be? Wenn es dir angenehm ist, so denke ich, dass wir sie in acht Tagen veranstalten. Ich hoffe, dass das Wetter sich halten wird, und dass wir uns auch im Garten aufhalten kXnnen." "Wie du meinst", antwortete Frau von Rinnlingen und blickte an ihm vorbei. Zwei Minuten spXter empfahl sich Herr Friedemann. Als er sich an der TXr noch einmal verbeugte, begegnete er ihren Augen, die ohne Ausdruck auf ihm ruhten. Er ging fort, er ging nicht zur Stadt zurXck, sondern schlug, ohne es zu wollen, einen Weg ein, der von der Allee abzweigte and zu dem ehemaligen Festungswall am Flusse fXhrte. Es gab dort wohlgepflegte Anlagen, schattige Wege und BXnke. Er ging schnell und besinnungslos, ohne aufzublicken. Es war ihm unertrXglich heiX, und er fXhlte, wie die Flammen in ihm auf und nieder schlugen, und wie es in seinem mXden Kopfe unerbittlich pochte. Lag nicht noch immer ihr Blick auf ihm? Aber nicht wie zuletzt, leer und ohne Ausdruck, sondern wie vorher, mit dieser zitternden Grausamkeit, nachdem sie eben noch in jener seltsam stillen Art zu ihm gesprochen hatte? Ach, ergXtzte es sie, ihn hilflos zu machen und auXer sich zu bringen? Konnte sie, wenn sie ihn durchschaute, nicht ein wenig Mitleid mit ihm haben? ... Er war unten am Flusse entlang gegangen, neben dem grXn bewachsenen Walle hin, und er setzte sich auf eine Bank, die von JasmingebXsch im Halbkreis umgeben war. Rings war alles voll sXen, schwXlen Duftes. Vor ihm brXtete die Sonne auf dem zitternden Wasser. Wie mXde und abgehetzt er sich fXhlte, und wie doch alles in ihm in qualvollem Aufruhr war! War es nicht das beste, noch einmal um sich zu blicken und dann hinunter in das stille Wasser zu gehen, um nach einem kurzen Leiden befreit und hinXbergerettet zu sein in die Ruhe? Ach, Ruhe, Ruhe war es ja, was er wollte! Aber nicht die Ruhe im leeren und tauben Nichts, sondern ein sanftbesonnter Friede, erfXllt von guten, stillen Gedanken. Seine ganze zXrtliche Liebe zum Leben durchzitterte ihn in diesem Augenblick und die tiefe Sehnsucht nach seinem verlorenen GlXck. Aber dann blickte er um sich in die schweigende, unendlich gleichgXltige Ruhe der Natur, sah, wie der Fluss in der Sonne seines Weges zog, wie das Gras sich zitternd bewegte und die Blumen dastanden, wo sie erblXht waren, um dann zu welken und zu verwehen, sah, wie alles, alles mit dieser stummen Ergebenheit dem Dasein sich beugte, X und es Xberkam ihn auf einmal die Empfindung von Freundschaft und EinverstXndnis mit der Notwendigkeit, die eine Art von Xberlegenheit Xber alles Schicksal zu geben vermag. Er dachte an jene Nachmittag seines dreiXigsten Geburtstages, als er, glXcklich im Besitze des Friedens, ohne Furcht und Hoffnung Xber den Rest seines Lebens hinzublicken geglaubt hatte. Kein Licht und keinen Schatten hatte er da gesehen, sondern in mildem DXmmerschein hatte alles vor ihm gelegen, bis es dort hinten, unmerklich fast, im Dunkel verschwamm, und mit einem ruhigen und Xberlegenen LXcheln hatte er den Jahren entgegengesehen, die noch zu kommen hatten X wie lange war das her? Da war diese Frau gekommen, sie musste kommen, es war sein Schicksal, sie selbst war sein Schicksal, sie allein! Hatte er das nicht gefXhlt vom ersten Augenblicke an? Sie war gekommen, und ob er auch versucht hatte, seinen Frieden zu verteidigen X fXr sie musste sich alles in ihm empXren, was er von Jugend auf in sich unterdrXckt hatte, weil er fXhlte, dass es fXr ihn Qual und Untergang bedeutete; es hatte ihn mit furchtbarer, unwiderstehlicher Gewalt ergriffen und richtete ihn zugrunde! Es richtete ihn zugrunde, das fXhlte er. Aber wozu noch kXmpfen und sich quXlen? Mochte alles seinen Lauf nehmen! Mochte er seinen Weg weitergehen und die Augen schlieXen vor dem gXhnenden Abgrund dort hinten, gehorsam dem Schicksal, gehorsam