gute Sachen. Ich erwische dabei einen tadellosen neuen Rock, Kat naturlich sogar eine volle Montur. Das Gerucht taucht auf, es gube Frieden, doch die andere Ansicht ist wahrscheinlicher: daß wir nach Rußland verladen werden. Aber wozu brauchen wir in Rußland bessere Sachen? Endlich sickert es durch: der Kaiser kommt zur Besichtigung. Deshalb die vielen Musterungen. Acht Tage lang kunnte man glauben, in einer Rekrutenkaserne zu sitzen, so wird gearbeitet und exerziert. Alles ist verdrossen und nervus, denn ubermußiges Putzen ist nichts fur uns und Parademarsch noch weniger. Gerade solche Sachen verurgern den Soldaten mehr als der Schutzengraben. Endlich ist der Augenblick da. Wir stehen stramm, und der Kaiser erscheint. Wir sind neugierig, wie er aussehen mag. Er schreitet die Front entlang, und ich bin eigentlich etwas enttuuscht: nach den Bildern hatte ich ihn mir grußer und muchtiger vorgestellt, vor allen Dingen mit einer donnernderen Stimme. Er verteilt Eiserne Kreuze und spricht diesen und jenen an. Dann ziehen wir ab. Nachher unterhalten wir uns. Tjaden sagt staunend: "Das ist nun der Alleroberste, den es gibt. Davor muß darin doch jeder strammstehen, jeder uberhaupt!" Er uberlegt: "Davor muß doch auch Hindenburg strammstehen, was?" "Jawoll", bestutigt Kat. Tjaden ist noch nicht fertig. Er denkt eine Zeitlang nach und fragt: "Muß ein Kunig vor einem Kaiser auch strammstehen?" Keiner weiß das genau, aber wir glauben es nicht. Die sind beide schon so hoch, daß es da sicher kein richtiges Strammstehen mehr gibt. "Was du dir fur einen Quatsch ausbrutest", sagt Kat. "Die Hauptsache ist, daß du selber strammstehst." Aber Tjaden ist vullig fasziniert. Seine sonst sehr trockene Phantasie arbeitet sich Blasen. "Sieh mal", verkundet er, "ich kann einfach nicht begreifen, daß ein Kaiser auch genauso zur Latrine muß wie ich." "Darauf kannst du Gift nehmen", lacht Kropp. "Verruckt und drei sind sieben", ergunzt Kat, "du hast Luuse im Schudel, Tjaden, geh du nur selbst rasch los zur Latrine, damit du einen klaren Kopp kriegst und nicht wie ein Wickelkind redest." Tjaden verschwindet. "Eins muchte ich aber doch noch wissen", sagt Albert, "ob es Krieg gegeben hutte, wenn der Kaiser nein gesagt hutte." "Das glaube ich sicher", werfe ich ein, - "er soll ja sowieso erst gar nicht gewollt haben." "Na, wenn er allein nicht, dann vielleicht doch, wenn so zwanzig, dreißig Leute in der Welt nein gesagt hutten." "Das wohl", gebe ich zu, "aber die haben ja gerade gewollt." "Es ist komisch, wenn man sich das uberlegt", fuhrt Kropp fort, "wir sind doch hier, um unser Vaterland zu verteidigen. Aber die Franzosen sind doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun recht?" "Vielleicht beide", sage ich, ohne es zu glauben. "Ja, nun", meint Albert, und ich sehe ihm an, daß er mich in die Enge treiben will, "aber unsere Professoren und Pasture und Zeitungen sagen, nur wir hutten recht, und das wird ja hoffentlich auch so sein; - aber die franzusischen Professoren und Pasture und Zeitungen behaupten, nur sie hutten recht, wie steht es denn damit?" "Das weiß ich nicht", sage ich, "auf jeden Fall ist Krieg, und jeden Monat kommen mehr Lunder dazu." Tjaden erscheint wieder. Er ist noch immer angeregt und greift sofort wieder in das Gespruch ein, indem er sich erkundigt, wie eigentlich ein Krieg entstehe. "Meistens so, daß ein Land ein anderes schwer beleidigt", gibt Albert mit einer gewissen uberlegenheit zur Antwort. Doch Tjaden stellt sich dickfellig. "Ein Land? Das verstehe ich nicht. Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen. Oder ein Fluß oder ein Wald oder ein Weizenfeld." "Bist du so dumlich oder tust du nur so?" knurrt Kropp. "So meine ich das doch nicht. Ein Volk beleidigt das andere -" "Dann habe ich hier nichts zu suchen", erwidert Tjaden, "ich fuhle mich nicht beleidigt." "Dir soll man nun was erkluren", sagt Albert urgerlich, "auf dich Dorfdeubel kommt es doch dabei nicht an." "Dann kann ich ja erst recht nach Hause gehen", beharrt Tjaden, und alles lacht. "Ach, Mensch, es ist doch das Volk als Gesamtheit, also der Staat -", ruft Muller. "Staat, Staat" - Tjaden schnippt schlau mit den Fingern -, "Feldgendarmen, Polizei, Steuer, das ist euer Staat. Wenn du damit zu tun hast, danke schun." "Das stimmt", sagt Kat, "da hast du zum ersten Male etwas Richtiges gesagt, Tjaden, Staat und Heimat, da ist wahrhaftig ein Unterschied." "Aber