/u>tliche Helle steht am Horizont von einem Ende zum andern. Sie ist in stundiger Bewegung, durchzuckt vom Mundungsfeuer der Batterien. Leuchtkugeln steigen daruber hoch, silberne und rote Bulle, die zerplatzen und in weißen, grunen und roten Sternen niederregnen. Franzusische Raketen schießen auf, die in der Luft einen Seidenschirm entfalten und ganz langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis zu uns dringt ihr Schein, wir sehen unsere Schatten scharf am Boden. Minutenlang schweben sie, ehe sie ausgebrannt sind. Sofort steigen neue hoch, uberall, und dazwischen wieder die grunen, roten und blauen. "Schlamassel", sagt Kat. Das Gewitter der Geschutze versturkt sich zu einem einzigen dumpfen Druhnen und zerfullt dann wieder in Gruppeneinschluge. Die trockenen Salven der Maschinengewehre knarren. uber uns ist die Luft erfullt von unsichtbarem Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschosse; - dazwischen orgeln aber auch die großen Kohlenkusten, die ganz schweren Brocken durch die Nacht und landen weit hinteruns. Sie haben einen ruhrenden, heiseren, entfernten Ruf, wie Hirsche in der Brunft, und ziehen hoch uber dem Geheul und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn. Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie rutschen daruber hin wie riesige, am Ende dunner werdende Lineale. Einer steht still und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein schwarzes Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger. Er wird unsicher, geblendet und taumelt. Wir rammen die Eisenpfuhle in regelmußigen Abstunden fest. Immer zwei Mann halten eine Rolle, die andern spulen den Stacheldraht ab. Es ist der ekelhafte Draht mit den dichtstehenden, langen Stacheln. Ich bin das Abrollen nicht mehr gewuhnt und reiße mir die Hand auf. Nach einigen Stunden sind wir fertig Aber wir haben noch Zeit, bis die Lastwagen kommen. Die meisten von uns legen sich hin und schlafen. Ich versuche es auch. Doch es wird zu kuhl. Man merkt, daß wir nahe am Meere sind, man wacht vor Kulte immer wieder auf. Einmal schlafe ich fest. Als ich plutzlich mit einem Ruck hochfliege, weiß ich nicht, wo ich bin. Ich sehe die Sterne, ich sehe die Raketen und habe einen Augenblick den Eindruck, auf einem Fest im Garten eingeschlafen zu sein. Ich weiß nicht, ob es Morgen oder Abend ist, ich liege in der bleichen Wiege der Dummerung und warte auf weiche Worte, die kommen mussen, weich und geborgen - weine ich? Ich fasse nach meinen Augen, es ist so wunderlich, bin ich ein Kind? Sanfte Haut; - nur eine Sekunde wuhrt es, dann erkenne ich die Silhouette Katczinskys. Er sitzt ruhig, der alte Soldat, und raucht eine Pfeife, eine Deckelpfeife naturlich. Als er bemerkt, daß ich wach bin, sagt er nur: "Du bist schun zusammengefahren. Es war nur ein Zunder, er ist da ins Gebusch gesaust." Ich setze mich hoch, ich fuhle mich sonderbar allein. Es ist gut, daß Kat da ist. Er sieht gedankenvoll zur Front und sagt: "Ganz schunes Feuerwerk, wenn's nicht so gefuhrlich wure." Hinter uns schlugt es ein. Ein paar Rekruten fahren erschreckt auf. Nach ein paar Minuten funkt es wieder heruber, nuher als vorher. Kat klopft seine Pfeife aus. "Es gibt Zunder." Schon geht es los. Wir kriechen weg, so gut es in der Eile geht. Der nuchste Schuß sitzt bereits zwischen uns. Ein paar Leute schreien. Am Horizont steigen grune Raketen auf. Der Dreck fliegt hoch, Splitter surren. Man hurt sie noch aufklatschen, wenn der Lurm der Einschluge lungst wieder verstummt ist. Neben uns liegt ein verungstigter Rekrut, ein Flachskopf. Er hat das Gesicht in die Hunde gepreßt. Sein Helm ist weggepurzelt. Ich fische ihn heran und will ihn auf seinen Schudel stulpen. Er sieht auf, stußt den Helm fort und kriecht wie ein Kind mit dem Kopf unter meinen Arm, dicht an meine Brust. Die schmalen Schultern zucken. Schultern, wie Kemmerich sie hatte. Ich lasse ihn gewuhren. Damit der Helm aber wenigstens zu etwas nutze ist, packe ich ihn auf seinen Hintern, nicht aus Bludsinn, sondern aus uberlegung, denn das ist der huchste Fleck. Wenn da zwar auch dickes Fleisch sitzt, Schusse hinein sind doch verflucht schmerzhaft, außerdem muß man monatelang im Lazarett auf dem Bauch liegen und nachher ziemlich sicher hinken. Irgendwo hat es muchtig eingehauen. Man hurt Schreien zwischen den Einschlugen. Endlich wird es ruhig. Das Feuer ist uber uns