hsten sendet, die ohne Kenntnis des Landes und seiner Bedö¼rfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen. Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natö¼rlicher, als daöŸ ein Kö¶nig durch sich zu herrschen gedenkt und denen seine Befehle am liebsten auftrö¤gt, die ihn am besten verstehen, verstehen wollen, die seinen Willen unbedingt ausrichten. Egmont. Und ebenso natö¼rlich ist's, daöŸ der Bö¼rger von dem regiert sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm von Recht und Unrecht gefaöŸt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann. Alba. Und doch hat der Adel mit diesen seinen Brö¼dern sehr ungleich geteilt. Egmont. Das ist vor Jahrhunderten geschehen und wird jetzt ohne Neid geduldet. Wö¼rden aber neue Menschen ohne Not gesendet, die sich zum zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sö¤he man sich einer strengen, kö¼hnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das wö¼rde eine Gö¤rung machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflö¶ste. Alba. Du sagst mir, was ich nicht hö¶ren sollte: auch ich bin fremd. Egmont. DaöŸ ich dir's sage, zeigt dir, daöŸ ich dich nicht meine. Alba. Und auch so wö¼nscht' ich es nicht von dir zu hö¶ren. Der Kö¶nig sandte mich mit Hoffnung, daöŸ ich hier den Beistand des Adels finden wö¼rde. Der Kö¶nig will seinen Willen. Der Kö¶nig hat nach tiefer öœberlegung gesehen, was dem Volke frommt; es kann nicht bleiben und gehen wie bisher. Des Kö¶nigs Absicht ist, sie selbst zu ihrem eignen Besten einzuschrö¤nken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muöŸ, ihnen aufzudringen, die schö¤dlichen Bö¼rger aufzuopfern, damit die ö¼brigen Ruhe finden, des Glö¼cks einer weisen Regierung genieöŸen kö¶nnen. Dies ist sein EntschluöŸ; diesen dem Adel kundzumachen habe ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen. Egmont. Leider rechtfertigen deine Worte die Furcht des Volkes, die allgemeine Furcht! So hat er denn beschlossen, was kein Fö¼rst beschlieöŸen sollte. Die Kraft seines Volks, ihr Gemö¼t, den Begriff, den sie von sich selbst haben, will er schwö¤chen, niederdrö¼cken, zerstö¶ren, um sie bequem regieren zu kö¶nnen. Er will den innern Kern ihrer Eigenheit verderben; gewiöŸ in der Absicht, sie glö¼cklicher zu machen. Er will sie vernichten, damit sie etwas werden, ein ander Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so wird sie miöŸgeleitet! Nicht dem Kö¶nige widersetzt man sich; man stellt sich nur dem Kö¶nige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten unglö¼cklichen Schritte macht. Alba. Wie du gesinnt bist, scheint es ein vergeblicher Versuch, uns vereinigen zu wollen. Du denkst gering vom Kö¶nige und verö¤chtlich von seinen Rö¤ten, wenn du zweifelst, das alles sei nicht schon gedacht, geprö¼ft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Fö¼r und Wider noch einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich von dem Volke: - und von Euch, ihr Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als Bö¼rgen dieser unbedingten Pflicht. Egmont. Fordre unsre Hö¤upter, so ist es auf einmal getan. Ob sich der Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer edeln Seele gleich sein. Umsonst hab ich so viel gesprochen: die Luft hab ich erschö¼ttert, weiter nichts gewonnen. (Ferdinand kommt.) Ferdinand. Verzeiht, daöŸ ich Euer Gesprö¤ch unterbreche. Hier ist ein Brief, dessen öœberbringer die Antwort dringend macht. Alba. Erlaubt mir, daöŸ ich sehe, was er enthö¤lt. (Tritt an die Seite.) Ferdinand (zu Egmont). Es ist ein schö¶nes Pferd, das Eure Leute gebracht haben, Euch abzuholen. Egmont. Es ist nicht das schlimmste. Ich hab es schon eine Weile; ich denk es wegzugeben. Wenn es Euch gefö¤llt, so werden wir vielleicht des Handels einig. Ferdinand. Gut, wir wollen sehn. (Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurö¼ckzieht.) Egmont. Lebt wohl! EntlaöŸt mich: denn ich wö¼öŸte, bei Gott! nicht mehr zu sagen. Alba. Glö¼cklich hat dich der Zufall verhindert, deinen Sinn noch weiter zu verraten. Unvorsichtig entwickelst du die Falten deines Herzens und klagst dich selbst weit strenger an, als ein Widersacher gehö¤ssig tun kö¶nnte. Egmont. Dieser Vorwurf rö¼hrt mich nicht; ich kenne mich selbst genug und weiöŸ, wie ich dem Kö¶nig angehö¶re; weit mehr als viele, die in seinem Dienst sich selber dienen. Ungern scheid ich aus diesem Streite, ohne ihn beigelegt zu sehen, und wö¼nsche nur, daöŸ uns der Dienst des Herrn, das Wohl des Landes bald vereinigen mö¶ge. Es wirkt vielleicht ein wiederholtes Gesprö¤ch, die Gegenwart der ö¼brigen Fö¼rsten, die heute fehlen, in einem glö¼cklichern Augenblick, was heut unmö¶glich scheint. Mit dieser Hoffnung entfern ich mich. Alba (der zugleich seinem Sohn Ferdinand ein Zeichen gibt). Halt, Egmont! - Deinen Degen! - (Die Mitteltö¼r ö¶ffnet sich: man sieht die