sie gehuren doch zusammen", uberlegt Kropp, "eine Heimat ohne Staat gibt es nicht." "Richtig, aber bedenk doch mal, daß wir fast alle einfache Leute sind. Und in Frankreich sind die meisten Menschen doch auch Arbeiter, Handwerker oder kleine Beamte. Weshalb soll nun wohl ein franzusischer Schlosser oder Schuhmacher uns angreifen wollen? Nein, das sind nur die Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und den meisten Franzosen wird es uhnlich mit uns gehen. Die sind ebensowenig gefragt wie wir." "Weshalb ist dann uberhaupt Krieg?" fragt Tjaden. Kat zuckt die Achseln. "Es muß Leute geben, denen der Krieg nutzt." "Na, ich gehure nicht dazu", grinst Tjaden. "Du nicht, und keiner hier." "Wer denn nur?" beharrte Tjaden. "Dem Kaiser nutzt er doch auch nicht. Der hat doch alles, was er braucht." "Das sag nicht", entgegnet Kat, "einen Krieg hat er bis jetzt noch nicht gehabt. Und jeder grußere Kaiser braucht mindestens einen Krieg, sonst wird er nicht beruhmt. Sieh mal in deinen Schulbuchern nach." "Generule werden auch beruhmt durch den Krieg", sagt Detering. "Noch beruhmter als Kaiser", bestutigt Kat. "Sicher stecken andere Leute, die am Krieg verdienen wollen, dahinter", brummt Detering. "Ich glaube, es ist mehr eine Art Fieber", sagt Albert. "Keiner will es eigentlich, und mit einem Male ist es da. Wir haben den Krieg nicht gewollt, die andern behaupten dasselbe - und trotzdem ist die halbe Welt feste dabei." "Druben wird aber mehr gelogen als bei uns", erwidere ich, "denkt mal an die Flugblutter der Gefangenen, in denen stand, daß wir belgische Kinder frußen. Die Kerle, die so was schreiben, sollten sie aufhungen. Das sind die wahren Schuldigen." Muller steht auf. "Besser auf jeden Fall, der Krieg ist hier als in Deutschland. Seht euch mal die Trichterfelder an!" "Das stimmt", pflichtet selbst Tjaden bei, "abernoch besser ist gar kein Krieg." Er geht stolz davon, denn er hat es uns Einjuhrigen nun mal gegeben. Und seine Meinung ist tatsuchlich typisch hier, man begegnet ihr immer wieder und kann auch nichts Rechtes darauf entgegnen, weil mit ihr gleichzeitig das Verstundnis fur andere Zusammenhunge aufhurt. Das Nationalgefuhl des Muskoten besteht darin, daß er hier ist. Aber damit ist es auch zu Ende, alles andere beurteilt er praktisch und aus seiner Einstellung heraus. Albert legt sich urgerlich ins Gras. "Besser ist, uber den ganzen Kram nicht zu reden." "Wird ja auch nicht anders dadurch", bestutigt Kat. Zum uberfluß mussen wir die neu empfangenen Sachen fast alle wieder abgeben und erhalten unsere alten Brocken wieder. Die guten waren nur zur Parade da. Statt nach Rußland gehen wir wieder an die Front. Unterwegs kommen wir durch einen kluglichen Wald mit zerrissenen Stummen und zerpflugtem Boden. An einigen Stellen sind furchtbare Lucher. "Donnerwetter, da hat es aber eingehauen", sage ich zu Kat. "Minenwerfer", antwortet er und zeigt dann nach oben. In den usten hungen Tote. Ein nackter Soldat hockt in einer Stammgabelung, er hat seinen Helm noch auf dem Kopf, sonst ist er unbekleidet. Nur eine Hulfte sitzt von ihm dort oben, ein Oberkurper, dem die Beine fehlen. "Was ist da los gewesen?" frage ich. "Den haben sie aus dem Anzug gestoßen", knurrt Tjaden. Kat sagt: "Es ist komisch, wir haben das nun schon ein paarmal gesehen. Wenn so eine Mine einwichst, wird man tatsuchlich richtig aus dem Anzug gestoßen. Das macht der Luftdruck." Ich suche weiter. Es ist wirklich so. Dort hungen Uniformfetzen allein, anderswo klebt blutiger Brei, der einmal menschliche Glieder war. Ein Kurper liegt da, der nur an einem Bein noch ein Stuck Unterhose und um den Hals den Kragen des Waffenrockes hat. Sonst ist er nackt, der Anzug hungt im Baum herum. Beide Arme fehlen, als wuren sie herausgedreht. Einen davon entdecke ich zwanzig Schritt weiter im Gebusch. Der Tote liegt auf dem Gesicht. Da, wo die Armwunden sind, ist die Erde schwarz von Blut. Unter den Fußen ist das Laub zerkratzt, als hutte der Mann noch gestrampelt. "Kein Spaß, Kat", sage ich. "Ein Granatsplitter im Bauch auch nicht", antwortet er achselzuckend. "Nur nicht weich werden", meint Tjaden. Das Ganze kann nicht lange her sein, das Blut ist noch frisch. Da alle Leute, die wir sehen, tot sind, lassen wir uns nicht aufhalten, sondern melden die Sache bei der nuchsten Sanitutsstation. Schließlich ist es ja auch nicht unsere Angelegenheit, diesen Tragbahrenhengsten die Arbeit