b, wie fur alle urzte. Seht euch unten mal die Station an; da kriechen ein Dutzend Leute herum, die er operiert hat. Manche sind seit vierzehn und funfzehn hier, jahrelang. Kein einziger kann besser laufen als vorher; fast alle aber schlechter, die meisten nur mit Gipsbeinen. Alle halbe Jahre erwischt er sie wieder und bricht ihnen die Knochen aufs neue, und jedesmal soll dann der Erfolg kommen. Nehmt euch in acht, er darf es nicht, wenn ihr nein sagt." "Ach, Mensch!" sagt der eine von den beiden mude. "Besser die Fuße als der Schudel. Weißt du, was du kriegst, wenn du wieder draußen bist? Sollen sie mit mir machen, was sie wollen, wenn ich bloß wieder nach Hause komme. Besser ein Klumpfuß als tot." Der andere, ein junger Mensch wie wir, will nicht. Am andern Morgen lußt der Alte beide herunterholen und redet und schnauzt so lange auf sie ein, bis sie doch einwilligen. Was sollen sie anders tun. - Sie sind ja nur Muskoten, und er ist ein hohes Tier. Vergipst und chloroformiert werden sie wiedergebracht. Albert geht es schlecht. Er wird geholt und amputiert. Das ganze Bein bis obenhin wird abgenommen. Nun spricht er fast gar nicht mehr. Einmal sagt er, er wolle sich erschießen, wenn er erst wieder an seinen Revolver herankume. Ein neuer Transport trifft ein. Unsere Stube erhult zwei Blinde. Einer davon ist ein ganz junger Musiker. Die Schwestern haben nie ein Messer bei sich, wenn sie ihm Essen geben; er hat einer schon einmal eins entrissen. Trotz dieser Vorsicht passiert etwas. Abends beim Futtern wird die Schwester von seinem Bett abgerufen und stellt den Teller mit der Gabel so lange auf seinen Tisch. Er tastet nach der Gabel, faßt sie und stußt sie mit aller Kraft gegen sein Herz, dann ergreift er einen Schuh und schlugt auf den Stiel, so fest er kann. Wir rufen um Hilfe, und drei Mann sind nutig, ihm die Gabel wegzunehmen. Die stumpfen Zinken waren schon tief eingedrungen. Er schimpft die ganze Nacht auf uns, so daß niemand Schlaf findet. Morgens hat er einen Schreikrampf. Wieder werden Betten frei. Tage um Tage gehen hin in Schmerzen und Angst, Stuhnen und Rucheln. Auch das Vorhandensein der Totenzimmer nutzt nichts mehr, es sind zu wenig, die Leute sterben nachts auch auf unserer Stube. Es geht eben schneller als die uberlegung der Schwestern. Aber eines Tages fliegt die Tur auf, der flache Wagen rollt herein, und blaß, schmal, aufrecht, triumphierend, mit gestruubtem, schwarzem Krauskopf sitzt Peter auf der Bahre. Schwester Libertine schiebt ihn mit strahlender Miene an sein altes Bett. Er ist zuruck aus dem Sterbezimmer. Wir haben ihn lungst fur tot gehalten. Er sieht sich um: "Was sagt ihr nun?" Und selbst Josef muß zugeben, daß er so was zum ersten Male erlebt. Allmuhlich durfen einige von uns aufstehen. Auch ich bekomme Krucken zum Herumhumpeln. Doch ich mache wenig Gebrauch davon; ich kann Alberts Blick nicht ertragen, wenn ich durchs Zimmer gehe. Er sieht mir immer mit so sonderbaren Augen nach. Deshalb entschlupfe ich manchmal auf den Korridor - dort kann ich mich freier bewegen. Im Stockwerk tiefer liegen Bauch- und Ruckenmarkschusse, Kopfschusse und beiderseitig Amputierte. Rechts im Flugel Kieferschusse, Gaskranke, Nasen-, Ohren- und Halsschusse. Links im Flugel Blinde und Lungenschusse, Beckenschusse, Gelenkschusse, Nierenschusse, Hodenschusse, Magenschusse. Man sieht hier erst, wo ein Mensch ubel getroffen werden kann. Zwei Leute sterben an Wundstarrkrampf. Die Haut wird fahl, die Glieder erstarren, zuletzt leben - lange - nur noch die Augen. - Bei manchen Verletzten hungt das zerschossene Glied an einem Galgen frei in der Luft; unter die Wunde wird ein Becken gestellt, in das der Eiter tropft. Alle zwei oder drei Stunden wird das Gefuß geleert. Andere Leute liegen im Streckverband, mit schweren, herabziehenden Gewichten am Bett. Ich sehe Darmwunden, die stundig voll Kot sind. Der Schreiber des Arztes zeigt mir Runtgenaufnahmen von vullig zerschmetterten Huftknochen, Knien und Schultern. Man kann nicht begreifen, daß uber so zerrissenen Leibern noch Menschengesichter sind, in denen das Leben seinen alltuglichen Fortgang nimmt. Und dabei ist dies nur ein einziges Lazarett, nur eine einzige Station - es gibt Hunderttausende in Deutschland, Hunderttausende in Frankreich, Hunderttausende in Rußland. Wie sinnlos ist alles, was je geschrieben, getan, gedacht wurde, wenn so etwas muglich ist! Es muß alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, daß diese Strume von Blut vergossen wurden, daß diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist. Ich bin jung, ich bin zwanzig Jahre alt; aber ich kenne vom Leben nichts anderes als die Verzweiflung, den Tod, die Angst und die Verkettung sinnlosester Oberfluchlichkeit mit einem Abgrund des Leidens. Ich sehe, daß Vulker gegeneinandergetrieben werden und sich schweigend, unwissend, turicht, gehorsam, unschuldig tuten. Ich sehe, daß die klugsten Gehirne der Welt Waffen und Worte erfinden, um das alles noch raffinierter und lunger dauernd zu machen. Und mit mir sehen das alle Menschen meines Alters hier und druben, in der ganzen Welt, mit mir erlebt das meine Generation. Was werden unsere Vuter tun, wenn wir einmal aufstehen und vor sie hintreten und Rechenschaft fordern? Was erwarten sie von uns, wenn eine Zeit kommt, wo kein Krieg ist? Jahre hindurch war unsere Beschuftigung Tuten - es war unser erster Beruf im Dasein. Unser Wissen vom Leben beschrunkt sich auf den Tod. Was soll danach noch geschehen? Und was soll aus uns werden? Der ulteste auf unserer Stube ist Lewandowski. Er ist vierzig Jahre alt und liegt bereits zehn Monate im Hospital an einem schweren Bauchschuß. Erst in den letzten Wochen ist er so weit gekommen, daß er gekrummt etwas hinken kann. Seit einigen Tagen ist er in großer Aufregung. Seine Frau hat ihm aus dem kleinen Nest in Polen, wo sie wohnt, geschrieben, daß sie so viel Geld zusammen hat, um die Fahrt zu bezahlen und ihn besuchen zu kunnen. Sie ist unterwegs und kann jeden Tag eintreffen. Lewandowski schmeckt das Essen nicht mehr, sogar Rotkohl mit Bratwurst verschenkt er, nachdem er ein paar Happen genommen hat. Stundig luuft er mit dem Brief durchs Zimmer, jeder hat ihn schon ein dutzendmal gelesen, die Poststempel sind wer weiß wie oft schon gepruft, die Schrift ist vor Fettflecken und Fingerspuren kaum noch zu erkennen, und was kommen muß, kommt: Lewandowski kriegt Fieber und muß wieder ins Bett. Er hat seine Frau seit zwei Jahren nicht gesehen. Sie hat inzwischen ein Kind geboren, das bringt sie mit. Aber etwas ganz anderes beschuftigt Lewandowski. Er hatte gehofft, die Erlaubnis zum Ausgehen zu erhalten, wenn seine Alte kommt, denn es ist doch klar: Sehen ist ganz schun, aber wenn man seine Frau nach so langer Zeit wiederhat, will man, wenn es eben geht, doch noch was anderes. Lewandowski hat das alles stundenlang mit uns besprochen, denn beim Kommiß gibt es darin keine Geheimnisse. Es findet auch keiner etwas dabei. Diejenigen von uns, die schon ausgehen kunnen, haben ihm ein paar tadellose Ecken in der Stadt gesagt, Anlagen und Parks, wo er ungesturt gewesen wure, einer wußte sogar ein kleines Zimmer. Doch was nutzt das alles. Lewandowski liegt im Bett und hat seine Sorgen. Das ganze Leben macht ihm keinen Spaß mehr, wenn er diese Sache verpassen muß. Wir trusten ihn und versprechen ihm, daß wir den Kram schon irgendwie schmeißen werden. Am andern Nachmittag erscheint seine Frau, ein kleines, verhutzeltes Ding mit ungstlichen und eiligen Vogelaugen, in einer Art von schwarzer Mantille mit Krausen und Bundern, weiß der Himmel, wo sie das Stuck mal geerbt hat. Sie murmelt leise etwas und bleibt scheu an der Tur stehen. Es erschreckt sie, daß wir sechs Mann hoch sind. "Na, Marja", sagt Lewandowski und schluckt gefuhrlich mit seinem Adamsapfel, "kannst ruhig 'reinkommen, die tun dir hier nichts." Sie geht herum und gibt jedem von uns die Hand. Dann zeigt sie das Kind vor, das inzwischen in die Windeln gemacht hat. Sie hat eine große, mit Perlen bestickte Tasche bei sich, aus der sie ein reines Tuch nimmt, um das Kind flink neu zu wickeln. Damit ist sie uber die erste Verlegenheit hinweg, und die beiden fangen an zu reden. Lewandowski ist sehr kribblig, er schielt immer wieder uußerst unglucklich mit seinen runden Glotzaugen zu uns heruber. Die Zeit ist gunstig, die Arztvisite ist vorbei, es kunnte huchstens noch eine Schwester ins Zimmer schauen. Einer geht deshalb noch einmal hinaus - spekulieren. Er kommt zuruck und nickt. "Kein Aas zu sehen. Nun sag's ihr schon, Johann, und mach zu." Die beiden unterhalten sich in ihrer Sprache. Die Frau guckt etwas rot und verlegen auf. Wir grinsen gutmutig und machen wegwerfende Handbewegungen, was schon dabei sei! Der Teufel soll alle Vorurteile holen, die sind fur andere Zeiten gemacht, hier