hinweggefegt und liegt nun auf den letzten Reservegruben. Wir riskieren einen Blick. Rote Raketen flattern am Himmel. Wahrscheinlich kommt ein Angriff. Bei uns bleibt es ruhig. Ich setze mich auf und ruttele den Rekruten an der Schulter. "Vorbei, Kleiner! Ist noch mal gutgegangen." Er sieht sich versturt um. Ich rede ihm zu: "Wirst dich schon gewuhnen." Er bemerkt seinen Helm und setzt ihn auf. Langsam kommt er zu sich. Plutzlich wird er feuerrot und hat ein verlegenes Aussehen. Vorsichtig langt er mit der Hand nach hinten und sieht mich gequult an. Ich verstehe sofort: Kanonenfieber. Dazu hatte ich ihm eigentlich den Helm nicht gerade dorthingepackt - aber ich truste ihn doch: "Das ist keine Schande, es haben schon ganz andere Leute als du nach ihrem ersten Feueruberfall die Hosen voll gehabt. Geh hinter den Busch da und schmeiß deine Unterhose weg. Erledigt -" Er trollt sich. Es wird stiller, doch das Schreien hurt nicht auf. "Was ist los, Albert?" frage ich. "Druben haben ein paar Kolonnen Volltreffer gekriegt." Das Schreien dauert an. Es sind keine Menschen, sie kunnen nicht so furchtbar schreien. Kat sagt: "Verwundete Pferde." Ich habe noch nie Pferde schreien gehurt und kann es kaum glauben. Es ist der Jammer der Welt, es ist die gemarterte Kreatur, ein wilder, grauenvoller Schmerz, der da stuhnt. Wir sind bleich. Detering richtet sich auf. "Schinder, Schinder! Schießt sie doch ab!" Er ist Landwirt und mit Pferden vertraut. Es geht ihm nahe. Und als wure es Absicht, schweigt das Feuer jetzt beinahe. Um so deutlicher wird das Schreien der Tiere. Man weiß nicht mehr, woher es kommt in dieser jetzt so stillen, silbernen Landschaft, es ist unsichtbar, geisterhaft, uberall, zwischen Himmel und Erde, es schwillt unermeßlich an - Detering wird wutend und brullt: "Erschießt sie, erschießt sie doch, verflucht noch mal!" "Sie mussen doch erst die Leute holen", sagt Kat. Wir stehen auf und suchen, wo die Stelle ist. Wenn man die Tiere erblickt, wird es besser auszuhalten sein. Meyer hat ein Glas bei sich. Wir sehen eine dunkle Gruppe Sanituter mit Tragbahren und schwarze, grußere Klumpen, die sich bewegen. Das sind die verwundeten Pferde. Aber nicht alle. Einige galoppieren weiter entfernt, brechen nieder und rennen weiter. Einem ist der Bauch aufgerissen, die Gedurme hungen lang heraus. Es verwickelt sich darin und sturzt, doch es steht wieder auf. Detering reißt das Gewehr hoch und zielt. Kat schlugt es in die Luft. "Bist du verruckt -?" Detering zittert und wirft sein Gewehr auf die Erde. Wir setzen uns hin und halten uns die Ohren zu. Aber dieses entsetzliche Klagen und Stuhnen und Jammern schlugt durch, es schlugt uberall durch. Wir kunnen alle etwas vertragen. Hier aber bricht uns der Schweiß aus. Man muchte aufstehen und fortlaufen, ganz gleich wohin, nur um das Schreien nicht mehr zu huren. Dabei sind es doch keine Menschen, sondern nur Pferde. Von dem dunklen Knuuel lusen sich wieder Tragbahren. Dann knallen einzelne Schusse. Die Klumpen zucken und werden flacher. Endlich! Aber es ist noch nicht zu Ende. Die Leute kommen nicht an die verwundeten Tiere heran, die in ihrer Angst fluchten, allen Schmerz in den weit aufgerissenen Muulern. Eine der Gestalten geht aufs Knie, ein Schuß - ein Pferd bricht nieder, - noch eins. Das letzte stemmt sich auf die Vorderbeine und dreht sich im Kreise wie ein Karussell, sitzend dreht es sich auf den hochgestemmten Vorderbeinen im Kreise, wahrscheinlich ist der Rucken zerschmettert. Der Soldat rennt hin und schießt es nieder. Langsam, demutig rutscht es zu Boden. Wir nehmen die Hunde von den Ohren. Das Schreien ist verstummt. Nur ein langgezogener, ersterbender Seufzer hungt noch in der Luft. Dann sind wieder nur die Raketen, das Granatensingen und die Sterne da - und das ist fast sonderbar. Detering geht und flucht: "Muchte wissen, was die fur Schuld haben." Er kommt nachher noch einmal heran. Seine Stimme ist erregt, sie klingt beinahe feierlich, als er sagt: "Das sage ich euch, es ist die allergrußte Gemeinheit, daß Tiere im Krieg sind." Wir gehen zuruck. Es ist Zeit, zu unseren Wagen zu gelangen. Der Himmel ist eine Spur heller geworden. Drei Uhr morgens. Der Wind ist frisch und kuhl, die fahle Stunde macht unsere Gesichter Wir tappen uns vorwurts im Gunsemarsch durch die Gruben und Trichter und gelangen wieder in die Nebelzone. Katczinsky ist