Эрих Мария Ремарк. На западном фронте без перемен (germ) OCR, Spellcheck: Илья Франк, http://franklang.ru (мультиязыковой проект. Ильи Франка) Erich Maria Remarque Im Westen nichts Neues Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, uber eine Generation zu berichten, die vom Kriege zersturt wurde - auch wenn sie seinen Granaten entkam. I Wir liegen neun Kilometer hinter der Front. Gestern wurden wir abgelust; jetzt haben wir den Magen voll weißer Bohnen mit Rindfleisch und sind satt und zufrieden. Sogar fur abends hat jeder noch ein Kochgeschirr voll fassen kunnen; dazu gibt es außerdem doppelte Wurst- und Brotportionen - das schafft. So ein Fall ist schon lange nicht mehr dagewesen: der Kuchenbulle mit seinem roten Tomatenkopf bietet das Essen direkt an; jedem, der vorbeikommt, winkt er mit seinem Luffel zu und fullt ihm einen kruftigen Schlag ein. Er ist ganz verzweifelt, weil er nicht weiß, wie er seine Gulaschkanone leer kriegen soll. Tjaden und Muller haben ein paar Waschschusseln aufgetrieben und sie sich bis zum Rand gestrichen voll geben lassen, als Reserve. Tjaden macht das aus Freßsucht, Muller aus Vorsicht. Wo Tjaden es lußt, ist allen ein Rutsel. Er ist und bleibt ein magerer Hering. Das Wichtigste aber ist, daß es auch doppelte Rauchportionen gegeben hat. Fur jeden zehn Zigarren, zwanzig Zigaretten und zwei Stuck Kautabak, das ist sehr anstundig. Ich habe meinen Kautabak mit Katczinsky gegen seine Zigaretten getauscht, das macht fur mich vierzig Zigaretten. Damit langt man schon einen Tag. Dabei steht uns diese ganze Bescherung eigentlich nicht zu. So splendid sind die Preußen nicht. Wir haben sie nur einem Irrtum zu verdanken. Vor vierzehn Tagen mußten wir nach vorn, um abzulusen. Es war ziemlich ruhig in unserm Abschnitt, und der Furier hatte deshalb fur den Tag unserer Ruckkehr das normale Quantum Lebensmittel erhalten und fur die hundertfunfzig Mann starke Kompanie vorgesorgt. Nun aber gab es gerade am letzten Tage bei uns uberraschend viel Langrohr und dicke Brocken, englische Artillerie, die stundig auf unsere Stellung trommelte, so daß wir starke Verluste hatten und nur mit achtzig Mann zuruckkamen. Wir waren nachts eingeruckt und hatten uns gleich hingehauen, um erst einmal anstundig zu schlafen; denn Katczinsky hat recht: es wure alles nicht so schlimm mit dem Krieg, wenn man nur mehr Schlaf haben wurde. Vorne ist es doch nie etwas damit, und vierzehn Tage jedes mal sind eine lange Zeit. Es war schon Mittag, als die ersten von uns aus den Baracken krochen. Eine halbe Stunde sputer hatte jeder sein Kochgeschirr gegriffen, und wir versammelten uns vor der Gulaschmarie, die fettig und nahrhaft roch. An der Spitze naturlich die Hungrigsten: der kleine Albert Kropp, der von uns am klarsten denkt und deshalb erst Gefreiter ist; - Muller V, der noch Schulbucher mit sich herumschleppt und vom Notexamen truumt; im Trommelfeuer buffelt er physikalische Lehrsutze; - Leer, der einen Vollbart trugt und große Vorliebe fur Mudchen aus den Offizierspuffs hat; er schwurt darauf, daß sie durch Armeebefehl verpflichtet wuren, seidene Hemden zu tragen und bei Gusten vom Hauptmann aufwurts vorher zu baden; - und als vierter ich, Paul Buumer. Alle vier neunzehn Jahre alt, alle vier aus derselben Klasse in den Krieg gegangen. Dicht hinter uns unsere Freunde. Tjaden, ein magerer Schlosser, so alt wie wir, der grußte Fresser der Kompanie. Er setzt sich schlank zum Essen hin und steht dick wie eine schwangere Wanze wieder auf; - Haie Westhus, gleich alt, Torfstecher, der bequem ein Kommißbrot in eine Hand nehmen und fragen kann: Ratet mal, was ich in der Faust habe; - Detering, ein Bauer, der nur an seinen Hof und an seine Frau denkt; - und endlich Stanislaus Katczinsky, das Haupt unserer Gruppe, zuh, schlau, gerissen, vierzig Jahre alt, mit einem Gesicht aus Erde, mit blauen Augen, hungenden Schultern und einer wunderbaren Witterung fur dicke Luft, gutes Essen und schune Druckposten. Unsere Gruppe bildete die Spitze der Schlange vor der Gulaschkanone. Wir wurden ungeduldig, denn der ahnungslose Kuchenkarl stand noch immer und wartete. Endlich rief Katczinsky ihm zu: "Nun mach deinen Bouillonkeller schon auf, Heinrich! Man sieht doch, daß die Bohnen gar sind." Der schuttelte schlufrig den Kopf: "Erst mußt ihr alle da sein." Tjaden