sich zufrieden geben kXnne. Er zwang ihn nicht, er tat manche Arbeit fXr ihn, suchte stets den besten Bissen fXr ihn aus. Langsam hoffte er ihn zu gewinnen, durch freundliche Geduld. Reich und glXcklich hatte er sich genannt, als der Knabe zu ihm gekommen war. Da indessen die Zeit hinfloss, und der Knabe fremd und finster blieb, da er ein stolzes und trotziges Herz zeigte, keine Arbeit tun wollte, den Alten keine Ehrfurcht erwies, Vasudevas FruchtbXume beraubte, da begann Siddhartha zu verstehen, dass mit seinem Sohne nicht GlXck und Friede zu ihm gekommen war, sondern Leid und Sorge. Aber er liebte ihn, und lieber war ihm Leid und Sorge der Liebe, als ihm GlXck und Freude ohne den Knaben gewesen war. Seit der junge Siddhartha in der HXtte war, hatten die Alten sich in die Arbeit geteilt. Vasudeva hatte das Amt des FXhrmanns wieder allein Xbernommen, und Siddhartha, um bei dem Sohne zu sein, die Arbeit in HXtte und Feld. Lange Zeit, lange Monate wartete Siddhartha darauf, dass sein Sohn ihn verstehe, dass er seine Liebe annehme, dass er sie vielleicht erwidere. Lange Monate wartete Vasudeva, zusehend, wartete und schwieg. Eines Tages, als Siddhartha der Junge seinen Vater wieder sehr mit Trotz und Launen gequXlt und ihm beide ReisschXsseln zerbrochen hatte, nahm Vasudeva seinen Freund am Abend beiseite und sprach mit ihm. "Entschuldige mich," sagte er, "aus freundlichem Herzen rede ich zu dir. Ich sehe, dass du dich quXlst, ich sehe, dass du Kummer hast. Dein Sohn, Lieber, macht dir Sorge, und auch mir macht er Sorge. An ein anderes Leben, an ein anderes Nest ist der junge Vogel gewXhnt. Nicht wie du ist er dem Reichtum und der Stadt entlaufen aus Ekel und Xberdruss, er hat wider seinen Willen dies alles dahinten lassen mXssen. Ich fragte den Fluss, o Freund, vielemale habe ich ihn gefragt. Der Fluss aber lacht, er lacht mich aus, mich und dich lacht er aus, und schXttelt sich Xber unsre Torheit. Wasser will zu Wasser, Jugend will zu Jugend, dein Sohn ist nicht an dem Orte, wo er gedeihen kann. Frage auch du den Fluss, hXre auch du auf ihn!" BekXmmert blickte Siddhartha ihm in das freundliche Gesicht, in dessen vielen Runzeln bestXndige Heiterkeit wohnte. "Kann ich mich denn von ihm trennen?" sagte er leise, beschXmt. "Lass mir noch Zeit, Lieber! Sieh, ich kXmpfe um ihn, ich werbe um sein Herz, mit Liebe und mit freundlicher Geduld will ich es fangen. Auch zu ihm soll einst der Fluss reden, auch er ist berufen." Vasudevas LXcheln blXhte wXrmer. "O ja, auch er ist berufen, auch er ist vom ewigen Leben. Aber wissen wir denn, du und ich, wozu er berufen ist, zu welchem Wege, zu welchen Taten, zu welchen Leiden? Nicht klein wird sein Leiden sein, stolz und hart ist ja sein Herz, viel mXssen solche leiden, viel irren, viel Unrecht tun, sich viel SXnde aufladen. Sage mir, mein Lieber: du erziehst deinen Sohn nicht? Du zwingst ihn nicht? SchlXgst ihn nicht? Strafst ihn nicht?" "Nein, Vasudeva, das tue ich alles nicht." "Ich wusste es. Du zwingst ihn nicht, schlXgst ihn nicht, befiehlst ihm nicht, weil du weiXt, dass Weich stXrker ist als Hart, Wasser stXrker als Fels, Liebe stXrker als Gewalt. Sehr gut, ich lobe dich. Aber ist es nicht ein Irrtum von dir, zu meinen, dass du ihn nicht zwingest, nicht strafest? Bindest du ihn nicht in Bande mit deiner Liebe? BeschXmst du ihn nicht tXglich, und machst es ihm noch schwerer, mit deiner GXte und Geduld? Zwingst du ihn nicht, den hochmXtigen und verwXhnten Knaben, in einer HXtte bei zwei alten Bananenessern zu leben, welchen schon Reis ein Leckerbissen ist, deren Gedanken nicht seine sein kXnnen, deren Herz alt und still ist und anderen Gang hat als das seine? Ist er mit alledem nicht gezwungen, nicht gestraft?" Betroffen blickte Siddhartha zur Erde. Leise fragte er: "Was, meinst du, soll ich tun?" Sprach Vasudeva: "Bring ihn zur Stadt, bringe ihn in seiner Mutter Haus, es werden noch Diener dort sein, denen gib ihn. Und wenn keine mehr da sind, so bringe ihn einem Lehrer, nicht der Lehre wegen, aber dass er zu anderen Knaben komme, und zu MXdchen, und in die