unruhig, das ist ein schlechtes Zeichen. "Was hast du, Kat?" fragt Kropp. "Ich wollte, wir wuren erst zu Hause." - Zu Hause," er meint die Baracken. "Dauert nicht mehr lange, Kat." Er ist nervus. "Ich weiß nicht, ich weiß nicht -" Wir kommen in die Laufgruben und dann in die Wiesen. Das Wuldchen taucht auf; wir kennen hier jeden Schritt Boden. Da ist der Jugerfriedhof schon mit den Hugeln und den schwarzen Kreuzen. In diesem Augenblick pfeift es hinter uns, schwillt, kracht, donnert. Wir haben uns gebuckt - hundert Meter vor uns schießt eine Feuerwolke empor. In der nuchsten Minute hebt sich ein Stuck Wald unter einem zweiten Einschlag langsam uber die Gipfel, drei, vier Buume segeln mit und brechen dabei in Stucke. Schon zischen wie Kesselventile die folgenden Granaten heran - scharfes Feuer - "Deckung!" brullt jemand - "Deckung!" - Die Wiesen sind flach, der Wald ist zu weit und gefuhrlich; - es gibt keine andere Deckung als den Friedhof und die Gruberhugel. Wir stolpern im Dunkel hinein, wie hingespuckt klebt jeder gleich hinter einem Hugel. Keinen Moment zu fruh. Das Dunkel wird wahnsinnig. Es wogt und tobt. Schwurzere Dunkelheiten als die Nacht rasen mit Riesenbuckeln auf uns los, uber uns hinweg. Das Feuer der Explosionen uberflackert den Friedhof. Nirgendwo ist ein Ausweg. Ich wage im Aufblitzen der Granaten einen Blick auf die Wiesen. Sie sind ein aufgewuhltes Meer, die Stichflammen der Geschosse springen wie Fontunen heraus. Es ist ausgeschlossen, daß jemand daruber hinwegkommt. Der Wald verschwindet, er wird zerstampft, zerfetzt, zerrissen. Wir mussen hier auf dem Friedhof bleiben. Vor uns birst die Erde. Es regnet Schollen. Ich spure einen Ruck. Mein urmel ist aufgerissen durch einen Splitter. Ich balle die Faust. Keine Schmerzen. Doch das beruhigt mich nicht, Verletzungen schmerzen stets erst sputer. Ich fahre uber den Arm. Er ist angekratzt, aber heil. Da knallt es gegen meinen Schudel, daß mir das Bewußtsein verschwimmt. Ich habe den blitzartigen Gedanken: Nicht ohnmuchtig werden!, versinke in schwarzem Brei und komme sofort wieder hoch. Ein Splitter ist gegen meinen Helm gehauen, er kam so weit her, daß er nicht durchschlug. Ich wische mir den Dreck aus den Augen. Vor mir ist ein Loch aufgerissen, ich erkenne es undeutlich. Granaten treffen nicht leicht in denselben Trichter, deshalb will ich hinein. Mit einem Satze schnelle ich mich lang vor, flach wie ein Fisch uber den Boden, da pfeift es wieder, rasch krieche ich zusammen, greife nach der Deckung, fuhle links etwas, presse mich daneben, es gibt nach, ich stuhne, die Erde zerreißt, der Luftdruck donnert in meinen Ohren, ich krieche unter das Nachgebende, decke es uber mich, es ist Holz, Tuch, Deckung, Deckung, armselige Deckung vor herabschlagenden Splittern. Ich uffne die Augen, meine Finger halten einen urmel umklammert, einen Arm. Ein Verwundeter? Ich schreie ihm zu, keine Antwort - ein Toter. Meine Hand faßt weiter, in Holzsplitter, da weiß ich wieder, daß wir auf dem Friedhof liegen. Aber das Feuer ist sturker als alles andere. Es vernichtet die Besinnung, ich krieche nur noch tiefer unter den Sarg, er soll mich schutzen, und wenn der Tod selber in ihm liegt. Vor mir klafft der Trichter. Ich fasse ihn mit den Augen wie mit Fuusten, ich muß mit einem Satz hinein. Da erhalte ich einen Schlag ins Gesicht, eine Hand klammert sich um meine Schulter - ist der Tote wieder erwacht? - Die Hand schuttelt mich, ich wende den Kopf, in sekundenkurzem Licht starre ich in das Gesicht Katczinskys, er hat den Mund weit offen und brullt, ich hure nichts, er ruttelt mich, nuhert sich; in einem Moment des Abschwellens erreicht mich seine Stimme: "Gas - Gaaas - Gaaas! -Weitersagen!" Ich reiße die Gaskapsel heran. Etwas entfernt von mir liegt jemand. Ich denke an nichts mehr als an dies: Der dort muß es wissen: "Gaaas - Gaaas -!" Ich rufe, schiebe mich heran, schlage mit der Kapsel nach ihm, er merkt nichts - noch einmal, noch einmal - er duckt sich nur - es ist ein Rekrut - ich sehe verzweifelt nach Kat, er hat die Maske vor - ich reiße meine auch heraus, der Helm fliegt beiseite, sie streift sich uber mein Gesicht, ich erreiche den Mann, am nuchsten liegt mir seine Kapsel, ich fasse die Maske, schiebe sie uber seinen Kopf, er greift zu - ich lasse los - und liege plutzlich mit einem Ruck im Trichter. Der dumpfe Knall der Gasgranaten mischt