grinste: "Wir sind alle da." Der Unteroffizier merkte noch nichts. "Das kunnte euch so passen! Wo sind denn die andern?" "Die werden heute nicht von dir verpflegt! Feldlazarett und Massengrab." Der Kuchenbulle war erschlagen, als er die Tatsachen erfuhr. Er wankte. "Und ich habe fur hundertfunfzig Mann gekocht." Kropp stieß ihm in die Rippen. "Dann werden wir endlich mal satt. Los, fang an!" Plutzlich aber durchfuhr Tjaden eine Erleuchtung. Sein spitzes Mausegesicht fing ordentlich an zu schimmern, die Augen wurden klein vor Schlauheit, die Backen zuckten, und er trat dichter heran: "Menschenskind, dann hast du ja auch fur hundertfunfzig Mann Brot empfangen, was?" Der Unteroffizier nickte verdattert und geistesabwesend. Tjaden packte ihn am Rock. "Und Wurst auch?" Der Tomatenkopf nickte wieder. Tjadens Kiefer bebten. "Tabak auch?" "Ja, alles." Tjaden sah sich strahlend um. "Donnerwetter, das nennt man Schwein haben! Das ist dann ja alles fur uns! Da kriegt jeder ja - wartet mal - tatsuchlich, genau doppelte Portionen!" Jetzt aber erwachte die Tomate wieder zum Leben und erklurte: "Das geht nicht." Doch nun wurden auch wir munter und schoben uns heran. "Warum geht das denn nicht, du Mohrrube?" fragte Katczinsky. "Was fur hundertfunfzig Mann ist, kann doch nicht fur achtzig sein." "Das werden wir dir schon zeigen", knurrte Muller. "Das Essen meinetwegen, aber Portionen kann ich nur fur achtzig Mann ausgeben", beharrte die Tomate. Katczinsky wurde urgerlich. "Du mußt wohl mal abgelust werden, was? Du hast nicht fur achtzig Mann, sondern fur die 2. Kompanie Furage empfangen, fertig. Die gibst du aus! Die 2. Kompanie sind wir." Wir ruckten dem Kerl auf den Leib. Keiner konnte ihn gut leiden, er war schon ein paarmal schuld daran gewesen, daß wir im Graben das Essen viel zu sput und kalt bekommen hatten, weil er sich bei etwas Granatfeuer mit seinem Kessel nicht nahe genug herantraute, so daß unsere Essenholer einen viel weiteren Weg machen mußten als die der andern Kompanien. Da war Bulcke von der ersten ein besserer Bursche. Er war zwar fett wie ein Winterhamster, aber er schleppte, wenn es darauf ankam, die Tupfe selbst bis zur vordersten Linie. Wir waren gerade in der richtigen Stimmung, und es hutte bestimmt Kleinholz gegeben, wenn nicht unser Kompaniefuhrer aufgetaucht wure. Er erkundigte sich nach dem Streitfall und sagte vorluufig nur: "Ja, wir haben gestern starke Verluste gehabt -" Dann guckte er in den Kessel. "Die Bohnen scheinen gut zu sein." Die Tomate nickte. "Mit Fett und Fleisch gekocht." Der Leutnant sah uns an. Er wußte, was wir dachten. Auch sonst wußte er noch manches, denn er war zwischen uns groß geworden und als Unteroffizier zur Kompanie gekommen. Er hob den Deckel noch einmal vom Kessel und schnupperte. Im Weggehen sagte er: "Bringt mir auch einen Teller voll. Und die Portionen werden alle verteilt. Wir kunnen sie brauchen." Die Tomate machte ein dummes Gesicht. Tjaden tanzte um sie herum. "Das schadet dir gar nichts! Als ob ihm das Proviantamt gehurt, so tut er. Und nun fang an, du alter Speckjuger, und verzuhle dich nicht -" "Hung dich auf!" fauchte die Tomate. Sie war geplatzt, so etwas ging ihr gegen den Verstand. Sie begriff die Welt nicht mehr. Und als wollte sie zeigen, daß nun schon alles egal sei, verteilte sie pro Kopf freiwillig noch ein halbes Pfund Kunsthonig. Der Tag ist wirklich gut heute. Sogar Post ist da, fast jeder hat ein paar Briefe und Zeitungen. Nun schlendern wir zu der Wiese hinter den Baracken hinuber. Kropp hat den runden Deckel eines Margarinefasses unterm Arm. Am rechten Rande der Wiese ist eine große Massenlatrine erbaut, ein uberdachtes, stabiles Gebuude. Doch das ist was fur Rekruten, die noch nicht gelernt haben, aus jeder Sache Vorteil zu ziehen. Wir suchen etwas Besseres. uberall verstreut stehen numlich noch kleine Einzelkusten fur denselben Zweck. Sie sind viereckig, sauber, ganz aus Holz getischlert, rundum geschlossen, mit einem tadellosen, bequemen Sitz. An den Seitenfluchen befinden sich Handgriffe, so daß man sie transportieren kann. Wir rucken drei im Kreise zusammen und nehmen gemutlich Platz. Vor zwei Stunden werden wir hier nicht wieder aufstehen. Ich weiß noch, wie wir uns anfangs genierten als Rekruten in der Kaserne, wenn wir die Gemeinschaftslatrine benutzen mußten. Turen