liegt der Tischler Johann Lewandowski, ein zum Kruppel geschossener Soldat, und da ist seine Frau, wer weiß, wann er sie wiedersieht, er will sie haben, und er soll sie haben, fertig. Zwei Mann stellen sich vor die Tur, um die Schwestern abzufangen und zu beschuftigen, wenn sie zufullig vorbeikommen sollten. Sie wollen ungefuhr eine Viertelstunde aufpassen. Lewandowski kann nur auf der Seite liegen, einer packt ihm deshalb noch ein paar Kissen in den Rucken, Albert kriegt das Kind zu halten, dann drehen wir uns ein bißchen um, die schwarze Mantille verschwindet unter der Bettdecke, und wir kloppen laut und mit allerhand Redensarten Skat. Es geht alles gut. Ich habe einen wusten Kreuz-Solo mit vieren in den Fingern, der ungefuhr noch rumgeht. Daruber vergessen wir beinahe Lewandowski. Nach einiger Zeit beginnt das Kind zu plurren, obschon Albert es verzweifelt hin und her schwenkt. Es knistert und rauscht dann ein bißchen, und als wir so beiluufig aufblicken, sehen wir, daß das Kind schon die Flasche im Mund hat und wieder bei der Mutter ist. Die Sache hat geklappt. Wir fuhlen uns jetzt als eine große Familie, die Frau ist ordentlich munter geworden, und Lewandowski liegt schwitzend und strahlend da. Er packt die gestickte Tasche aus, es kommen da ein paar gute Wurste zum Vorschein, Lewandowski nimmt das Messer wie einen Blumenstrauß und subelt das Fleisch in Stucke. Mit großer Handbewegung weist er auf uns - und die kleine, verhutzelte Frau geht von einem zum andern und lacht uns an und verteilt die Wurst, sie sieht jetzt direkt hubsch aus dabei. Wir sagen Mutter zu ihr, und sie freut sich und klopft uns die Kopfkissen auf. Nach einigen Wochen muß ich jeden Morgen ins Zanderinstitut. Dort wird mein Bein festgeschnallt und bewegt. Der Arm ist lungst geheilt. Es laufen neue Transporte aus dem Felde ein. Die Verbunde sind nicht mehr aus Stoff, sie bestehen nur noch aus weißem Krepp-Papier. Verbandstoff ist zu knapp geworden draußen. Alberts Stumpf heilt gut. Die Wunde ist fast geschlossen. In einigen Wochen soll er fort in eine Prothesenstation. Er spricht noch immer wenig und ist viel ernster als fruher. Oft bricht er mitten im Gespruch ab und starrt vor sich hin. Wenn er nicht mit uns andern zusammen wure, hutte er lungst Schluß gemacht. Jetzt aber ist er uber das Schlimmste hinausgelangt. Er sieht schon manchmal beim Skat zu. Ich bekomme Erholungsurlaub. Meine Mutter will mich nicht mehr fortlassen. Sie ist so schwach. Es ist alles noch schlimmer als das letztemal. Danach werde ich vom Regiment angefordert und fahre wieder ins Feld. Der Abschied von meinem Freunde Albert Kropp ist schwer. Aber man lernt das beim Kommiß mit der Zeit. II Wir zuhlen die Wochen nicht mehr. Es war Winter, als ich ankam, und bei den Einschlugen der Granaten wurden die gefrorenen Erdklumpen fast ebenso gefuhrlich wie die Splitter. Jetzt sind die Buume wieder grun. Unser Leben wechselt zwischen Front und Baracken. Wir sind es teilweise schon gewohnt, der Krieg ist eine Todesursache wie Krebs und Tuberkulose, wie Grippe und Ruhr. Die Todesfulle sind nur viel huufiger, verschiedenartiger und grausamer. Unsere Gedanken sind Lehm, sie werden geknetet vom Wechsel der Tage - sie sind gut, wenn wir Ruhe haben, und tot, wenn wir im Feuer liegen. Trichterfelder draußen und drinnen. Alle sind so, nicht wir hier allein - was fruher war, gilt nicht, und man weiß es auch wirklich nicht mehr. Die Unterschiede, die Bildung und Erziehung schufen, sind fast verwischt und kaum noch zu erkennen. Sie geben manchmal Vorteile im Ausnutzen einer Situation; aber sie bringen auch Nachteile mit sich, indem sie Hemmungen wachrufen, die erst uberwunden werden mussen. Es ist, als ob wir fruher einmal Geldstucke verschiedener Lunder gewesen wuren; man hat sie eingeschmolzen, und alle haben jetzt denselben Prugestempel. Will man Unterschiede erkennen, dann muß man schon genau das Material prufen. Wir sind Soldaten und erst sputer auf eine sonderbare und verschumte Weise noch Einzelmenschen. Es ist eine große Bruderschaft, die ein Schimmer von dem Kameradentum der Volkslieder, dem Solidaritutsgefuhl von Struflingen und dem verzweifelten Einanderbeistehen von zum Tode Verurteilten seltsam vereinigt zu einer Stufe von Leben, das mitten in der Gefahr, aus der Anspannung und Verlassenheit des Todes sich abhebt und zu einem fluchtigen Mitnehmen der gewonnenen Stunden wird, auf