Welt, welche die seine ist. Hast du daran nie gedacht?" "Du siehst in mein Herz," sprach Siddhartha traurig. "Oft habe ich daran gedacht. Aber sieh, wie soll ich ihn, der ohnehin kein sanftes Herz hat, in diese Welt geben? Wird er nicht Xppig werden, wird er nicht sich an Lust und Macht verlieren, wird er nicht alle IrrtXmer seines Vaters wiederholen, wird er nicht vielleicht ganz und gar in Sansara verloren gehen?" Hell strahlte des FXhrmanns LXcheln auf; er berXhrte zart Siddharthas Arm und sagte: "Frage den Fluss darXber, Freund! HXre ihn darXber lachen! Glaubst du denn wirklich, dass du deine Torheiten begangen habest, um sie dem Sohn zu ersparen? Und kannst du denn deinen Sohn vor Sansara schXtzen? Wie denn? Durch Lehre, durch Gebet, durch Ermahnung? Lieber, hast du jene Geschichte denn ganz vergessen, jene lehrreiche Geschichte vom Brahmanensohn Siddhartha, die du mir einst hier an dieser Stelle erzXhlt hast? Wer hat den Samana Siddhartha vor Sansara bewahrt, vor SXnde, vor Habsucht, vor Torheit? Hat seines Vaters FrXmmigkeit, seiner Lehrer Ermahnung, hat sein eigenes Wissen, sein eigenes Suchen ihn bewahren kXnnen? Welcher Vater, welcher Lehrer hat ihn davor schXtzen kXnnen, selbst das Leben zu leben, selbst sich mit dem Leben zu beschmutzen, selbst Schuld auf sich zu laden, selbst den bitteren Trank zu trinken, selber seinen Weg zu finden? Glaubst du denn, Lieber, dieser Weg bleibe irgend jemandem vielleicht erspart? Vielleicht deinem SXhnchen, weil du es liebst, weil du ihm gern Leid und Schmerz und EnttXuschung ersparen mXchtest? Aber auch wenn du zehnmal fXr ihn stXrbest, wXrdest du ihm nicht den kleinsten Teil seines Schicksals damit abnehmen kXnnen." Noch niemals hatte Vasudeva so viele Worte gesprochen. Freundlich dankte ihm Siddhartha, ging bekXmmert in die HXtte, fand lange keinen Schlaf. Vasudeva hatte ihm nichts gesagt, das er nicht selbst schon gedacht und gewusst hXtte. Aber es war ein Wissen, das er nicht tun konnte, stXrker als das Wissen war seine Liebe zu dem Knaben, stXrker seine ZXrtlichkeit, seine Angst, ihn zu verlieren. Hatte er denn jemals an irgend etwas so sehr sein Herz verloren, hatte er je irgendeinen Menschen so geliebt, so blind, so leidend, so erfolglos, und doch so glXcklich? Siddhartha konnte seines Freundes Rat nicht befolgen, er konnte den Sohn nicht hergeben. Er lieX sich von dem Knaben befehlen, er lieX sich von ihm missachten. Er schwieg und wartete, begann tXglich den stummen Kampf der Freundlichkeit, den lautlosen Krieg der Geduld. Auch Vasudeva schwieg und wartete, freundlich, wissend, langmXtig. In der Geduld waren sie beide Meister. Einst, als des Knaben Gesicht ihn sehr an Kamala erinnerte, musste Siddhartha plXtzlich eines Wortes gedenken, das Kamala vor Zeiten, in den Tagen der Jugend, einmal zu ihm gesagt hatte. "Du kannst nicht lieben," hatte sie ihm gesagt, und er hatte ihr Recht gegeben und hatte sich mit einem Stern, die Kindermenschen aber mit fallendem Laub verglichen, und dennoch hatte er in jenem Wort auch einen Vorwurf gespXrt. In der Tat hatte er niemals sich an einen anderen Menschen ganz verlieren und hingeben kXnnen, sich selbst vergessen, Torheiten der Liebe eines anderen wegen begehen; nie hatte er das gekonnt, und dies war, wie ihm damals schien, der groXe Unterschied gewesen, der ihn von den Kindermenschen trennte. Nun aber, seit sein Sohn da war, nun war auch er, Siddhartha, vollends ein Kindermensch geworden, eines Menschen wegen leidend, einen Menschen liebend, an eine Liebe verloren, einer Liebe wegen ein Tor geworden. Nun fXhlte auch er, spXt, einmal im Leben diese stXrkste und seltsamste Leidenschaft, litt an ihr, litt klXglich, und war doch beseligt, war doch um etwas erneuert, um etwas reicher. Wohl spXrte er, dass diese Liebe, diese blinde Liebe zu seinem Sohn eine Leidenschaft, etwas sehr Menschliches, dass sie Sansara sei, eine trXbe Quelle, ein dunkles Wasser. Dennoch, so fXhlte er gleichzeitig, war sie nicht wertlos, war sie notwendig, kam aus seinem eigenen Wesen. Auch diese Lust wollte gebXt, auch diese Schmerzen wollten