gibt es da nicht, es sitzen zwanzig Mann nebeneinander wie in der Eisenbahn. Sie sind mit einem Blick zu ubersehen; - der Soldat soll eben stundig unter Aufsicht sein. Wir haben inzwischen mehr gelernt, als das bißchen Scham zu uberwinden. Mit der Zeit wurde uns noch ganz anderes geluufig. Hier draußen ist die Sache aber geradezu ein Genuß. Ich weiß nicht mehr, weshalb wir fruher an diesen Dingen immer scheu vorbeigehen mußten, sie sind ja ebenso naturlich wie Essen und Trinken. Und man brauchte sich vielleicht auch nicht besonders daruber zu uußern, wenn sie nicht so eine wesentliche Rolle bei uns spielten und gerade uns neu gewesen wuren - den ubrigen waren sie lungst selbstverstundlich. Dem Soldaten ist sein Magen und seine Verdauung ein vertrauteres Gebiet als jedem anderen Menschen. Drei Viertel seines Wortschatzes sind ihm entnommen, und sowohl der Ausdruck huchster Freude als auch der tiefster Entrustung findet hier seine kernige Untermalung. Es ist unmuglich, sich auf eine andere Art so knapp und klar zu uußern. Unsere Familien und unsere Lehrer werden sich schun wundern, wenn wir nach Hause kommen, aber es ist hier nun einmal die Universalsprache. Fur uns haben diese ganzen Vorgunge den Charakter der Unschuld wiedererhalten durch ihre zwangsmußige uffentlichkeit. Mehr noch: sie sind uns so selbstverstundlich, daß ihre gemutliche Erledigung ebenso gewertet wird wie meinetwegen ein schun durchgefuhrter, bombensicherer Grand ohne viere. Nicht umsonst ist fur Geschwutz aller Art das Wort "Latrinenparole" entstanden; diese Orte sind die Klatschecken und der Stammtischersatz beim Kommiß. Wir fuhlen uns augenblicklich wohler als im noch so weiß gekachelten Luxuslokus. Dort kann es nur hygienisch sein; hier aber ist es schun. Es sind wunderbar gedankenlose Stunden. uber uns steht der blaue Himmel. Am Horizont hungen hellbestrahlte gelbe Fesselballons und die weißen Wulkchen der Flakgeschosse. Manchmal schnellen sie wie eine Garbe hoch, wenn sie einen Flieger verfolgen. Nur wie ein sehr fernes Gewitter huren wir das gedumpfte Brummen der Front. Hummeln, die vorubersummen, ubertunen es schon. Und rund um uns liegt die bluhende Wiese. Die zarten Rispen der Gruser wiegen sich, Kohlweißlinge taumeln heran, sie schweben im weichen, warmen Wind des Sputsommers, wir lesen Briefe und Zeitungen und rauchen, wir setzen die Mutzen ab und legen sie neben uns, der Wind spielt mit unseren Haaren, er spielt mit unseren Worten und Gedanken. Die drei Kusten stehen mitten im leuchtenden, roten Klatschmohn. - Wir legen den Deckel des Margarinefasses auf unsere Knie. So haben wir eine gute Unterlage zum Skatspielen. Kropp hat die Karten bei sich. Nach jedem Nullouvert wird eine Partie Schieberamsch eingelegt. Man kunnte ewig so sitzen. Die Tune einer Ziehharmonika klingen von den Baracken her. Manchmal legen wir die Karten hin und sehen uns an. Einer sagt dann: "Kinder, Kinder -", oder: "Das hutte schiefgehen kunnen -", und wir versinken einen Augenblick in Schweigen. In uns ist ein starkes, verhaltenes Gefuhl, jeder spurt es, das braucht nicht viele Worte. Leicht hutte es sein kunnen, daß wir heute nicht auf unsern Kusten sußen, es war verdammt nahe daran. Und darum ist alles neu und stark - der rote Mohn und das gute Essen, die Zigaretten und der Sommerwind. Kropp fragt: "Hat einer von euch Kemmerich noch mal gesehen?" "Er liegt in St. Joseph", sage ich. Muller meint, er habe einen Oberschenkeldurchschuß, einen guten Heimatpaß. Wir beschließen, ihn nachmittags zu besuchen. Kropp holt einen Brief hervor. "Ich soll euch grußen von Kantorek." Wir lachen. Muller wirft seine Zigarette weg und sagt: "Ich wollte, der wure hier." Kantorek war unser Klassenlehrer, ein strenger, kleiner Mann in grauem Schoßrock, mit einem Spitzmausgesicht. Er hatte ungefuhr dieselbe Statur wie der Unteroffizier Himmelstoß, der "Schrecken des Klosterberges". Es ist ubrigens komisch, daß das Ungluck der Welt so oft von kleinen Leuten herruhrt, sie sind viel energischer und unvertruglicher als großgewachsene. Ich habe mich stets gehutet, in Abteilungen mit kleinen Kompaniefuhrern zu geraten; es sind meistens verfluchte Schinder. Kantorek hielt uns in den Turnstunden so lange Vortruge, bis unsere Klasse unter seiner Fuhrung geschlossen zum Bezirkskommando zog und sich meldete. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er uns durch seine Brillengluser anfunkelte und mit ergriffener Stimme fragte: "Ihr geht doch mit, Kameraden?" Diese Erzieher haben ihr Gefuhl so oft in der Westentasche parat; sie geben es ja auch stundenweise aus. Doch daruber machten wir uns damals noch keine Gedanken. Einer von uns allerdings zugerte und wollte nicht recht mit. Das war Josef Behm, ein dicker, gemutlicher Bursche. Er ließ sich dann aber uberreden, er hutte sich auch sonst unmuglich gemacht. Vielleicht dachten noch mehrere so wie er; aber es konnte sich niemand gut ausschließen, denn mit dem Wort "feige" waren um diese Zeit sogar Eltern rasch bei der Hand. Die Menschen hatten eben alle keine Ahnung von dem, was kam. Am vernunftigsten waren eigentlich die armen und einfachen Leute; sie hielten den Krieg gleich fur ein Ungluck, wuhrend die bessergestellten vor Freude nicht aus noch ein wußten, obschon gerade sie sich uber die Folgen viel eher hutten klarwerden kunnen. Katczinsky behauptet, das kume von der Bildung, sie mache dumlich. Und was Kat sagt, das hat er sich uberlegt. Sonderbarerweise war Behm einer der ersten, die fielen. Er erhielt bei einem Sturm einen Schuß in die Augen, und wir ließen ihn fur tot liegen. Mitnehmen konnten wir ihn nicht, weil wir ubersturzt zuruck mußten. Nachmittags hurten wir ihn plutzlich rufen und sahen ihn draußen herumkriechen. Er war nur bewußtlos gewesen. Weil er nichts sah und wild vor Schmerzen war, nutzte er keine Deckung aus, so daß er von druben abgeschossen wurde, ehe jemand herankam, um ihn zu holen. Man kann Kantorek naturlich nicht damit in Zusammenhang bringen; - wo bliebe die Welt sonst, wenn man das schon Schuld nennen wollte. Es gab ja Tausende von Kantoreks, die alle uberzeugt waren, auf eine fur sie bequeme Weise das Beste zu tun. Darin liegt aber gerade fur uns ihr Bankerott. Sie sollten uns Achtzehnjuhrigen Vermittler und Fuhrer zur Welt des Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie manchmal und spielten ihnen Meine Streiche, aber im Grunde glaubten wir ihnen. Mit dem Begriff der Autoritut, dessen Truger sie waren, verband sich m unseren Gedanken grußere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den wir sahen, zertrummerte diese uberzeugung. Wir mußten erkennen, daß unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die Phrase und die Geschicklichkeit voraus. Das erste Trommelfeuer zeigte uns unseren Irrtum, und unter ihm sturzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten. Wuhrend sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und Sterbende; - wuhrend sie den Dienst am Staate als das Grußte bezeichneten, wußten wir bereits, daß die Todesangst sturker ist. Wir wurden darum keine Meuterer, keine Deserteure, keine Feiglinge - alle diese Ausdrucke waren ihnen ja so leicht zur Hand -, wir liebten unsere Heimat genauso wie sie, und wir gingen bei jedem Angriff mutig vor; - aber wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen gelernt. Und wir sahen, daß nichts von ihrer Welt ubrig blieb. Wir waren plutzlich auf furchtbare Weise allein; - und wir mußten allein damit fertig werden. Bevor wir zu Kemmerich aufbrechen, packen wir seine Sachen ein; er wird sie unterwegs gut brauchen kunnen. Im Feldlazarett ist großer Betrieb; es riecht wie immer nach Karbol, Eiter und Schweiß. Man ist aus den Baracken manches gewohnt, aber hier kann einem doch flau werden. Wir fragen uns nach Kemmerich durch; er liegt in einem Saal und empfungt uns mit einem schwachen Ausdruck von Freude und hilfloser Aufregung. Wuhrend er bewußtlos war, hat man ihm seine Uhr gestohlen. Muller schuttelt den Kopf: "Ich habe dir ja immer gesagt, daß man eine so gute Uhr nicht mitnimmt." Muller ist etwas tapsig und rechthaberisch. Sonst wurde er den Mund halten, denn jeder sieht, daß Kemmerich nicht mehr aus diesem Saal herauskommt. Ob er seine Uhr wiederfindet, ist ganz egal, huchstens, daß man sie nach Hause schicken kunnte. "Wie geht's denn, Franz?" fragt Kropp. Kemmerich lußt den Kopf sinken. "Es geht ja - ich habe bloß so verfluchte Schmerzen im Fuß." Wir sehen auf seine Decke. Sein Bein liegt unter einem Drahtkorb, das Deckbett wulbt sich dick daruber. Ich trete Muller gegen das Schienbein, denn er bruchte es fertig, Kemmerich zu sagen, was uns die Sanituter