abzunehmen. Es soll eine Patrouille ausgeschickt werden, um festzustellen, wie weit die feindliche Stellung noch besetzt ist. Ich habe wegen meines Urlaubs irgendein sonderbares Gefuhl den andern gegenuber und melde mich deshalb mit. Wir verabreden den Plan, schleichen durch den Draht und trennen uns dann, um einzeln vorzukriechen. Nach einer Weile finde ich einen flachen Trichter, in den ich mich hineingleiten lasse. Von hier luge ich aus. Das Gelunde hat mittleres Maschinengewehrfeuer. Es wird von allen Seiten bestrichen, nicht sehr stark, aber immerhin genugend, um die Knochen nicht allzu hoch zu nehmen. Ein Leuchtschirm entfaltet sich. Das Terrain liegt erstarrt im fahlen Lichte da. Um so schwurzer schlugt hinterher die Dunkelheit wieder daruber zusammen. Im Graben haben sie vorhin erzuhlt, es wuren Schwarze vor uns. Das ist unangenehm, man kann sie schlecht sehen, außerdem sind sie als Patrouillen sehr geschickt. Sonderbarerweise sind sie oft ebenso unvernunftig; - sowohl Kat als auch Kropp haben einmal auf Patrouille eine schwarze Gegenpatrouille erschossen, weil die Leute in ihrer Gier nach Zigaretten unterwegs rauchten. Kat und Albert brauchten nur die glimmenden Zigarettenkupfe als Ziel zu visieren. Neben mir zischt eine kleine Granate ein. Ich habe sie nicht kommen gehurt und erschrecke heftig. Im gleichen Augenblick faßt mich eine sinnlose Angst. Ich bin hier allein und fast hilflos im Dunkeln - vielleicht beobachten mich lungst aus einem Trichter hervor zwei andere Augen, und eine Handgranate liegt wurffertig bereit, mich zu zerreißen. Ich versuche mich aufzuraffen. Es ist nicht meine erste Patrouille und auch keine besonders gefuhrliche. Aber es ist meine erste nach dem Urlaub, und außerdem ist das Gelunde mir noch ziemlich fremd. Ich mache mir klar, daß meine Aufregung Unsinn ist, daß im Dunkel wahrscheinlich gar nichts lauert, weil sonst nicht so flach geschossen wurde. Es ist vergeblich. In wirrem Durcheinander summen mir die Gedanken im Schudel - ich hure die warnende Stimme meiner Mutter, ich sehe die Russen mit den wehenden Barten am Gitter lehnen, ich habe die helle, wunderbare Vorstellung einer Kantine mit Sesseln, eines Kinos in Valenciennes, ich sehe quulend, scheußlich in meiner Einbildung eine graue gefuhllose Gewehrmundung, die lauernd lautlos mitgeht, wie ich auch den Kopf zu wenden versuche: mir bricht der Schweiß aus allen Poren. Immer noch liege ich in meiner Mulde. Ich sehe auf die Uhr; es sind erst wenige Minuten vergangen. Meine Stirn ist naß, meine Augenhuhlen sind feucht, die Hunde zittern, und ich keuche leise. Es ist nichts anderes als ein furchtbarer Angstanfall, eine einfach gemeine Hundeangst davor, den Kopf herauszustrecken und weiterzukriechen. Wie ein Brei zerquillt meine Anspannung zu dem Wunsch, liegenbleiben zu kunnen. Meine Glieder kleben am Boden, ich mache einen vergeblichen Versuch - sie wollen sich nicht lusen. Ich presse mich an die Erde, ich kann nicht vorwurts, ich fasse den Entschluß, liegenzubleiben. Aber sofort uberspult mich die Welle erneut, eine Welle aus Scham, Reue und doch auch Geborgenheit. Ich erhebe mich ein wenig, um Ausschau zu halten. Meine Augen brennen, so starre ich in das Dunkel. Eine Leuchtkugel geht hoch; - ich ducke mich wieder. Ich kumpfe einen sinnlosen, wirren Kampf, ich will aus der Mulde heraus und rutsche doch wieder hinein, ich sage, "du mußt, es sind deine Kameraden, es ist ja nicht irgendein dummer Befehl", - und gleich darauf: "Was geht es mich an, ich habe nur ein Leben zu verlieren -" Das macht alles dieser Urlaub, entschuldige ich mich erbittert. Aber ich glaube es selbst nicht, mir wird entsetzlich flau, ich erhebe mich langsam und stemme die Arme vor, ziehe den Rucken nach und liege jetzt halb auf dem Rande des Trichters. Da vernehme ich Geruusche und zucke zuruck. Man hurt trotz des Artillerielurms verduchtige Geruusche. Ich lausche - das Geruusch ist hinter mir. Es sind Leute von uns, die durch den Graben gehen. Nun hure ich auch gedumpfte Stimmen. Es kunnte dem Tone nach Kat sein, der da spricht. Eine ungemeine Wurme durchflutet mich mit einemmal. Diese Stimmen, diese wenigen, leisen Worte, diese Schritte im Graben hinter mir reißen mich mit einem Ruck aus der furchterlichen Vereinsamung der Todesangst, der ich beinahe verfallen wure. Sie sind mehr als mein Leben, diese Stimmen, sie sind mehr als Mutterlichkeit und Angst, sie sind das Sturkste und