gekostet sein, auch diese Torheiten begangen. Der Sohn indessen lieX ihn seine Torheiten begehen, lieX ihn werben, lieX ihn tXglich sich vor seinen Launen demXtigen. Dieser Vater hatte nichts, was ihn entzckt, und nichts, was er gefrchtet htte. Er war ein guter Mann, dieser Vater, ein guter, gtiger, sanfter Mann, vielleicht ein sehr frommer Mann, vielleicht ein Heiliger % dies alles waren nicht Eigenschaften, welche den Knaben gewinnen konnten. Langweilig war ihm dieser Vater, der ihn da in seiner elenden Hatte gefangen hielt, langweilig war er ihm, und dass er jede Unart mit LXcheln, jeden Schimpf mit Freundlichkeit, jede Bosheit mit GXte beantwortete, das eben war die verhassteste List dieses alten Schleichers. Viel lieber wXre der Knabe von ihm bedroht, von ihm misshandelt worden. Es kam ein Tag, an welchem des jungen Siddhartha Sinn zum Ausbruch kam und sich offen gegen seinen Vater wandte. Der hatte ihm einen Auftrag erteilt, er hatte ihn Reisig sammeln geheiXen. Der Knabe ging aber nicht aus der HXtte, er blieb trotzig und wXtend stehen, stampfte den Boden, ballte die FXuste, und schrie in gewaltigem Ausbruch seinem Vater Hass und Verachtung ins Gesicht. "Hole du selber dein Reisig!" rief er schXumend, "ich bin nicht dein Knecht. Ich weiX ja, dass du mich nicht schlXgst, du wagst es ja nicht; ich weiX ja, dass du mich mit deiner FrXmmigkeit und deiner Nachsicht bestXndig strafen und klein machen willst. Du willst, dass ich werden soll wie du, auch so fromm, auch so sanft, auch so weise! Ich aber, hXre, ich will, dir zu Leide, lieber ein StraXenrXuber und MXrder werden und zur HXlle fahren, als so werden wie du! Ich hasse dich, du bist nicht mein Vater, und wenn du zehnmal meiner Mutter Buhle gewesen bist!" Zorn und Gram liefen in ihm Xber, schXumten in hundert wXsten und bXsen Worten dem Vater entgegen. Dann lief der Knabe davon und kam erst spXt am Abend wieder. Am andern Morgen aber war er verschwunden. Verschwunden war auch ein kleiner, aus zweifarbigem Bast geflochtener Korb, in welchem die FXhrleute jene Kupfer- und SilbermXnzen aufbewahrten, welche sie als FXhrlohn erhielten. Verschwunden war auch das Boot, Siddhartha sah es am jenseitigen Ufer liegen. Der Knabe war entlaufen. "Ich muss ihm folgen," sagte Siddhartha, der seit jenen gestrigen Schimpfreden des Knaben vor Jammer zitterte. "Ein Kind kann nicht allein durch den Wald gehen. Er wird umkommen. Wir mXssen ein Floss bauen, Vasudeva, um Xbers Wasser zu kommen." "Wir werden ein Floss bauen," sagte Vasudeva, "um unser Boot wieder zu holen, das der Junge entfXhrt hat. Ihn aber solltest du laufen lassen, Freund, er ist kein Kind mehr, er weiX sich zu helfen. Er sucht den Weg nach der Stadt, und er hat Recht, vergiss das nicht. Er tut das, was du selbst zu tun versXumt hast. Er sorgt fXr sich, er geht seine Bahn. Ach, Siddhartha, ich sehe dich leiden, aber du leidest Schmerzen, Xber die man lachen mXchte, Xber die du selbst bald lachen wirst." Siddhartha antwortete nicht. Er hielt schon das Beil in HXnden, und begann ein Floss aus Bambus zu machen, und Vasudeva half ihm, die StXmme mit Grasseilen zuzammen zu binden. Dann fuhren sie hinXber, wurden weit abgetrieben, zogen das Floss am jenseitigen Ufer flussauf. "Warum hast du das Beil mitgenommen?" fragte Siddhartha. Vasudeva sagte: "Es kXnnte sein, dass das Ruder unsres Bootes verloren gegangen wXre." Siddhartha aber wusste, was sein Freund dachte. Er dachte, der Knabe werde das Ruder weggeworfen oder zerbrochen haben, um sich zu rXchen und um sie an der Verfolgung zu hindern. Und wirklich war kein Ruder mehr im Boote. Vasudeva wies auf den Boden des Bootes, und sah den Freund mit LXcheln an, als wollte er sagen; "Siehst du nicht, was dein Sohn dir sagen will? Siehst du nicht, dass er nicht verfolgt sein will?" Doch sagte er dies nicht mit Worten. Er machte sich daran, ein neues Ruder zu zimmern. Siddhartha aber nahm Abschied, um nach dem Entflohenen zu suchen. Vasudeva hinderte ihn nicht. Als Siddhartha schon lange im Walde unterwegs war, kam ihm der Gedanke, dass sein Suchen nutzlos