der Xberstarken, peinigend sXen Macht, der man nicht zu entgehen vermag. Das Wasser glitzerte, der Jasmin atmete seinen scharfen, schwXlen Duft, die VXgel zwitscherten ringsumher in den BXumen, zwischen denen ein schwerer, sammetblauer Himmel leuchtete. Der kleine bucklige Herr Friedemann aber saX noch lange auf seiner Bank. Er saX vornXbergebeugt, die Stirn in beide HXnde gestXtzt. Alle waren sich einig, dass man sich bei Rinnlingens vortrefflich unterhielt. Etwa dreiXig Personen saXen an der langen, geschmackvoll dekorierten Tafel, die sich durch den weiten Speisesaal hinzog; der Bediente und zwei Lohndiener eilten bereits mit dem Eise umher, es herrschte Geklirr, Geklapper und ein warmer Dunst von Speisen und ParfXms. GemXtliche GroXkaufleute mit ihren Gemahlinnen und TXchtern waren hier versammelt; auXerdem fast sXmtliche Offiziere der Garnison, ein alter, beliebter Arzt, ein paar Juristen und was sonst den ersten Kreisen sich beizXhlte. Auch ein Student der Mathematik war anwesend, ein Neffe des Oberstleutnants, der bei seinen Verwandten zu Besuch war; er fXhrte die tiefsten GesprXche mit FrXulein HagenstrXm, die Herrn Friedemann gegenXber ihren Platz hatte. Dieser saX auf einem schXnen Sammetkissen am unteren Ende der Tafel neben der nicht schXnen Gattin des Gymnasialdirektors, nicht weit von Frau von Rinnlingen, die von Konsul Stephens zu Tische gefXhrt worden war. Es war erstaunlich, was fXr eine VerXnderung in diesen acht Tagen it dem kleinen Herrn Friedemann sich ereignet hatte. Vielleicht lag es zum Teil an dem weiXen GasglXhlicht, von dem der Saal erfXllt war, dass sein Gesicht so erschreckend bleich erschien; aber seine Wangen waren eingefallen, seine gerXteten und dunkel umschatteten Augen zeigten einen unsXglich traurigen Schimmer, und es sah aus, als sei seine Gestalt verkrXppelter als je. X Er trank viel Wein und richtete hie und da ein paar Worte an seine Nachbarin. Frau von Rinnlingen hatte bei Tische noch kein Wort mit Herrn Friedemann gewechselt; jetzt beugte sie sich ein wenig vor und rief ihm zu: "Ich habe Sie in diesen Tagen vergeblich erwartet, Sie und Ihre Geige." Er sah sie einen Augenblick vollkommen abwesend an, bevor er antwonete. Sie trug eine helle, leichte Toilette, die ihren weiXen Hals frei lieX, und eine voll erblXhte Marschall-Niel-Rose war in ihrem leuchtenden Haar befestigt. Ihre Wangen waren heute Abend ein wenig gerXtet, aber wie immer lagerten blXuliche Schatten in den Winkeln ihrer Augen. Herr Friedemann blickte auf seinen Teller nieder und brachte irgend etwas als Antwort hervor, worauf er der Gymnasialdirektorin die Frage beantworten musste, ob er Beethoven liebe. In diesem Augenblick aber warf der Oberstleutnant, der ganz oben am Tische saX, seiner Gattin einen Blick zu, schlug ans Glas und sagte: "Meine Herrschaften, ich schlage vor, dass wir unseren Kaffee in den anderen Zimmern trinken; Xbrigens muss es heute Abend auch im Garten nicht Xbel sein, und wenn jemand don ein wenig Luft schXpfen will, so halte ich es mit ihm." In die eingetretene Stille hinein machte Leutnant von Deidesheim aus TaktgefXhl einen Witz, so dass alles sich unter frXhlichem GelXchter erhob. Herr Friedemann verlieX als einer der letzten mit seiner Dame den Saal, geleitete sie durch das altdeutsche Zimmer, wo man bereits zu rauchen begann, in das halbdunkle und behagliche Wohngemach und verabschiedete sich von ihr. Er war mit Sorgfalt gekleidet; sein Frack war ohne Tadel, sein Hemd blendend weiX, und seine schmalen rind schXn geformten FXe steckten in Lackschuhen. Dann und wann konnte man sehen, dass er rotseidene StrXmpfe trug. Er blickte auf den Korridor hinaus und sah, dass grXere Gruppen sich bereits die Treppe hinunter in den Garten begaben. Aber er setzte sich mit seiner Zigarre und seinem