draußen schon erzuhlt haben: daß Kemmerich keinen Fuß mehr hat. Das Bein ist amputiert. Er sieht schrecklich aus, gelb und fahl, im Gesicht sind schon die fremden Linien, die wir so genau kennen, weil wir sie schon hundertmal gesehen haben. Es sind eigentlich keine Linien, es sind mehr Zeichen. Unter der Haut pulsiert kein Leben mehr; es ist bereits herausgedrungt bis an den Rand des Kurpers, von innen arbeitet sich der Tod durch, die Augen beherrscht er schon. Dort liegt unser Kamerad Kemmerich, der mit uns vor kurzem noch Pferdefleisch gebraten und im Trichter gehockt hat; - er ist es noch, und er ist es doch nicht mehr, verwaschen, unbestimmt ist sein Bild geworden, wie eine fotografische Platte, auf der zwei Aufnahmen gemacht worden sind. Selbst seine Stimme klingt wie Asche. Ich denke daran, wie wir damals abfuhren. Seine Mutter, eine gute, dicke Frau, brachte ihn zum Bahnhof. Sie weinte ununterbrochen, ihr Gesicht war davon gedunsen und geschwollen. Kemmerich genierte sich deswegen, denn sie war am wenigsten gefaßt von allen, sie zerfloß furmlich in Fett und Wasser. Dabei hatte sie es auf mich abgesehen, immer wieder ergriff sie meinen Arm und flehte mich an, auf Franz draußen achtzugeben. Er hatte allerdings auch ein Gesicht wie ein Kind und so weiche Knochen, daß er nach vier Wochen Tornistertragen schon Plattfuße bekam. Aber wie kann man im Felde auf jemand achtgeben! "Du wirst ja nun nach Hause kommen", sagt Kropp, "auf Urlaub huttest du mindestens noch drei, vier Monate warten mussen." Kemmerich nickt. Ich kann seine Hunde nicht gut ansehen, sie sind wie Wachs. Unter den Nugeln sitzt der Schmutz des Grabens, er sieht blauschwarz aus wie Gift. Mir fullt ein, daß diese Nugel weiterwachsen werden, lange noch, gespenstische Kellergewuchse, wenn Kemmerich lungst nicht mehr atmet. Ich sehe das Bild vor mir: sie krummen sich zu Korkenziehern und wachsen und wachsen, und mit ihnen die Haare auf dem zerfallenden Schudel, wie Gras auf gutem Boden, genau wie Gras, wie ist das nur muglich -? Muller buckt sich. "Wir haben deine Sachen mitgebracht, Franz." Kemmerich zeigt mit der Hand. "Legt sie unters Bett." Muller tut es. Kemmerich fungt wieder von der Uhr an. Wie soll man ihn nur beruhigen, ohne ihn mißtrauisch zu machen! Muller taucht mit einem Paar Fliegerstiefel wieder auf. Es sind herrliche englische Schuhe aus weichem, gelbem Leder, die bis zum Knie reichen und ganz hinauf geschnurt werden, eine begehrte Sache. Muller ist von ihrem Anblick begeistert, er hult ihre Sohlen gegen seine eigenen klobigen Schuhe und fragt: "Willst du denn die Stiefel mitnehmen, Franz?" Wir denken alle drei das gleiche: selbst wenn er gesund wurde, kunnte er nur einen gebrauchen, sie wuren fur ihn also wertlos. Aber wie es jetzt steht, ist es ein Jammer, daß sie hierbleiben; - denn die Sanituter werden sie naturlich sofort wegschnappen, wenn er tot ist. Muller wiederholt: "Willst du sie nicht hier lassen?" Kemmerich will nicht. Es sind seine besten Stucke. "Wir kunnen sie ja umtauschen", schlugt Muller wieder vor, "hier draußen kann man so was brauchen." Doch Kemmerich ist nicht zu bewegen. Ich trete Muller auf den Fuß; er legt die schunen Stiefel zugernd wieder unter das Bett. Wir reden noch einiges und verabschieden uns dann. "Mach's gut, Franz." Ich verspreche ihm, morgen wiederzukommen. Muller redet ebenfalls davon; er denkt an die Schnurschuhe und will deshalb auf dem Posten sein. Kemmerich stuhnt. Er hat Fieber. Wir halten draußen einen Sanituter an und reden ihm zu, Kemmerich eine Spritze zu geben. Er lehnt ab. "Wenn wir jedem Morphium geben wollten, mußten wir Fusser voll haben -" "Du bedienst wohl nur Offiziere", sagt Kropp gehussig. Rasch lege ich mich ins Mittel und gebe dem Sanituter zunuchst mal eine Zigarette. Er nimmt sie. Dann frage ich: "Darfst du denn uberhaupt eine machen?" Er ist beleidigt. "Wenn ihr's nicht glaubt, was fragt ihr mich -" Ich drucke ihm noch ein paar Zigaretten in die Hand. "Tu uns den Gefallen -" "Na, schun", sagt er. Kropp geht mit hinein, er traut ihm nicht und will zusehen. Wir warten draußen. Muller fungt wieder von den Stiefeln an." Sie wurden mir tadellos passen. In diesen Kuhnen laufe ich mir Blasen uber Blasen. Glaubst du, daß er durchhult bis morgen nach dem Dienst? Wenn er nachts abgeht, haben wir die