sei. Entweder, so dachte er, war der Knabe lXngst voraus und schon in der Stadt angelangt, oder, wenn er noch unterwegs sein sollte, wXrde er vor ihm, dem Verfolgenden, sich verborgen halten. Da er weiter dachte, fand er auch, dass er selbst nicht in Sorge um seinen Sohn war, dass er im Innersten wusste, er sei weder umgekommen, noch drohe ihm im Walde Gefahr. Dennoch lief er ohne Rast, nicht mehr, um ihn zu retten, nur aus Verlangen, nur um ihn vielleicht nochmals zu sehen. Und er lief bis vor die Stadt. Als er nahe bei der Stadt auf die breite StraXe gelangte, blieb er stehen, am Eingang des schXnen Lustgartens, der einst Kamala gehXrt hatte, wo er sie einst, in der SXnfte, zum erstenmal gesehen hatte. Das Damalige stand in seiner Seele auf, wieder sah er sich dort stehen, jung, ein bXrtiger nackter Samana, das Haar voll Staub. Lange stand Siddhartha und blickte durch das offne Tor in den Garten, MXnche in gelben Kutten sah er unter den schXnen BXumen gehen. Lange stand er, nachdenkend, Bilder sehend, der Geschichte seines Lebens lauschend. Lange stand er, blickte nach den MXnchen, sah statt ihrer den jungen Siddhartha, sah die junge Kamala unter den hohen BXumen gehen. Deutlich sah er sich, wie er von Kamala bewirtet ward, wie er ihren ersten Kuss empfing, wie er stolz und verXchtlich auf sein Brahmanentum zurXckblickte, stolz und verlangend sein Weltleben begann. Er sah Kamaswami, sah die Diener, die Gelage, die WXrfelspieler, die Musikanten, sah Kamalas Singvogel im KXfig, lebte dies alles nochmals, atmete Sansara, war nochmals alt und mXde, fXhlte nochmals den Ekel, fXhlte nochmals den Wunsch, sich auszulXschen, genas nochmals am heiligen Om. Nachdem er lange beim Tor des Gartens gestanden war, sah Siddhartha ein, dass das Verlangen tXricht war, das ihn bis zu dieser StXtte getrieben hatte, dass er seinem Sohne nicht helfen konnte, dass er sich nicht an ihn hXngen durfte. Tief fXhlte er die Liebe zu dem Entflohenen im Herzen, wie eine Wunde, und fXhlte zugleich, dass ihm die Wunde nicht gegeben war, um in ihr zu wXhlen, dass sie zur BlXte werden und strahlen mXsse. Dass die Wunde zu dieser Stunde noch nicht blXhte, noch nicht strahlte, machte ihn traurig. An der Stelle des Wunschzieles, das ihn hierher und dem entflohenen Sohne nachgezogen hatte, stand nun Leere. Traurig setzte er sich nieder, fXhlte etwas in seinem Herzen sterben, empfand Leere, sah keine Freude mehr, kein Ziel. Er saX versunken, und wartete. Dies hatte er am Flusse gelernt, dies eine: warten, Geduld haben, lauschen. Und er saX und lauschte, im Staub der StraXe, lauschte seinem Herzen, wie es mXd und traurig ging, wartete auf eine Stimme. Manche Stunde kauerte er lauschend, sah keine Bilder mehr, sank in die Leere, lieX sich sinken, ohne einen Weg zu sehen. Und wenn er die Wunde brennen fXhlte, sprach er lautlos das Om, fXllte sich mit Om. Die MXnche im Garten sahen ihn, und da er viele Stunden kauerte, und auf seinen grauen Haaren der Staub sich sammelte, kam einer gegangen und legte zwei PisangfrXchte vor ihm nieder. Der Alte sah ihn nicht. Aus dieser Erstarrung weckte ihn eine Hand, welche seine Schulter berXhrte. Alsbald erkannte er diese BerXhrung, die zarte, schamhafte, und kam zu sich. Er erhob sich und begrXte Vasudeva, welcher ihm nachgegangen war. Und da er in Vasudevas freundliches Gesicht schaute, in die kleinen, wie mit lauter LXcheln ausgefXllten Falten, in die heiteren Augen, da lXchelte auch er. Er sah nun die PisangfrXchte vor sich liegen, hob sie auf, gab eine dem FXhrmann, aX selbst die andere. Darauf ging er schweigend mit Vasudeva in den Wald zurXck, kehrte zur FXhre heim. Keiner sprach von dem, was heute geschehen war, keiner nannte den Namen des Knaben, keiner sprach von seiner Flucht, keiner sprach von der Wunde. In der HXtte legte sich Siddhartha auf sein Lager, und da nach einer Weile Vasudeva zu Ihm trat, um ihm eine Schale Kokosmilch anzubieten, fand er ihn schon schlafend. Om Lange noch brannte die Wunde. Manchen Reisenden musste Siddhartha Xber den Fluss setzen, der einen Sohn oder eine Tochter bei