gunzlich unpathetische Weise. Es ist heroisch und banal, wenn man es werten wollte - doch wer will das? Es ist darin enthalten, wenn Tjaden bei einem gemeldeten feindlichen Angriff in rasender Hast seine Erbsensuppe mit Speck ausluffelt, weil er ja nicht weiß, ob er in einer Smnde noch lebt. Wir haben lange daruber diskutiert, ob es richtig sei oder nicht. Kat verwirft es, weil er sagt, man musse mit einem Bauchschuß rechnen, der bei vollem Magen gefuhrlicher sei als bei leerem. Solche Dinge sind Probleme fur uns, sie sind uns ernst, und es kann auch nicht anders sein. Das Leben hier an der Grenze des Todes hat eine ungeheuer einfache Linie, es beschrunkt sich auf das Notwendigste, alles andere liegt in dumpfem Schlaf; - das ist unsere Primitivitut und unsere Rettung. Wuren wir differenzierter, wir wuren lungst irrsinnig, desertiert oder gefallen. Es ist wie eine Expedition im hohen Eise; - jede Lebensuußerung darf nur der Daseinserhaltung dienen und ist zwangsluufig darauf eingestellt. Alles andere ist verbannt, weil es unnutig Kraft verzehren wurde. Das ist die einzige Art, uns zu retten, und oft sitze ich vor mir selber wie vor einem Fremden, wenn der rutselhafte Widerschein des Fruher in stillen Stunden wie ein matter Spiegel die Umrisse meines jetzigen Daseins außer mich stellt, und ich wundere mich dann daruber, wie das unnennbare Aktive, das sich Leben nennt, sich angepaßt hat selbst an diese Form. Alle anderen uußerungen liegen im Winterschlaf, das Leben ist nur auf einer stundigen Lauer gegen die Bedrohung des Todes, - es hat uns zu denkenden Tieren gemacht, um uns die Waffe des Instinktes zu geben, - es hat uns mit Stumpfheit durchsetzt, damit wir nicht zerbrechen vor dem Grauen, das uns bei klarem, bewußtem Denken uberfallen wurde, - es hat in uns den Kameradschaftssinn geweckt, damit wir dem Abgrund der Verlassenheit entgehen, - es hat uns die Gleichgultigkeit von Wilden verliehen, damit wir trotz allem jeden Moment des Positiven empfinden und als Reserve aufspeichern gegen den Ansturm des Nichts. So leben wir ein geschlossenes, hartes Dasein uußerster Oberfluche, und nur manchmal wirft ein Ereignis Funken. Dann aber schlugt uberraschend eine Flamme schwerer und furchtbarer Sehnsucht durch. Das sind die gefuhrlichen Augenblicke, die uns zeigen, daß die Anpassung doch nur kunstlich ist, daß sie nicht einfach Ruhe ist, sondern schurfste Anspannung zur Ruhe. Wir unterscheiden uns uußerlich in der Lebensform kaum von Buschnegern; aber wuhrend diese stets so sein kunnen, weil sie eben so sind und sich durch Anspannung ihrer Geisteskrufte huchstens fortentwickeln, ist es bei uns umgekehrt: unsere inneren Krufte sind nicht auf Weiter-, sondern auf Zuruckentwicklung angespannt. Jene sind entspannt und selbstverstundlich so, wir sind es uußerst angespannt und kunstlich. Und mit Schrecken empfindet man nachts, aus einem Traum aufwachend, uberwultigt und preisgegeben derBezauberung heranflutender Gesichte, wie dunn der Hak und die Grenze ist, die uns von der Dunkelheit trennt - wir sind kleine Flammen, notdurftig geschutzt durch schwache Wunde vor dem Sturm der Auflusung und der Sinnlosigkeit, in dem wir flackern und manchmal fast ertrinken. Dann wird das gedumpfte Brausen der Schlacht zu einem Ring, der uns einschließt, wir kriechen in uns zusammen und starren mit großen Augen in die Nacht. Trustlich fuhlen wir nun den Schlafatem der Kameraden, und so warten wir auf den Morgen. Jeder Tag und jede Stunde, jede Granate und jeder Tote wetzen an diesem dunnen Halt, und die Jahre verschleißen ihn rasch. Ich sehe, wie er allmuhlich schon um mich herum niederbricht. Da ist die dumme Geschichte mit Detering. Er war einer von denen, die sich sehr fur sich hielten. Sein Ungluck war, daß er in einem Garten einen Kirschbaum sah. Wir kamen gerade von der Front, und dieser Kirschbaum stand in der Nuhe des neuen Quartiers an einer Wegbiegung uberraschend in der Morgendummerung vor uns. Er hatte keine Blutter, aber er war ein einziger weißer Blutenbusch. Abends war Detering nicht zu sehen. Er kam schließlich an und hatte ein paar Zweige mit Kirschbluten in der Hand. Wir machten uns lustig und fragten, ob er auf Brautschau wolle. Er gab keine Antwort, sondern legte sich auf sein Bett. Nachts hurte ich ihn rumoren, er schien zu packen. Ich witterte Unheil und ging zu ihm. Er tat, als wure nichts, und ich sagte ihm: "Mach keinen