Galerie mit Wache besetzt, die unbeweglich bleibt.) Egmont (der staunend eine Weile geschwiegen). Dies war die Absicht? Dazu hast du mich berufen? (Nach dem Degen greifend, als wenn er sich verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos? Alba. Der Kö¶nig befiehlt's, du bist mein Gefangener. (Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.) Egmont (nach einer Stille). Der Kö¶nig? - Oranien! Oranien! (Nach einer Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit ö¶fter des Kö¶nigs Sache verteidigt, als diese Brust beschö¼tzt. (Er geht durch die Mitteltö¼r ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind, folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fö¤llt.) Fö¼nfter Aufzug StraöŸe Dö¤mmerung Klö¤rchen. Brackenburg. Bö¼rger. Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor? Klö¤rchen. Komm mit, Brackenburg! Du muöŸt die Menschen nicht kennen; wir befreien ihn gewiöŸ. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fö¼hlt, ich schwö¶r es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von einem kostbaren Leben abzuwenden und dem Freiesten die Freiheit wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft. In ihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind! und daöŸ sein mö¤chtiger Arm allein von ihnen das Verderben abhö¤lt, wissen sie. Um seinet- und ihretwillen mö¼ssen sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum hö¶chsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mö¼he wert ist, wenn er umkommt. Brackenburg. Unglö¼ckliche! du siehst nicht die Gewalt, die uns mit ehernen Banden gefesselt hat. Klö¤rchen. Sie scheint mir nicht unö¼berwindlich. LaöŸ uns nicht lang vergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen, wackern Mö¤nnern! Hö¶rt, Freunde! Nachbarn, hö¶rt! - Sagt, wie ist es mit Egmont? Zimmermeister. Was will das Kind? LaöŸ sie schweigen, Klö¤rchen. Tretet nö¤her, daöŸ wir sachte reden, bis wir einig sind und stö¤rker. Wir dö¼rfen nicht einen Augenblick versö¤umen! Die freche Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dö¤mmerung werd ich ö¤ngstlicher. Ich fö¼rchte diese Nacht! Kommt! wir wollen uns teilen; mit schnellem Lauf von Quartier zu Quartier rufen wir die Bö¼rger heraus. Ein jeder greife zu seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und unser Strom reiöŸt einen jeden mit sich fort. Die Feinde sehen sich umringt und ö¼berschwemmt, und sind erdrö¼ckt. Was kann uns eine Handvoll Knechte widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt zurö¼ck, sieht sich befreit und kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tief verschuldet worden. Er sieht vielleicht - gewiöŸ er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder. Zimmermeister. Wie ist dir, Mö¤dchen? Klö¤rchen. Kö¶nnt ihr mich miöŸverstehn? Vom Grafen sprech ich! Ich spreche von Egmont. Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tö¶dlich. Klö¤rchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn nicht bei jeder Gelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen Sternen hab ich oft mit allen seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn, ihr trö¤umt; besinnt euch. Seht mich nicht so starr und ö¤ngstlich an! Blickt nicht schö¼chtern hie und da beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wö¼nscht. Ist meine Stimme nicht eures Herzens eigne Stimme? Wer wö¼rfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er sein unruhvolles Bette besteigt, nicht auf die Knie, ihn mit ernstlichem Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst! und wer spricht mir nicht nach: á»Egmonts Freiheit oder den Tod!á« Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglö¼ck. Klö¤rchen. Bleibt! Bleibt, und drö¼ckt euch nicht vor seinem Namen weg, dem ihr euch sonst so froh entgegendrö¤ngtet! - Wenn der Ruf ihn ankö¼ndigte, wenn es hieöŸ: á»Egmont kommt! Er kommt von Gent!á« da hielten die Bewohner der StraöŸen sich glö¼cklich, durch die er reiten muöŸte. Und wenn ihr seine Pferde schallen hö¶rtet, warf jeder seine Arbeit hin, und ö¼ber die bekö¼mmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da hobt ihr eure Kinder auf der Tö¼rschwelle in die Hö¶he und deutetet ihnen: á»Sieh, das ist Egmont, der Grö¶öŸte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr bessere Zeiten, als eure armen Vö¤ter lebten, einst zu erwarten habt.á« LaöŸt eure Kinder nicht dereinst euch fragen: á»Wo ist er hin? Wo sind die Zeiten hin, die ihr verspracht?