Schutzendste, was es uberhaupt gibt: es sind die Stimmen meiner Kameraden. Ich bin nicht mehr ein zitterndes Stuck Dasein allein im Dunkel - ich gehure zu ihnen und sie zu mir, wir haben alle die gleiche Angst und das gleiche Leben, wir sind verbunden auf eine einfache und schwere Art. Ich muchte mein Gesicht in sie hineindrucken, in die Stimmen, diese paar Worte, die mich gerettet haben und die mir beistehen werden. Vorsichtig gleite ich uber den Rand und schlungele mich vorwurts. Auf allen vieren schlurfe ich weiter; es geht gut, ich peile die Richtung an, schaue mich um und merke mir das Bild des Geschutzfeuers, um zuruckzufinden. Dann suche ich Anschluß an die andern zu bekommen. Immer noch habe ich Angst, aber es ist eine vernunftige Angst, eine außerordentlich gesteigerte Vorsicht. Die Nacht ist windig, und Schatten gehen hin und her beim Aufflackern des Mundungsfeuers. Man sieht dadurch zu wenig und zu viel. Oft erstarre ich, aber es ist immer nichts. So komme ich ziemlich weit vor und kehre dann im Bogen wieder um. Den Anschluß habe ich nicht gefunden. Jeder Meter nuher zu unserm Graben erfullt mich mit Zuversicht - allerdings auch mit grußerer Hast. Es wure nicht schun, jetzt noch eins verpaßt zu kriegen. Da durchfuhrt mich ein neuer Schreck. Ich kann die Richtung nicht mehr genau wiedererkennen. Still hocke ich mich in einen Trichter und versuche mich zu orientieren. Es ist mehr als einmal vorgekommen, daß jemand vergnugt in einen Graben sprang und dann erst entdeckte, daß es der falsche war. Nach einiger Zeit horche ich wieder. Immer noch bin ich nicht richtig. Das Trichtergewirr erscheint mir jetzt so unubersichtlich, daß ich vor Aufregung uberhaupt nicht mehr weiß, wohin ich mich wenden soll. Vielleicht krieche ich parallel zu den Gruben, das kann ja endlos dauern. Deshalb schlage ich wieder einen Haken. Diese verfluchten Leuchtschirme! Sie scheinen eine Stunde zu brennen, man kann keine Bewegung machen, ohne daß es gleich um einen herum pfeift. Doch es hilft nichts, ich muß heraus. Stockend arbeite ich mich weiter, ich krebse uber den Boden weg und reiße mir die Hunde wund an den zackigen Splittern, die scharf wie Rasiermesser sind. Manchmal habe ich den Eindruck, als wenn der Himmel etwas heller wurde am Horizont, doch das kann auch Einbildung sein. Allmuhlich aber merke ich, daß ich um mein Leben krieche. Eine Granate knallt. Gleich darauf zwei andere. Und schon geht es los. Ein Feueruberfall. Maschinengewehre knattern. Jetzt gibt es vorluufig nichts anderes, als liegenzubleiben. Es scheint ein Angriff zu werden. uberall steigen Leuchtraketen. Ununterbrochen. Ich liege gekrummt in einem großen Trichter, die Beine im Wasser bis zum Bauch. Wenn der Angriff einsetzt, werde ich mich ins Wasser fallen lassen, so weit es geht, ohne zu ersticken, das Gesicht im Dreck. Ich muß den toten Mann markieren. Plutzlich hure ich, wie das Feuer zuruckspringt. Sofort rutsche ich nach unten ins Grundwasser, den Helm ganz im Genick, den Mund nur so weit hoch, daß ich knapp Luft habe. Dann werde ich bewegungslos; - denn irgendwo klirrt etwas, es tappt und trappst nuher, - in mir ziehen sich alle Nerven eisig zusammen. Es klirrt uber mich hinweg, der erste Trupp ist vorbei. Ich habe nur den einen zersprengenden Gedanken gehabt: Was tust du, wenn jemand in deinen Trichter springt? - Jetzt zerre ich rasch den kleinen Dolch heraus, fasse ihn fest und verberge ihn mit der Hand wieder im Schlamm. Ich werde sofort losstechen, wenn jemand hereinspringt, hummert es in meiner Stirn, sofort die Kehle durchstoßen, damit er nicht schreien kann, es geht nicht anders, er wird ebenso erschrocken sein wie ich, und schon vor Angst werden wir ubereinander herfallen, da muß ich der erste sein. Nun schießen unsere Batterien. In meiner Nuhe schlugt es ein. Das macht mich irrsinnig wild, es fehlt mir noch, daß mich die eigenen Geschosse treffen; ich fluche und knirsche in den Dreck hinein; es ist ein wutender Ausbruch, zuletzt kann ich nur noch stuhnen und bitten. Das Gekrach der Granaten trifft mein Ohr. Wenn unsere Leute einen Gegenstoß machen, bin ich befreit. Ich presse den Kopf an die Erde und hure das dumpfe Donnern wie ferne Bergwerksexplosionen - und hebe ihn wieder, um auf die Geruusche oben zu lauschen. Die Maschinengewehre knarren. Ich weiß, daß unsere Drahtverhaue fest und fast unbeschudigt sind; - ein Teil davon ist mit Starkstrom geladen. Das Gewehrfeuer