Unsinn, Detering." "Ach wo - ich kann nur nicht schlafen. "Weshalb hast du denn die Kirschzweige geholt?" "Ich werde doch wohl noch Kirschzweige holen durfen", antwortet er verstockt - und nach einer Weile: "Zu Hause habe ich einen großen Obstgarten mit Kirschen. Wenn die bluhen, sieht das vom Heuboden aus wie ein einziges Bettlaken, so weiß. Es ist jetzt die Zeit." "Vielleicht gibt's bald Urlaub. Es kann auch sein, daß du, als Landwirt, abkommandiert wirst." Er nickt, aber er ist abwesend. Wenn diese Bauern aufgeruhrt sind, haben sie einen sonderbaren Ausdruck, eine Mischung von Kuh und sehnsuchtigem Gott, halb blude und halb hinreißend. Um ihn von seinen Gedanken abzubringen, verlange ich ein Stuck Brot von ihm. Er gibt es mir ohne Einschrunkung. Das ist verduchtig, denn er ist sonst knauserig. Deshalb bleibe ich wach. Es passiert nichts, er ist morgens wie sonst. Wahrscheinlich hat er gemerkt, daß ich ihn beobachtet habe. - Am ubernuchsten Morgen ist er trotzdem fort. Ich sehe es, sage jedoch nichts, um ihm Zeit zu lassen, vielleicht kommt er durch. Nach Holland haben es schon verschiedene Leute geschafft. Beim Appell aber fullt sein Fehlen auf. Nach einer Woche huren wir, daß er gefaßt ist von den Feldgendarmen, diesen verachteten Kommißpolizisten. Er hatte die Richtung nach Deutschland genommen - das war naturlich aussichtslos -, und ebenso naturlich hatte er alles sehr dumm angefangen. Jeder hutte daraus wissen kunnen, daß die Flucht nur Heimweh und momentane Verwirrung war. Doch was begreifen Kriegsgerichtsrute hundert Kilometer hinter der Linie davon? - Wir haben nichts mehr von Detering vernommen. Aber auch auf andere Weise bricht es manchmal heraus, dieses Gefuhrliche, Gestaute - wie aus uberhitzten Dampfkesseln. Da ist auch noch das Ende zu berichten, das Berger fand. Schon lange sind unsere Gruben zerschossen, und wir haben die elastische Front, so daß wir eigentlich keinen richtigen Stellungskrieg mehr fuhren. Wenn Angriff und Gegenangriff hin und her gegangen sind, bleibt eine zerrissene Linie und ein erbitterter Kampf von Trichter zu Trichter. Die vordere Linie ist durchbrochen, und uberall haben sich Gruppen festgesetzt, Trichternester, von denen aus gekumpft wird. Wir sind in einem Trichter, seitlich sitzen Englunder, sie rollen die Flanke auf und gelangen hinter uns. Wir sind umzingelt. Es ist schwierig, sich zu ergeben, Nebel und Rauch schwanken uber uns hin, niemand wurde erkennen, daß wir kapitulieren wollen, vielleicht wollen wir es auch gar nicht, das weiß man selbst nicht in solchen Momenten. Wir huren die Explosionen der Handgranaten herankommen. Unser Maschinengewehr bestreicht den vorderen Halbkreis. Das Kuhlwasser verdampft, wir reichen die Kusten eilig herum, jeder pißt hinein, so haben wir wieder Wasser und kunnen weiterfeuern. Aber hinter uns kracht es immer nuher. In einigen Minuten sind wir verloren. Da rast ein zweites Maschinengewehr auf kurzeste Entfernung los. Es steckt im Trichter neben uns, Berger hat es geholt, und nun setzt ein Gegenangriff von hinten ein, wir kommen frei und finden Verbindung nach ruckwurts. Als wir nachher in einigermaßen guter Deckung sind, erzuhlt einer von den Essenholern, daß ein paar hundert Schritte entfernt ein verwundeter Meldehund liege. "Wo?" fragt Berger. Der andere beschreibt es ihm. Berger geht los, um das Tier zu holen oder es zu erschießen. Noch vor einem halben Jahr hutte er sich nicht darum gekummert, sondern wure vernunftig gewesen. Wir versuchen, ihn zuruckzuhalten. Doch als er ernsthaft geht, kunnen wir nur sagen: "Verruckt!" und ihn laufenlassen. Denn diese Anfulle von Frontkoller werden gefuhrlich, wenn man den Mann nicht gleich zu Boden werfen und festhalten kann. Und Berger ist ein Meter achtzig groß, der kruftigste Mann der Kompanie. Er ist tatsuchlich verruckt, denn er muß durch die Feuerwand; - aber es ist dieser Blitz, der irgendwo uber uns allen lauert, der in ihn eingeschlagen ist und ihn besessen macht. Bei andern ist es so, daß sie zu toben anfangen, daß sie wegrennen, ja einer war da, der sich mit Hunden und Fußen und Mund immerfort in die Erde einzugraben versuchte. Es wird naturlich auch viel simuliert mit solchen Sachen, aber das Simulieren ist ja eigentlich auch schon ein Zeichen. Berger, der den Hund erledigen will, wird mit einem Beckenschuß weggeholt, und einer der Leute, die es tun, kriegt sogar dabei noch eine Gewehrkugel