sich hatte, und keinen von ihnen sah er, ohne dass er ihn beneidete, ohne dass er dachte: "So viele, so viel Tausende besitzen dies holdeste GlXck X warum ich nicht? Auch bXse Menschen, auch Diebe, und RXuber haben Kinder, und lieben sie, und werden von ihnen geliebt, nur ich nicht." So einfach, so ohne Verstand dachte er nun, so Xhnlich war er den Kindermenschen geworden. Anders sah er jetzt die Menschen an als frXher, weniger klug, weniger stolz, dafXr wXrmer, dafXr neugieriger, beteiligter. Wenn er Reisende der gewXhnlichen Art Xbersetzte, Kindermenschen, GeschXftsleute, Krieger, Weibervolk, so erschienen diese Leute ihm nicht fremd wie einst: er verstand sie, er verstand und teilte ihr nicht von Gedanken und Einsichten, sondern einzig von Trieben und WXnschen geleitetes Leben, er fXhlte sich wie sie. Obwohl er nahe der Vollendung war, und an seiner letzten Wunde trug, schien ihm doch, diese Kindermenschen seien seine BrXder, ihre Eitelkeiten, Begehrlichkeiten und LXcherlichkeiten verloren das LXcherliche fXr ihn, wurden begreiflich, wurden liebenswert, wurden ihm sogar verehrungswXrdig. Die blinde Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, den dummen, blinden Stolz eines eingebildeten Vaters auf sein einziges SXhnlein, das blinde, wilde Streben nach Schmuck und nach bewundernden MXnneraugen bei einem jungen, eitlen Weibe, alle diese Triebe, alle diese Kindereien, alle diese einfachen, tXrichten, aber ungeheuer starken, stark lebenden, stark sich durchsetzenden Triebe und Begehrlichkeiten waren fXr Siddhartha jetzt keine Kindereien mehr, er sah um ihretwillen die Menschen leben, sah sie um ihretwillen Unendliches leisten, Reisen tun, Kriege fXhren, Unendliches leiden, Unendliches ertragen, und er konnte sie dafXr lieben, er sah das Leben, das Lebendige, das UnzerstXrbare, das Brahman in jeder ihrer Leidenschaften, jeder ihrer Taten. Liebenswert und bewundernswert waren diese Menschen in ihrer blinden Treue, ihrer blinden StXrke und ZXhigkeit. Nichts fehlte ihnen, nichts hatte der Wissende und Denker vor ihnen voraus als eine einzige Kleinigkeit, eine einzige winzig kleine Sache: das Bewusstsein, den bewussten Gedanken der Einheit alles Lebens. Und Siddhartha zweifelte sogar zu mancher Stunde, ob dies Wissen, dieser Gedanke so sehr hoch zu werten, ob nicht auch er vielleicht eine Kinderei der Denkmenschen, der Denk-Kindermenschen sein mXchte. In allem andern waren die Weltmenschen dem Weisen ebenbXrtig, waren ihm oft weit Xberlegen, wie ja auch Tiere in ihrem zXhen, unbeirrten Tun des Notwendigen in manchen Augenblicken den Menschen Xberlegen scheinen kXnnen. Langsam blXhte, langsam reifte in Siddhartha die Erkenntnis, das Wissen darum, was eigentlich Weisheit sei, was seines langen Suchens Ziel sei. Es war nichts als eine Bereitschaft der Seele, eine FXhigkeit, eine geheime Kunst, jeden Augenblick, mitten im Leben, den Gedanken der Einheit denken, die Einheit fXhlen und einatmen zu kXnnen. Langsam blXhte dies in ihm auf, strahlte ihm aus Vasudevas altem Kindergesicht wider: Harmonie, Wissen um die ewige Vollkommenheit der Welt, LXcheln, Einheit. Die Wunde aber brannte noch, sehnlich und bitter gedachte Siddhartha seines Sohnes, pflegte seine Liebe und ZXrtlichkeit im Herzen, lieX den Schmerz an sich fressen, beging alle Torheiten der Liebe. Nicht von selbst erlosch diese Flamme. Und eines Tages, als die Wunde heftig brannte, fuhr Siddhartha Xber den Fluss, gejagt von Sehnsucht, stieg aus und war Willens, nach der Stadt zu gehen und seinen Sohn zu suchen. Der Fluss floss sanft und leise, es war in der trockenen Jahreszeit, aber seine Stimme klang sonderbar: sie lachte! Sie lachte deutlich. Der Fluss lachte, er lachte hell und klar den alten FXhrmann aus. Siddhartha blieb stehen, er beugte sich Xbers Wasser, um noch besser zu hXren, und im still ziehenden Wasser sah er sein Gesicht gespiegelt, und in diesem gespiegelten Gesicht war etwas, das ihn erinnerte, etwas Vergessenes, und da er sich besann, fand er es: dies Gesicht glich einem andern, das er einst gekannt und geliebt und auch