sich in das Krachen der Explosivgeschosse. Eine Glocke druhnt zwischen die Explosionen, Gongs, Metallklappern kunden uberallhin - Gas - Gas - Gaas - Hinter mir plumpst es, einmal, zweimal. Ich wische die Augenscheiben meiner Maske vom Atemdunst sauber. Es sind Kat, Kropp und noch jemand. Wir liegen zu viert in schwerer, lauernder Anspannung und atmen so schwach wie muglich. Die ersten Minuten mit der Maske entscheiden uber Leben und Tod: ist sie dicht? Ich kenne die furchtbaren Bilder aus dem Lazarett: Gaskranke, die m tagelangem Wurgen die verbrannten Lungen stuckweise auskotzen. Vorsichtig, den Mund auf die Patrone gedruckt, atme ich. Jetzt schleicht der Schwaden uber den Boden und sinkt in alle Vertiefungen. Wie ein weiches, breites Quallentier legt er sich in unseren Trichter, rukelt sich hinein. Ich stoße Kat an: es ist besser herauszukriechen und oben zu liegen, als hier, wo das Gas sich am meisten sammelt. Doch wir kommen nicht dazu, ein zweiter Feuerhagel beginnt. Es ist, als ob nicht mehr die Geschosse brullen; es ist, als ob die Erde selbst tobt. Mit einem Krach saust etwas Schwarzes zu uns herab. Hart neben uns schlugt es ein, ein hochgeschleuderter Sarg. Ich sehe Kat sich bewegen und krieche hinuber. Der Sarg ist dem vierten in unserem Loch auf den ausgestreckten Arm geschlagen. Der Mann versucht, mit der andern Hand die Gasmaske abzureißen. Kropp greift rechtzeitig zu, biegt ihm die Hand hart auf den Rucken und hult sie fest. Kat und ich gehen daran, den verwundeten Arm frei zu machen. Der Sargdeckel ist lose und geborsten, wir kunnen ihn leicht abreißen, den Toten werfen wir hinaus, er sackt nach unten, dann versuchen wir, den unteren Teil zu lockern. Zum Gluck wird der Mann bewußtlos, und Albert kann uns helfen. Wir brauchen nun nicht mehr so behutsam zu sein und arbeiten, was wir kunnen, bis der Sarg mit einem Seufzer nachgibt unter dem daruntergesteckten Spaten. Es ist heller geworden. Kat nimmt ein Stuck des Deckels, legt es unter den zerschmetterten Arm, und wir binden alle unsere Verbandspuckchen darum. Mehr kunnen wir im Moment nicht tun. Mein Kopf brummt und druhnt in der Gasmaske, er ist nahe am Platzen. Die Lungen sind angestrengt, sie haben nur immer wieder denselben heißen, verbrauchten Atem, die Schlufenadern schwellen, man glaubt zu ersticken - Graues Licht sickert zu uns herein. Wind fegt uber den Friedhof. Ich schiebe mich uber den Rand des Trichters. In der schmutzigen Dummerung liegt vor mir ein ausgerissenes Bein, der Stiefel ist vollkommen heil, ich sehe das alles ganz deutlich im Augenblick. Aber jetzt erhebt sich wenige Meter weiter jemand, ich putze die Fenster, sie beschlagen mir vor Aufregung sofort wieder, ich starre hinuber - der Mann dort trugt keine Gasmaske mehr. Noch Sekunden warte ich - er bricht nicht zusammen, er blickt suchend umher und macht einige Schritte - der Wind hat das Gas zerstreut, die Luft ist frei - da zerre ich ruchelnd ebenfalls die Maske weg und falle hin, wie kaltes Wasser strumt die Luft in mich hinein, die Augen wollen brechen, die Welle uberschwemmt mich und luscht mich dunkel aus. Die Einschluge haben aufgehurt. Ich drehe mich zum Trichter und winke den andern. Sie klettern herauf und reißen sich die Masken herunter. Wir umfassen den Verwundeten, einer nimmt seinen geschienten Arm. So stolpern wir hastig davon. Der Friedhof ist ein Trummerfeld. Surge und Leichen liegen verstreut. Sie sind noch einmal getutet worden; aber jeder von ihnen, der zerfetzt wurde, hat einen von uns gerettet. Der Zaun ist verwustet, die Schienen der Feldbahn druben sind aufgerissen, sie starren hochgebogen in die Luft. Vor uns liegt jemand. Wir halten an, nur Kropp geht mit dem Verwundeten weiter. Der am Boden ist ein Rekrut. Seine Hufte ist blutverschmiert; er ist so erschupft, daß ich nach meiner Feldflasche greife, in der ich Rum mit Tee habe. Kat hult meine Hand zuruck und beugt sich uber ihn: "Wo hat's dich erwischt, Kamerad?" Er bewegt die Augen; er ist zu schwach zum Antworten. Wir schneiden vorsichtig die Hose auf. Er stuhnt. "Ruhig, ruhig, es wird ja besser -" Wenn er einen Bauchschuß hat, darf er nichts trinken. Er hat nichts erbrochen, das ist gunstig. Wir legen die Hufte bloß. Sie ist ein einziger Fleischbrei mit Knochensplittern. Das Gelenk ist getroffen. Dieser Junge wird nie mehr gehen kunnen. Ich wische ihm mit dem befeuchteten