in die Wade. Muller ist tot. Man hat ihm aus nuchster Nuhe eine Leuchtkugel in den Magen geschossen. Er lebte noch eine halbe Stunde bei vollem Verstande und furchtbaren Schmerzen. Bevor er starb, ubergab er mir seine Brieftasche und vermachte mir seine Stiefel - dieselben, die er damals von Kemmerich geerbt hat. Ich trage sie, denn sie passen mir gut. Nach mir wird Tjaden sie bekommen, ich habe sie ihm versprochen. Wir haben Muller zwar begraben kunnen, aber lange wird er wohl nicht ungesturt bleiben. Unsere Linien werden zuruckgenommen. Es gibt druben zu viele frische englische und amerikanische Regimenter. Es gibt zuviel Corned beef und weißes Weizenmehl. Und zuviel neue Geschutze. Zuviel Flugzeuge. Wir aber sind mager und ausgehungert. Unser Essen ist so schlecht und mit so viel Ersatzmitteln gestreckt, daß wir krank davon werden. Die Fabrikbesitzer in Deutschland sind reiche Leute geworden - uns zerschrinnt die Ruhr die Durme. Die Latrinenstangen sind stets dicht gehockt voll; - man sollte den Leuten zu Hause diese grauen, gelben, elenden, ergebenen Gesichter hier zeigen, diese verkrummten Gestalten, denen die Kolik das Blut aus dem Leibe quetscht und die huchstens mit verzerrten, noch schmerzbebenden Lippen sich angrinsen: "Es hat gar keinen Zweck, die Hose wieder hochzuziehen -" Unsere Artillerie ist ausgeschossen - sie hat zuwenig Munition -, und die Rohre sind so ausgeleiert, daß sie unsicher schießen und bis zu uns heruberstreuen. Wir haben zuwenig Pferde. Unsere frischen Truppen sind blutarme, erholungsbedurftige Knaben, die keinen Tornister tragen kunnen, aber zu sterben wissen. Zu Tausenden. Sie verstehen nichts vom Kriege, sie gehen nur vor und lassen sich abschießen. Ein einziger Flieger knallte aus Spaß zwei Kompanien von ihnen weg, ehe sie etwas von Deckung wußten, als sie frisch aus dem Zuge kamen. "Deutschland muß bald leer sein", sagt Kat. Wir sind ohne Hoffnung, daß einmal ein Ende sein kunnte. Wir denken uberhaupt nicht so weit. Man kann einen Schuß bekommen und tot sein; man kann verletzt werden, dann ist das Lazarett die nuchste Station. Ist man nicht amputiert, dann fullt man uber kurz oder lang einem dieser Stabsurzte in die Hunde, die das Kriegsverdienstkreuz im Knopfloch, einem sagen: "Wie, das bißchen verkurzte Bein? An der Front brauchen Sie nicht zu laufen, wenn Sie Mut haben. Der Mann ist k.v. Wegtreten!" Kat erzuhlt eine der Geschichten, die die ganze Front von den Vogesen bis Flandern entlanglaufen, - von dem Stabsarzt, der Namen vorliest auf der Musterung und, wenn der Mann vortritt, ohne aufzusehen, sagt: "K.v. Wirbrauchen Soldaten draußen." Ein Mann mit Holzbein tritt vor, der Stabsarzt sagt wieder: k.v. - "Und da", Kat hebt die Stimme, "sagt der Mann zu ihm: >Ein Holzbein habe ich schon; aber wenn ich jetzt hinausgehe und wenn man mir den Kopf abschießt, dann lasse ich mir einen Holzkopf machen und werde Stabsarzt!<" - Wir sind alle tief befriedigt uber diese Antwort. Es mag gute urzte geben, und viele sind es; doch einmal fullt bei den hundert Untersuchungen jeder Soldat einem dieser zahlreichen Heldengreifer in die Finger, die sich bemuhen, auf ihrer Liste muglichst viele a.v. und g.v. in k.v. zu verwandeln. Es gibt manche solcher Geschichten, sie sind meistens noch viel bitterer. Aber sie haben trotzdem nichts mit Meuterei und Miesmachen zu tun; sie sind ehrlich und nennen die Dinge beim Namen; denn es besteht sehr viel Betrug, Ungerechtigkeit und Gemeinheit beim Kommiß. Ist es nicht viel, daß trotzdem Regiment auf Regiment in den immer aussichtsloser werdenden Kampf geht und daß Angriff auf Angriff erfolgt bei zuruckweichender, zerbruckelnder Linie? Die Tanks sind vom Gesputt zu einer schweren Waffe geworden. Sie kommen, gepanzert, in langer Reihe gerollt und verkurpern uns mehr als anderes das Grauen des Krieges. Die Geschutze, die uns das Trommelfeuer heruberschicken, ] sehen wir nicht, die angreifenden Linien der Gegner sind Menschen wie wir - aber diese Tanks sind Maschinen, ihre Kettenbunder laufen endlos wie der Krieg, sie sind die Vernichtung, wenn sie fuhllos in Trichter hineinrollen und wieder hochklettern, unaufhaltsam, eine Flotte brullender, rauchspeiender Panzer, unverwundbare, Tote und Verwundete zerquetschende Stahltiere - Wir schrumpfen zusammen vor ihnen in unserer dunnen Haut, vor ihrer kolossalen Wucht werden unsere Arme zu Strohhalmen und unsere Handgranaten