á« - Und so wechseln wir Worte! sind mö¼öŸig, verraten ihn. Soest. Schö¤mt Euch, Brackenburg! LaöŸt sie nicht gewö¤hren! Steuert dem Unheil! Brackenburg. Liebes Klö¤rchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter sagen? Vielleicht - Klö¤rchen. Meinst du, ich sei ein Kind oder wahnsinnig? Was kann vielleicht? - Von dieser schrecklichen GewiöŸheit bringst du mich mit keiner Hoffnung weg. - Ihr sollt mich hö¶ren und ihr werdet: denn ich seh's, ihr seid bestö¼rzt und kö¶nnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden. LaöŸt durch die gegenwö¤rtige Gefahr nur einen Blick in das Vergangene dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Kö¶nnt ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde geht? Mit seinem Atem flieht der letzte Hauch der Freiheit. Was war er euch? Fö¼r wen ö¼bergab er sich der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur fö¼r euch. Die groöŸe Seele, die euch alle trug, beschrö¤nkt ein Kerker, und Schauer tö¼ckischen Mordes schweben um sie her. Er denkt vielleicht an euch, er hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfö¼llen gewohnt war. Zimmermeister. Gevatter, kommt. Klö¤rchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark wie ihr; doch hab ich, was euch allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Kö¶nnt' euch mein Atem doch entzö¼nden! kö¶nnt' ich an meinen Busen drö¼ckend euch erwö¤rmen und beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos ein edles Heer von Kriegern wehend anfö¼hrt, so soll mein Geist um eure Hö¤upter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem fö¼rchterlichen Heer vereinigen. Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bö¼rger ab.) Brackenburg. Klö¤rchen! siehst du nicht, wo wir sind? Klö¤rchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wö¶lben schien, wenn der Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie herausgesehn, vier, fö¼nf Kö¶pfe ö¼bereinander; an diesen Tö¼ren haben sie gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmen herabsah. O ich hatte sie so lieb, wie sie ihn ehrten! Wö¤re er Tyrann gewesen, mö¶chten sie immer vor seinem Falle seitwö¤rts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr Hö¤nde, die ihr an die Mö¼tzen grifft, zum Schwert kö¶nnt ihr nicht greifen - Brackenburg, und wir? - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was tun sie fö¼r ihn? - List hat in der Welt so viel erreicht - Du kennst Wege und Stege, kennst das alte SchloöŸ. Es ist nichts unmö¶glich, gib mir einen Anschlag. Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen! Klö¤rchen. Gut. Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; laöŸ doch die Stimme der Vernunft dir zu Herzen dringen. Hö¤ltst du mich fö¼r feig? Glaubst du nicht, daöŸ ich um deinetwillen sterben kö¶nnte? Hier sind wir beide toll, ich so gut wie du. Siehst du nicht das Unmö¶gliche? Wenn du dich faöŸtest! Du bist auöŸer dir. Klö¤rchen. AuöŸer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid auöŸer euch. Da ihr laut den Helden verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung nanntet, ihm Vivat rieft, wenn er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir hö¶her als euch allen. Jetzt schlö¤gt mir's wieder hö¶her als euch allen! Ihr verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fö¼hlt nicht, daöŸ ihr untergeht, wenn er verdirbt. Brackenburg. Komm nach Hause. Klö¤rchen. Nach Hause? Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh dich um! Dies sind die StraöŸen, die du nur sonntö¤glich betratst, durch die du sittsam nach der Kirche gingst, wo du ö¼bertrieben ehrbar zö¼rntest, wenn ich mit einem freundlichen grö¼öŸenden Wort mich zu dir gesellte. Du stehst und redest, handelst vor den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns? Klö¤rchen. Nach Hause! Ja, ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach Hause! WeiöŸt du, wo meine Heimat ist? (Ab.) Gefö¤ngnis, durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde Egmont (allein). Alter Freund! immer getreuer Schlaf, fliehst du mich auch wie die ö¼brigen Freunde? Wie willig senktest du dich auf mein freies Haupt herunter und kö¼hltest wie ein schö¶ner Myrtenkranz der Liebe meine Schlö¤fe! Mitten unter Waffen, auf der Woge des Lebens, ruht' ich leicht atmend, wie ein aufquellender Knabe, in deinen Armen. Wenn Stö¼rme durch Zweige und Blö¤tter sausten, Ast und Wipfel sich knirrend bewegten, blieb innerst doch der Kern des Herzens ungeregt. Was schö¼ttelt dich nun? was erschö¼ttert den festen treuen Sinn? Ich fö¼hl's, es ist der Klang der Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer Schauer durchfö¤hrt mich. Ja, sie ö¼berwindet, die verrö¤terische Gewalt; sie untergrö¤bt den festen hohen Stamm, und eh' die Rinde dorrt, stö¼rzt krachend und zerschmetternd deine Krone. Warum denn jetzt, der du so oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen dir vom Haupte weggewiesen, warum vermagst du nicht die Ahnung zu verscheuchen, die tausendfach in dir sich auf- und niedertreibt? Seit wann begegnet der Tod dir fö¼rchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit den ö¼brigen Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen lebtest? - Auch ist er's nicht, der rasche Feind, dem