gefXrchtet hatte. Es glich dem Gesicht seines Vaters, des Brahmanen. Und er erinnerte sich, wie er vor Zeiten, ein JXngling, seinen Vater gezwungen hatte, ihn zu den BXern gehen zu lassen, wie er Abschied von ihm genommen hatte, wie er gegangen und nie mehr wiedergekommen war. Hatte nicht auch sein Vater um ihn dasselbe Leid gelitten, wie er es nun um seinen Sohn litt? War nicht sein Vater lXngst gestorben, allein, ohne seinen Sohn wiedergesehen zu haben? Musste er selbst nicht dies selbe Schicksal erwarten? War es nicht eine KomXdie, eine seltsame und dumme Sache, diese Wiederholung, dieses Laufen in einem verhXngnisvollen Kreise? Der Fluss lachte. Ja, es war so, es kam alles wieder, was nicht bis zu Ende gelitten und gelXst ward, es wurden immer wieder dieselben Leiden gelitten. Siddhartha aber stieg wieder in das Boot und fuhr zu der HXtte zurXck, seines Vaters gedenkend, seines Sohnes gedenkend, vom Flusse verlacht, mit sich selbst im Streit, geneigt zur Verzweiflung, und nicht minder geneigt, aber sich und die ganze Welt laut mitzulachen. Ach, noch blXhte die Wunde nicht, noch wehrte sein Herz sich wider das Schicksal, noch strahlte nicht Heiterkeit und Sieg aus seinem Leide. Doch fXhlte er Hoffnung, und da er zur HXtte zurXckgekehrt war, spXrte er ein unbesiegbares Verlangen, sich vor Vasudeva zu Xffnen, ihm alles zu zeigen, ihm, dem Meister des ZuhXrens, alles zu sagen. Vasudeva saX in der HXtte und flocht an einem Korbe. Er fuhr nicht mehr mit dem FXhrboot, seine Augen begannen schwach zu werden, und nicht nur seine Augen; auch seine Arme und HXnde. UnverXndert und blXhend war nur die Freude und das heitere Wohlwollen seines Gesichtes. Siddhartha setzte sich zu dem Greise, langsam begann er zu sprechen. WorXber sie niemals gesprochen hatten, davon erzXhlte er jetzt, von seinem Gange zur Stadt, damals, von der brennenden Wunde, von seinem Neid beim Anblick glXcklicher VXter, von seinem Wissen um die Torheit solcher WXnsche, von seinem vergeblichen Kampf wider sie. Alles berichtete er, alles konnte er sagen, auch das Peinlichste, alles lieX sich sagen, alles sich zeigen, alles konnte er erzXhlen. Er zeigte seine Wunde dar, erzXhlte auch seine heutige Flucht, wie er Xbers Wasser gefahren sei, kindischer FlXchtling, willens nach der Stadt zu wandern, wie der Fluss gelacht habe. WXhrend er sprach, lange sprach, wXhrend Vasudeva mit stillem Gesicht lauschte, empfand Siddhartha dies ZuhXren Vasudevas stXrker, als er es jemals gefXhlt hatte, er spXrte, wie seine Schmerzen, seine BeXngstigungen hinXberflossen, wie seine heimliche Hoffnung hinXberfloss, ihm von drXben wieder entgegenkam. Diesem ZuhXrer seine Wunde zu zeigen, war dasselbe, wie sie im Flusse baden, bis sie kXhl und mit dem Flusse eins wurde. WXhrend er immer noch sprach, immer noch bekannte und beichtete, fXhlte Siddhartha mehr und mehr, dass dies nicht mehr Vasudeva, nicht mehr ein Mensch war, der ihm zuhXrte, dass dieser regungslos Lauschende seine Beichte in sich einsog wie ein Baum den Regen, dass dieser Regungslose der Fluss selbst, dass er Gott selbst, dass er das Ewige selbst war. Und wXhrend Siddhartha aufhXrte, an sich und an seine Wunde zu denken, nahm diese Erkenntnis vom verXnderten Wesen des Vasudeva von ihm Besitz, und je mehr er es empfand und darein eindrang, desto weniger wunderlich wurde es, desto mehr sah er ein, dass alles in Ordnung und natXrlich war, dass Vasudeva schon lange, beinahe schon immer so gewesen sei, dass nur er selbst es nicht ganz erkannt hatte, ja dass er selbst von jenem kaum noch verschieden sei. Er empfand, dass er den alten Vasudeva nun so sehe, wie das Volk die GXtter sieht, und dass dies nicht von Dauer sein kXnne; er begann im Herzen von Vasudeva Abschied zu nehmen. Dabei sprach er immer fort. Als er zu Ende gesprochen hatte, richtete Vasudeva seinen freundlichen, etwas schwach gewordenen Blick auf ihn, sprach nicht, strahlte ihm schweigend Liebe und Heiterkeit entgegen, VerstXndnis und Wissen. Er nahm Siddharthas Hand, fXhrte ihn zum Sitz am Ufer, setzte sich mit ihm nieder, lXchelte dem Flusse