Finger uber die Schlufe und gebe ihm einen Schluck. In seine Augen kommt Bewegung. Jetzt erst sehen wir, daß auch der rechte Arm blutet. Kat zerfasert zwei Verbandspuckchen so breit wie muglich, damit sie die Wunde decken. Ich suche nach Stoff, um ihn lose daruberzuwickeln. Wir haben nichts mehr, deshalb schlitze ich dem Verwundeten das Hosenbein weiter auf, um ein Stuck seiner Unterhose als Binde zu verwenden. Aber er trugt keine. Ich sehe ihn genauer an: es ist der Flachskopf von vorhin. Kat hat inzwischen aus den Taschen eines Toten noch Puckchen geholt, die wir vorsichtig an die Wunde schieben. Ich sage dem Jungen, der uns unverwandt ansieht: "Wir holen jetzt eine Bahre." Da uffnet er den Mund und flustert: "Hierbleiben -" Kat sagt: "Wir kommen ja gleich wieder. Wir holen fur dich eine Bahre." Man kann nicht erkennen, ob er verstanden hat; er wimmert wie ein Kind hinter uns her: "Nicht weggehen -" Kat sieht sich um und flustert: "Sollte man da nicht einfach einen Revolver nehmen, damit es aufhurt?" Der Junge wird den Transport kaum uberstehen, und huchstens kann es noch einige Tage mit ihm dauern. Alles bisher aber wird nichts sein gegen diese Zeit, bis er stirbt. Jetzt ist er noch betuubt und fuhlt nichts. In einer Stunde wird er ein kreischendes Bundel unertruglicher Schmerzen werden. Die Tage, die er noch leben kann, bedeuten fur ihn eine einzige rasende Qual. Und wem nutzt es, ob er sie noch hat oder nicht - Ich nicke. "Ja, Kat, man sollte einen Revolver nehmen." " Gib her", sagt er und bleibt stehen. Er ist entschlossen, ich sehe es. Wir blicken uns um, aber wir sind nicht mehr allein. Vor uns sammelt sich ein Huuflein, aus den Trichtern und Grubern kommen Kupfe. Wir holen eine Bahre. Kat schuttelt den Kopf. " So junge Kerle" - Er wiederholt es: "So junge, unschuldige Kerle -" Unsere Verluste sind geringer, als anzunehmen war: funf Tote und acht Verwundete. Es war nur ein kurzer Feueruberfall. Zwei von unseren Toten liegen in einem der aufgerissenen Gruber; wir brauchen sie bloß zuzubuddeln. Wir gehen zuruck. Schweigend trotten wir im Gunsemarsch hintereinander her. Die Verwundeten werden zur Sanitutsstation gebracht. Der Morgen ist trube, die Krankenwurter laufen mit Nummern und Zetteln, die Verletzten wimmern. Es beginnt zu regnen. Nach einer Stunde haben wir unsere Wagen erreicht und klettern hinauf. Jetzt ist mehr Platz als vorher da. Der Regen wird sturker. Wir breiten Zeltbahnen aus und legen sie auf unsere Kupfe. Das Wasser trommelt darauf nieder. An den Seiten fließen die Regenstruhnen ab. Die Wagen platschen durch die Lucher, und wir wiegen uns im Halbschlaf hin und her. Zwei Mann vorn im Wagen haben lange gegabelte Stucke bei sich. Sie achten auf die Telefondruhte, die quer uber die Straße hungen, so tief, daß sie unsere Kupfe wegreißen kunnen. Die beiden Leute fangen sie mit ihren gegabelten Stucken auf und heben sie uber uns hinweg. Wir huren ihren Ruf: "Achtung - Draht", und im Halbschlaf gehen wir in die Kniebeuge und richten uns wieder auf. Monoton pendeln die Wagen, monoton sind die Rufe, monoton rinnt der Regen. Er rinnt auf unsere Kupfe und auf die Kupfe der Toten vorn, auf den Kurper des kleinen Rekruten mit der Wunde, die viel zu groß fur seine Hufte ist, er rinnt auf das Grab Kemmerichs, er rinnt auf unsere Herzen. Ein Einschlag hallt irgendwo. Wir zucken auf, die Augen sind gespannt, die Hunde wieder bereit, um die Kurper uber die Wunde des Wagens in den Straßengraben zu werfen. Es kommt nichts weiter. - Monoton nur die Rufe: "Achtung - Draht" - wir gehen in die Knie, wir sind wieder im Halbschlaf. 5 Es ist beschwerlich, die einzelne Laus zu tuten, wenn man Hunderte hat. Die Tiere sind etwas hart, und das ewige Knipsen mit den Fingernugeln wird langweilig. Tjaden hat deshalb den Deckel einer Schuhputzschachtel mit Draht uber einem brennenden Kerzenstumpf befestigt. In diese kleine Pfanne werden die Luuse einfach hineingeworfen - es knackt, und sie sind erledigt. Wir sitzen rundherum, die Hemden auf den Knien, den Oberkurper nackt in der warmen Luft, die Hunde bei der Arbeit. Haie hat eine besonders feine Art von Luusen: sie haben ein rotes Kreuz auf dem Kopf. Deshalb behauptet er, sie aus dem Lazarett inThourhout mitgebracht zu haben, sie seien von einem Oberstabsarzt persunlich. Er will auch das sich langsam in dem Blechdeckel ansammelnde Fett zum