die gesunde Brust wetteifernd sich entgegensehnt; der Kerker ist's, des Grabes Vorbild, dem Helden wie dem Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's schon auf meinem gepolsterten Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fö¼rsten, was leicht zu entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprö¤chen ö¼berlegten, und zwischen dö¼stern Wö¤nden eines Saals die Balken der Decke mich erdrö¼ckten. Da eilt' ich fort, sobald es mö¶glich war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge. Und frisch hinaus, da wo wir hingehö¶ren! ins Feld, wo aus der Erde dampfend jede nö¤chste Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle Segen der Gestirne uns umwittern; wo wir, dem erdgebornen Riesen gleich, von der Berö¼hrung unsrer Mutter krö¤ftiger uns in die Hö¶he reiöŸen; wo wir die Menschheit ganz und menschliche Begier in allen Adern fö¼hlen; wo das Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen, zu besitzen, zu erobern, durch die Seele des jungen Jö¤gers glö¼ht; wo der Soldat sein angebornes Recht auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaöŸt und in fö¼rchterlicher Freiheit wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen. Du bist nur Bild, Erinnerungstraum des Glö¼cks, das ich so lang besessen; wo hat dich das Geschick verrö¤terisch hingefö¼hrt? Versagt es dir, den nie gescheuten Tod im Angesicht der Sonne rasch zu gö¶nnen, um dir des Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus diesen Steinen widrig an! Schon starrt das Leben, vor dem Ruhebette wie vor dem Grabe scheut der FuöŸ. - O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den Mord beginnst, laöŸ ab! - Seit wann ist Egmont denn allein, so ganz allein in dieser Welt? Dich macht der Zweifel hö¼lflos, nicht das Glö¼ck. Ist die Gerechtigkeit des Kö¶nigs, der du lebenslang vertrautest, ist der Regentin Freundschaft, die fast (du darfst es dir gestehn), fast Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein glö¤nzend Feuerbild der Nacht, verschwunden? und lassen dich allein auf dunkelm Pfad zurö¼ck? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln und mit anschwellender Gewalt den alten Freund erretten? O haltet, Mauern, die ihr mich einschlieöŸt, so vieler Geister wohlgemeintes Drö¤ngen nicht von mir ab; und welcher Mut aus meinen Augen sonst sich ö¼ber sie ergoöŸ, der kehre nun aus ihren Herzen in meines wieder. O ja, sie rö¼hren sich zu Tausenden! sie kommen! stehen mir zur Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem Himmel, er bittet um ein Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder, so seh ich sie nach Lanz und Schwertern greifen. Die Tore spalten sich, die Gitter springen, die Mauer stö¼rzt von ihren Hö¤nden ein, und der Freiheit des einbrechenden Tages steigt Egmont frö¶hlich entgegen. Wie manch bekannt Gesicht empfö¤ngt mich jauchzend! Ach Klö¤rchen, wö¤rst du Mann; so sö¤h' ich dich gewiöŸ auch hier zuerst und dankte dir, was einem Kö¶nige zu danken hart ist, Freiheit. Klö¤rchens Haus Klö¤rchen (kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer; sie setzt das Glas auf den Tisch und tritt ans Fenster). Brackenburg? Seid Ihr's? Was hö¶rt' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe ins Fenster setzen, daöŸ er sieht, ich wache noch, ich warte noch auf ihn. Er hat mir Nachricht versprochen. Nachricht? Entsetzliche GewiöŸheit! - Egmont verurteilt! - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn! Der Kö¶nig verdammt ihn? oder der Herzog? Und die Regentin entzieht sich! Oranien zaudert, und alle seine Freunde! - - Ist dies die Welt, von deren Wankelmut, Unzuverlö¤ssigkeit ich viel gehö¶rt und nichts empfunden habe? Ist dies die Welt? - Wer wö¤re bö¶s genug, den Teuern anzufeinden? Wö¤re Bosheit mö¤chtig genug, den allgemein Erkannten schnell zu stö¼rzen? Doch ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und Menschen, wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach der Schlinge, die dich faöŸt, die Hand aus. Du hö¼lflos und ich frei! - Hier ist der Schlö¼ssel zu meiner Tö¼r. An meiner Willkö¼r hö¤ngt mein Gehen und mein Kommen, und dir bin ich zu nichts! - - O bindet mich, damit ich nicht verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker, daöŸ ich das Haupt an feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, trö¤ume, wie ich ihm helfen wollte, wenn Fesseln mich nicht lö¤hmten, wie ich ihm helfen wö¼rde. - Nun bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst bewuöŸt, nicht fö¤hig, ein Glied nach seiner Hö¼lfe zu rö¼hren. Ach leider, auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Klö¤rchen, ist wie du gefangen und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letzten Krö¤fte. - Ich hö¶re schleichen, husten - Brackenburg - er ist's! - Elender guter Mann, dein Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen ö¶ffnet dir die nö¤chtliche Tö¼r, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft! (Brackenburg tritt auf.) Klö¤rchen. Du kommst so bleich und schö¼chtern, Brackenburg! was ist's? Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren such ich dich auf. Die groöŸen StraöŸen sind besetzt; durch Gö¤öŸchen und durch Winkel hab ich mich zu dir gestohlen. Klö¤rchen. Erzö¤hl, wie ist's? Brackenburg (indem er sich setzt). Ach Klö¤re, laöŸ mich weinen. Ich liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf zur bessern Weide herö¼ber. Ich hab ihn nie verflucht; Gott hat mich treu geschaffen und weich. In Schmerzen floöŸ mein Leben vor mir nieder, und zu verschmachten hofft' ich jeden Tag. Klö¤rchen. VergiöŸ das, Brackenburg! VergiöŸ dich selbst. Sprich mir von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt? Brackenburg. Er ist's! ich weiöŸ es ganz genau. Klö¤rchen. Und lebt noch? Brackenburg. Ja, er lebt noch. Klö¤rchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der Nacht den Herrlichen! vor allen Augen verborgen flieöŸt sein Blut. ö„ngstlich im Schlafe liegt das betö¤ubte Volk und trö¤umt von Rettung, trö¤umt ihres ohnmö¤chtigen Wunsches Erfö¼llung; indes unwillig ö¼ber uns sein Geist die Welt verlö¤öŸt. Er ist dahin! - Tö¤usche mich nicht! dich nicht! Brackenburg. Nein gewiöŸ, er lebt! - Und leider, es bereitet der Spanier dem Volke, das er zertreten will, ein fö¼rchterliches Schauspiel, gewaltsam jedes Herz, das nach der Freiheit sich regt, auf ewig zu zerknirschen. Klö¤rchen. Fahre fort und sprich gelassen auch mein Todesurteil aus! Ich wandle den seligen Gefilden schon nö¤her und nö¤her, mir weht der Trost aus jenen Gegenden des Friedens schon herö¼ber. Sag an. Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da bald dorten fielen, daöŸ auf dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis zubereitet werde. Ich schlich durch Seitenwege, durch bekannte Gö¤nge nach meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte. - Es wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich schö¤rfte mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes Gerö¼st entgegen, gerö¤umig hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschö¤ftig waren viele rings umher bemö¼ht, was noch von Holzwerk weiöŸ und sichtbar war, mit schwarzem Tuch einhö¼llend zu verkleiden. Die Treppen deckten sie zuletzt auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen die Weihe eines grö¤öŸlichen Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weiöŸes Kruzifix, das durch die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich sah, und sah die schreckliche GewiöŸheit immer gewisser. Noch wankten Fackeln hie und da herum; allmö¤hlich wichen sie und erloschen. Auf einmal war die scheuöŸliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter SchoöŸ zurö¼ckgekehrt. Klö¤rchen. Still, Brackenburg! Nun still! LaöŸ diese Hö¼lle auf meiner Seele ruhn. Verschwunden sind die Gespenster, und du, holde Nacht, leih deinen Mantel der Erde, die in sich gö¤rt; sie trö¤gt nicht lö¤nger die abscheuliche Last, reiöŸt ihre tiefen Spalten grausend auf und knirscht das Mordgerö¼st hinunter. Und irgendeinen Engel sendet der Gott, den sie zum Zeugen ihrer Wut geschö¤ndet; vor des Boten heiliger Berö¼hrung lö¶sen sich Riegel und Bande, und er umgieöŸt den Freund mit mildem Schimmer; er fö¼hrt ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft und still. Und auch mein Weg geht heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen. Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du? Klö¤rchen. Leise, Lieber, daöŸ niemand erwache! daöŸ wir uns selbst nicht wecken! Kennst du dies Flö¤schchen, Brackenburg? Ich nahm dir's scherzend, als du mit ö¼bereiltem Tod oft ungeduldig drohtest. - Und nun, mein Freund - Brackenburg. In aller Heiligen Namen! - Klö¤rchen. Du hinderst nichts. Tod ist mein Teil! und gö¶nne mir den sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest. Gib mir deine Hand! - Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte erö¶ffne, aus der kein Rö¼ckweg ist, kö¶nnt' ich mit diesem Hö¤ndedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wö¤hlt' ich, seine Stelle zu ersetzen. Es widersprach dein Herz und quö¤lte sich und mich, verlangtest heiöŸ und immer heiöŸer, was dir nicht beschieden war. Vergib mir und leb wohl! LaöŸ mich dich Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel Namen in sich faöŸt. Nimm die letzte schö¶ne Blume der Scheidenden mit treuem Herzen ab - nimm diesen KuöŸ - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg, uns denn auch. Brackenburg. So laöŸ mich mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug, zwei Leben auszulö¶schen. Klö¤rchen. Bleib! du sollst leben, du kannst leben. - Steh meiner Mutter bei, die ohne dich in Armut sich verzehren wö¼rde. Sei ihr, was ich