schwillt an. Sie kommen nicht durch, sie mussen zuruck. Ich sinke wieder zusammen, gespannt bis zum uußersten. Das Klappern und Schleichen, das Klirren wird hurbar. Ein einzelner Schrei gellend dazwischen. Sie werden beschossen, der Angriff ist abgeschlagen. Es ist noch etwas heller geworden. An mir voruber hasten Schritte. Die ersten. Vorbei. Wieder andere. Das Knarren der Maschinengewehre wird eine ununterbrochene Kette. Gerade will ich mich etwas umdrehen, da poltert es, und schwer und klatschend fullt ein Kurper zu mir in den Trichter, rutscht ab, liegt auf mir - Ich denke nichts, ich fasse keinen Entschluß - ich stoße rasend zu und fuhle nur, wie der Kurper zuckt und dann weich wird und zusammensackt. Meine Hand ist klebrig und naß, als ich zu mir komme. Der andere ruchelt. Es scheint mir, als ob er brullt, jeder Atemzug ist wie ein Schrei, ein Donnern - aber es sind nur meine Adern, die so klopfen. Ich muchte ihm den Mund zuhalten, Erde hineinstopfen, noch einmal zustechen, er soll still sein, er verrut mich; doch ich bin schon so weit zu mir gekommen und auch so schwach plutzlich, daß ich nicht mehr die Hand gegen ihn heben kann. So krieche ich in die entfernteste Ecke und bleibe dort, die Augen starr auf ihn gerichtet, das Messer umklammert, bereit, wenn er sich ruhrt, wieder auf ihn loszugehen - aber er wird nichts mehr tun, das hure ich schon an seinem Rucheln. Undeutlich kann ich ihn sehen. Nur der eine Wunsch ist in mir, wegzukommen. Wenn es nicht bald ist, wird es zu hell; schon jetzt ist es schwer. Doch als ich versuche, den Kopf hochzunehmen, sehe ich bereits die Unmuglichkeit ein. Das Maschinengewehrfeuer ist derartig gedeckt, daß ich durchluchert werde, ehe ich einen Sprung tue. Ich probiere es noch einmal mit meinem Helm, den ich etwas emporschiebe und anhebe, um die Huhe der Geschosse festzustellen. Einen Augenblick sputer wird er mir durch eine Kugel aus der Hand geschlagen. Das Feuer streicht also ganz niedrig uber das Terrain. Ich bin nicht weit genug von der feindlichen Stellung entfernt, um nicht von den Scharfschutzen gleich erwischt zu werden, wenn ich versuche, auszureißen. Das Licht nimmt zu. Ich warte brennend auf einen Angriff von uns. Meine Hunde sind weiß an den Knucheln, so presse ich sie zusammen, so flehe ich, das Feuer muge aufhuren und meine Kameraden muchten kommen. Minute um Minute versickert. Ich wage keinen Blick mehr zu der dunklen Gestalt im Trichter. Angestrengt sehe ich vorbei und warte, warte. Die Geschosse zischen, sie sind ein stuhlernes Netz, es hurt nicht auf, es hurt nicht auf. Da erblicke ich meine blutige Hand und fuhle juhe ubelkeit. Ich nehme Erde und reibe damit uber die Haut, jetzt ist die Hand wenigstens schmutzig, und man sieht das Blut nicht mehr. Das Feuer lußt nicht nach. Von beiden Seiten ist es jetzt gleich stark. Man hat mich bei uns wahrscheinlich lungst verlorengegeben. Es ist heller, grauer, fruher Tag. Das Rucheln tunt fort. Ich hake mir die Ohren zu, nehme aber die Finger bald wieder heraus, weil ich sonst auch das andere nicht huren kann. Die Gestalt gegenuber bewegt sich. Ich schrecke zusammen und sehe unwillkurlich hin. Jetzt bleiben meine Augen wie festgeklebt hungen. Ein Mann mit einem kleinen Schnurrbart liegt da, der Kopf ist zur Seite gefallen, ein Arm ist halb gebeugt, der Kopf druckt kraftlos darauf. Die andere Hand liegt auf der Brust, sie ist blutig. Er ist tot, sage ich mir, er muß tot sein, er fuhlt nichts mehr - was da ruchelt, ist nur noch der Kurper. Doch der Kopf versucht sich zu heben, das Stuhnen wird einen Moment sturker, dann sinkt die Stirn wieder auf den Arm zuruck. Der Mann ist nicht tot, er stirbt, aber er ist nicht tot. Ich schiebe mich heran, halte inne, stutze mich auf die Hunde, rutsche wieder etwas weiter, warte - weiter, einen grußlichen Weg von drei Metern, einen langen, furchtbaren Weg. Endlich bin ich neben ihm. Da schlugt er die Augen auf. Er muß mich noch gehurt haben und sieht mich mit einem Ausdruck furchtbaren Entsetzens an. Der Kurper liegt still, aber in den Augen ist eine so ungeheure Flucht, daß ich einen Moment glaube, sie wurden die Kraft haben, den Kurper mit sich zu reißen. Hunderte von Kilometern weit weg mit einem einzigen Ruck. Der Kurper ist still, vullig ruhig, ohne Laut jetzt, das Rucheln ist verstummt, aber die Augen schreien, brullen, in ihnen ist alles Leben versammelt zu einer unfaßbaren Anstrengung, zu