Stiefelschmieren benutzen und brullte eine halbe Stunde lang vor Lachen uber seinen Witz. Doch heute hat er wenig Erfolg; etwas anderes beschuftigt uns zu sehr. Das Gerucht ist Wahrheit geworden. Himmelstoß ist da. Gestern ist er erschienen, wir haben seine wohlbekannte Stimme schon gehurt. Er soll zu Hause ein paar junge Rekruten zu kruftig im Sturzacker gehabt haben. Ohne daß er es wußte, war der Sohn des Regierungsprusidenten dabei. Das brach ihm das Genick. Hier wird er sich wundern. Tjaden erurtert seit Stunden alle Muglichkeiten, wie er ihm antworten will. Haie sieht nachdenklich seine große Flosse an und kneift mir ein Auge. Die Prugelei war der Huhepunkt seines Daseins; er hat mir erzuhlt, daß er noch manchmal davon truumt. Kropp und Muller unterhalten sich. Kropp hat als einziger ein Kochgeschirr voll Linsen erbeutet, wahrscheinlich bei der Pionierkuche. Muller schielt gierig hin, beherrscht sich aber und fragt: ,..... "Albert, was wurdest du tun, wenn jetzt mit einemmal Frieden wure?" "Frieden gibt's nicht!" uußert Albert kurz. "Na, aber wenn -", beharrt Muller, "was wurdest du machen?" "Abhauen!" knurrt Kropp. "Das ist klar. Und dann?" "Mich besaufen", sagt Albert. "Rede keinen Quatsch, ich meine es ernst -" "Ich auch", sagt Albert, "was soll man denn anders machen." Kat interessiert sich fur die Frage. Er fordert von Kropp seinen Tribut an den Linsen, erhult ihn, uberlegt dann lange und meint: "Besaufen kunnte man sich ja, sonst aber auf die nuchste Eisenbahn - und ab nach Muttern. Mensch, Frieden, Albert -" Er kramt in seiner Wachstuchbrieftasche nach einer Fotografie und zeigt sie stolz herum. "Meine Alte!" Dann packt er sie weg und flucht: "Verdammter Lausekrieg -" "Du kannst gut reden", sage ich. "Du hast deinen Jungen und deine Frau." "Stimmt", nickt er, "ich muß dafur sorgen, daß sie was zu essen haben." Wir lachen. "Daran wird's nicht fehlen, Kat, sonst requierierst du eben." Muller ist hungrig und gibt sich noch nicht zufrieden. Er schreckt Haie Westhus aus seinen Verprugeltruumen. "Haie, was wurdest du denn machen, wenn jetzt Frieden wure?" "Er mußte dir den Arsch vollhauen, weil du hier von so etwas uberhaupt anfungst", sage ich, "wie kommt das eigentlich?" "Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach?" antwortet Muller lakonisch und wendet sich wieder an Haie Westhus. Es ist zu schwer auf einmal fur Haie. Er wiegt seinen sommersprossigen Schudel: "Du meinst, wenn kein Krieg mehr ist?" "Richtig. Du merkst auch alles." "Dann kumen doch wieder Weiber, nicht?" - Haie leckt sich das Maul. "Das auch." "Meine Fresse noch mal", sagt Haie, und sein Gesicht taut auf, " dann wurde ich mir so einen strammen Feger schnappen, so einen richtigen Kuchendragoner, weißt du, mit ordentlich was dran zum Festhalten, und sofort nichts wie 'rin in die Betten! Stell dir mal vor, richtige Federbetten mit Sprungmatratzen, Kinners, acht Tage lang wurde ich keine Hose wieder anziehen." Alles schweigt. Das Bild ist zu wunderbar. Schauer laufen uns uber die Haut. Endlich ermannt sich Muller und fragt: "Und danach?" Pause. Dann erklurt Haie etwas verzwickt: "Wenn ich Unteroffizier wure, wurde ich erst noch bei den Preußen bleiben und kapitulieren." "Haie, du hast glatt einen Vogel", sage ich. Er fragt gemutlich zuruck: "Hast du schon mal Torf gestochen? Probier's mal." Damit zieht er seinen Luffel aus dem Stiefelschaft und langt damit in Alberts Eßnapf. "Schlimmer als Schanzen in der Champagne kann's auch nicht sein", erwiderte ich. Haie kaut und grinst: "Dauert aber lunger. Kannst dich auch nicht drucken." "Aber, Mensch, zu Hause ist es doch besser, Haie." "Teils, teils", sagt er und versinkt mit offenem Munde in Grubelei. Man kann auf seinen Zugen lesen, was er denkt. Da ist eine arme Moorkate, da ist schwere Arbeit in der Hitze der Heide vom fruhen Morgen bis zum Abend, da ist spurlicher Lohn, da ist ein schmutziger Knechtsanzug -- "Hast beim Kommiß in Frieden keine Sorgen", teilt er mit, "jeden Tag ist dein Futter da, sonst machst du Krach, hast dein Bett, alle acht Tage reine Wusche wie ein Kavalier, machst deinen Unteroffiziersdienst, hast dein schunes Zeug; - abends bist du ein freier Mann und gehst in die Kneipe." Haie ist außerordentlich stolz auf seine Idee. Er verliebt sich darin. "Und wenn du deine zwulf Jahre um hast, kriegst du deinen Versorgungsschein und wirst Landjuger. Den