Johann Wolfgang Goethe. Egmont Ein Trauerspiel in fö¼nf Aufzö¼gen -------------------------------------------------------------------------------- Personen: Margarete von Parma, Tochter Karls des Fö¼nften, Regentin der Niederlande Graf Egmont, Prinz von Gaure Wilhelm von Oranien Herzog von Alba Ferdinand, sein natö¼rlicher Sohn Machiavell, im Dienste der Regentin Richard, Egmonts Geheimschreiber Silva und Gomez, unter Alba dienend Klö¤rchen, Egmonts Geliebte Ihre Mutter Brackenburg, ein Bö¼rgerssohn Soest, Krö¤mer, Bö¼rger von Brö¼ssel Jetter, Schneider, Bö¼rger von Brö¼ssel Zimmermann und Seifensieder, Bö¼rger von Brö¼ssel Buyck, Soldat unter Egmont Ruysum, Invalide und taub Vansen, ein Schreiber Volk, Gefolge, Wachen usw. -------------------------------------------------------------------------------- Erster Aufzug ArmbrustschieöŸen Soldaten und Bö¼rger mit Armbrö¼sten Jetter, Bö¼rger von Brö¼ssel, Schneider, tritt vor und spannt die Armbrust. Soest, Bö¼rger von Brö¼ssel, Krö¤mer. Soest. Nun schieöŸt nur hin, daöŸ es alle wird! Ihr nehmt mir's doch nicht! Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht geschossen. Und so wö¤r' ich fö¼r dies Jahr Meister. Jetter. Meister und Kö¶nig dazu. Wer miöŸgö¶nnt's Euch? Ihr sollt dafö¼r auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit bezahlen, wie's 'recht ist. (Buyck, ein Hollö¤nder, Soldat unter Egmont.) Buyck. Jetter, den SchuöŸ handl' ich Euch ab, teile den Gewinst, traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und fö¼r viele Hö¶flichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hö¤ttet. - Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei. Doch, Buyck, nur immerhin. Buyck (schieöŸt). Nun, Pritschmeister, Reverenz! - Eins! Zwei! Drei! Vier! Soest. Vier Ringe? Es sei! Alle. Vivat, Herr Kö¶nig, hoch! und abermal hoch! Buyck. Danke, ihr Herren. Wö¤re Meister zu viel! Danke fö¼r die Ehre. Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken. (Ruysum, ein Frieslö¤nder, Invalide und taub.) Ruysum. DaöŸ ich euch sage! Soest. Wie ist's, Alter? Ruysum. DaöŸ ich euch sage! - Er schieöŸt wie sein Herr, er schieöŸt wie Egmont. Buyck. Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker. Mit der Bö¼chse trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glö¼ck oder gute Laune hat; nein! wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe ich von ihm. Das wö¤re auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts von ihm lernte. - Nicht zu vergessen, meine Herren! Ein Kö¶nig nö¤hrt seine Leute; und so, auf des Kö¶nigs Rechnung, Wein her! Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daöŸ jeder - Buyck. Ich bin fremd und Kö¶nig, und achte eure Gesetze und Herkommen nicht. Jetter. Du bist ja ö¤rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher lassen mö¼ssen. Ruysum. Was? Soest (laut). Er will uns gastieren; er will nicht haben, daöŸ wir zusammenlegen und der Kö¶nig nur das Doppelte zahlt. Ruysum. LaöŸt ihn! doch ohne Prö¤judiz! Das ist auch seines Herrn Art, splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht. (Sie bringen Wein.) Alle. Ihro Majestö¤t Wohl! Hoch! Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestö¤t. Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll. Soest. Wohl! Denn unserer spanischen Majestö¤t Gesundheit trinkt nicht leicht ein Niederlö¤nder von Herzen. Ruysum. Wer? Soest (laut). Philipps des Zweiten, Kö¶nigs in Spanien. Ruysum. Unser allergnö¤digster Kö¶nig und Herr! Gott geb' ihm langes Leben. Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fö¼nften, nicht lieber? Ruysum. Gott trö¶st' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand ö¼ber den ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete, so grö¼öŸt' er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart, wuöŸt' er mit so guter Manier - ja, versteht mich - Er ging aus, ritt aus, wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint, wie er seinem Sohn das Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich - der ist schon anders, der ist majestö¤tischer. Jetter. Er lieöŸ sich nicht sehen, da er hier war, als in Prunk und kö¶niglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute. Soest. Es ist kein Herr fö¼r uns Niederlö¤nder. Unsre Fö¼rsten mö¼ssen froh und frei sein wie wir, leben und leben lassen. Wir wollen nicht verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind. Jetter. Der Kö¶nig, denk ich, wö¤re wohl ein gnö¤diger Herr, wenn er nur bessere Ratgeber hö¤tte. Soest. Nein, nein! Er hat kein Gemö¼t gegen uns Niederlö¤nder, sein Herz ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kö¶nnen wir ihn wiederlieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? Warum trö¼gen wir ihn alle auf den Hö¤nden? Weil man ihm ansieht, daöŸ er uns wohlwill; weil ihm die Frö¶hlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung aus den Augen sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Dö¼rftigen nicht mitteilte, auch dem, der's nicht bedarf. LaöŸt den Grafen Egmont leben! Buyck, an Euch ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus. Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch! Ruysum. öœberwinder bei St. Quintin. Buyck. Dem Helden von Gravelingen! Alle. Hoch! Ruysum. St. Quintin war meine letzte Schlacht. ich konnte kaum mehr fort, kaum die schwere Bö¼chse mehr schleppen. Hab ich doch den Franzosen noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen StreifschuöŸ ans rechte Bein. Buyck. Gravelingen! Freunde! da ging's frisch! Den Sieg haben wir allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern? Aber ich mein, wir trafen sie! Ihre alten, handfesten Kerle hielten lange wider, und wir drö¤ngten und schossen und hieben, daöŸ sie die Mö¤uler verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe niedergeschossen, und wir stritten lange hinö¼ber herö¼ber, Mann fö¼r Mann, Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See hin. Auf einmal kam's, wie vom Himmel herunter, von der Mö¼ndung des Flusses, bav, bau! immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren Englö¤nder, die unter dem Admiral Malin von ungefö¤hr von Dö¼nkirchen her vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht; sie konnten nur mit den kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter uns - Es tat doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's! Rick! rack! herö¼ber, hinö¼ber! Alles totgeschlagen, alles ins Wasser gesprengt. Und die Kerle ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was wir Hollö¤nder waren, gerad hintendrein. Uns, die wir beidlebig sind, ward erst wohl im Wasser wie den Frö¶schen; und immer die Feinde im FluöŸ zusammengehauen, weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach, schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot. MuöŸte doch die welsche Majestö¤t gleich das Pfö¶tchen reichen und Friede machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem groöŸen Egmont schuldig. Alle. Hoch! dem groöŸen Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal hoch! Jetter. Hö¤tte man uns den statt der Margrete von Parma zum Regenten gesetzt! Soest. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnö¤d'ge Frau! Alle. Sie lebe! Soest. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin lebe! Jetter. Klug ist sie, und mö¤öŸig in allem, was sie tut; hielte sie's nur nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld, daöŸ wir die vierzehn neuen Bischofsmö¼tzen im Lande haben. Wozu die nur sollen? Nicht wahr, daöŸ man Fremde in die guten Stellen einschieben kann, wo sonst ö„bte aus den Kapiteln gewö¤hlt wurden? Und wir sollen glauben, es sei um der Religion willen. Ja, es hat sich. An drei Bischö¶fen hatten wir genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu. Nun muöŸ doch auch jeder tun, als ob er nö¶tig wö¤re; und da setzt's allen Augenblick VerdruöŸ und Hö¤ndel. Und je mehr ihr das Ding rö¼ttelt und schö¼ttelt, desto trö¼ber wird's. (Sie trinken.) Soest. Das war nun des Kö¶nigs Wille; sie kann nichts davon- noch dazutun. Jetter. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind wahrlich gar schö¶n in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum? Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiöŸ. Ich hab ihrer doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen. Buyck. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir wollen. Das macht, daöŸ Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so etwas nicht. - In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer Belieben hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger als ein geistlich Lied? Nicht wahr, Vater? Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung. Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre Art; und gefö¤hrlich ist's doch immer, da lö¤öŸt man's lieber sein. Die Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann ist schon unglö¼cklich geworden. Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich nicht tun darf, was ich mö¶chte, kö¶nnen sie mich doch denken und singen lassen, was ich will. Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel muöŸ auch beizeiten suchen, ihr die Flö¼gel zu beschneiden. Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfö¤llt, in mein Haus zu stö¼rmen, und ich sitz an meiner Arbeit und summe just einen franzö¶sischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Bö¶ses; ich summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und werde eingesteckt. Oder ich gehe ö¼ber Land und bleibe bei einem Haufen Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhö¶rt, einem von denen, die aus Deutschland gekommen sind: auf der Stelle heiöŸ ich ein Rebell und komme in Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hö¶ren? Soest. Wackre Leute. Neulich hö¶rt' ich einen auf dem Felde vor tausend und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Gekö¶ch, als wenn unsre auf der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwö¼rgen. Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hö¤tten bei der Nase herumgefö¼hrt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung haben kö¶nnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel. Jetter. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt's immer selbst und grö¼belte so ö¼ber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen. Buyck. Es lö¤uft ihnen auch alles Volk nach. Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hö¶ren kann und was Neues. Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen nach seiner Weise. Buyck. Frisch, ihr Herren! öœber dem Schwö¤tzen vergeöŸt ihr den Wein und Oranien. Jetter. Den nicht zu vergessen. Das ist ein rechter Wall: wenn man nur an ihn denkt, meint man gleich, man kö¶nne sich hinter ihn verstecken und der Teufel brö¤chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch! Alle. Hoch! hoch! Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit. Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg! Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg! Jetter. Krieg! Krieg! WiöŸt ihr auch, was ihr ruft? DaöŸ es euch leicht vom Munde geht, ist wohl natö¼rlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hö¶ren; und nichts zu hö¶ren, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer, wie sie ö¼ber einen Hö¼gel kamen und bei einer Mö¼hle hielten, wieviel da geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drö¤ngen, und einer gewinnt, der andere verliert, ohne daöŸ man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bö¼rger ermordet werden, und wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not und Angst, man denkt jeden Augenblick: á»Da kommen sie! Es geht uns auch so.á« Soest. Drum muöŸ auch ein Bö¼rger immer in Waffen geö¼bt sein. Jetter. Ja, es ö¼bt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hö¶r ich noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe. Buyck. Das sollt' ich ö¼belnehmen. Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem. Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf? Jetter. Vexier' Er sich. Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir. Jetter. Halt dein Maul. Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der Kö¼che, dem Keller, der Stube - dem Bette. (Sie lachen.) Jetter. Du bist ein Tropf. Buyck. Friede, ihr Herren! MuöŸ der Soldat Friede rufen? - Nun da ihr von uns nichts hö¶ren wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine bö¼rgerliche Gesundheit. Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe! Soest. Ordnung und Freiheit! Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden. (Sie stoöŸen an und wiederholen frö¶hlich die Worte, doch so, daöŸ jeder ein anders ausruft und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und fö¤llt endlich auch mit ein.) Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit! Palast der Regentin Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente. Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten. Sagt Machiavellen, er soll zu mir kommen. (Alle gehen ab.) Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten lö¤öŸt mir keine Ruhe! Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder, diese Sorgen vor mir. Nun wird der Kö¶nig sagen, dies sei'n die Folgen meiner Gö¼te, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden Augenblick, das Rö¤tlichste, das Beste getan zu haben. Sollte ich frö¼her mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschö¼tten. Ja, was ich mir selbst sage, was ich wohl weiöŸ, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der öœbermut der fremden Lehrer hat sich tö¤glich erhö¶ht; sie haben unser Heiligtum gelö¤stert, die stumpfen Sinne des Pö¶bels zerrö¼ttet und den Schwindelgeist unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrö¼hrer gemischt, und schreckliche Taten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist, und die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und einzeln, damit mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der Kö¶nig nicht denke, man wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch gelindes, dem öœbel zu steuern. O was sind wir GroöŸen auf der Woge der Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und nieder, hin und her. (Machiavell tritt auf.) Regentin. Sind die Briefe an den Kö¶nig aufgesetzt? Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kö¶nnen. Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfö¼hrlich genug gemacht? Machiavell. Ausfö¼hrlich und umstö¤ndlich, wie es der Kö¶nig liebt. Ich erzö¤hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstö¼rmerische Wut sich zeigt. Wie eine rasende Menge, mit Stö¤ben, Beilen, Hö¤mmern, Leitern, Stricken versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und Klö¶ster anfallen, die Andö¤chtigen verjagen, die verschlossenen Pforten aufbrechen, alles umkehren, die Altö¤re niederreiöŸen, die Statuen der Heiligen zerschlagen, alle Gemö¤lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes, Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreiöŸen, zertreten. Wie sich der Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore erö¶ffnen. Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwö¼sten, die Bibliothek des Bischofs verbrennen. Wie eine groöŸe Menge Volks, von gleichem Unsinn ergriffen, sich ö¼ber Menin, Comines, Werwicq, Lille verbreitet, nirgend Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die ungeheure Verschwö¶rung sich erklö¤rt und ausgefö¼hrt ist. Regentin. Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das öœbel werde nur grö¶öŸer und grö¶öŸer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell! Machiavell. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so ö¤hnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt Ihr doch selten meinem Rat folgen mö¶gen. Ihr sagtet oft im Scherze: á»Du siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein: wer handelt, muöŸ fö¼rs Nö¤chste sorgen.á« Und doch, habe ich diese Geschichte nicht vorauserzö¤hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen? Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es ö¤ndern zu kö¶nnen. Machiavell. Ein Wort fö¼r tausend: Ihr unterdrö¼ckt die neue Lehre nicht. LaöŸt sie gelten, sondert sie von den Rechtglö¤ubigen, gebt ihnen Kirchen, faöŸt sie in die bö¼rgerliche Ordnung, schrö¤nkt sie ein; und so habt Ihr die Aufrö¼hrer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel sind vergeblich, und Ihr verheert das Land. Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kö¶nne? WeiöŸt du nicht, wie er mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste empfiehlt? daöŸ er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht hergestellt wissen will? Hö¤lt er nicht selbst in den Provinzen Spione, die wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung hinö¼berneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen genannt, der sich in unsrer Nö¤he heimlich der Ketzerei schuldig machte? Befiehlt er nicht Strenge und Schö¤rfe? Und ich soll gelind sein? ich soll Vorschlö¤ge tun, daöŸ er nachsehe, daöŸ er dulde? Wö¼rde ich nicht alles Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren? Machiavell. Ich weiöŸ wohl; der Kö¶nig befiehlt, er lö¤öŸt Euch seine Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wiederherstellen, durch ein Mittel, das die Gemö¼ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr tut. Die grö¶öŸten Kaufleute sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen Gedanken beharren, wenn sich um uns alles ö¤ndert? Mö¶chte doch ein guter Geist Philippen eingeben, daöŸ es einem Kö¶nige anstö¤ndiger ist, Bö¼rger zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben. Regentin. Solch ein Wort nie wieder. Ich weiöŸ wohl, daöŸ Politik selten Treu und Glauben halten kann, daöŸ sie Offenheit, Gutherzigkeit, Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschlieöŸt. In weltlichen Geschö¤ften ist das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen wie unter einander? Sollen wir gleichgö¼ltig gegen unsre bewö¤hrte Lehre sein, fö¼r die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben an hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen? Machiavell. Denkt nur deswegen nicht ö¼bler von mir. Regentin. Ich kenne dich und deine Treue und weiöŸ, daöŸ einer ein ehrlicher und verstö¤ndiger Mann sein kann, wenn er gleich den nö¤chsten besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch andere, Machiavell, Mö¤nner, die ich schö¤tzen und tadeln muöŸ. Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir? Regentin. Ich kann es gestehen, daöŸ mir Egmont heute einen recht innerlichen tiefen VerdruöŸ erregte. Machiavell. Durch welches Betragen? Regentin. Durch sein gewö¶hnliches, durch Gleichgö¼ltigkeit und Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen und ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an, ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. á»Seht, was in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der Kö¶nig sich alles versprach?á« Machiavell. Und was antwortete er? Regentin. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wö¤re, versetzte er: á»Wö¤ren nur erst die Niederlö¤nder ö¼ber ihre Verfassung beruhigt! Das ö¼brige wö¼rde sich leicht geben.á« Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederlö¤nder sieht, daöŸ es mehr um seine Besitztö¼mer als um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu tun ist? Haben die neuen Bischö¶fe mehr Seelen gerettet, als fette Pfrö¼nden geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch werden alle Statthalterschaften mit Niederlö¤ndern besetzt; lassen sich es die Spanier nicht zu deutlich merken, daöŸ sie die grö¶öŸte, unwiderstehlichste Begierde nach diesen Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber nach seiner Art von den Seinigen regieret werden als von Fremden, die erst im Lande sich wieder Besitztö¼mer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden MaöŸstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen? Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner. Machiavell. Mit dem Herzen gewiöŸ nicht; und wollte, ich kö¶nnte mit dem Verstande ganz auf der unsrigen sein. Regentin. Wenn du so willst, so tö¤t' es not, ich trö¤te ihnen meine Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich groöŸe Hoffnung, diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden. Machiavell. Ein gefö¤hrliches Paar. Regentin. Soll ich aufrichtig reden: ich fö¼rchte Oranien, und ich fö¼rchte fö¼r Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in die Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und in tiefster Ehrfurcht, mit grö¶öŸter Vorsicht tut er, was ihm beliebt. Machiavell. Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als wenn die Welt ihm gehö¶rte. Regentin. Er trö¤gt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestö¤t nicht ö¼ber ihm schwebte. Machiavell. Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die Herzen hö¤ngen an ihm. Regentin. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand Rechenschaft von ihm zu fordern hö¤tte. Noch trö¤gt er den Namen Egmont. Graf Egmont freut ihn sich nennen zu hö¶ren; als wollte er nicht vergessen, daöŸ seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt er sich nicht Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt? Warum tut er das? Will er erloschne Rechte wieder geltend machen? Machiavell. Ich halte ihn fö¼r einen treuen Diener des Kö¶nigs. Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kö¶nnte er sich um die Regierung machen; anstatt daöŸ er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsö¤glichen VerdruöŸ gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben den Adel mehr verbunden und verknö¼pft als die gefö¤hrlichsten heimlichen Zusammenkö¼nfte. Mit seinen Gesundheiten haben die Gö¤ste einen dauernden Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschö¶pft. Wie oft setzt er durch seine Scherzreden die Gemö¼ter des Volks in Bewegung, und wie stutzte der Pö¶bel ö¼ber die neuen Livreen, ö¼ber die tö¶richten Abzeichen der Bedienten! Machiavell. Ich bin ö¼berzeugt, es war ohne Absicht. Regentin. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nö¼tzt sich nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft; und wir, um nicht mö¼öŸig und nachlö¤ssig zu scheinen, mö¼ssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So hetzt eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst recht. Er ist gefö¤hrlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschwö¶rung; und ich mö¼öŸte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daöŸ er mich nicht empfindlich, sehr empfindlich macht. Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln. Regentin. Sein Gewissen hat einen gefö¤lligen Spiegel. Sein Betragen ist oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der vö¶lligen öœberzeugung lebe, er sei Herr und wolle es uns nur aus Gefö¤lligkeit nicht fö¼hlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es werde sich schon geben. Machiavell. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glö¼ckliches Blut, das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefö¤hrlich aus. Ihr schadet nur ihm und Euch. Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche nur von den unvermeidlichen Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlö¤ndischer Adel und sein Golden Vlies vor der Brust stö¤rken sein Vertrauen, seine Kö¼hnheit. Beides kann ihn vor einem schnellen, willkö¼rlichen Unmut des Kö¶nigs schö¼tzen. Untersuch es genau; an dem ganzen Unglö¼ck, das Flandern trifft, ist er doch nur allein schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat's so genau nicht genommen und vielleicht sich heimlich gefreut, daöŸ wir etwas zu schaffen hatten. LaöŸ mich nur; was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschieöŸen; ich weiöŸ, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich. Machiavell. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien auch? Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die Last der Verantwortung nahe genug zuwö¤lzen; sie sollen sich mit mir dem öœbel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklö¤ren. Eile, daöŸ die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann sende schnell den bewö¤hrten Vaska nach Madrid; er ist unermö¼det und treu; daöŸ mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daöŸ der Ruf ihn nicht ö¼bereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht. Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden. Bö¼rgerhaus Klare. Klarens Mutter. Brackenburg. Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg? Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klö¤rchen. Klare. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen Liebesdienst? Brackenburg. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich kann Euern Augen nicht ausweichen. Klare. Grillen! kommt und haltet! Mutter (im Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert so hö¼bsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen. Brackenburg. Sonst. Klare. Wir wollen singen. Brackenburg. Was Ihr wollt. Klare. Nur hö¼bsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen, mein Leibstö¼ck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.) Die Trommel gerö¼hret! Das Pfeifchen gespielt! Mein Liebster gewaffnet Dem Haufen befiehlt, Die Lanze hoch fö¼hret, Die Leute regieret. Wie klopft mir das Herze! Wie wallt mir das Blut! O hö¤tt' ich ein Wö¤mslein Und Hosen und Hut! Ich folgt' ihm zum Tor 'naus Mit mutigem Schritt, Ging' durch die Provinzen, Ging' ö¼berall mit. Die Feinde schon weichen, Wir schieöŸen darein. Welch Glö¼ck sondergleichen, Ein Mannsbild zu sein! (Brackenburg hat unter dem Singen Klö¤rchen oft angesehen; zuletzt bleibt ihm die Stimme stocken, die Trö¤nen kommen ihm in die Augen, er lö¤öŸt den Strang fallen und geht ans Fenster. Klö¤rchen singt das Lied allein aus, die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlö¼ssig wieder um und setzt sich.) Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hö¶re marschieren. Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin. Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten? (Sie steht auf und geht an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tö¤gliche Wache, das sind weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hö¶rt einmal, was es gibt. Es muöŸ etwas Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg, tut mir den Gefallen. Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend die Hand; sie gibt ihm die ihrige.) Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg. Klare. Ich bin neugierig; und auch, verdenkt mir's nicht, seine Gegenwart tut mir weh. Ich weiöŸ immer nicht, wie ich mich gegen ihn betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen, daöŸ er es so lebendig fö¼hlt. - Kann ich's doch nicht ö¤ndern! Mutter. Es ist ein so treuer Bursche. Klare. Ich kann's auch nicht lassen, ich muöŸ ihm freundlich begegnen. Meine Hand drö¼ckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so liebevoll anfaöŸt. Ich mache mir Vorwö¼rfe, daöŸ ich ihn betriege, daöŸ ich in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nö¤hre. Ich bin ö¼bel dran. WeiöŸ Gott, ich betrieg ihn nicht. Ich will nicht, daöŸ er hoffen soll, und ich kann ihn doch nicht verzweifeln lassen. Mutter. Das ist nicht gut. Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich hö¤tte ihn heiraten kö¶nnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt. Mutter. Glö¼cklich wö¤rst du immer mit ihm gewesen. Klare. Wö¤re versorgt und hö¤tte ein ruhiges Leben. Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt. Klare. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie es gegangen ist, weiöŸ ich's wohl und weiöŸ es nicht. Und dann darf ich Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja wö¤re mir weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an, und ich in seinem Arm sollte nicht das glö¼cklichste Geschö¶pf von der Welt sein? Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden? Klare. Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist das eine Frage? Mutter. Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das ausgehen wird! Immer Sorge und Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich unglö¼cklich gemacht! mich unglö¼cklich gemacht. Klare (gelassen). Ihr lieöŸet es doch im Anfange. Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut. Klare. Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr mich da? Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lö¤chelte, nickte, mich grö¼öŸte: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in Eurer Tochter geehrt? Mutter. Mache mir noch Vorwö¼rfe. Klare (gerö¼hrt). Wenn er nun ö¶fter die StraöŸe kam, und wir wohl fö¼hlten, daöŸ er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht selbst mit heimlicher Freude? Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den Scheiben stand und ihn erwartete? Mutter. Dachte ich, daöŸ es so weit kommen sollte? Klare (mit stockender Stimme und zurö¼ckgehaltenen Trö¤nen). Und wie er uns abends, in den Mantel eingehö¼llt, bei der Lampe ö¼berraschte, wer war geschö¤ftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und staunend sitzen blieb? Mutter. Und konnte ich fö¼rchten, daöŸ diese unglö¼ckliche Liebe das kluge Klö¤rchen so bald hinreiöŸen wö¼rde? Ich muöŸ es nun tragen, daöŸ meine Tochter - Klare (mit ausbrechenden Trö¤nen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt Eure Freude, mich zu ö¤ngstigen. Mutter (weinend). Weine noch gar! Mache mich noch elender durch deine Betrö¼bnis. Ist mir's nicht Kummer genug, daöŸ meine einzige Tochter ein verworfenes Geschö¶pf ist? Klare (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte verworfen? - Welche Fö¼rstin neidete nicht das arme Klö¤rchen um den Platz an seinem Herzen! O Mutter - meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe Mutter, seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt. Mutter. Man muöŸ ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so freundlich, frei und offen. Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch der groöŸe Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbö¤rge! wie er um mich besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster. Mutter. Kommt er wohl heute? Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Tö¼r rauscht? - Ob ich schon weiöŸ, daöŸ er vor Nacht nicht kommt, vermut ich ihn doch jeden Augenblick, von morgens an, wenn ich aufstehe. Wö¤r' ich nur ein Bube und kö¶nnte immer mit ihm gehen, zu Hofe und ö¼berall hin! Kö¶nnt' ihm die Fahne nachtragen in der Schlacht! - Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht ein wenig besser an? Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe! - Gestern, denkt, gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn. Wenigstens war sein Name in den Liedern! das ö¼brige konnte ich nicht verstehn. Das Herz schlug mir bis an den Hals - Ich hö¤tte sie gern zurö¼ckgerufen, wenn ich mich nicht geschö¤mt hö¤tte. Mutter. Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du verrö¤tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst: á»Graf Egmont!á« - Ich ward feuerrot. Klare. Hö¤tt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei Gravelingen, und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche unten in der Beschreibung C. Steht da: á»Graf Egmont, dem das Pferd unter dem Leibe totgeschossen wird.á« Mich ö¼berlief's - und hernach muöŸt' ich lachen ö¼ber den holzgeschnitzten Egmont, der so groöŸ war als der Turm von Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was ich mir als Mö¤dchen fö¼r ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von ihm erzö¤hlten, und von allen Grafen und Fö¼rsten - und wie mir's jetzt ist! (Brackenburg kommt.) Klare. Wie steht's? Brackenburg. Man weiöŸ nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er mö¶chte sich hieher verbreiten. Das SchloöŸ ist stark besetzt, die Bö¼rger sind zahlreich an den Toren, das Volk summt in den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten Vater. (Als wollt' er gehen.) Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder so eine Historie. Mutter. Lebt wohl. Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand! Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter und Tochter ab.) Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder fortzugehn; und da sie es dafö¼r aufnimmt und mich gehen lö¤öŸt, mö¶cht' ich rasend werden. - Unglö¼cklicher! und dich rö¼hrt deines Vaterlandes Geschick nicht? der wachsende Tumult nicht? - und gleich ist dir Landsmann oder Spanier, und wer regiert und wer recht hat? - War ich doch ein andrer Junge als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: á»Brutus' Rede fö¼r die Freiheit, zur öœbung der Redekunstá«, da war doch immer Fritz der Erste, und der Rektor sagte: á»Wenn's nur ordentlicher wö¤re, nur nicht alles so ö¼bereinander gestolpert.á« - Damals kocht' es und trieb! - Jetzt schlepp ich mich an den Augen des Mö¤dchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen! Kann sie mich doch nicht lieben! - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht lö¤nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte? daöŸ sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlö¤öŸt, da sie mich zö¼chtig immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es ist eine Lö¼ge, eine schö¤ndliche verleumderische Lö¼ge! Klö¤rchen ist so unschuldig, als ich unglö¼cklich bin. - Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem Herzen gestoöŸen - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht. - - Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich sterbe unter dem Getö¼mmel nur ab! Ich duld es nicht! - Wenn die Trompete klingt, ein SchuöŸ fö¤llt, mir fö¤hrt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt mich nicht! es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu wagen. - Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal. Neulich stö¼rzt' ich mich ins Wasser, ich sank - aber die geö¤ngstete Natur war stö¤rker; ich fö¼hlte, daöŸ ich schwimmen konnte, und rettete mich wider Wille. - - Kö¶nnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu lieben schien! - Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glö¼ck? Warum haben mir diese Hoffnungen allen GenuöŸ des Lebens aufgezehrt, indem sie mir ein Paradies von weitem zeigten? - Und jener erste KuöŸ! Jener einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie war immer gut und freundlich gegen mich gewesen - da schien sie sich zu erweichen - sie sah mich an - alle Sinnen gingen mir um, und ich fö¼hlte ihre Lippen auf den meinigen. - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst du? (Er zieht ein Flö¤schchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst aus meines Bruders Doktorkö¤stchen gestohlen haben, heilsames Gift! Du sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese TodesschweiöŸe auf einmal verschlingen und lö¶sen. Zweiter Aufzug Platz in Brö¼ssel Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen. Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der Zunft sagt' ich, es wö¼rde schwere Hö¤ndel geben. Jetter. Ist's denn wahr, daöŸ sie die Kirchen in Flandern geplö¼ndert haben? Zimmermeister. Ganz und gar zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und Kapellen. Nichts als die vier nackten Wö¤nde haben sie stehen lassen. Lauter Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hö¤tten eher, in der Ordnung und standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heiöŸt es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern. Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran? hö¤ngt doch der Hals gar nah damit zusammen. Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lö¤rmen anfö¤ngt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum Vorwande, worauf wir uns auch berufen mö¼ssen, und bringen das Land in Unglö¼ck. (Soest tritt dazu.) Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, daöŸ die Bilderstö¼rmer gerade hierher ihren Lauf nehmen? Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrö¼hren. Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich aus. Die Regentin, so eine wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie auöŸer Fassung. Es muöŸ sehr arg sein, daöŸ sie sich so geradezu hinter ihre Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus der Stadt flö¼chten. Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschö¼tzt uns, und wir wollen ihr mehr verschaffen als ihre Stutzbö¤rte. Und wenn sie uns unsere Rechte und Freiheiten aufrechterhö¤lt, so wollen wir sie auf den Hö¤nden tragen. (Seifensieder tritt dazu.) Seifensieder. Garstige Hö¤ndel! öœble Hö¤ndel! Es wird unruhig und geht schief aus! - Hö¼tet euch, daöŸ ihr stille bleibt, daöŸ man euch nicht auch fö¼r Aufwiegler hö¤lt. Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland. Seifensieder. Ich weiöŸ, da sind viele, die es heimlich mit den Calvinisten halten, die auf die Bischö¶fe lö¤stern, die den Kö¶nig