zu. "Du hast ihn lachen hXren," sagte er. "Aber du hast nicht alles gehXrt. Lass uns lauschen, du wirst mehr hXren." Sie lauschten. Sanft klang der vielstimmige Gesang des Flusses. Siddhartha schaute ins Wasser, und im ziehenden Wasser erschienen ihm Bilder: sein Vater erschien, einsam, um den Sohn trauernd; er selbst erschien, einsam, auch er mit den Banden der Sehnsucht an den fernen Sohn gebunden; es erschien sein Sohn, einsam auch er, der Knabe, begehrlich auf der brennenden Bahn seiner jungen WXnsche stXrmend, jeder auf sein Ziel gerichtet, jeder vom Ziel besessen, jeder leidend. Der Fluss sang mit einer Stimme des Leidens, sehnlich sang er, sehnlich floss er seinem Ziele zu, klagend klang seine Stimme. "HXrst du?" fragte Vasudevas stummer Blick. Siddhartha nickte. "HXre besser!" flXsterte Vasudeva. Siddhartha bemXhte sich, besser zu hXren. Das Bild des Vaters, sein eigenes Bild, das Bild des Sohnes flossen ineinander, auch Kamalas Bild erschien und zerfloss, und das Bild Govindas, und andre Bilder, und flossen ineinander Xber, wurden alle zum Fluss, strebten alle als Fluss dem Ziele zu, sehnlich, begehrend, leidend, und des Flusses Stimme klang voll Sehnsucht, voll von brennendem Weh, voll von unstillbarem Verlangen. Zum Ziele strebte der Fluss, Siddhartha sah ihn eilen, den Fluss, der aus ihm und den Seinen und aus allen Menschen bestand, die er je gesehen hatte, alle die Wellen und Wasser eilten, leidend, Zielen zu, vielen Zielen, dem Wasserfall, dem See, der Stromschnelle, dem Meere, und alle Ziele wurden erreicht, und jedem folgte ein neues, und aus dem Wasser ward Dampf und stieg in den Himmel, ward Regen und stXrzte aus dem Himmel herab, ward Quelle, ward Bach, ward Fluss, strebte aufs Neue, floss aufs Neue. Aber die sehnliche Stimme hatte sich verXndert. Noch tXnte sie, leidvoll, suchend, aber andre Stimmen gesellten sich zu ihr, Stimmen der Freude und des Leides, gute und bXse Stimmen, lachende und trauernde, hundert Stimmen, tausend Stimmen. Siddhartha lauschte. Er war nun ganz Lauscher, ganz ins ZuhXren vertieft, ganz leer, ganz einsaugend, er fXhlte, dass er nun das Lauschen zu Ende gelernt habe. Oft schon hatte er all dies gehXrt, diese vielen Stimmen im Fluss, heute klang es neu. Schon konnte er die vielen Stimmen nicht mehr unterscheiden, nicht frohe von weinenden, nicht kindliche von mXnnlichen, sie gehXrten alle zusammen, Klage der Sehnsucht und Lachen des Wissenden, Schrei des Zorns und StXhnen der Sterbenden, alles war eins, alles war ineinander verwoben und verknXpft, tausendfach verschlungen. Und alles zusammen, alle Stimmen, alle Ziele, alles Sehnen, alle Leiden, alle Lust, alles Gute und BXse, alles zusammen war die Welt. Alles zusammen war der Fluss des Geschehens, war die Musik des Lebens. Und wenn Siddhartha aufmerksam diesem Fluss, diesem tausendstimmigen Liede lauschte, wenn er nicht auf das Leid noch auf das Lachen hXrte, wenn er seine Seele nicht an irgendeine Stimme band und mit seinem Ich in sie einging, sondern alle hXrte, das Ganze, die Einheit vernahm, dann bestand das groXe Lied der tausend Stimmen aus einem einzigen Worte, das hieX OM: die Vollendung. "HXrst du," fragte wieder Vasudevas Blick. Hell glXnzte Vasudevas LXcheln, Xber all den Runzeln seines alten Antlitzes schwebte es leuchtend, wie Xber all den Stimmen des Flusses das Om schwebte. Hell glXnzte sein LXcheln, als er den Freund anblickte, und hell glXnzte nun auch auf Siddharthas Gesicht dasselbe LXcheln auf. Seine Wunde blXhte, sein Leid strahlte, sein Ich war in die Einheit geflossen. In dieser Stunde hXrte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu kXmpfen, hXrte auf zu leiden. Auf seinem Gesicht blXhte die Heiterkeit des Wissens, dem kein Wille mehr entgegensteht, das die Vollendung kennt, das einverstanden ist mit dem Fluss des Geschehens, mit dem Strom des Lebens, voll Mitleid, voll Mitlust, dem StrXmen hingegeben, der Einheit zugehXrig. Als Vasudeva sich von dem Sitz am Ufer erhob, als er in Siddharthas Augen blickte und die Heiterkeit des Wissens darin strahlen sah, berXhrte er dessen