ganzen Tag kannst du Spazierengehen." Er schwitzt jetzt vor Zukunft. " Stell dir vor, wie du dann traktiert wirst. Hier einen Kognak, da einen halben Liter. Mit einem Landjuger will doch jeder gutstehen." "Du wirst ja nie Unteroffizier, Haie", wirft Kat ein. Haie blickt ihn betroffen an und schweigt. In seinen Gedanken sind jetzt wohl die klaren Abende im Herbst, die Sonntage in der Heide, die Dorfglocken, die Nachmittage und Nuchte mit den Mugden, die Buchweizenpfannkuchen mit den großen Speckaugen, die sorglos verschwatzten Stunden im Krug - Mit soviel Phantasie kann er so rasch nicht fertig werden; deshalb knurrt er nur erbost: "Was ihr immer fur Bludsinn zusammenfragt." Er streift sein Hemd uber den Kopf und knupft den Waffenrock zu. "Was wurdest du machen, Tjaden?" ruft Kropp. Tjaden kennt nur eins. "Aufpassen, daß mir Himmelstoß nicht durchgeht." Er muchte ihn wahrscheinlich am liebsten in einen Kufig sperren und jeden Morgen mit einem Knuppel uber ihn herfallen. Zu Kropp schwurmt er: "An deiner Stelle wurde ich sehen, daß ich Leutnant wurde. Dann kannst du ihn schleifen, daß ihm das Wasser im Hintern kocht." "Und du, Detering?" forscht Muller weiter. Er ist der geborene Schulmeister mit seiner Fragerei. Detering ist wortkarg. Aber auf dieses Thema gibt er Antwort. Er sieht in die Luft und sagt nur einen Satz: "Ich wurde gerade noch zur Ernte zurechtkommen." Damit steht er auf und geht weg. Er macht sich Sorgen. Seine Frau muß den Hof bewirtschaften. Dabei haben sie ihm noch zwei Pferde weggeholt. Jeden Tag liest er die Zeitungen, die kommen, ob es in seiner oldenburgischen Ecke auch nicht regnet. Sie bringen das Heu sonst nicht fort. In diesem Augenblick erscheint Himmelstoß. Er kommt direkt auf unsere Gruppe zu. Tjadens Gesicht wird fleckig. Er legt sich lungelang ms Gras und schließt die Augen vor Aufregung. Himmelstoß ist etwas unschlussig, sein Gang wird langsamer. Dann marschiert er dennoch zu uns heran. Niemand macht Miene, sich zu erheben. Kropp sieht ihm interessiert entgegen. Er steht jetzt vor uns und wartet. Da keiner etwas sagt, lußt er ein "Na?" vom Stapel. Ein paar Sekunden verstreichen; Himmelstoß weiß sichtlich nicht, wie er sich benehmen soll. Am liebsten muchte er uns jetzt im Galopp schleifen. Immerhin scheint er schon gelernt zu haben, daß die Front kein Kasernenhof ist. Er versucht es abermals und wendet sich nicht mehr an alle, sondern an einen, er hofft, so leichter Antwort zu erhalten. Kropp ist ihm am nuchsten. Ihn beehrt er deshalb. "Na, auch hier?" Aber Albert ist sein Freund nicht. Er antwortet knapp: "Bißchen lunger als Sie, denke ich." Der rutliche Schnurrbart zittert. "Ihr kennt mich wohl nicht mehr, was?" Tjaden schlugt jetzt die Augen auf. "Doch." Himmelstoß wendet sich ihm zu: "Das ist doch Tjaden, nicht?" Tjaden hebt den Kopf. "Und weißt du, was du bist?" Himmelstoß ist verblufft. "Seit wann duzen wir uns denn? Wir haben doch nicht zusammen im Chausseegraben gelegen." Er weiß absolut nichts aus der Situation zu machen. Diese offene Feindseligkeit hat er nicht erwartet. Aber er hutet sich vorluufig; sicher hat ihm jemand den Unsinn von Schussen in den Rucken vorgeschwatzt. Tjaden wird auf die Frage nach dem Chausseegraben vor Wut sogar witzig. "Nee, das warst du alleme." Jetzt kocht Himmelstoß auch. Tjaden kommt ihm jedoch eilig zuvor. Er muß seinen Spruch loswerden. "Was du bist, willst du wissen? Du bist ein Sauhund, das bist du! Das wollt' ich dir schon lange mal sagen." Die Genugtuung vieler Monate leuchtet ihm aus den blanken Schweinsaugen, als er den Sauhund hinausschmettert. Auch Himmelstoß ist nun entfesselt: "Was willst du Mistkuter, du dreckiger Torfdeubel? Stehen Sie auf, Knochen zusammen, wenn ein Vorgesetzter mit Ihnen spricht!" Tjaden winkt großartig. "Sie kunnen ruhren, Himmelstoß. Wegtreten." Himmelstoß ist ein tobendes Exerzierreglement. Der Kaiser kunnte nicht beleidigter sein. Er heult: "Tjaden, ich befehle Ihnen dienstlich: Stehen Sie auf!" "Sonst noch was?" fragt Tjaden. "Wollen Sie meinem Befehl Folge leisten oder nicht?" Tjaden erwidert gelassen und abschließend, ohne es zu wissen, mit dem bekanntesten Klassikerzitat. Gleichzeitig luftet er seine Kehrseite. Himmelstoß sturmt davon: " Sie kommen vors Kriegsgericht!" Wir sehen ihn in der Richtung zur Schreibstube verschwinden. Haie und Tjaden sind ein gewaltiges