Kaffee an die TXr des altdeutschen Zimmers, in dem einige Herren plaudernd beisammenstanden, und blickte in das Wohngemach hinein. Gleich rechts von der TXr saX um einen kleinen Tisch ein Kreis, dessen Mittelpunkt von dem Studenten gebildet ward, der mit Eifer sprach. Er hatte die Behauptung aufgestellt, dass man durch einen Punkt mehr als eine Parallele zu einer Geraden ziehen kXnne, Frau Rechtsanwalt HagenstrXm hatte gerufen: "Dies ist unmXglich!", und nun bewies er es so schlagend, dass alle taten, als hXtten sie es verstanden. Im Hintergrunde des Zimmers aber, auf der Ottomane, neben der die niedrige, rotverhXllte Lampe stand; saX im GesprXch mit dem jungen FrXulein Stephens Gerda von Rinnlingen. Sic saX ein wenig in das gelbseidene Kissen zurXckgelehnt, einen FuX Xber den anderen gestellt, und rauchte langsam eine Zigarette, wobei sie den Rauch durch die Nase ausatmete und die Unterlippe vorschob. FrXulein Stephens saX aufrecht und wie aus Holz geschnitzt vor ihr und antwortete Xngstlich lXchelnd. Niemand beachtete den kleinen Herrn Friedemann, und niemand bemerkte, dass seine groXen Augen ohne Unterlass auf Frau von Rinnlingen gerichtet waren. In einer schlaffen Haltung saX er und sah sie an. Es war nichts Leidenschaftliches in seinem Blick und kaum ein Schmerz; etwas Stumpfes und Totes lag darin, eine dumpfe, kraft- und willenlose Hingabe. Zehn Minuten etwa vergingen so; da erhob Frau von Rinnlingen sich plXtzlich, und ohne ihn anzublicken, als ob sie ihn wXhrend der ganzen Zeit heimlich beobachtet hXtte, schritt sie auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. Er stand auf, sah zu ihr in die HXhe und vernahm die Worte: "Haben Sie Lust; mich in den Garten zu begleiten, Herr Friedemann?" Er antwortete: "Mit VergnXgen, gnXdige Frau." "Sie haben unseren Garten noch nicht gesehen?" sagte sie auf der Treppe zu ihm. "Er ist ziemlich groX. Hoffentlich sind noch nicht zu viele Menschen dort; ich mXchte gern ein wenig aufatmen. Ich habe wXhrend des Essens Kopfschmerzen bekommen; vielleicht war mir dieser Rotwein zu krXftig ... Hier durch die TXr mXssen wir hinausgehen." Es war eine GlastXr, durch die sie vom Vorplatz aus einen kleinen, kXhlen Flur betraten; dann fXhrten ein paar Stufen ins Freie. In der wundervoll sternklaren, warmen Nacht quoll der Duft von allen Beeten. Der Garten lag in vollem Mondlicht, und auf den weiX leuchtenden Kieswegen gingen die GXste plaudernd und rauchend umher. Eine Gruppe hatte sich um den Springbrunnen versammelt, wo der alte, beliebte Arzt unter allgemeinem GelXchter Papierschiffchen schwimmen lieX. Frau von Rinnlingen ging mit einem leichten Kopfnicken vorXber und wies in die Ferne, wo der zierliche und duftende Blumengarten zum Park sich verdunkelte. "Wir wollen die Mittelallee hinuntergehen", sagte sie. Am Eingange standen zwei niedrige, breite Obelisken. Dort hinten, am Ende der schnurgeraden Kastanienallee sahen sie grXnlich und blank den Fluss im Mondlicht schimmern. Ringsumher war es dunkel und kXhl. Hie und da zweigte ein Seitenweg ab; der im Bogen wohl ebenfalls zum Flusse fXhrte. Es lieX sich lange Zeit kein Laut vernehmen. "Am Wasser", sagte sie, "ist ein hXbscher Platz, wo ich schon oft gesessen habe. Dort kXnnten wir einen Augenblick plaudern. X Sehen Sie, dann uqd wann glitzert zwischen dem Laub ein Stern hindurch." Er antwortete nicht und blickte auf die grXne,schimmernde FlXche, der sie sich nXherten. Man konnte das jenseitige Ufer erkennen, die Wallanlagen. Als sie die Allee verlieXen und auf den Grasplatz hinaustraten, der sich zum Flusse hinabsenkte, sagte Frau von Rinnlingen: "Hier ein wenig nach rechts ist unser Platz; sehen Sie, er ist unbesetzt." Die Bank, auf der sie sich niederlieXen, lehnte sich sechs Schritte seitwXrts von der Allee an den