entfliehen, zu einem schrecklichen Grausen vor dem Tode, vor mir. Ich knicke in den Gelenken ein und falle auf die Ellbogen. "Nein, nein", flustere ich. Die Augen folgen mir. Ich bin unfuhig, eine Bewegung zu machen, solange sie da sind. Da fullt seine Hand langsam von der Brust, nur ein geringes Stuck, sie sinkt um wenige Zentimeter, doch diese Bewegung lust die Gewalt der Augen auf. Ich beuge mich vor, schuttele den Kopf und flustere: "Nein, nein, nein", ich hebe eine Hand, ich muß ihm zeigen, daß ich ihm helfen will, und streiche uber seine Stirn. Die Augen sind zuruckgezuckt, als die Hand kam, jetzt verlieren sie ihre Starre, die Wimpern sinken tiefer, die Spannung lußt nach. Ich uffne ihm den Kragen und schiebe den Kopf bequemer zurecht. Der Mund steht halb offen, erbemuht sich, Worte zu formen. Die Lippen sind trocken. Meine Feldflasche ist nicht da, ich habe sie nicht mitgenommen. Aber es ist Wasser in dem Schlamm unten im Trichter. Ich klettere hinab, ziehe mein Taschentuch heraus, breite es aus, drucke es hinunter und schupfe mit der hohlen Hand das gelbe Wasser, das hindurchquillt. Er schluckt es. Ich hole neues. Dann knupfe ich seinen Rock auf, um ihn zu verbinden, wenn es geht. Ich muß es auf jeden Fall tun, damit die druben, wenn ich gefangen werden sollte, sehen, daß ich ihm helfen wollte, und mich nicht erschießen. Er versucht sich zu wehren, doch die Hand ist zu schlaff dazu. Das Hemd ist verklebt und lußt sich nicht beiseite schieben, es ist hinten geknupft. So bleibt nichts ubrig, als es aufzuschneiden. Ich suche das Messer und finde es wieder. Aber als ich anfange, das Hemd zu zerschneiden, uffnen sich die Augen noch einmal, und wieder ist das Schreien darin und der wahnsinnige Ausdruck, so daß ich sie zuhalten, zudrucken muß und flustern: "Ich will dir ja helfen, Kamerad, camarade, camarade, camarade -", eindringlich das Wort, damit er es versteht. Drei Stiche sind es. Meine Verbandspuckchen bedecken sie, das Blut luuft darunter weg, ich drucke sie fester auf, da stuhnt er. Es ist alles, was ich tun kann. Wir mussen jetzt warten, warten. Diese Stunden. - Das Rucheln setzt wieder ein - wie langsam stirbt doch ein Mensch! Denn das weiß ich: er ist nicht zu retten. Ich habe zwar versucht, es mir auszureden, aber mittags ist dieser Vorwand vor seinem Stuhnen zerschmolzen, zerschossen. Wenn ich nur meinen Revolver nicht beim Kriechen verloren hutte, ich wurde ihn erschießen. Erstechen kann ich ihn nicht. Mittags dummere ich an der Grenze des Denkens dahin. Hunger zerwuhlt mich, ich muß fast weinen daruber, essen zu wollen, aber ich kann nicht dagegen ankumpfen. Mehrere Male hole ich dem Sterbenden Wasser und trinke auch selbst davon. Es ist der erste Mensch, den ich mit meinen Hunden getutet habe, den ich genau sehen kann, dessen Sterben mein Werk ist. Kat und Kropp und Muller haben auch schon gesehen, wenn sie jemand getroffen haben, vielen geht es so, im Nahkampf ja oft - Aber jeder Atemzug legt mein Herz bloß. Dieser Sterbende hat die Stunden fur sich, er hat ein unsichtbares Messer, mit dem er mich ersticht: die Zeit und meine Gedanken. Ich wurde viel darum geben, wenn er am Leben bliebe. Es ist schwer, dazuliegen und ihn sehen und huren zu mussen. Nachmittags um drei Uhr ist er tot. Ich atme auf. Doch nur fur kurze Zeit. Das Schweigen erscheint mir bald noch schwerer zu ertragen als das Stuhnen. Ich wollte, das Rucheln wure wieder da, stoßweise, heiser, einmal pfeifend leise und dann wieder heiser und laut. Es ist sinnlos, was ich tue. Aber ich muß Beschuftigung haben. So lege ich den Toten noch einmal zurecht, damit er bequemer liegt, obschon er nichts mehr fuhlt. Ich schließe ihm die Augen. Sie sind braun, das Haar ist schwarz, an den Seiten etwas lockig. Der Mund ist voll und weich unter dem Schnurrbart, die Nase ist ein wenig gebogen, die Haut bruunlich, sie sieht jetzt nicht mehr so fahl aus wie vorhin, als er noch lebte. Einen Augenblick scheint das Gesicht sogar beinahe gesund zu sein - dann verfullt es rasch zu einem der fremden Totenantlitze, die ich oft gesehen habe und die sich alle gleichen. Seine Frau denkt sicher jetzt an ihn; sie weiß nicht, was geschehen ist. Er sieht aus, als wenn er ihr oft geschrieben hutte; - sie wird auch noch Post von ihm bekommen - morgen, in einer Woche -, vielleicht einen verirrten Brief noch in einem Monat. Sie wird ihn lesen, und er wird darin zu ihr sprechen. Mein Zustand