Stiefel gesehen -" Albert kommt zuruck. "Meint ihr -?" fragt er. "Erledigt", sagt Muller abschließend. Wir gehen zu unsern Baracken zuruck. Ich denke an den Brief, den ich morgen schreiben muß an Kemmerichs Mutter. Mich friert. Ich muchte einen Schnaps trinken. Muller rupft Gruser aus und kaut daran. Plutzlich wirft der kleine Kropp seine Zigarette weg, trampelt wild darauf herum, sieht sich um, mit einem aufgelusten und versturten Gesicht, und stammelt: "Verfluchte Scheiße, diese verfluchte Scheiße." Wir gehen weiter, eine lange Zeit. Kropp hat sich beruhigt, wir kennen das, es ist der Frontkoller, jeder hat ihn mal. Muller fragt ihn: "Was hat dir der Kantorek eigentlich geschrieben?" Er lacht: "Wir wuren die eiserne Jugend." Wir lachen alle drei urgerlich. Kropp schimpft; er ist froh, daß er reden kann. - Ja, so denken sie, so denken sie, die hunderttausend Kantoreks! Eiserne Jugend. Jugend! Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre. Aber jung? Jugend? Das ist lange her. Wir sind alte Leute. 2 Es ist fur mich sonderbar, daran zu denken, daß zu Hause, in einer Schreibtischlade, ein angefangenes Drama "Saul" und ein Stoß Gedichte liegen. Manchen Abend habe ich daruber verbracht, wir haben ja fast alle so etwas uhnliches gemacht; aber es ist mir so unwirklich geworden, daß ich es mir nicht mehr richtig vorstellen kann. Seit wir hier sind, ist unser fruheres Leben abgeschnitten, ohne daß wir etwas dazu getan haben. Wir versuchen manchmal, einen uberblick und eine Erklurung dafur zu gewinnen, doch es gelingt uns nicht recht. Gerade fur uns Zwanzigjuhrige ist alles besonders unklar, fur Kropp, Muller, Leer, mich, fur uns, die Kantorek als eiserne Jugend bezeichnet. Die ulteren Leute sind alle fest mit dem Fruheren verbunden, sie haben Grund, sie haben Frauen, Kinder, Berufe und Interessen, die schon so stark sind, daß der Krieg sie nicht zerreißen kann. Wir Zwanzigjuhrigen aber haben nur unsere Eltern und manche ein Mudchen. Das ist nicht viel - denn in unserm Alter ist die Kraft der Eltern am schwuchsten, und die Mudchen sind noch nicht beherrschend. Außer diesem gab es ja bei uns nicht viel anderes mehr; etwas Schwurmertum, einige Liebhabereien und die Schule; weiter reichte unser Leben noch nicht. Und davon ist nichts geblieben. Kantorek wurde sagen, wir hutten gerade an der Schwelle des Daseins gestanden. So uhnlich ist es auch. Wir waren noch nicht eingewurzelt. Der Krieg hat uns weggeschwemmt. Fur die andern, die ulteren, ist er eine Unterbrechung, sie kunnen uber ihn hinausdenken. Wir aber sind von ihm ergriffen worden und wissen nicht, wie das enden soll. Was wir wissen, ist vorluufig nur, daß wir auf eine sonderbare und schwermutige Weise verroht sind, obschon wir nicht einmal oft mehr traurig werden. Wenn Muller gern Kemmerichs Stiefel haben will, so ist er deshalb nicht weniger teilnahmsvoll als jemand, der vor Schmerz nicht daran zu denken wagte. Er weiß nur zu unterscheiden. Wurden die Stiefel Kemmerich etwas nutzen, dann liefe Muller lieber barfuß uber Stacheldraht, als groß zu uberlegen, wie er sie bekommt. So aber sind die Stiefel etwas, das gar nichts mit Kemmerichs Zustand zu tun hat, wuhrend Muller sie gut verwenden kann. Kemmerich wird sterben, einerlei, wer sie erhult. Warum soll deshalb Muller nicht dahinter her sein, er hat doch mehr Anrecht darauf als ein Sanituter! Wenn Kemmerich erst tot ist, ist es zu sput. Deshalb paßt Muller eben jetzt schon auf. Wir haben den Sinn fur andere Zusammenhunge verloren, weil sie kunstlich sind. Nur die Tatsachen sind richtig und wichtig fur uns. Und gute Stiefel sind selten. Fruher war auch das anders. Als wir zum Bezirkskommando gingen, waren wir noch eine Klasse von zwanzig jungen Menschen, die sich, manche zum ersten Male, ubermutig gemeinsam rasieren ließ, bevor sie den Kasernenhof betrat. Wir hatten keine festen Plune fur die Zukunft, Gedanken an Karriere und Beruf waren bei den wenigsten praktisch bereits so bestimmt, daß sie eine Daseinsform bedeuten konnten; - dafur jedoch steckten wir voll Ungewisser Ideen, die dem Leben und auch dem Kriege in unseren Augen einen idealisierten und fast romantischen Charakter verliehen. Wir wurden zehn Wochen militurisch ausgebildet und in dieser Zeit entscheidender umgestaltet als in zehn Jahren Schulzeit. Wir lernten, daß ein geputzter Knopf wichtiger ist als vier Bunde Schopenhauer. Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichgultig erkannten wir, daß nicht der Geist ausschlaggebend zu sein schien, sondern die Wichsburste, nicht der Gedanke, sondern das System, nicht die Freiheit, sondern der Drill. Mit Begeisterung und gutem Willen waren wir Soldaten geworden; aber man tat alles, um uns das auszutreiben. Nach drei Wochen war es uns nicht mehr unfaßlich, daß ein betreßter Brieftruger mehr Macht uber uns besaß als fruher unsere Eltern, unsere Erzieherund sumtliche Kulturkreise von Plato bis Goethe zusammen. Mit unseren jungen, wachen Augen sahen wir, daß der klassische Vaterlandsbegriff unserer Lehrer sich hier vorluufig realisierte zu einem Aufgeben der Persunlichkeit, wie man es dem geringsten Dienstboten nie zugemutet haben wurde. Grußen, Strammstehen, Parademarsch, Gewehrprusentieren, Rechtsum, Linksum, Hackenzusammenschlagen, Schimpfereien und tausend Schikanen: wir hatten uns unsere Aufgabe anders gedacht und fanden, daß wir auf das Heldentum wie Zirkuspferde vorbereitet wurden. Aber wir gewuhnten uns bald daran. Wir begriffen sogar, daß ein Teil dieser Dinge notwendig, ein anderer aber ebenso uberflussig war. Der Soldat hat dafur eine feine Nase. Zu dreien und vieren wurde unsere Klasse uber die Korporalschaften verstreut, zusammen mit friesischen Fischern, Bauern, Arbeitern und Handwerkern, mit denen wir uns schnell anfreundeten. Kropp, Muller, Kemmerich und ich kamen zur neunten Korporalschaft, die der Unteroffizier Himmelstoß fuhrte. Er galt als der schurfste Schinder des Kasernenhofes, und das war sein Stolz. Ein kleiner, untersetzter Kerl, der zwulf Jahre gedient hatte, mit fuchsigem, aufgewirbeltem Schnurrbart, im Zivilberuf Brieftruger. Auf Kropp, Tjaden, Westhus und mich hatte er es besonders abgesehen, weil er unsern stillen Trotz spurte. Ich habe an einem Morgen vierzehnmal sein Bett gebaut. Immer wieder fand er etwas daran auszusetzen und riß es herunter. Ich habe in zwanzigstundiger Arbeit - mit Pausen naturlich - ein Paar uralte, steinharte Stiefel so butterweich geschmiert, daß selbst Himmelstoß nichts mehr daran auszusetzen fand; - ich habe auf seinen Befehl mit einer Zahnburste die Korporalschaftsstube sauber geschrubbt; - Kropp und ich haben uns mit einer Handburste und einem Fegeblech an den Auftrag gemacht, den Kasernenhof vom Schnee reinzufegen, und wir hutten durchgehalten bis zum Erfrieren, wenn nicht zufullig ein Leutnant aufgetaucht wure, der uns fortschickte und Himmelstoß muchtig anschnauzte. Die Folge war leider nur, daß Himmelstoß um so wutender auf uns wurde. Ich habe vier Wochen hintereinander jeden Sonntag Wache geschoben und ebensolange Stubendienst gemacht; - ich habe in vollem Gepuck mit Gewehrauf losem, nassem Sturzacker "Sprung auf, marsch, marsch" und "Hinlegen" geubt, bis ich ein Dreckklumpen war und zusammenbrach; - ich habe vier Stunden sputer Himmelstoß mein tadellos gereinigtes Zeug vorgezeigt, allerdings mit blutig geriebenen Hunden; - ich habe mit Kropp, Westhus und Tjaden ohne Handschuhe bei scharfem Frost eine Viertelstunde "Stillgestanden" geubt, die bloßen Finger am eisigen Gewehrlauf, lauernd umschlichen von Himmelstoß, der auf die geringste Bewegung wartete, um ein Vergehen festzustellen; - ich bin nachts um zwei Uhr achtmal im Hemd vom ob ersten Stock der Kaserne heruntergerannt bis auf den Hof, weil meine Unterhose einige Zentimeter uber den Rand des Schemels hinausragte, auf dem jeder seine Sachen aufschichten mußte. Neben mir lief der Unteroffizier vom Dienst, Himmelstoß, und trat mir auf die Zehen; - ich habe beim Bajonettieren stundig mit Himmelstoß fechten mussen, wobei ich ein schweres Eisengestell und er ein handliches Holzgewehr hatte, so daß er mir bequem die Arme braun und blau schlagen konnte; allerdings geriet ich dabei einmal so in Wut, daß ich ihn blindlings uberrannte und ihm einen derartigen Stoß vor den Magen gab, daß er umfiel. Als er sich beschweren wollte, lachte ihn der Kompaniefuhrer aus und sagte, er solle doch aufpassen; erkannte seinen Himmelstoß und schien ihm den Reinfall zu gunnen. - Ich habe mich zu einem perfekten Kletterer auf die Spinde entwickelt; - ich suchte allmuhlich auch im Kniebeugen meinen Meister; - wir haben gezittert, wenn wir nur seine Stimme