Park. Hier war es wXrmer als zwischen den breiten BXumen. Die Grillen zirpten in dem Grase, das hart am Wasser in dXnnes Schilf Xberging. Der mondhelle Fluss gab ein mildes Licht. Sie schwiegen beide eine Weile und blickten auf das Wasser. Dann aber horchte er ganz erschXttert, denn der Ton, den er vor einer Woche vernommen, dieser leise, nachdenkliche und sanfte Ton berXhrte ihn wieder. "Seit wann haben Sie Ihr Gebrechen, Herr Friedemann?" fragte sie. "Sind Sie damit geboren?" Er schluckte hinunter, denn die Kehle war ihm wie zugeschnXrt. Dann antwortete er leise ,und artig: "Nein, gnXdige Frau. Als kleines Kind lieX man mich zu Boden fallen; daher stammt es." "Und wie alt sind Sie nun?" fragte sie weiter. "DreiXig Jahre, gnXdige Frau." "DreiXig Jahre", wiederholte sie. "Und Sie waren nicht glXcklich, diese dreiXig Jahre?" Herr Friedemann schXttelte den Kopf, und seine Lippen bebten. "Nein", sagte er; "das war LXge und Einbildung." "Sie haben also geglaubt, glXcklich zu sein?" fragte sie. "Ich habe es versucht", sagte er und sie antwortete: "Das war tapfer." Eine Minute verstrich. Nur die Grillen zirpten, und hinter ihnen rauschte es ganz leise in den BXumen. "Ich verstehe mich ein wenig auf das UnglXck", sagte sie dann. "Solche SommernXchte am Wasser sind das Beste dafXr." Hierauf antwortete er nicht, sondern wies mit einer schwachen GebXrde hinXber nach dem jenseitigen Ufer, das friedlich im Dunkel lag. "Dort habe ich neulich gesessen", sagte er. "Als Sie von mir kamen?" fragte sie. Er nickte nur. Dann aber bebte er plXtzlich auf seinem Sitz in die HXhe, schluchzte auf, stieX einen Laut aus, einen Klagelaut, der doch zugleich etwas ErlXsendes hatte, und sank langsam vor ihr zu Boden. Er hatte mit seiner Hand die ihre berXhrt, die neben ihm auf der Bank geruht hatte, und wXhrend er sie nun festhielt, wXhrend er auch die andere ergriff, wXhrend dieser kleine, gXnzlich verwachsene Mensch zitternd und zuckend vor ihr auf den Knien lag und sein Gesicht in ihren SchoX drXckte, stammelte er mit einer unmenschlichen, keuchenden Stimme: "Sie wissen es ja ... Lass mich ... Ich kann nicht mehr ... Mein Gott ... Mein Gott ..." Sie wehrte ihm nicht, sie beugte sich auch nicht zu ihm nieder. Sie saX hoch aufgerichtet, ein wenig von ihm zurXckgelehnt, und ihre kleinen, nahe beieinanderliegenden Augen, in denen sich der feuchte Schimmer des Wassers zu spiegeln schien, blickten starr und gespannt gradeaus, Xber ihn fort, ins Weite. Und dann, plXtzlich, mit einem Ruck, mit einem kurzen, stolzen, verXchtlichen Lachen hatte sie ihre HXnde seinen heiXen Fingern entrissen, hatte ihn am Arm gepackt, ihn seitwrts vollends zu Boden geschleudert, war aufgesprungen und in der Allee verschwunden. Er lag da, das .Gesicht im Grase, betXubt, auXer sich, und ein Zucken lief jeden Augenblick durch seinen KXrper. Er raffte sich auf, tat zwei Schritte und stXrzte wieder zu Boden. Er lag am Wasser. X Was ging eigentlich in ihm vor, bei dem, was nun geschah? Vielleicht war es dieser wollXstige Hass, den er empfunden hatte, wenn sie ihn mit ihrem Blicke demXtigte, der jetzt, wo er, behandelt von ihr wie ein Hund, am Boden lag, in eine irrsinnige Wut ausartete, die er betXtigen musste, sei es auch gegen sich selbst ... ein Ekel vielleicht vor sich selbst, der ihn mit einem Durst erfXllte, sich zu vernichten, sich in StXcke zu zerreiXen, sich auszulXschen ... Auf dem Bauche schob er sich noch weiter vorwXrts, erhob den OberkXrper und lieX ihn ins Wasser fallen. Er hob den Kopf nicht wieder; nicht einmal die Beine, die am Ufer lagen, bewegte er mehr. Bei dem Aufklatschen des Wassers waren die Grillen einen Augenblick verstummt. Nun setzte ihr Zirpen wieder ein, der Park rauschte leise auf, und durch die lange Allee herunter klang gedXmpftes Lachen. 1897