Schulter leise mit der Hand, in seiner behutsamen und zarten Weise, und sagte: "Ich habe auf diese Stunde gewartet, Lieber. Nun sie gekommen ist, lass mich gehen. Lange habe ich, auf diese Stunde gewartet, lange bin ich der FXhrmann Vasudeva gewesen. Nun ist es genug. Lebe wohl, HXtte, lebe wohl, Fluss, lebe wohl, Siddhartha!" Siddhartha verneigte sich tief vor dem Abschiednehmenden. "Ich habe es gewusst," sagte er leise. "Du wirst in die WXlder gehen?" "Ich gehe in die WXlder, ich gehe in die Einheit," sprach Vasudeva strahlend. Strahlend ging er hinweg; Siddhartha blickte ihm nach. Mit tiefer Freude, mit tiefem Ernst blickte er ihm nach, sah seine Schritte voll Frieden, sah sein Haupt voll Glanz, sah seine Gestalt voll Licht. GOVINDA Mit anderen MXnchen weilte Govinda einst wXhrend einer Rastzeit in dem Lusthain, welchen die Kurtisane Kamala den JXngern des Gotama geschenkt hatte. Er hXrte von einem alten FXhrmanne sprechen, welcher eine Tagereise entfernt vom Flusse wohne, und der von vielen fXr einen Weisen gehalten werde. Als Govinda des Weges weiterzog, wXhlte er den Weg zur FXhre, begierig diesen FXhrmann zu sehen. Denn ob er wohl sein Leben lang nach der Regel gelebt hatte, auch von den jngeren MXnchen seines Alters und seiner Bescheidenheit wegen mit Ehrfurcht angesehen wurde, war doch in seinem Herzen die Unruhe und das Suchen nicht erloschen. Er kam zum FlXsse, er bat den Alten um berfahrt, und da sie drXben aus dem Boot stiegen, sagte er zum Alten: "Viel Gutes erweisest du uns MXnchen und Pilgern, viele von uns hast du schon Xbergesetzt. Bist nicht auch du, FXhrmann, ein Sucher nach dem rechten Pfade?" Sprach Siddhartha, aus den alten Augen lXchelnd: "Nennst du dich einen Sucher, o EhrwXrdiger, und bist doch schon hoch in den Jahren, und trXgst das Gewand der MXnche Gotamas?" "Wohl bin ich alt," sprach Govinda, "zu suchen aber habe ich nicht aufgehXrt. Nie werde ich aufhXren zu suchen, dies scheint meine Bestimmung. Auch du, so scheint es mir, hast gesucht. Willst du mir ein Wort sagen, Verehrter?" Sprach Siddhartha: "Was sollte ich dir, EhrwXrdiger, wohl zu sagen haben? Vielleicht das, dass du allzu viel suchst? Dass du vor Suchen nicht zum Finden kommst?" "Wie denn?" fragte Govinda. "Wenn jemand sucht," sagte Siddhartha, "dann geschieht es leicht, dass sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht, dass er nichts zu finden, nichts in sich einzulassen vermag, weil er nur immer an das Gesuchte denkt, weil er ein Ziel hat, weil er vom Ziel besessen ist. Suchen heiXt: ein Ziel haben. Finden aber heiXt: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben. Du, EhrwXrdiger, bist vielleicht in der Tat ein Sucher, denn, deinem Ziel nachstrebend, siehst du manches nicht, was nah vor deinen Augen steht." "Noch verstehe ich nicht ganz," bat Govinda, "wie meinst du das?" Sprach Siddhartha: "Einst, o EhrwXrdiger, vor manchen Jahren, bist du schon einmal an diesem Flusse gewesen, und hast am Fluss einen Schlafenden gefunden, und hast dich zu ihm gesetzt, um seinen Schlaf zu behXten. Erkannt aber, o Govinda, hast du den Schlafenden nicht." Staunend, wie ein Bezauberter, blickte der MXnch in des FXhrmanns Augen. "Bist du Siddhartha?" fragte er mit scheuer Stimme. "Ich hXtte dich auch diesesmal nicht erkannt! Herzlich grXe ich dich, Siddhartha, herzlich freue ich mich, dich nochmals zu sehen! Du hast dich sehr verXndert, Freund. X Und nun bist du also ein FXhrmann geworden?" Freundlich lachte Siddhartha. "Ein FXhrmann, ja. Manche, Govinda, mXssen sich viel verXndern, mXssen allerlei Gewand tragen, ihrer einer bin ich, Lieber. Sei willkommen, Govinda, und bleibe die Nacht in meiner HXtte." Govinda blieb die Nacht in der HXtte und schlief auf dem Lager, das einst Vasudevas Lager gewesen war. Viele Fragen richtete er an den Freund seiner Jugend, vieles musste ihm Siddhartha aus seinem Leben erzXhlen. Als es am andern Morgen Zeit war, die Tageswanderung anzutreten, da sagte Govinda, nicht ohne ZXgern, die Worte: "Ehe ich meinen Weg fortsetze, Siddhartha, erlaube mir noch eine Frage. Hast du e