zu Streichhulzern. Granaten, Gasschwaden und Tankflottillen - Zerstampfen, Zerfressen, Tod. Ruhr, Grippe, Typhus -Wurgen, Verbrennen,Tod. Graben, Lazarett, Massengrab - mehr Muglichkeiten gibt es nicht. Bei einem Angriff fullt unser Kompaniefuhrer Bertinck. Er war einer dieser prachtvollen Frontoffiziere, die in jeder brenzligen Situation vorne sind. Seit zwei Jahren war er bei uns, ohne daß er verwundet wurde, da mußte ja endlich etwas passieren. Wir sitzen in einem Loch und sind eingekreist. Mit den Pulverschwaden weht der Gestank von ul oder Petroleum heruber. Zwei Mann mit einem Flammenwerfer werden entdeckt, einer trugt auf dem Rucken den Kasten, der andere hat in den Hunden den Schlauch, aus dem das Feuer spritzt. Wenn sie so nahe herankommen, daß sie uns erreichen, sind wir erledigt, denn zuruck kunnen wir gerade jetzt nicht. Wir nehmen sie unter Feuer. Doch sie arbeiten sich nuher heran, und es wird schlimm. Bertinck liegt mit uns im Loch. Als er merkt, daß wir nicht treffen, weil wir bei dem scharfen Feuer zu sehr auf Deckung bedacht sein mussen, nimmt er ein Gewehr, kriecht aus dem Loch und zielt, liegend aufgestutzt. Er schießt - im selben Moment schlugt eine Kugel bei ihm klatschend auf, er ist getroffen. Doch er bleibt liegen und zielt weiter - einmal setzt er ab und legt dann aufs neue an; endlich kracht der Schuß. Bertinck lußt das Gewehr fallen, sagt: "Gut", und rutscht zuruck. Der hinterste der beiden Flammenwerfer ist verletzt, er fullt, der Schlauch rutscht dem andern weg, das Feuer spritzt nach allen Seiten, und der Mann brennt. Bertinck hat einen Brustschuß. Nach einer Weile schmettert ihm ein Splitter das Kinn weg. Der gleiche Splitter hat noch die Kraft, Leer die Hufte aufzureißen. Leer stuhnt und stemmt sich auf die Arme, er verblutet rasch, niemand kann ihm helfen. Wie ein leerlaufender Schlauch sackt er nach ein paar Minuten zusammen. Was nutzt es ihm nun, daß er in der Schule ein so guter Mathematiker war. Die Monate rucken weiter. Dieser Sommer 1918 ist der blutigste und der schwerste. Die Tage stehen wie Engel in Gold und Blau unfaßbar uber dem Ring der Vernichtung. Jeder hier weiß, daß wir den Krieg verlieren. Es wird nicht viel daruber gesprochen, wir gehen zuruck, wir werden nicht wieder angreifen kunnen nach dieser großen Offensive, wir haben keine Leute und keine Munition mehr. Doch der Feldzug geht weiter - das Sterben geht weiter - Sommer 1918 - Nie ist uns das Leben in seiner kargen Gestalt so begehrenswert erschienen wie jetzt; - der rote Klatschmohn auf den Wiesen unserer Quartiere, die glatten Kufer an den Grashalmen, die warmen Abende in den halb-dunklen, kuhlen Zimmern, die schwarzen, geheimnisvollen Buume der Dummerung, die Sterne und das Fließen des Wassers, die Truume und der lange Schlaf - o Leben, Leben, Leben! Sommer 1918 - Nie ist schweigend mehr ertragen worden als in dem Augenblick des Aufbruchs zur Front. Die wilden und aufpeitschenden Geruchte von Waffenstillstand und Frieden sind aufgetaucht, sie verwirren die Herzen und machen den Auf bruch schwerer als jemals! Sommer 1918 - Nie ist das Leben vorne bitterer und grauenvoller als in den Stunden des Feuers, wenn die bleichen Gesichter im Schmutz liegen und die Hunde verkrampft sind zu einem einzigen: Nicht! Nicht! Nicht jetzt noch! Nicht jetzt noch im letzten Augenblick! Sommer 1918 - Wind der Hoffnung, der uber die verbrannten Felder streicht, rasendes Fieber der Ungeduld, der Enttuuschung, schmerzlichste Schauer des Todes, unfaßbare Frage: Warum? Warum macht man kein Ende? Und warum flattern diese Geruchte vom Ende auf? Es gibt so viele Flieger hier, und sie sind so sicher, daß sie auf einzelne Leute Jagd machen wie auf Hasen. Auf ein deutsches Flugzeug kommen mindestens funf englische und amerikanische. Auf einen hungrigen, muden deutschen Soldaten im Graben kommen funf kruftige, frische andere im gegnerischen. Auf ein deutsches Kommißbrot kommen funfzig Buchsen Fleischkonserven druben. Wir sind nicht geschlagen, denn wir sind als Soldaten besser und erfahrener; wir sind einfach von der vielfachen ubermacht zerdruckt und zuruckgeschoben. Einige Regenwochen liegen hinter uns - grauer Himmel, graue zerfließende Erde, graues Sterben. Wenn wir hinausfahren, dringt uns bereits die Nusse durch die Muntel und Kleider, - und so bleibt es die Zeit vorne auch. Wir werden nicht trocken. Wer noch Stiefel trugt, bindet sie oben