wird immer schlimmer, ich kann meine Gedanken nicht mehr halten. Wie mag die Frau aussehen? Wie die Dunkle, Schmale jenseits des Kanals? Gehurt sie mir nicht? Vielleicht gehurt sie mir jetzt hierdurch! Suße Kantorek doch hier neben mir! Wenn meine Mutter mich so suhe -. Der Tote hutte sicher noch dreißig Jahre leben kunnen, wenn ich mir den Ruckweg schurfer eingeprugt hutte. Wenn er zwei Meter weiter nach links gelaufen wure, luge er jetzt druben im Graben und schriebe einen neuen Brief an seine Frau. Doch so komme ich nicht weiter; denn das ist das Schicksal von uns allen; hutte Kemmerich sein Bein zehn Zentimeter weiter rechts gehalten, hutte Haie sich funf Zentimeter weiter vorgebeugt - Das Schweigen dehnt sich. Ich spreche und muß sprechen. So rede ich ihn an und sage es ihm. "Kamerad, ich wollte dich nicht tuten. Sprungst du noch einmal hier hinein, ich tute es nicht, wenn auch du vernunftig wurest. Aber du warst mir vorher nur ein Gedanke, eine Kombination, die in meinem Gehirn lebte und einen Entschluß hervorrief - diese Kombination habe ich erstochen. Jetzt sehe ich erst, daß du ein Mensch bist wie ich. Ich habe gedacht an deine Handgranaten, an dein Bajonett und deine Waffen - jetzt sehe ich deine Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame. Vergib mir, Kamerad! Wir sehen es immer zu sput. Warum sagt man uns nicht immer wieder, daß ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, daß eure Mutter sich ebenso ungstigen wie unsere und daß wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz -. Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein. Wenn wir diese Waffen und diese Uniform fortwerfen, kunntest du ebenso mein Bruder sein wie Kat und Albert. Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe auf - nimm mehr, denn ich weiß nicht, was ich damit beginnen soll." Es ist still, die Front ist ruhig bis auf das Gewehrgeknatter. Die Kugeln liegen dicht, es wird nicht planlos geschossen, sondern auf allen Seiten scharf gezielt. Ich kann nicht hinaus. "Ich will deiner Frau schreiben", sage ich hastig zu dem Toten, "ich will ihr schreiben, sie soll es durch mich erfahren, ich will ihr alles sagen, was ich dir sage, sie soll nicht leiden, ich will ihr helfen und deinen Eltern auch und deinem Kinde -" Seine Uniform steht noch halb offen. Die Brieftasche ist leicht zu finden. Aber ich zugere, sie zu uffnen. In ihr ist das Buch mit seinem Namen. Solange ich seinen Namen nicht weiß, kann ich ihn vielleicht noch vergessen, die Zeit wird es tilgen, dieses Bild. Sein Name aber ist ein Nagel, der in mir eingeschlagen wird und nie mehr herauszubringen ist. Er hat die Kraft, alles immer wieder zuruckzurufen, er wird stets wiederkommen und vor mich hintreten kunnen. Ohne Entschluß halte ich die Brieftasche in der Hand. Sie entfullt mir und uffnet sich. Einige Bilder und Briefe fallen heraus. Ich sammle sie auf und will sie wieder hineinpacken, aber der Druck, unter dem ich stehe, die ganze Ungewisse Lage, der Hunger, die Gefahr, diese Stunden mit dem Toten haben mich verzweifelt gemacht, ich will die Auflusung beschleunigen und die Quulerei versturken und enden, wie man eine unertruglich schmerzende Hand gegen einen Baum schmettert, ganz gleich, was wird. Es sind Bilder einer Frau und eines kleinen Mudchens, schmale Amateurfotografien vor einer Efeuwand. Neben ihnen stecken Briefe. Ich nehme sie heraus und versuche sie zu lesen. Das meiste verstehe ich nicht, es ist schlecht zu entziffern, und ich kann nur wenig Franzusisch. Aber jedes Wort, das ich ubersetze, dringt mir wie ein Schuß in die Brust - wie ein Stich in die Brust - Mein Kopf ist vullig uberreizt. Aber so viel begreife ich noch, daß ich diesen Leuten nie schreiben darf, wie ich es dachte vorhin. Unmuglich. Ich sehe die Bilder noch einmal an; es sind keine reichen Leute. Ich kunnte ihnen ohne Namen Geld schicken, wenn ich sputer etwas verdiene. Daran klammere ich mich, das ist ein kleiner Halt wenigstens. Dieser Tote ist mit meinem Leben verbunden, deshalb muß ich alles tun und versprechen, um mich zu retten; ich gelobe blindlings, daß ich nur fur ihn dasein will und seine Familie, - mit nassen Lippen rede ich auf ihn ein, und ganz tief in mir sitzt dabei die Hoffnung, daß ich mich dadurch freikaufe und vielleicht hier doch noch herauskomme, eine kleine Hinterlist, daß man nachher immer noch erst einmal sehen kunne. Und deshalb schlage ich das Buch auf