Torfstechergebrull. Haie lacht so, daß er sich die Kinnlade ausrenkt und mit offenem Maul plutzlich hilflos dasteht. Albert muß sie ihm mit einem Faustschlag erst wieder einsetzen. Kat ist besorgt. "Wenn er dich meldet, wird's buse." "Meinst du, daß er es tut?" fragt Tjaden. "Bestimmt", sage ich. "Das mindeste, was du kriegst, sind funf Tage Dicken", erklurt Kat. Das erschuttert Tjaden nicht. "Funf Tage Kahn sind funf Tage Ruhe." "Und wenn du auf Festung kommst?" forscht der grundlichere Muller. "Dann ist der Krieg fur mich so lange aus." Tjaden ist ein Sonntagskind. Fur ihn gibt es keine Sorgen. Mit Haie und Leer zieht er ab, damit man ihn nicht in der ersten Aufregung findet. Muller ist noch immer nicht zu Ende. Er nimmt sich wieder Kropp vor. "Albert, wenn du nun tatsuchlich nach Hause kumst, was wurdest du machen?" Kropp ist jetzt satt und deshalb nachgiebiger. "Wieviel Mann wuren wir dann eigentlich in der Klasse?" Wir rechnen: von zwanzig sind sieben tot, vier verwundet, einer in der Irrenanstalt. Es kumen huchstens also zwulf Mann zusammen. "Drei sind davon Leutnants", sagt Muller. "Glaubst du, daß sie sich von Kantorek anschnauzen ließen?" "Wir glauben es nicht; wir wurden uns auch nicht mehr anschnauzen lassen." "Was hultst du eigentlich von der dreifachen Handlung im Wilhelm Teil?" erinnert sich Kropp mit einem Male und brullt vor Lachen. "Was waren die Ziele des Guttinger Hainbundes?" forscht auch Muller plutzlich sehr streng. "Wieviel Kinder hatte Karl der Kuhne?" erwidere ich ruhig. "Aus Ihnen wird im Leben nichts, Buumer", quukt Muller. "Wann war die Schlacht bei Zama?" will Kropp wissen. "Ihnen fehlt der sittliche Ernst, Kropp, setzen Sie sich, drei minus -", winke ich ab. "Welche Aufgaben hielt Lykurgus fur die wichtigsten im Staate?" wispert Muller und scheint an einem Kneifer zu rucken. "Heißt es: Wir Deutsche furchten Gott, sonst niemand in der Welt, oder wir Deutschen ...?" gebe ich zu bedenken. "Wieviel Einwohner hat Melbourne ?" zwitschert Muller zuruck. "Wie wollen Sie bloß im Leben bestehen, wenn Sie das nicht wissen?" frage ich Albert empurt. "Was versteht man unter Kohusion?" trumpft der nun auf. Von dem ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat uns auch nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht, wie man bei Regen und Sturm eine Zigarette anzundet, wie man ein Feuer aus nassem Holz machen kann - oder daß man ein Bajonett am besten in den Bauch stußt, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen. Muller sagt nachdenklich: "Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die Schulbank mussen." Ich halte es fur ausgeschlossen. "Vielleicht machen wir ein Notexamen." "Dazu brauchst du Vorbereitung. Und wenn du es schon bestehst, was dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, mußt du auch buffeln." "Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es trotzdem, was sie dir da eintrichtern." Kropp trifft unsere Stimmung: "Wie kann man das ernst nehmen, wenn man hier draußen gewesen ist." "Aber du mußt doch einen Beruf haben", wendet Muller ein, als wure er Kantorek in Person. Albert reinigt sich die Nugel mit dem Messer. Wir sind erstaunt uber dieses Stutzertum. Aber es ist nur Nachdenklichkeit. Er schiebt das Messer weg und erklurt: "Das ist es ja. Kat und Detering und Haie werden wieder in ihren Beruf gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelstoß auch. Wir haben keinen gehabt. Wie sollen wir uns da nach diesem hier" - er macht eine Bewegung zur Front - "an einen gewuhnen." "Man mußte Rentier sein und dann ganz allein in einem Walde wohnen kunnen -", sage ich, schume mich aber sofort uber diesen Grußenwahn. "Was soll das bloß werden, wenn wir zuruckkommen?" meint Muller, und selbst er ist betroffen. Kropp zuckt die Achseln. "Ich weiß nicht. Erst mal da sein, dann wird sich's ja zeigen." Wir sind eigentlich alle ratlos. "Was kunnte man denn machen?" frage ich. "Ich habe zu nichts Lust", antwortet Kropp mude. "Eines Tages bist du doch tot, was hast du da schon? Ich glaube nicht, daß wir uberhaupt zuruckkommen." "Wenn ich daruber nachdenke, Albert", sage ich nach einer Weile und wulze mich auf den Rucken, "so muchte ich, wenn ich das Wort Friede hure, und es wure wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun, so steigt es mir zu Kopf. Etwas, weißt du, was wert ist, daß man hier im Schlamassel geleg