mit Sandsucken zu, damit das Lehmwasser nicht so rasch hineinluuft. Die Gewehre verkrusten, die Uniformen verkrusten, alles ist fließend und aufgelust, eine triefende, feuchte, ulige Masse Erde, in der die gelben Tumpel mit spiralig roten Blutlachen stehen und Tote, Verwundete und uberlebende langsam versinken. Der Sturm peitscht uber uns hin, der Splitterhagel reißt aus dem wirren Grau und Gelb die spitzen Kinderschreie der Getroffenen, und in den Nuchten stuhnt das zerrissene Leben sich muhsam dem Schweigen zu. Unsere Hunde sind Erde, unsere Kurper Lehm und unsere Augen Regentumpel. Wir wissen nicht, ob wir noch leben. Dann sturzt die Hitze wie eine Qualle feucht und schwul in unsere Lucher, und an einem dieser Sputsommertage, beim Essenholen, fullt Kat um. Wir beide sind allein. Ich verbinde seine Wunde; das Schienbein scheint zerschmettert zu sein. Es ist ein Knochenschuß, und Kat stuhnt verzweifelt: "Jetzt noch - gerade jetzt noch -" Ich truste ihn. "Wer weiß, wie lange der Schlamassel noch dauert! Du bist erst mal gerettet -" Die Wunde beginnt heftig durchzubluten. Kat kann nicht allein bleiben, damit ich eine Bahre zu holen versuche. Ich weiß auch nirgendwo eine Sanitutsstation in der Nuhe. Kat ist nicht sehr schwer; deshalb nehme ich ihn auf den Rucken und gehe zuruck mit ihm zum Verbandsplatz. Zweimal machen wir Rast. Er hat starke Schmerzen durch den Transport. Wir sprechen nicht viel. Ich habe den Kragen meiner Jacke aufgemacht und atme heftig, ich schwitze, und mein Gesicht ist gedunsen von der Anstrengung des Tragens. Trotzdem drunge ich, daß wir weitergehen, denn das Terrain ist gefuhrlich. "Geht's wieder, Kat?" "Muß wohl, Paul." "Dann los." Ich richte ihn auf, er steht auf dem unverletzten Bein und hult sich an einem Baum fest. Dann fasse ich vorsichtig das verwundete Bein, er gibt sich einen Ruck, und ich nehme auch das Knie des gesunden Beines unter den Arm. Unser Weg wird schwieriger. Manchmal pfeift eine Granate heran. Ich gehe, so schnell ich vermag, denn das Blut von Kats Wunde tropft zu Boden. Wir kunnen uns nur schlecht schutzen vor den Einschlugen, denn ehe wir Deckung nehmen, sind sie lungst voruber. Um abzuwarten, legen wir uns in einen kleinen Trichter. Ich gebe Kat Tee aus meiner Feldflasche. Wir rauchen eine Zigarette. "Ja, Kat", sage ich trubsinnig, "nun kommen wir doch noch auseinander." Er schweigt und sieht mich an. "Weißt du noch, Kat, wie wir die Gans requirierten? Und wie du mich aus dem Schlamassel holtest, als ich noch ein kleiner Rekrut und zum erstenmal verwundet war? Damals habe ich noch geweint. Kat, es sind fast drei Jahre jetzt." Er nickt. Die Angst vor dem Alleinsein steigt in mir auf. Wenn Kat abtransportiert ist, habe ich keinen Freund mehr hier. "Kat, wir mussen uns auf jeden Fall wiedersehen, wenn wirklich Frieden ist, ehe du zuruckkommst." "Glaubst du, daß ich mit dem Knochen da noch mal k.v. werde?" fragt er bitter. "Du wirst ihn in Ruhe ausheilen. Das Gelenk ist ja in Ordnung. Vielleicht klappt es doch damit." "Gib mir noch eine Zigarette", sagt er. "Vielleicht kunnen wir irgend etwas sputer zusammen machen, Kat." - Ich bin sehr traurig, es ist unmuglich, daß Kat - Kat, mein Freund, Kat mit den Hungeschultern und dem dunnen, weichen Schnurrbart, Kat, den ich kenne auf eine andere Weise als jeden anderen Menschen, Kat, mit dem ich diese Jahre geteilt habe -, es ist unmuglich, daß ich Kat vielleicht nicht wiedersehen soll. "Gib mir deine Adresse fur zu Hause, Kat, auf jeden Fall. Und hier ist meine, ich schreibe sie dir auf." Den Zettel schiebe ich in meine Brusttasche. Wie verlassen ich schon bin, obschon er noch neben mir sitzt. Soll ich mir rasch in den Fuß schießen, um bei ihm bleiben zu kunnen? Kat gurgelt plutzlich und wird grun und gelb. "Wir wollen weiter", stammelt er. Ich springe auf, gluhend, ihm zu helfen, ich nehme ihn hoch und setze mich in Lauf, einen gedehnten, langsamen Dauerlauf, damit sein Bein nicht zu sehr schlenkert. Mein Hals ist trocken, es tanzt mir rot und schwarz vor den Augen, als ich verbissen und ohne Gnade weiterstolpernd, endlich die Sanitutsstation erreiche. Dort breche ich in die Knie, habe aber noch so viel Kraft, nach der Seite umzufallen, wo Kats gesundes Bein ist. Langsam richte ich mich nach einigen Minuten wieder auf. Meine Beine und meine Hunde zittern heftig, ich habe Muhe, meine Feldflasche zu finden, um einen Schluck zu neh