ihr nicht mehr sein kann; lebt zusammen und beweint mich. Beweint das Vaterland und den, der es allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht wird diesen Jammer nicht los; die Wut der Rache selbst vermag ihn nicht zu tilgen. Lebt, ihr Armen, die Zeit noch hin, die keine Zeit mehr ist. Heut steht die Welt auf einmal still; es stockt ihr Kreislauf, und mein Puls schlö¤gt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl! Brackenburg. O lebe du mit uns, wie wir fö¼r dich allein! Du tö¶test uns in dir, o leb und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten stehn, und immer achtsam soll die Liebe den schö¶nsten Trost in ihren lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein. Klö¤rchen. Leise, Brackenburg! Du fö¼hlst nicht, was du rö¼hrst. Wo Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung. Brackenburg. Teile mit den Lebendigen die Hoffnung! Verweil am Rande des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zurö¼ck. Klö¤rchen. Ich hab ö¼berwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit. Brackenburg. Du bist betö¤ubt; gehö¼llt in Nacht suchst du die Tiefe. Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! - Klö¤rchen. Weh! ö¼ber dich Weh! Weh! Grausam zerreiöŸest du den Vorhang vor meinem Auge. Ja, er wird grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um sich ziehn und wider Willen grauen! Furchtsam schaut der Bö¼rger aus seinem Fenster, die Nacht lö¤öŸt einen schwarzen Flecken zurö¼ck; er schaut, und fö¼rchterlich wö¤chst im Lichte das Mordgerö¼st. Neu leidend wendet das entweihte Gottesbild sein flehend Auge zum Vater auf. Die Sonne wagt sich nicht hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll. Trö¤ge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine Stunde nach der andern schlö¤gt. Halt! Halt! Nun ist es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das Grab. (Sie tritt ans Fenster, als sö¤he sie sich um, und trinkt heimlich.) Brackenburg. Klö¤re! Klö¤re! Klö¤rchen (geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist der Rest! Ich locke dich nicht nach. Tu, was du darfst, leb wohl. Lö¶sche diese Lampe still und ohne Zaudern, ich geh zur Ruhe. Schleiche dich sachte weg, ziehe die Tö¼r nach dir zu. Still! Wecke meine Mutter nicht! Geh, rette dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mö¶rder scheinen willst. (Ab.) Brackenburg. Sie lö¤öŸt mich zum letztenmale wie immer. O kö¶nnte eine Menschenseele fö¼hlen, wie sie ein liebend Herz zerreiöŸen kann. Sie lö¤öŸt mich stehn, mir selber ö¼berlassen; und Tod und Leben ist mir gleich verhaöŸt. - Allein zu sterben! - Weint, ihr Liebenden! Kein hö¤rter Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich weg! von ihrer Seite weg! sie zieht mich nach und stö¶öŸt ins Leben mich zurö¼ck. O Egmont, welch preiswö¼rdig Los fö¤llt dir! Sie geht voran; der Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist dein, sie bringt den ganzen Himmel dir entgegen! - Und soll ich folgen? wieder seitwö¤rts stehn? den unauslö¶schlichen Neid in jene Wohnungen hinö¼bertragen? - Auf Erden ist kein Bleiben mehr fö¼r mich, und Hö¶ll und Himmel bieten gleiche Qual. Wie wö¤re der Vernichtung Schreckenshand dem Unglö¼ckseligen will kommen! (Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverö¤ndert. Eine Musik, Klö¤rchens Tod bezeichnend, beginnt; die Lampe, welche Brackenburg auszulö¶schen vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald verwandelt sich der Schauplatz in das Gefö¤ngnis Egmont liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit Schlö¼sseln, und die Tö¼r tut sich auf. Diener mit Fackeln treten herein; ihnen folgt Ferdinand, Albas Sohn, und Silva, begleitet von Gewaffneten. Egmont fö¤hrt aus dem Schlaf auf.) Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen schö¼ttelt. Was kö¼nden eure trotzigen, unsichern Blicke mir an? Warum diesen fö¼rchterlichen Aufzug? Welchen Schreckenstraum kommt ihr der halb erwachten Seele vorzulö¼gen? Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukö¼ndigen. Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen? Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet. Egmont. So ziemt es euch und euerm schö¤ndlichen Beginnen! In Nacht gebrö¼tet und in Nacht vollfö¼hrt. So mag diese freche Tat der Ungerechtigkeit sich verbergen! - Tritt kö¼hn hervor, der du das Schwert verhö¼llt unter dem Mantel trö¤gst; hier ist mein Haupt, das freieste, das je die Tyrannei vom Rumpf gerissen. Silva. Du irrst! Was gerechte Richter beschlieöŸen, werden sie vorm Angesicht des Tages nicht verbergen. Egmont. So ö¼bersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken. Silva (nimmt einem Dabeistehenden das Urteil ab, entfaltet's und liest's). á»Im Namen des Kö¶nigs, und kraft besonderer von Seiner Majestö¤t uns ö¼bertragenen Gewalt, alle seine Untertanen, wes Standes sie seien, zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wirá« - Egmont. Kann die der Kö¶nig ö¼bertragen? Silva. á»Erkennen wir, nach vorgö¤ngiger genauer, gesetzlicher Untersuchung, dich Heinrich Grafen Egmont, Prinzen von Gaure, des Hochverrats schuldig und sprechen das Urteil: daöŸ du mit der Frö¼he des einbrechenden Morgens aus dem Kerker auf den Markt gefö¼hrt und dort, vorm Angesicht des Volks, zur Warnung aller Verrö¤ter mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht werden sollest. Gegeben Brö¼ssel imá« (Datum und Jahrzahl werden undeutlich gelesen, so, daöŸ sie der Zuhö¶rer nicht versteht.) á»Ferdinand, Herzog von Alba, Vorsitzer des Gerichts der Zwö¶lfe.