hurten, aber kleingekriegt hat uns dieses wildgewordene Postpferd nicht. Als Kropp und ich im Barackenlager sonntags an einer Stange die Latrineneimer uber den Hof schleppten und Himmelstoß, blitzblank geschniegelt, zum Ausgehen bereit, gerade vorbeikam, sich vor uns hinstellte und fragte, wie uns die Arbeit gefiele, markierten wir trotz allem ein Stolpern und gussen ihm den Eimer uber die Beine. Er tobte, aber das Maß war voll. "Das setzt Festung", schrie er. Kropp hatte genug. "Vorher aber eine Untersuchung, und da werden wir auspacken", sagte er. "Wie reden Sie mit einem Unteroffizier!" brullte Himmelstoß, "sind Sie verruckt geworden? Warten Sie, bis Sie gefragt werden! Was wollen Sie tun?" "uber Herrn Unteroffizier auspacken!" sagte Kropp und nahm die Finger an die Hosennaht. Himmelstoß merkte nun doch, was los war, und schob ohne ein Wort ab. Bevor er verschwand, krakehlte er zwar noch: "Das werde ich euch eintrunken", - aber es war vorbei mit seiner Macht. Er versuchte es noch einmal in den Sturzuckern mit "Hinlegen" und "Sprung auf, marsch, marsch". Wir befolgten zwar jeden Befehl; denn Befehl ist Befehl, er muß ausgefuhrt werden. Aber wir fuhrten ihn so langsam aus, daß Himmelstoß in Verzweiflung geriet. Gemutlich gingen wir auf die Knie, dann auf die Arme und so fort; inzwischen hatte er schon wutend ein anderes Kommando gegeben. Bevor wir schwitzten, war er heiser. Er ließ uns dann in Ruhe. Zwar bezeichnete er uns immer noch als Schweinehunde. Aber es lag Achtung darin. Es gab auch viele anstundige Korporale, die vernunftiger waren; die anstundigen waren sogar in der uberzahl. Aber vor allem wollte jeder seinen guten Posten hier in der Heimat so lange behalten wie muglich, und das konnte er nur, wenn er stramm mit den Rekruten war. Uns ist dabei wohl jeder Kasernenhofschliff zuteil geworden, der muglich war, und oft haben wir vor Wut geheult. Manche von uns sind auch krank dadurch geworden. Wolf ist sogar an Lungenentzundung gestorben. Aber wir wuren uns lucherlich vorgekommen, wenn wir klein beigegeben hutten. Wir wurden hart, mißtrauisch, mitleidlos, rachsuchtig, roh - und das war gut; denn diese Eigenschaften fehlten uns gerade. Hutte man uns ohne diese Ausbildungszeit in den Schutzengraben geschickt, dann wuren wohl die meisten von uns verruckt geworden. So aber waren wir vorbereitet fur das, was uns erwartete. Wir zerbrachen nicht, wir paßten uns an; unsere zwanzig Jahre, die uns manches andere so schwer machten, halfen uns dabei. Das Wichtigste aber war, daß in uns ein festes, praktisches Zusammen gehurigkeitsgefuhl erwachte, das sich im Felde dann zum Besten steigerte, was der Krieg hervorbrachte: zur Kameradschaft! Ich sitze am Bette Kemmerichs. Er verfullt mehr und mehr. Um uns ist viel Radau. Ein Lazarettzug ist angekommen, und die transportfuhigen Verwundeten werden ausgesucht. An Kemmerichs Bett geht der Arzt vorbei, er sieht ihn nicht einmal an. "Das nuchstemal, Franz", sage ich. Er hebt sich in den Kissen auf die Ellbogen. "Sie haben mich amputiert." Das weiß er also doch jetzt. Ich nicke und antworte: "Sei froh, daß du so weggekommen bist." Er schweigt. Ich rede weiter: "Es konnten auch beide Beine sein, Franz. Wegeler hat den rechten Arm verloren. Das ist viel schlimmer. Du kommst ja auch nach Hause." Er sieht mich an. "Meinst du?" "Naturlich." Er wiederholt: "Meinst du?" " Sicher, Franz. Du mußt dich nur erst von der Operation erholen." Er winkt mir, heranzurucken. Ich beuge mich uber ihn, und er flustert: "Ich glaube es nicht." "Rede keinen Quatsch, Franz, in ein paar Tagen wirst du es selbst einsehen. Was ist das schon groß: ein amputiertes Bein; hier werden ganz andere Sachen wieder zurechtgepflastert." Er hebt eine Hand hoch. "Sieh dir das mal an, diese Finger." "Das kommt von der Operation. Futtere nur ordentlich, dann wirst du schon aufholen. Habt ihr anstundige Verpflegung?" Er zeigt auf eine Schussel, die noch halb voll ist. Ich gerate in Erregung. "Franz, du mußt essen. Essen ist die Hauptsache. Das ist doch ganz gut hier." Er wehrt ab. Nach einer Pause sagt er langsam: "Ich wollte mal Oberfurster werden." "Das kannst du noch immer", truste ich. "Es gibt jetzt großartige Prothesen, du merkst damit gar nicht, daß dir etwas fehlt. Sie werden an die Muskeln angeschlossen. Bei Handprothesen kann man die Finge