und lese langsam: Gerard Duval, Typograph. Ich schreibe die Adresse mit dem Bleistift des Toten auf einen Briefumschlag und schiebe dann plutzlich rasch alles in seinen Rock zuruck. Ich habe den Buchdrucker Gerard Duval getutet. Ich muß Buchdrucker werden, denke ich ganz verwirrt, Buchdrucker werden, Buchdrucker - Nachmittags bin ich ruhiger. Meine Furcht war unbegrundet. Der Name verwirrt mich nicht mehr. Der Anfall vergeht. "Kamerad", sage ich zu dem Toten hinuber, aber ich sage es gefaßt. "Heute du, morgen ich. Aber wenn ich davonkomme, Kamerad, will ich kumpfen gegen dieses, das uns beide zerschlug: dir das Leben - und mir -? Auch das Leben. Ich verspreche es dir, Kamerad. Es darf nie wieder geschehen." Die Sonne steht schrug. Ich bin dumpf vor Erschupfung und Hunger. Das Gestern ist mir wie ein Nebel, ich hoffe nicht, hier noch hinauszugelangen. So duse ich dahin und begreife nicht einmal, daß es Abend wird. Die Dummerung kommt. Es scheint mir rasch jetzt. Noch eine Stunde. Wure es Sommer, noch drei Stunden. Noch eine Stunde. Nun beginne ich plutzlich zu zittern, daß etwas dazwischenkume. Ich denke nicht mehr an den Toten, er ist mir jetzt vullig gleichgultig. Mit einem Schlage springt die Lebensgier auf, und alles, was ich mir vorgenommen habe, versinkt davor. Nur um jetzt nicht noch Ungluck zu haben, plappere ich mechanisch: "Ich werde alles halten, was ich dir versprochen habe -", aber ich weiß schon jetzt, daß ich es nicht tun werde. Plutzlich fullt mir ein, daß meine eigenen Kameraden auf mich schießen kunnen, wenn ich ankrieche; sie wissen es ja nicht. Ich werde rufen, so fruh es geht, damit sie mich verstehen. So lange will ich vor dem Graben liegenbleiben, bis sie mir antworten. Der erste Stern. Die Front bleibt ruhig. Ich atme auf und spreche vor Aufregung mit mir selbst: "Jetzt keine Dummheit, Paul - Ruhe, Ruhe, Paul -, dann bist du gerettet, Paul." Es wirkt, wenn ich meinen Vornamen sage, das ist, als tute es ein anderer, und hat so mehr Gewalt. Die Dunkelheit wuchst. Meine Aufregung legt sich, ich warte aus Vorsicht, bis die ersten Raketen steigen. Dann krieche ich aus dem Trichter. Den Toten habe ich vergessen. Vor mir liegt die beginnende Nacht und das bleich beleuchtete Feld. Ich fasse ein Loch ins Auge; im Moment, wo das Licht erlischt, schnelle ich hinuber, taste weiter, erwische das nuchste, ducke mich, husche weiter. Ich komme nuher. Da sehe ich bei einer Rakete, wie im Draht sich etwas eben noch bewegt, ehe es erstarrt, und liege still. Beim nuchstenmal sehe ich es wieder, es sind bestimmt Kameraden aus unserm Graben. Aber ich bin vorsichtig, bis ich unsere Helme erkenne. Dann rufe ich. Gleich darauf erschallt als Antwort mein Name: "Paul - Paul -" Ich rufe wieder. Es sind Kat und Albert, die mit einer Zeltbahn losgegangen sind, um mich zu suchen. "Bist du verwundet?" "Nein, nein -" Wir rutschen in den Graben. Ich verlange Essen und schlinge es hinunter. Muller gibt mir eine Zigarette. Ich sage mit wenigen Worten, was geschehen ist. Es ist ja nichts Neues; so was ist schon oft passiert. Nur der Nachtangriff ist das Besondere bei der Sache. Aber Kat hat in Rußland schon einmal zwei Tage hinter der russischen Front gelegen, ehe er sich durchschlagen konnte. Von dem toten Buchdrucker sage ich nichts. Erst am nuchsten Morgen halte ich es nicht mehr aus. Ich muß es Kat und Albert erzuhlen. Sie beruhigen mich beide. "Du kannst gar nichts daran machen. Was wolltest du anders tun. Dazu bist du doch hier!" Ich hure ihnen geborgen zu, getrustet durch ihre Nuhe. Was habe ich nur fur einen Unsinn zusammengefaselt da in dem Trichter. "Sieh mal dahin", zeigt Kat. An den Brustwehren stehen einige Scharfschutzen. Sie haben Gewehre mit Zielfernrohren aufliegen und lauern den Abschnitt druben ab. Hin und wieder knallt ein Schuß. Jetzt huren wir Ausrufe. "Das hat gesessen?" - "Hast du gesehen, wie er hochsprang?" Sergeant Oellrich wendet sich stolz um und notiert seinen Punkt. Er fuhrt in der Schußliste von heute mit drei'einwandfrei festgestellten Treffern. "Was sagst du dazu?" fragt Kat. Ich nicke. "Wenn er so weitermacht, hat er heute abend ein buntes Vugelchen mehr im Knopfloch", meint Kropp. "Oder er wird bald Vizefeldwebel", ergunzt Kat. Wir sehen uns an. "Ich wurde es nicht machen", sage ich. "Immerhin", sagt Kat, "es ist ganz gut, daß du es jetzt gerade siehst." Sergeant Oellrich tritt wieder an die Brustwehr. Die Mundu