á« Du weiöŸt nun dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen. (Silva mit dem Gefolge geht ab. Es bleibt Ferdinand und zwei Fackeln; das Theater ist mö¤öŸig erleuchtet.) Egmont (hat eine Weile in sich versenkt stille gestanden und Silva, ohne sich umzusehn, abgehen lassen. Er glaubt sich allein, und da er die Augen aufhebt, erblickt er Albas Sohn). Du stehst und bleibst? Willst du mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart vermehren? Willst du noch etwa die willkommne Botschaft deinem Vater bringen, daöŸ ich unmö¤nnlich verzweifle? Geh! Sag ihm! Sag ihm, daöŸ er weder mich noch die Welt belö¼gt. Ihm, dem Ruhmsö¼chtigen, wird man es erst hinter den Schultern leise lispeln, dann laut und lauter sagen, und wenn er einst von diesem Gipfel herabsteigt, werden tausend Stimmen es ihm entgegenrufen! Nicht das Wohl des Staats, nicht die Wö¼rde des Kö¶nigs, nicht die Ruhe der Provinzen haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daöŸ der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit man seiner bedö¼rfe. Und ich falle, ein Opfer seines niedrigen Hasses, seines kleinlichen Neides. Ja, ich weiöŸ es, und ich darf es sagen; der Sterbende, der tö¶dlich Verwundete kann es sagen: mich hat der Eingebildete beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht. Schon damals, als wir noch jö¼nger mit Wö¼rfeln spielten und die Haufen Goldes, einer nach dem andern, von seiner Seite zu mir herö¼bereilten, da stand er grimmig, log Gelassenheit, und innerlich verzehrte ihn die ö„rgernis, mehr ö¼ber mein Glö¼ck als ö¼ber seinen Verlust. Noch erinnere ich mich des funkelnden Blicks, der verrö¤terischen Blö¤sse, als wir an einem ö¶ffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen. Er forderte mich auf, und beide Nationen standen; die Spanier, die Niederlö¤nder wetteten und wö¼nschten. Ich ö¼berwand ihn; seine Kugel irrte, die meine traf; ein lauter Freudenschrei der Meinigen durchbrach die Luft. Nun trifft mich sein GeschoöŸ. Sag ihm, daöŸ ich's weiöŸ, daöŸ ich ihn kenne, daöŸ die Welt jede Siegszeichen verachtet, die ein kleiner Geist erschleichend sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne mö¶glich ist, von der Sitte des Vaters zu weichen, ö¼be beizeiten die Scham, indem du dich fö¼r den schö¤mst, den du gerne von ganzem Herzen verehren mö¶chtest. Ferdinand. Ich hö¶re dich an, ohne dich zu unterbrechen! Deine Vorwö¼rfe lasten wie Keulschlö¤ge auf einem Helm; ich fö¼hle die Erschö¼tterung, aber ich bin bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich nicht; fö¼hlbar ist mir allein der Schmerz, der mir den Busen zerreiöŸt. Wehe mir! Wehe! Zu einem solchen Anblick bin ich aufgewachsen, zu einem solchen Schauspiele bin ich gesendet! Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rö¼hrt, was bekö¼mmert dich? Ist es eine spö¤te Reue, daöŸ du der schö¤ndlichen Verschwö¶rung deinen Dienst geliehen? Du bist so jung und hast ein glö¼ckliches Ansehn. Du warst so zutraulich, so freundlich gegen mich. Solang ich dich sah, war ich mit deinem Vater versö¶hnt. Und ebenso verstellt, verstellter als er, lockst du mich in das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer ihm traut, mag er es auf seine Gefahr tun; aber wer fö¼rchtete Gefahr, dir zu vertrauen? Geh! Geh! Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, daöŸ ich mich sammle, die Welt und dich zuerst vergesse! - Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe dich nicht, und fö¼hle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir versichern, daöŸ ich erst spö¤t, erst ganz zuletzt des Vaters Absichten erfuhr, daöŸ ich als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens handelte? Was fruchtet's, welche Meinung du von mir haben magst? Du bist verloren; und ich Unglö¼cklicher stehe nur da, um dir's zu versichern, um dich zu bejammern. Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet mir auf dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten, meines fast einzigen Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mö¶rdern? Sage, rede! Fö¼r wen soll ich dich halten? Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne dich in diesem Befehle. Du kanntest mein Herz, meine Gesinnung, die du so oft als Erbteil einer zö¤rtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich zu bilden, sandtest du mich hierher. Diesen Mann am Rande des gö¤hnenden Grabes, in der Gewalt eines willkö¼rlichen Todes zu sehen, zwingst du mich, daöŸ ich den tiefsten Schmerz empfinde, daöŸ ich taub gegen alles Schicksal, daöŸ ich unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle. Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann. Ferdinand. O daöŸ ich ein Weib wö¤re! daöŸ man mir sagen kö¶nnte: was rö¼hrt dich? was ficht dich an? Sage mir ein grö¶öŸeres, ein ungeheureres öœbel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir danken, ich will sagen: es war nichts. Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du? Ferdinand. LaöŸ diese Leidenschaft rasen, laöŸ mich losgebunden klagen! Ich will nicht standhaft scheinen, wenn alles in mir zusammenbricht. Dich soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich! Du verstehst mich nicht! Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.) Egmont. Lö¶se mir das Geheimnis. Ferdinand. Kein Geheimnis. Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes? Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir nicht fremd. Dein Name war's, der mir in meiner ersten Jugend gleich einem Stern des Himmels entgegenleuchtete. Wie oft hab ich nach dir gehorcht, gefragt! Des Kindes Hoffnung ist der Jö¼ngling, des Jö¼nglings der Mann. So bist du vor mir her geschritten; immer vor, und ohne Neid sah ich dich vor, und schritt dir nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich, und mein Herz flog dir entgegen. Dich hatt' ich mir bestimmt, und wö¤hlte dich aufs neue, da ich dich sah. Nun hofft' ich erst, mit dir zu sein, mit dir zu leben, dich zu fassen, dich - Das ist nun alles weggeschnitten, und ich sehe dich hier! Egmont. Mein Freund, wenn es dir wohltun kann, so nimm die Versicherung, daöŸ im ersten Augenblick mein Gemö¼t dir entgegenkam. Und hö¶re mich. LaöŸ uns ein ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu tö¶ten? Ferdinand. Er ist's. Egmont. Dieses Urteil wö¤re nicht ein leeres Schreckbild mich zu ö¤ngstigen, durch Furcht und Drohung zu strafen: mich zu erniedrigen und dann mit kö¶niglicher Gnade mich wieder aufzuheben? Ferdinand. Nein, ach leider nein! Anfangs schmeichelte ich mir selbst mit dieser ausweichenden Hoffnung; und schon da empfand ich Angst und Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es wirklich, ist gewiöŸ. Nein, ich regiere mich nicht. Wer gibt mir eine Hö¼lfe, wer einen Rat, dem Unvermeidlichen zu entgehen? Egmont. So hö¶re mich. Wenn deine Seele so gewaltsam dringt, mich zu retten, wenn du die öœbermacht verabscheust, die mich gefesselt hö¤lt, so rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und selbst gewaltig - LaöŸ uns entfliehen! Ich kenne die Wege; die Mittel kö¶nnen dir nicht unbekannt sein. Nur diese Mauern, nur wenige Meilen entfernen mich von meinen Freunden. Lö¶se diese Bande, bringe mich zu ihnen und sei unser. GewiöŸ, der Kö¶nig dankt dir dereinst meine Rettung. Jetzt ist er ö¼berrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt; und die Majestö¤t muöŸ das Geschehene billigen, wenn sie sich auch davor entsetzet. Du denkst? O denke mir den Weg der Freiheit aus! Sprich, und nö¤hre die Hoffnung der lebendigen Seele. Ferdinand. Schweig! o schweige! Du vermehrst mit jedem Worte meine Verzweiflung. Hier ist kein Ausweg, kein Rat, keine Flucht. - Das quö¤lt mich, das greift und faöŸt mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das Netz zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weiöŸ, wie jeder Kö¼hnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fö¼hle mich mit dir und mit allen andern gefesselt. Wö¼rde ich klagen, hö¤tte ich nicht alles versucht? Zu seinen Fö¼öŸen habe ich gelegen, geredet und gebeten. Er schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt, in diesem Augenblicke zu zerstö¶ren. Egmont. Und keine Rettung? Ferdinand. Keine! Egmont (mit dem FuöŸe stampfend). Keine Rettung! - - Sö¼öŸes Leben! schö¶ne freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens! von dir soll ich scheiden! So gelassen scheiden! Nicht im Tumulte der Schlacht, unter dem Gerö¤usch der Waffen, in der Zerstreuung des Getö¼mmels gibst du mir ein flö¼chtiges Lebewohl; du nimmst keinen eiligen Abschied, verkö¼rzest nicht den Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in die Augen sehn, deine Schö¶ne, deinen Wert recht lebhaft fö¼hlen und dann mich entschlossen losreiöŸen und sagen: Fahre hin! Ferdinand Und ich soll daneben stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht hindern kö¶nnen! O welche Stimme reichte zur Klage! Welches Herz flö¶sse nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer? Egmont. Fasse dich! Ferdinand